Klaus Lederer
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist die letzte Plenarsitzung, und ich war im Vorhinein versucht, mal darüber nachzudenken, ob ich zur Auflockerung so ein Wahlreden-Bingo anlege und es hier verteile, wo man dann ankreuzen kann. Dazu hat mir leider die Zeit gefehlt.
Aber das Wort „Erfolgsgeschichte“ hätte darin keinesfalls fehlen dürfen, Herr Graf!
Lieber Michael Müller! Im Januar 2015 sagten Sie bei Ihrer Regierungserklärung an dieser Stelle:
Alle sind gefordert, in die Stadt hineinzuhören. Es geht darum zu wissen, wo die Menschen der Schuh drückt.
Ich fand das damals gut, richtig und wichtig, doch mal ehrlich: Hat die SPD das ernsthaft gemacht?
Haben Sie mal zugehört, was die Berlinerinnen und Berliner tatsächlich bewegt?
Ich fürchte, das haben Sie nicht getan.
Deshalb ist mir auch unbegreiflich, wie Ihr Fraktionsvorsitzender Herr Saleh hier eine Erfolgsbilanz zieht und die SPD im Wahlkampf damit wirbt, dass alles so bleiben möge, wie es ist. „Berlin bleibt bezahlbar!“ – Könnte das nicht nur daran liegen, dass Sie eine Werbeagentur aus Düsseldorf beschäftigen? Ich sage: Der SPD ist in der Koalition mit der CDU die Fähigkeit abhandengekommen, einfach mal hinzuhören, was die Stadt bewegt.
Das ist für eine Regierungspartei doch sehr bedenklich.
Wir wissen alle: Berlin ist eine tolle Stadt mit tollen Menschen, mit einem großen Engagement und einer großen Bereitschaft, sich einzubringen und mitzutun. – Doch die soziale Spaltung wächst. Die Möglichkeiten der Teilhabe sind ungleich verteilt, und der Unmut nimmt zu, weil es keine eindeutigen Signale insbesondere vom Regierenden Bürgermeister gibt, dass sich daran mit der Wahl am 18. September wirklich etwas ändern soll. Ihre Koalitionsspielereien sind da nur das eine, aber dass wir hier wieder die Erzählung der Koalition von der wachsenden Stadt hören inklusive Jubelmeldungen z. B. über das Jobwunder Berlin, ist schon ein Ding.
Dass Menschen sich mit mehreren unsicheren Jobs durchschlagen müssen und davon ihre Existenz zu bestreiten haben, ist in Berlin mittlerweile ebenso alltäglich wie die Tatsache, dass Menschen im Rentenalter Werbung in Briefkästen einwerfen oder in Mülltonnen nach Flaschen suchen. Ja, es entstehen viele neue Arbeitsplätze in unserer wachsenden Stadt, aber was sind das für Arbeitsplätze, zu welchem Gehalt, zu welchen Bedingungen und mit welcher Absicherung? Wer sich von Auftrag zu Auftrag hangeln muss, von Tagelohn zu Tagelohn, wie soll der sein Leben planen? Wie soll so jemand eine Familie gründen oder sich sogar im Kiez einmischen und demokratisch beteiligen?
Ich kann mich nicht erinnern, wann in Ihrem Senat, lieber Michael Müller, zum letzten Mal irgendeine Senatorin
oder irgendein Senator zusammenhängend über diese prekäre Entwicklung nachgedacht hat.
Vergleichbare Geschichten lassen sich zu allen wichtigen Themen Berlins erzählen – zu Mietenexplosion, Wohnungsnot und Verdrängung, zu Verwaltungschaos und Politikversagen, zu bröckelnden Brücken und permanenten Störungen bei der S-Bahn. All diese Storys sind verbunden mit einem weitgehend handlungsunfähigen Senat, und wir haben heute ja noch einmal vorgeführt bekommen, wie sehr Sie sich lieben, wie sehr Sie sich einig sind und wie sehr Sie bereit sind, die Probleme dieser Stadt tatsächlich anzupacken.
Diese große Koalition hat sich fünf Jahre lieber gezankt und blockiert, anstatt sich den Problemen dieser Stadt zu stellen, und sie hat die Konflikte in der Stadtgesellschaft nicht moderiert und gelöst, sondern angeheizt und instrumentalisiert wie Herr Henkel mit seiner Wahlkampfaktion in der Rigaer Straße: Auf Anruf eines Investors mal eben so ohne Titel und rechtswidrig ein feuchtes Kellergeschoss räumen lassen!
Es wundert uns nicht, dass die zentralen Wahlkampfbotschaften von SPD und CDU in den Ohren vieler Berliner wie Hohn klingen, denn da, wo Berlin stark ist, wie die CDU jubelt, ist das nicht wegen des amtierenden Senats so, sondern weil viele Menschen in unserer Stadt aufopferungsvoll für andere einstehen und den sozialen Zusammenhalt organisieren – so, wie in der Flüchtlingshilfe, wo sie die Probleme anpacken, die der CDU-Senator Czaja erst organisiert hat.
Wir haben in den vergangenen fünf Jahren aus der Opposition heraus gemeinsam mit Initiativen in der Stadt verschiedene, zum Teil doch sehr konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt – zur Integration Geflüchteter, zur Mietenpolitik, zum Personal, zu Bildung und Nahverkehr. Die schwarz-rote Koalition hat sich nicht nur abgewöhnt, den Berlinerinnen und Berlinern zuzuhören, sie schaffte es nicht einmal, sich ernsthaft mit den Vorschlägen der Opposition auseinanderzusetzen. Wie man auch heute wieder an der Änderung der Tagesordnung sehen kann, wird das, was stört, einfach qua Mehrheit in den Papierkorb befördert.
Lieber Herr Saleh! Die Bedarfsprüfung für Kita und Hort hätten Sie gestern im Hauptausschuss haben können. Sie hätten einfach nur zustimmen müssen.
Stattdessen haben Sie es vertagt. Das ist genau das, was wir von Ihnen heute hier wieder gehört haben: eine Welle von Ankündigungen, was Sie an Großartigem vorhaben und jetzt, aber jetzt wirklich und auf jeden Fall und unbedingt und ganz schnell tun wollen. Aber es stellt sich die Frage, warum Sie das nicht in den letzten fünf Jahren gemacht haben.
Sie sind unter Druck geraten, und nur dieser Druck hat dazu geführt, dass jetzt ein Wettbewerb des „Schneller, weiter, höher!“ bei der SPD ausgerufen wurde. Stadtwerk! Mir klingelten die Ohren. Aber wer hat es versemmelt? Wer hat denn damals den Volksentscheidsinitiatoren gesagt: „Brauchen wir gar nicht, machen wir schon alles, können wir schon.“?
Lieber Herr Saleh! Ein Antrag zur Privatisierungsbremse liegt seit drei Jahren hier im Plenum, der liegt seit drei Jahren hier im Abgeordnetenhaus. Warum haben Sie nicht einfach zugestimmt? Warum kommen Sie jetzt, zehn Tage vor der Wahl, mit so etwas rüber? – Das ist doch lächerlich.
Und die CDU macht das, was sie immer tut, wenn die Not groß ist: Ängste schüren, am liebsten vor Linksextremisten, auch wenn keine Statistik hierbei einen relevanten Anstieg des Problems ausweist! Zur Not muss die Polizei dann mal Überstunden machen und auch mal ohne richterlichen Entscheid anrücken, um die gewünschten Reaktionen und Bilder zu erzeugen und einen Herrn Henkel, den man in den letzten vier Jahren nicht gesehen hat, kurz vor der Wahl noch mal ein bisschen in das Kameralicht zu rücken.
Darüber kann man am Ende natürlich nur lächeln, aber nicht mehr lächeln kann ich angesichts der sommerlichen Posse von Frank Henkel, vehement ein Burkaverbot einzufordern. Das ist quasi Ihr „Veggie-Day“, Herr Henkel. Herr Henkel hält das ernsthaft für einen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus. Das ist doch wirklich abenteuerlich und absurd. Kein terroristischer Anschlag ist in Europa von einer Frau mit Burka verübt worden. Viele haben sogar Schwierigkeiten, hier in unserem Land irgendwo eine Frau zu finden, die eine Burka trägt. Das ist ein bisschen wie die Zombie-Apokalypse. Die kennen auch ganz viele nur aus dem Film oder aus dem Kino. Trotzdem glauben aber manche, dass sie über uns kommen wird.
Wahrscheinlich ist die Zombie-Apokalypse sogar realistischer.
Leider ist dieser Vorstoß zwar absurd, aber auch ebenso eiskalt berechnet. Frank Henkel weiß, dass von der unauffindbaren Burkaträgerin in unserem Land keine terroristische Gefahr ausgeht. Er kann aber die eigene Anhängerschaft, die gerade mit der AfD liebäugelt, damit schön das Gruseln lehren und noch einmal so richtig den dicken Max spielen. Dass damit Ängste und Ressentiments verstärkt werden, nimmt er in Kauf.
Werter Frank Henkel! Ihre Abgrenzung von der AfD vorgestern Abend beim RBB in allen Ehren, aber Sie sind wenig glaubwürdig. Sie sind auch nicht hilfreich. Statt der AfD das Wasser abzugraben, leiten Sie es nur auf deren Mühlen. Im eigenen Interesse, aber vor allem im Interesse des friedlichen Zusammenlebens in unserer Stadt: Fischen Sie nicht mit Ressentiments! Blinken Sie nicht immer rechts, Herr Henkel!
Liebe Ramona Pop! Die kleine Bemerkung kann ich mir an der Stelle nicht ersparen: Ein bisschen weniger Selbstgerechtigkeit würde Ihnen gut tun.
Diskutieren Sie mit Herrn Kretschmann und Herrn Palmer Ihre Vorstellungen zur Geflüchteten-Politik! Ich sage Ihnen, Die Linke hat im Deutschen Bundestag geschlossen gegen sämtliche Verschärfungen des Asylrechts und gegen die weitere Ausweitung angeblich sicherer Herkunftsländer gestimmt. Wenn die Grünen eine solche Bilanz vorweisen können, können sie anfangen, uns zu belehren.
Ja, inklusive Frau Wagenknecht! Herr Kretschmann dagegen fand im Bundesrat, dass man die sicheren Herkunftsstaaten durchaus noch ein bisschen ausweiten könnte, egal, ob dort Lesben und Schwule verfolgt werden, weil die Bürgerinnen und Bürger im Ländle – meinte Herr Kretschmann wahrscheinlich – das Auf-sie-zuBewegen brauchen.
Es muss sich etwas ändern. So viel steht fest. Ungelöste Probleme und ungehörte Bürgerinnen und Bürger führen zu Politikverdrossenheit. Die fällt, wie wir zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern beobachten konnten, allen auf die Füße. Uns ist schon bewusst, wie hoch die Erwartungen der Berlinerinnen und Berliner an diese Wahl sind. Unsere Stadt braucht aber eine andere Regierung, die ihre Interessen und Sorgen aufnimmt, einen Senat, der mit ihr kommuniziert und für sie arbeitet, der vor allem nicht darauf fixiert ist, die Macht zu erhalten. Wir
brauchen eine Politik, die bereit ist, die Stadt Schritt für Schritt den Bürgerinnen und Bürgern zurückzugeben. Berlin ist antiautoritär gewachsen. Deshalb wird dafür auch kein starker Landesvater oder eine eloquente Landesmutter benötigt. Es sind die Berlinerinnen und Berliner selbst, die längst damit begonnen haben, die Stadt zu verändern.
In den vergangenen Jahren ist eine vielfältige, aktive Stadtgesellschaft entstanden, die nicht mehr darauf wartet, dass Regierung und Verwaltung aus der Hüfte kommen. Mit Volksbegehren erzwingen die Berlinerinnen und Berliner Zugeständnisse in der Mietpolitik und setzen die Rekommunalisierung der Energiewirtschaft auf die politische Agenda.
Herr Saleh! Schmücken Sie sich nicht mit fremden Federn! Es ist nämlich unanständig. Es waren die Berlinerinnen und Berliner, die Sie dazu gezwungen haben, sich in Sachen Stadtwerk und Rekommunalisierung der Netze zu bewegen.
Sie haben Sich verdammt wenig bewegt, Herr Schneider!
Die Bürgerinnen und Bürger sorgten dafür, dass das Tempelhofer Feld nicht an Immobilienhaie verhökert, sondern als einzigartige Freifläche geschützt wurde. Sie packen auch an
getroffene Hunde bellen – bei der Integration der geflüchteten Menschen, beim Renovieren der Klassenzimmer und Kitas, in Sportvereinen, der Nachbarschaftshilfe und auch in der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe, wo nichts laufen würden, gäbe es nicht die vielen Ehrenamtlichen, die sich dort jeden Tag aufopferungsvoll um die Menschen kümmern.
Im Gegenzug erwarten genau diese Bürgerinnen und Bürger mit Recht, dass sie in Entscheidungen einbezogen werden, dass nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden wird und dass sie von der Stadtpolitik das Mindestmaß an Unterstützung bekommen, das sie hierfür brauchen. Weil es so ist – da bin ich mir sicher und gemeinsam mit Udo Wolf und vielen Linken einig –, dass eine andere Mehrheit besser zu Berlin passen würde als diese nicht mehr ganz so große Koalition, nicht, weil Die Linke unbedingt regieren muss, sondern weil es in der Stadt die Hoffnung gibt, dass eine andere Konstellation unsere in weiten Teilen progressive Stadtgesellschaft besser repräsentieren würde. Dabei ist jetzt schon absehbar, dass jeder Senat, der dem amtierenden folgt, in weiteren Teilen seiner Arbeit als Reparaturbrigade unterwegs sein wird. Wenn es aber ein Senat ist, an dem wir beteiligt sind, muss es
einer sein, der die Stadt mit progressiver Politik verändern will.
Zum Thema Milliarden können wir uns gern noch einmal unterhalten.
Wer hat hier eigentlich den Schuldenberg hinterlassen? Ich höre hier ein Klingeln in den Ohren. Die MilliardenSchuldenberge haben Sie hinterlassen.
Als Rot-Rot Ihren Schuldenberg übernommen hat, gab es im jährlichen Haushalt ein Fünf-Milliarden-Defizit. Jetzt schreiben wir Überschüsse. Jetzt tun Sie nicht so, als ob Sie die Haushaltskonsolidierer seien.
Wir brauchen progressive Politik in dieser Stadt. Die Voraussetzung dafür ist, sich zu einer anderen Art der politischen Zusammenarbeit zu verabreden, einer Art, in der zum einen die Probleme wirklich angepackt werden und in der die Beteiligten das auch als gemeinsame politische Herausforderung begreifen, statt – wie wir das heute hier wieder erlebt haben – sich hämisch und schadenfroh beim Scheitern zuzuschauen, und die Hinweise auf Defizite und Leerstellen nicht als Nörgelei an den Majestäten zu verstehen und Kritik deshalb mehr zu bekämpfen, als sie ernst zu nehmen. Es geht nicht um uns oder darum, ob wir die Grünen für Besserwisser oder sie uns für Oberlehrer halten. Die geht um die Oma Annis in dieser Stadt. Es ist mir völlig egal, wen sie wählen, Hauptsache, wir machen eine Politik, die ihnen dient.
Wir wollen, dass die Stadt wieder funktioniert und besser darauf vorbereitet ist weiterzuwachsen. Dafür muss investiert werden, in großem Stil und mit einem Plan. Dazu wird ein Personalentwicklungskonzept benötigt. Für den Nahverkehr wird ein Beschleunigungspakt benötigt. Bis auf Weiteres darf keiner Preiserhöhung im Berliner Nahverkehr zugestimmt werden. Als Beitrag zur Armutsbekämpfung schlagen wir unter anderem für Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, ermäßigte Einzelfahrscheine vor.
Ja, die Anzahl der städtischen Wohnungen muss steigen mit einem garantierten und wachsenden Anteil an Wohnraum, der zu garantierten Höchstmieten an Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen vermietet wird. Wir wollen, dass Kita- und Hortplätze nicht nur gebührenfrei werden, sondern wollen auch die Bedarfsprüfung abschaffen, Herr Saleh!
Für einen höheren Mindestlohn wollen wir auch Druck auf den Bund machen. 8,50 Euro waren schon bei der Einführung zu niedrig. Sie sind es jetzt erst recht. Wir wollen ein Investitionsprogramm. In dessen Rahmen soll auch Langzeiterwerbslosen die Chance gegeben werden, wieder einen Job zu Tarifbedingungen zu erhalten.
Als Linke wollen wir nicht nur dafür sorgen, dass sich in unserer Stadt etwas ändert, sondern wollen auch, dass Berlin nicht nur im eigenen Saft schmort, sondern sich auch politisch endlich als Weltstadt und Hauptstadt begreift, dass wir Verantwortung übernehmen, dass endlich wieder über menschliche Alternativen zum Diktat der Ökonomie und der schwarzen Null, des Sozialabbaus und der Waffenexporte, zu TTIP und CETA, der Technokratie und des Lobbyismus sowie des Wegverwaltens von Menschen und ihren Wünschen diskutiert und dafür gehandelt wird.
Es gibt politische Forderungen, die Richtung Bund und Europa gerichtet werden müssten. Das betrifft Mietenpolitik, Mindestlöhne, gerechtere Steuerpolitik oder die Angleichung der Ostrenten.
Bevor die Konservativen hier wieder einen Herzkasper bekommen, möchte ich mich nicht in Revolutionsrhetorik versteigen. Berlin war immer anders, etwas rebellischer. Wäre nicht Berlin der beste Ort für eine Landesregierung, die Themen, die die Landespolitik nicht ändern kann, mit Unterstützung der rebellischen Bevölkerung aufgreift und befördert? Ich fände es für unsere Stadt angemessen, gemeinsam mit den Berlinerinnen und Berlinern dafür zu sorgen, dass von hier aus solchen Forderungen mehr Nachdruck verliehen wird. Wir haben in den letzten Wochen etwas gezeigt, das ist vor allem eines, dass das Programm: „Es gibt keine Alternative“ gescheitert ist und dass es die Leute nicht mehr hören können. Schaffen wir ihnen eine progressive, eine menschliche, soziale, weltoffene und demokratische Alternative! Darauf kommt es jetzt doch an.
Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass wir als Linke bis zum 18. September engagiert und fair für unsere Ziele eintreten werden. Wir werden ein gutes Ergebnis einfahren. Über alles, was nach dem 18. September kommt, reden wir gern miteinander, aber vor allem mit den Berlinerinnen und Berlinern. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einmal mehr habe ich den Eindruck, dass es bestimmte Debatten gibt, die man besser am Beginn einer Legislaturperiode als an ihrem Ende führen sollte.
Es ist jetzt schon eine ganze Menge dazu gesagt worden, wie wichtig der Bonn-Berlin-Beschluss vor 25 Jahren für unsere Stadt war. Damals gab es auch in unserer Partei manche, die diese Entscheidung wegen der wechselvollen Geschichte Deutschlands und Berlins mit Sorge betrachtet und sich die Frage gestellt haben, wie das wohl bei unseren Nachbarn in Polen ankommen würde, wenn die Hauptstadt Deutschlands wieder Berlin heißen würde. Gleichwohl war es eine richtige und wichtige Entscheidung, und die Stimmen der PDS/Linke Liste im Bundestag mit Gregor Gysi an der Spitze gaben am 20. Juni 1991 den Ausschlag für die Hauptstadtentscheidung zugunsten Berlins. In keiner Fraktion war die Zustimmung größer.
Darauf sind wir durchaus auch heute noch stolz, Herr Schneider.
Lieber Herr Schneider! Es kommt ja nicht so häufig vor, dass Westberliner CDU-Politiker sagen, sie würden der PDS für irgendetwas – Zitat – ewig dankbar sein, wie es Peter Radunski jüngst getan hat.
Der hat da mehr Größe als Sie.
Aber ein Hauptstadtbeschluss macht noch keine Hauptstadt. 25 Jahre sind eine lange Zeit. Nicht ganz so lange her ist der 21. Oktober 2001, der Tag vorgezogener Neuwahlen in Berlin. Das war der Tag, an dem eine große Koalition abgewählt wurde, die mit jahrelanger Misswirtschaft und Vetternwirtschaft, deren drastischster Ausdruck der Berliner Bankenskandal war, Berlin schwer geschadet hat. Herr Saleh! Darüber kann man auch mal drei Worte verlieren. Das ist auch Ihre Geschichte.
Daran heute zu erinnern, ist mir wichtig, denn mit dem Ende der Koalition 2001 begann Berlin, nicht nur Hauptstadt zu heißen, sondern auch Hauptstadt zu werden – weltoffen, attraktiv und mit wachsender Anziehungskraft. Es kam Bewegung in die Hauptstadtkultur. Thomas Flierl hat etwas erreicht, was seine Vorgänger Roloff-Momin, Radunski oder Stölzl nicht hinbekommen haben, obwohl ihre Partei im Bund an der Macht war, nämlich die Übernahme solcher Einrichtungen wie Haus der Kulturen der Welt, Akademie der Künste, Deutsche Kinemathek, Berliner Festspiele, Jüdisches Museum oder Martin-GropiusBau durch den Bund.
Der Bund und die anderen Länder taten sich nach wie vor schwer, Berlin auch als Hauptstadt zu akzeptieren. Berlin war zwar längst Regierungssitz, aber immer wieder sagten alle, Berlin möge gefälligst nicht so viel fordern. Einen Tiefpunkt erreichte dieses Nicht-Verhältnis 2006, als Berlins Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf Bundeshilfen scheiterte. Obwohl die Stadt ein hartes Sanierungsprogramm durchgeführt hatte, blieb ihr die Unterstützung beim Schuldenabbau versagt. Die Folgen dieses einmaligen Konsolidierungs- und auch Kürzungsprogramms spüren wir noch heute manchmal schmerzlich, wenn ich etwa an den Solidarpakt des öffentlichen Dienstes denke und das von dieser Koalition gebrochene Versprechen zur zügigen Angleichung an den Bundesbesoldungsdurchschnitt, wenn wieder Geld da ist – auch als Anerkennung dieses nicht ganz einfachen Verzichts dieser Beschäftigten.
(Raed Saleh)
Aber nicht nur mit der Besinnung auf die eigene Kraft in fiskalischer Hinsicht brach Berlin mit einer liebgewonnenen Haltung aus alten West-Berliner Zeiten. Auch die wirtschaftliche Entwicklung, die man noch in den Neunzigerjahren größenwahnsinnig als Selbstläufer betrachtete und beschwor, wurde endlich angeschoben. Konzentration auf die eigenen Potenziale und kluge soziale Wirtschafts- und Wissenschaftsförderung haben es ermöglicht.
In den zehn Jahren rot-roter Regierung wurde Berlin nicht nur eine attraktive Metropole, sondern auch eine Stadt der Vereinigung und damit die wirkliche Hauptstadt. In Berlin kommunizierten Ost und West miteinander. Das war für die Beteiligten nicht immer einfach und mitunter auch schmerzlich, aber es hat den Blick geweitet und Verständnis für die Perspektiven der jeweils anderen und für ihre Geschichte und Biografien möglich gemacht. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Debatte um das Mauergedenkkonzept. In Berlin wurden das Schweigen und höfliche Desinteresse überwunden – auch das in den Jahren nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zunehmende Unverständnis zwischen Ost und West, das einsetzte, nachdem die Feierstimmung der deutschdeutschen Vereinigung abgeklungen war.
Nicht, dass Ost-West-Differenzen heute keine Rolle mehr spielen würden, aber sie rangieren doch deutlich hinter vielen anderen gemeinsamen Fragen und Themen. Das haben wir hier in Berlin bewerkstelligt, und das ist in der Tat auch ein bisschen Grund zu Freude und Stolz.
Berlin hat durch die schmerzliche Konsolidierung des Haushalts auch dringend benötigte Gestaltungsspielräume zurückgewonnen – Spielräume, die es dringend brauchte, um der rasanten Entwicklung seit diesen Jahren nicht einfach nur zuzuschauen und sich auf die Schulter zu klopfen, wie wir es heute wieder erlebt haben, sondern um sie gemeinsam mit den Berlinerinnen und Berlinern zu gestalten. Ja, und da bin ich dann wütend: Nur fünf Jahre später, wieder regiert von einer sogenannten großen Koalition, ist Berlin eine Stadt, über die sich nicht nur das gesamte Land, sondern die halbe Welt kaputtlacht. Wegen eines Flughafen, der nicht fertig wird, wegen chaotischer Zustände in der Verwaltung – so schlimm, dass wohl erstmals in der Geschichte diskutiert wird, ob hier turnusmäßige Parlamentswahlen stattfinden können –, wegen einer Regierung, die sich schlimmer streitet als dazumal die Kesselflicker und damit allerorten Kopfschütteln auslöst! Ich gebe es zu: Ich kann über die Bezeichnung „Failed City“ überhaupt nicht lachen, und sie stimmt ja auch nicht, denn noch funktioniert hier manches.
Ja, hören Sie mir zu! – Aber das geht unter, denn die Dynamik hier in der Stadt hat nicht nur schöne Seiten, sondern auch ihre extrem belastenden. Das Gefühl, das sich ausbreitet und die Hintergrundmusik dieser FailedCity-Gesänge bildet, ist folgendes: Die Regierenden hier haben das alles nicht mehr im Griff, außer Selbstlob, Ankündigungspolitik und hektisch-planlosem Gewurstel läuft hier nichts mehr. – Das beschämt mich, und das ist ein riesiges Problem für uns alle.
Ich denke, dass wir alle eine Menge zu tun haben werden, damit sich das wieder ändert. Es wird mehr sein müssen, als das Schulterklopfen noch einmal zu verstärken – in der Hoffnung, dass die Öffentlichkeit die Dinge dann genauso sieht wie die Regierenden hier.
Hauptstadt hin, Hauptstadt her – die zurückliegenden fünf Jahre waren für Berlin verschenkte Jahre. Alle Berlinerinnen und Berliner, die ja nicht zuallererst Hauptstädterinnen und Hauptstädter, sondern Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt sind, können davon ein Lied singen, denn immer, wenn eine solche urbane Dynamik innerhalb vorhandener Strukturen einsetzt, geraten die Dinge aus dem Leim und knarzt es im Gebälk. Wachsende Stadt bedeutet eben auch wachsende Bedürfnisse, wachsende Probleme und Widersprüche, wachsende Planungs- und Gestaltungserfordernisse.
Meine Damen und Herren von der Koalition! Seit Monaten versuchen wir in diesem Parlament immer wieder herauszufinden, was Sie nun eigentlich vorhaben, damit bezahlbares Wohnen, funktionierende Fortbewegung für alle, gute Leistungen des öffentlichen Dienstes, ein attraktiver öffentlicher Dienst oder die Schul- und Infrastruktursanierung endlich beherzt angepackt werden, und wie das alles gemeinsam mit den Berlinerinnen und Berliners funktionieren soll. Die gesamte öffentliche Infrastruktur Berlins braucht eine Frischzellenkur, und Tatsache ist und bleibt, dass Sie – die Koalition – mit dem finanziellen Spielraum, der in Berlin entstanden ist, in den vergangenen fünf Jahren nichts anzufangen gewusst haben. Bis heute gibt es keinen Plan für die Sanierung der Stadt.
So reden wir heute, drei Monate vor einer mutmaßlich stattfindenden Wahl, über 25 Jahre Hauptstadtbeschluss. Jetzt nutzen Sie das Jubiläum der Bundestagsentscheidung, um Streit untereinander aus dem Weg zu gehen und Gründe zu liefern, warum Sie ausgerechnet Wolfgang Schäuble zum Ehrenbürger Berlins machen wollen. Michael Müller hat vorhin den Teil der Rede vorgelesen,
den ich mir auch aufgeschrieben habe. Den brauche ich jetzt nicht noch einmal vorzulesen.
Den brauche ich jetzt nicht noch mal vorlesen. – Darin ist viel von Verantwortung für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit und von Berlins Rolle im geeinten Europa die Rede.
Meine Damen und Herren! Lieber Michael Müller! Wenn wir diesen schäubleschen Anspruch als Maßstab nehmen, müssen wir dann nicht kurz innehalten und fragen, wie es heute um die Umsetzung dieses Anspruchs und um die Rolle Wolfgang Schäubles, eines aktiven Politikers, dabei steht? Müssen wir nicht fragen, wie es um Europa aktuell bestellt ist – an dem Tag, wo Großbritannien über den Brexit abstimmt? Nicht zuletzt, weil Deutschlands Finanzminister eine Politik der Solidaritätsverweigerung verfolgte: die beträchtlichen Vorteile durch Exportüberschüsse und gemeinsamen Markt nutzen, ohne auch für die Risiken und Nachteil mit einstehen zu wollen, die andere dadurch erfahren!
Diese Solidaritätsverweigerung war das Anlegen der Axt an den Prozess des Zusammenwachsens in der EU. Wenn das Gemeinsame nicht praktiziert wird, siegt nationaler Egoismus, und seine hässlichen Geschwister sind der Wohlstandschauvinismus und der Rechtspopulismus. Beide gedeihen auf der Verweigerung von Solidarität durch die technokratische Exekution von Macht und ökonomischen Interessen. Diese Politik ist vollkommen gescheitert. Wenn wir nicht geschichtslos und nicht nur im Sinne eines Marketingetiketts Hauptstadt sein wollen, sondern ein europäisches Berlin, dann sollte uns zumindest klar sein, dass diese Ehrenbürgerwürde nicht überall die gleiche Begeisterung auslösen wird wie in Ihrer Koalition.
Brexit – TINA, basta! Das Beschwören der Alternativlosigkeit ist Wasser auf die Mühlen der Ewiggestrigen, die Sie ja alle angeprangert haben. Wer das nicht begreift, der wird den Rechtspopulisten nur hilflose Appelle oder ein trotziges: „Wir sind aber besser als unser Ruf!“ entgegensetzen können. Das ist doch eine politische Zaunkönigperspektive.
Herr Saleh! Sie können doch nicht einerseits zu Recht anmerken, dass es falsch war, wie mit Griechenland umgegangen worden ist, um gleich danach gemeinsam mit Ihrem Senat einer der Personen, die für diese Politik prototypisch steht, die Ehrenbürgerwürde Berlins zu verleihen.
Weil es um 25 Jahre Hauptstadtbeschluss geht: Es ist übrigens genau dieselbe Politik, die 2006 dazu geführt hat, dass der Bund und die Länder Berlin die notwendige Solidarität bei der Entschuldung verweigert haben. Es ist genau die Politik, Austerität und Technokratie, für die der Name Schäuble steht.
Nun wäre zwischen Berlin und Bundesregierung durchaus einiges Anderes zu verhandeln als Ehrenbürgerwürden. Komplettumzug der Ministerien – war da etwas? Seien wir einmal ehrlich: Die Koalition hat sich in den fünf Jahren, seit sie im Amt ist, mit keiner Silbe darum gekümmert. 2014 hatten wir 20 Jahre Bonn-BerlinGesetz. Das wäre einmal eine Gelegenheit gewesen, etwas zu tun. 1994 wurde die Förderung der Bundesstadt Bonn als Wissenschaftsstandort, Kulturstandort, Entwicklungspolitikstandort zu einer Region mit zukunftsorientierter Wissenschaftsstruktur gesetzlich festgeschrieben. Ähnliches für die Hauptstadt Berlin findet sich nicht. Das drückt das merkwürdige Verhältnis des Bundes zu seiner Hauptstadt Berlin wirklich sehr gut aus.
Es gibt kein Hauptstadtgesetz. Sie haben, soweit ich weiß, nichts dafür getan. Das ist letztlich das Problem bei allem, worüber wir hier reden. Ich habe eine schöne Anekdote: Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen dieses Hauses saßen vor nicht allzu langer Zeit bei der Stiftung Zukunft Berlin. Dort hatte man erkannt, dass auch Berlin seinen Teil zu einer stärkeren Wahrnehmung der Hauptstadtrolle leisten sollte. Man schlug uns eine Verfassungsänderung zur Annahme der Hauptstadtrolle vor. Ob wir das nicht noch gemeinsam in dieser Legislaturperiode hinbekommen könnten? Vielleicht, ha,ha!, zum 25. Jahrestag des Hauptstadtbeschlusses? Die Offenheit war da. Die Koalitionsvertreter erklärten sich bereit, die Sache in die Hand zu nehmen. Passiert ist nichts.
Ich nenne das Stichwort Liegenschaften des Bundes, die Berlin mehr als gut für den Bau von preiswerten Wohnungen und für Geflüchtete gebrauchen könnte. Der Bund gibt an der Stelle nichts freiwillig her. Zuständig, Herr Saleh, ist übrigens der Bundesfinanzminister, Wolfgang Schäuble.
Ich nenne das Stichwort Umzug der Ministerien von Bonn nach Berlin. Das ist mir schon aus ganz persönlichen Gründen ein Anliegen, weil mein Mann einer der Pendler ist, die zwischen Bonn und Berlin immer hin- und herfahren. Weil es hier heute noch keiner gesagt hat und mich mein Kollege Schatz darum gebeten hat, spreche ich die Worte jetzt wenigstens einmal aus, dass es Lesben und Schwule heißt und nicht Homos oder Homosexuelle. Das sagen wir an der Stelle einfach stolz.
Die Kosten zweier Regierungssitze, ökologisch, fiskal, sozial: Wenn das endlich aufhörte, wäre es ein Gewinn. Wenn es aber aufhört, werden Sie keinen Verdienst daran haben, jedenfalls ist mir dazu nichts bekannt geworden. Integrationspolitisch würden wir auch verkraften, etwa 7 000 Bundesbedienstete nebst Familien auch noch nach Berlin zu holen.
Der alte Werbespruch „Kommen Sie mit Ihren Kindern nach Berlin, die sind später sowieso hier.“ hat bekanntlich viel Charme. Sie finden auch eine Wohnung, denn Herr Geisel sorgt dafür, dass in dieser Preisklasse, aber auch nur in dieser Preisklasse, gut und viel gebaut wird. Nur der Druck auf all jene, die diese Einkommen nicht haben, könnte vielleicht etwas größer werden. Das müssen wir im Blick haben. Das ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker dieser Stadt. Wir müssen dafür sorgen, dass soziale Spaltung und Ausgrenzung nicht weiter wachsen. Das ist das, was von uns verlangt wird, und zwar zu Recht verlangt wird.
Es passt in Wahlkampfzeiten immer gut, den Umzug der Ministerien von Bonn nach Berlin aufzurufen. Das entscheiden wir hier sowieso nicht abschließend. Wichtig für Berlin ist aber die Antwort auf die Frage, was zu tun ist, um Berlin zu einer Stadt der Solidarität, der sozialen Gerechtigkeit und Weltoffenheit zu machen, gemeinsam mit den Berlinerinnen und Berlinern, die im vergangenen Sommer gezeigt haben, dass ihnen die Stadt nicht egal ist und was sie zu leisten vermögen, wenn sie wissen, wofür. An der Stelle, lieber Regierender Bürgermeister, liegt das Problem. Die attraktiven Seiten Berlins, die Sie zu Recht hervorgehoben haben, sind massiv bedroht. Wenn wir nicht schnell etwas unternehmen, werden genau diese attraktiven Seiten verschwinden.
Die Menschen, die sich hier in der Stadt engagieren, werden unsere heutigen Rituale vermutlichen nicht erreichen. Es hat etwas von einem politischen Sommerschlussverkauf. Ich räume ein, lieber Regierender Bürgermeister, es war keine schlechte Ankündigungsrede. Ich habe mir doch die Frage gestellt, für welche Regierung Sie diese Regierungserklärung eigentlich gehalten haben und ob sie eine Bilanz dessen ersetzt, was in den vergangenen fünf Jahren passiert ist. Ich habe auch den Eindruck, lieber Raed Saleh, dass zwischen Vision und Pathos einerseits und der Realität andererseits bei Ihnen doch noch eine ziemlich große Lücke klafft.
Dass die scheidende Koalition dieser Debatte seit Monaten ausweicht, ist das eine. Das andere ist aber, dass ein Wahltag vor der Tür steht – für den Fall, dass das klappt. Ich bin ziemlich sicher, dass die Berlinerinnen und Berliner diese Debatte führen werden, egal, ob sie ihr ausweichen oder nicht. Ich bin auch ziemlich sicher, dass nach dem 18. September eine Regierung die Chance hat, einzusteigen, um diese Probleme endlich beherzt anzugehen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kollegin Matuschek! Teilen Sie meine Überraschung darüber, dass die Koalition angesichts ihrer heutigen Aktuellen Stunde so mäßig bis gar nicht vertreten und desinteressiert ist?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Tja, was soll man dazu sagen? Ich hätte gar nicht gedacht, dass bei dem Antrag noch mal so richtig schön Schwung in die Bude kommt. Herr Kollege Kohlmeier hat ja im Grunde recht: Im Kern – und jetzt ganz schlicht übersetzt – lautet der Antrag, der Senat wird aufgefordert, endlich seine Arbeit zu machen. Man kann da eigentlich auch nicht anders, als dem zuzustimmen. Lieber Kollege Kohlmeier! Den Antrag kann man natürlich auch als eine Missbilligung interpretieren, und das wäre ein bisschen weniger als das, was Sie hier vorhin gemacht haben, nämlich letztlich eine Aufforderung an den Regierenden Bürgermeister zu richten, den Justizsenator sofort zu entlassen.
Das war Ihre Rede.
Die Debatte zur Funkzellenabfrage ist bald so alt wie die Legislaturperiode. Kollege Lauer hat vorhin mit dem Jahr 2014 angefangen. Im Antrag und in der Antragsbegründung wird auf den 7. März 2013 Bezug genommen.
Wenn man sich den Beschluss vom 7. März 2013 anschaut, sieht man, dass es da auch enthalten ist. Unter den Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikern wurde wohl kaum ein Thema so intensiv behandelt wie dieses. Ich kann mich an Runden erinnern, wo wir mit der Staatsanwaltschaft zusammengesessen haben, wo lang und breit erörtert wurde, was technisch geht, was technisch nicht geht usw. Das ist alles schon so lange her, dass ich tatsächlich noch mal in die Gesprächsnotizen gucken musste. Teil der Gesprächsnotizen war aber: So etwas ist durchaus denkbar. Wir können ja mal ein Modellprojekt machen. – Insofern ist es richtig, dass bis zum heutigen Tag nicht nur nichts passiert ist, sondern wohl auch nichts mehr passieren wird vonseiten des Public-RelationSenators Heilmann, das müssen wir wohl festhalten. Der Habitus des Ganzen ist eher der: Na ja, nun habe ich vier Jahre nichts gemacht, da fange ich doch jetzt nicht mehr damit an. Das überlasse ich dann lieber den penetranten Leuten von SPD bis Linke. Ich bin hier sowieso bald weg.
Witzig ist, dass das alles in einem Kontext mit einer Aktuellen Stunde kommt, in der der Kollege Melzer heute
Morgen Märchen erzählt hat, ich zitiere noch mal: Im Gegensatz zur Opposition setzen wir auf schnelle Entscheidungen.
In der Smart-City-Stadt, wo man sich mit Modellprojekten und E-Lösungen so gut auskennt! Ja, warum hat denn der Kollege Heilmann, der sich immer so darin sonnt, auf Du und Du mit jedem Chip zu sein, nicht einfach mal den Kontakt gesucht und versucht, kurzfristig die Start-ups mit einzubeziehen? Die große Kreativität, von der Sie hier immer tönen – wo ist die denn auf einmal?
Es ist ja auch nicht so, dass Senator Heilmann sich damit von anderen Mitgliedern des Senats – und da meine ich jetzt nicht nur die mit CDU-Parteibuch – abheben würde. Pikant ist, dass uns gerade frisch mit einer Mitteilung – zur Kenntnisnahme –, Datum 14. April 2016, mitgeteilt wurde – ohne Anhang, kann ja mal passieren, bzw. bei dem Thema sind die Fauxpas so häufig, dass man kaum noch an Zufälle glauben mag; da hat ja bisher eigentlich gar nichts reibungslos geklappt,
auch mit der Berichterstattung gegenüber dem Parlament nicht –, dass die Einrichtung eines SMS-Informationssystems sich anhaltend in der Entwicklungsphase befinde. Wann eine Umsetzung möglich ist, sei nicht absehbar.
Die rechtlichen und technischen Anforderungen müssen insbesondere auch unter Berücksichtigung datenschutz- und haushaltsrechtlicher Aspekte eingehend geprüft werden.
Ja, Kollege Lauer, da haben Sie völlig recht, das ist die Erklärung der Arbeitsverweigerung, das ist die Beerdigung erster Klasse eines Beschlusses, der über alle Fraktionen hinweg beschlossen worden ist.
Da muss man nun noch drei Aspekte mit in Rechnung stellen. Der eine ist: Warum wir heute überhaupt so ein Theater erleben, wie wir es gerade erleben, hat damit zu tun, dass es hier mal den Koalitionspartner erwischt hat. Wir als Opposition sind es gar nicht anders gewöhnt.
Wir kennen das, wir haben das regelmäßig auszustehen. Wir können uns dann aber nicht hier vorne hinstellen und unsere menschliche und politische Enttäuschung zum Ausdruck bringen und ein bisschen rumjammern. Das hilft uns auch nicht. Aber Sie wissen natürlich, Kollege Kohlmeier: Dadurch, dass Sie das hier mitgetragen haben – und die CDU es mit beschlossen hat –, ist es auch völlig egal, was Frau Seibeld die ganze Zeit noch erzählt, es sei denn, sie erzählt uns: Ich habe es eigentlich gar nicht so gemeint. Das war von Anfang an nur ein PRAntrag, und wir hatten sowieso nie vor, uns danach zu
richten. – Wenn das tatsächlich die Erklärung ist, ist das auch einmal mehr Ausweis der Tatsache, dass in dieser Koalition gar nichts mehr miteinander funktioniert.
Was Heilmann nicht hinkriegt, das ist die Organisation der Kontrolle von Ermittlungsmethoden, von denen er im Übrigen permanent neue fordert – breitere, ansatzlosere und heimlichere Ermittlungsmethoden. Es vergeht ja keine Woche, wo unser Justizsenator nicht neue Debatten darüber führt, was den Sicherheitsbehörden noch alles gegeben werden müsste. Was er auch nicht hinkriegt, ist die Auswertung von Bundesverfassungsgerichtsurteilen, die genau solche Befugnisse einschränken sollen. Und was er – drittens – nicht hinbekommt, ist, den Zusammenhang zwischen beiden Aspekten herzustellen und in seiner Verantwortung für Rechtstaatlichkeit, Grundrechtssicherung und die Möglichkeit der Kontrolle durch das Parlament entsprechend zu handeln.
Ich glaube auch kaum, dass der Antrag irgendetwas bewirkt. Die Wirkung wird gleich null sein, selbst wenn er heute beschlossen würde. Die Hoffnung stirbt ja aber bekanntlich zuletzt, und wir werden ihm deswegen natürlich zustimmen. Ich finde, liebe SPD, ihr müsstet das auch tun,
denn wenn man aufhört einzufordern, dass Parlamentsbeschlüsse eingehalten werden, indem man einfach sagt: Bringt ja sowieso nichts –, dann können Sie hier alle nach Hause gehen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Heilmann! Dass irgendeiner der hier Redenden außer der Rednerin Ihrer Fraktion sich angemaßt hätte, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justizverwaltung für unfähig zu erklären – woher nehmen Sie das? Diese These würde ich nicht vertreten. Das ist überhaupt nicht mein Stil. Es ist aber Ihrerseits, finde ich, eine Unverschämtheit, eine an Sie gerichtete Kritik – die Einforderung der Wahrnehmung von politischer Verantwortung – an sich abperlen zu lassen wie die Ente das Wasser und umzulenken wie der Spiegel das Sonnenlicht, anstatt die Verantwortung selbst wahrzunehmen und hier selbst als Senator für das, wofür Sie dem Parlament gegenüber verantwortlich sind, einfach mal den Rücken gerade zu machen.
Das, lieber Kollege Heilmann, lieber Herr Senator, manifestiert Ihre Unfähigkeit zur Wahrnehmung dieses politischen Amtes. Sie waren es, der sich unter dem Druck aller Rechtspolitiker mit Ausnahme der der CDU, jedenfalls stellt sich das retrospektiv so dar, in Richtung eines solchen Projektes bewegt hat. Sie haben die Verantwortung gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit dafür übernommen, dass diese Frage geregelt wird. Welche Erfahrungen in Sachen Funkzellenabfrage haben wir
als Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit Ihnen eigentlich?
Die Berichterstattung, die auch Bestandteil des ursprünglich beschlossenen Antrages ist, und zwar des Teils, über den wir heute gar nicht reden, war eine Katastrophe, und zwar durchgehend.
Zweitens: Sie haben permanent bei jeder sich bietenden Gelegenheit, auch heute wieder, die Tatsache, dass es sich um einen Grundrechtseingriff handelt und nicht einen larifari, sondern einen manifesten, weil heimlichen und massenhaften Eingriff in die Grundrechte vieler Berlinerinnen und Berliner, heruntergeredet. Der Kollege Lauer ist darauf schon eingegangen.
Der dritte Punkt ist die permanente Begeisterung, völlig sinnfreie Begeisterung, für Überwachungsmaßnahmen, die keiner rechtsstaatlichen Flankierung standhalten bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Viertens: die Art und Weise, wie Sie sich immer wieder eher larmoyant, oder soll ich sagen, unernst über dieses Anliegen der Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker und nach zwei Beschlüssen mittlerweile das Anliegen des gesamten Parlaments zu diesen Fragen äußern.
Liebe Frau Seibeld! Ich finde es ganz schön hardcore. Als Vorkämpferin des Datenschutzes erlebe ich Sie heute zum ersten Mal. Ansonsten klingen die Sprüche eher in Richtung: Datenschutz ist Täterschutz. – Die Konstruktion von Beispielen, die Sie heute gebracht haben, finde ich ein bisschen obskur, aber sei es drum. Ich finde es super, wenn Sie in dieser Frage jetzt beginnen, Ihre Begeisterung für Grundrechts- und Datenschutz zu entwickeln. Aber würden Sie mir nicht auch zustimmen, dass die Mitteilung – zur Kenntnisnahme –, diese Sätze, bei einem Vorgang, der jetzt vier Jahre im Parlament hängt, eine schlichte Unverschämtheit sind? Es reicht nicht aus, vorher der Rechtspolitikerin der CDU-Fraktion einen Zettel rüberzureichen, damit sie sich hier schützend vor den Senator stellen kann, sondern es ist das gesamte Parlament zu informieren. Es ist der Ausschuss zu informieren, und zwar in adäquater Art und Weise. Wie gesagt, dass hier mal wieder eine Anlage mit dem eigentlich Substanziellen fehlt, darüber will ich jetzt gar nicht diskutieren, aber angesichts der Tatsache, dass es in diesem Parlament immer wieder ein Thema war, immer wieder gefragt wurde, uns immer wieder neue Punkte genannt worden sind, warum es eigentlich nicht funktioniert, sind diese fünf Sätze eine Unverschämtheit.
Dann sage ich es auch noch mal: Das hat nichts mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justizverwaltung zu tun, sondern mit den politisch Verantwortlichen. Wenn ich zurückblicke, wie wir die letzten vier Jahre zu diesem Vorgang informiert worden sind – der Kollege Behrendt hat das eben sehr schön auseinandergenommen –, dann
(Dirk Behrendt)
sage ich: Entweder hat der Senator damals mit uns Verstecken gespielt, oder er spielt heute mit uns Verstecken. Entweder er hat sich von Anfang an nicht genug Gedanken darum gemacht, einen Plan entwickelt, die Probleme benannt und an Lösungen gearbeitet, oder er fängt jetzt erst damit an. – Beides ist eine Katastrophe, und beides macht ihn für dieses Amt ungeeignet.
Jetzt können wir über den Antrag abstimmen. Er wird keine Mehrheit finden, was angesichts der Debatte schon ein ziemlich dolles Ding ist, aber ich fand, dass sich die Debatte gelohnt hat. Vielleicht kommt die SPD jetzt hier auch irgendwann wieder auf die Senatsbänke zurück.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schade, dass sich die Grünen und die Koalition auf eine Sofortabstimmung geeinigt haben. Das scheint sich aus meiner Perspektive für beide zu lohnen: Die Grünen können sich auf die Schultern klopfen, dass sie die Frage von Pro-bono-Leistungen – im Kontext mit McKinsey und Diwell war das ja eine Weile ein öffentliches Thema – hier mal auf die Tagesordnung gesetzt haben. Und die Koalition lehnt das heute ab und meint, dass sich dann niemand mehr groß damit auseinandersetzen muss und dass sie damit das Thema erledigt hat.
Dabei lohnte es sich durchaus, dieses Thema mal für eine intensivere Debatte hier in das Haus zu holen, denn es handelt sich bei der Erfüllung von öffentlichen Aufgaben durch private, kommerziell organisierte und orientierte Unternehmen nicht um irgendeine Kleinigkeit, sondern das ist eine spannende Geschichte. Wenn eine international tätige Unternehmensberatungsgesellschaft anbietet, für lau zu arbeiten, dann gehört das natürlich erst mal nicht zur Leistungsbeschreibung, und so oder so wird sie ihren Anteilseignern oder Aktionären erklären müssen, warum sie das tut.
Wenn sie die Maßstäbe, die sie anlegt, wenn sie andere berät, ernst nimmt und auch für sich zugrunde legt, dann geht sie die Bilanzen durch und guckt, was sie bekommen und ausgegeben hat, und dann ist sie ihren Eigentümern rechenschaftspflichtig, weshalb die Beratungsleistung A oder das Gutachten B oder der Masterplan C oder die Betriebsprüfung D in den Büchern mit Ausgaben, Personal und was immer, aber nicht mit Einnahmen verzeichnet sind. Wenn mir jemand erzählen will, das täten die als Mäzene, wegen der Reputation oder weil ihnen die Stadt so sehr am Herzen liegt oder weil sie sich mit der Heilsarmee verwechseln, dann kann ich nur sagen: Träum weiter!
Da stellt sich also die Grundfrage: Wollen wir das überhaupt, und wann wollen wir, dass private Unternehmensberatungen, Dienstleister oder andere für lau etwas an Dienstleistungen für die Stadt erbringen? Ist das richtig und gut, solche Pro-bono-Leistungen einfach so in Anspruch zu nehmen? – Ich habe da meine Zweifel und war erstaunt, als ich davon gehört habe, dass private Un
(Frank Zimmermann)
ternehmensberatungen beim Land Pro-bono-Leistungen erbringen. Da gibt es noch Folgefragen. Wie ist es mit dem Einblick, dem Wissen, den Kenntnissen, die sie in dieser Sphäre, der öffentlichen Sphäre, erwerben, wo es auch um öffentliches Wissen und öffentliches Know-how geht? Wie ist es – und darauf rekurriert der Antrag der Grünen – mit der Monopolisierung von Kompetenzen, die im Wettbewerb dann möglicherweise später ungerechtfertigte Vorteile gegenüber anderen Bietern bringen?
Lieber Kollege Behrendt! Hinsichtlich dieses Masterplans habe ich irgendwie eine Differenz zu Ihnen. Ich habe mir das Ding angesehen und kann beim besten Willen nicht verstehen, warum diesen Kram, der da aufgeschrieben worden ist, nur und ausschließlich McKinsey alleine machen kann. Ich glaube, das kann jeder, und selbst meine Fraktion hat einen besseren Plan auf den Tisch gelegt, den wir gemeinsam mit dem ehemaligen Integrationsbeauftragten vor einem Jahr erarbeitet haben. Wenn das Ganze dann auch noch 200 000 Euro kostet, stellt sich schon die Frage, ob da etwas bezahlt wird, was vorher als Pro-bono-Leistung erbracht wurde. Dadurch entstehen ja erst die offenen Fragen.
Dann kommt noch hinzu: Wie ist das mit Gewährleistungsansprüchen für Schlecht- oder Nichtleistungsfälle? – Es kann ja sein, dass man irgendetwas in Verträge hineinschreibt, auch wenn es kein Geld zurück gibt. Aber ich bin mir immer noch bewusst und habe eine Erinnerung an das Zivilrecht, dass bei Schenkungen andere Regelungen gelten, als wenn ich entgeltliche Dienstleistungen entgegennehme. Wie verhält es sich damit? – Das muss man mal geklärt haben.
Und dann noch: Wie schließen wir aus, dass es sich dabei um so etwas wie Zuckerfallen handelt, die schleichend zum Kompetenzverlust in der öffentlichen Hand führen, weil man das immer weiter hinaus verlagert, immer mehr andere machen lässt und deswegen das eigene Personal Stück für Stück verschwinden lässt bzw. die öffentlichen Kompetenzen abbaut?
Das ist beim Berliner öffentlichen Dienst keine absurde Vorstellung.
Man sollte schon mal irgendwie Rechenschaft über die Interessenlagen, die hier existieren, ablegen. Welche Interessen verfolgen solche Akteure, wenn sie kommen und sagen: Wir lieben unsere Stadt, und deswegen wollen wir kostenlos für sie arbeiten? – Es ist das Minimum, dass man sich über diese Interessen Rechenschaft ablegt. Das gibt es in größerem Maßstab auf der Bundesebene auch. Es gibt dieses Leihmanagement in Ministerien, wo Leute dann für lau für eine Weile in einem Bundesministerium arbeiten. Dazu stelle ich mir immer die Frage, ob das wirklich dem Kompetenzerwerb in den Ministerien
dient oder ob solche Akteure nicht andere Interessen verfolgen, indem sie, wenn sie die Gesetzentwürfe schreiben, die ihre Branche betreffen, noch gleich mit dafür sorgen, dass quasi die von allen legitimierten Gesetze am Ende nur ihren Interessen dienen. Das sind Fragen, und die Debatten hatten wir hier im Parlament auch schon. Gerade in Krisen stellen sich diese Fragen, und da sind dann Transparenzfragen, Lobbyismusfragen und die Fragen von Interessenverquickungen berührt.
Die Antwort darauf kann nicht einfach ein Karenzzeitbeschluss sein, zumal wenn er mit vagen Formulierungen und Worten beschrieben ist. Warum sechs Monate? Was heißt „enger Zusammenhang“? – Darüber streiten wir uns in der Diwell-Frage ja gerade, ob es diesen Zusammenhang überhaupt gibt oder nicht gibt. Da sagen die einen das, die anderen das. Da scheint mir die Bindungswirkung nicht besonders groß zu sein. Es ist mehr oder weniger ein Schnellschuss. Sie haben das Problem angetippt, aber sie haben es nur angetippt. Ich meine, man sollte die Sensibilität dafür befördern, dass es da ein Problem gibt, und weiter nach Wegen suchen, um zu verhindern, dass sich private Interessen in der öffentlichen Sphäre Bahn brechen, ohne dass es darüber eine Kontrolle und Transparenz gibt. Das ist die Herausforderung, und insofern hätte es sich gelohnt, diesen Antrag im Ausschuss etwas intensiver zu behandeln und sich dort mit dem Thema insgesamt etwas intensiver auseinanderzusetzen. Wir können uns heute bei der Abstimmung über diesen Antrag nur enthalten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schöner Titel des Antrags, traurige Geschichte leider, um die er sich dreht. Es ist nämlich eine Geschichte von Arroganz und Unterwürfigkeit, über die ungute Verbindung zweier schlechter Eigenschaften, die verheerende Folgen hat, geht sie mit politischer Macht einher. Im Jahr 2001, das war noch zu Zeiten Eberhard Diepgens, verkaufte Berlin dem Siemens-Konzern das denkmalgeschützte Magnus-Haus samt Garten. Das ist eines der wenigen noch verbliebenen Zeugnisse friderizianischer Baukunst in Berlin. Es ging für 2,86 Millionen DM über den Ladentisch bei einem Verkehrswert von 9,8 Millionen DM, also ein sensationell niedriger Preis, der mit der mangelnden Nutzungsmöglichkeit für Siemens begründet wurde, denn die Deutsche Physikalische Gesellschaft war und ist Nutzerin des Hauses mit einem Ver
trag, der bis zum Jahr 2024 läuft. Siemens hatte offenbar von Anfang an vor, das Magnus-Haus zur Befriedigung seiner hauptstädtischen Repräsentationsgelüste zu nutzen. Weil aber Teil der Pufferzone des UNESCO-Weltkulturerbes Museumsinsel im Geltungsbereich einer Erhaltungsverordnung gelegen und das Palais selbst ein Baudenkmal, war an eine Bebauung nicht zu denken.
Doch nun ist auf einmal alles anders. Und für Siemens wird doch noch alles gut. Für die Hauptstadtrepräsentanz soll es einen Neubau im Garten geben, eine Tiefgarage muss ebenfalls sein. Und Siemens bekam seinen Bauvorbescheid. Zwar erklärten sämtliche Fachbehörden des Senats und des Bezirks Mitte übereinstimmend, dass auf dem Grundstück nicht gebaut werden könne, sowohl aus bauplanerischer als auch aus denkmalschützerischer Sicht. Doch sowohl den Baustadtrat Spallek von der CDU als auch die Bausenatoren Müller, Geisel sowie die Senatsbaudirektorin Lüscher, allesamt SPD, störte das nicht. Sie erteilten im Wissen um die Rechtswidrigkeit ihren Behörden mehrfach Weisungen gegen remonstrierende Beamtinnen und Beamte, Weisungen, den Bauvorbescheid zu erlassen, wie von Siemens gewünscht.
Alle Expertisen des Landesdenkmalrats, der Stadtplaner und der unteren und oberen Denkmalschutzbehörde würden ignoriert. Stattdessen regiert der lange Arm von Klaus Wowereit, der im Mai 2013 seinem damaligen Bausenator Michael Müller auftrug, das Bauvorhaben „positiv und unterstützend zu begleiten“. Im Februar 2012 hatte Siemens eine Machbarkeitsstudie zum Bau einer Hauptstadtrepräsentanz abgefordert. Nicht genehmigungsfähig, sagten die Ämter. So wandte sich Siemens im April 2013 an Klaus Wowereit. Im Konzern schien man zu wissen, dass so ein Brief an den Regierenden Bürgermeister manchmal Wunder wirken kann. Und das Wunder geschah tatsächlich.
Seit August 2013 wiesen die Hausleitungen der Bauämter in Mitte und im Senat ihre Behörden immer wieder an, sich über sämtliches geltendes Baurecht hinwegzusetzen. Trotzdem schrieb das Landesdenkmalamt wider alle Kungeleien und Seilschaften der Vergangenheit und Gegenwart. Es empfahl, dem Eigentümer des Palais einen alternativen Standort für seine Konzernrepräsentanz anzubieten, also genau das, was wir hier im Abgeordnetenhaus beantragt haben. Der Senat blieb allerdings dabei. Was Siemens von Wowereit versprochen ward, soll Siemens auch bekommen. Und sie taten das mit einer leider nicht beispiellosen Hybris, als gehöre die berlinische Baugeschichte ihnen.
Mit der gleichen Hybris baut die Politik ihren Bürgerinnen und Bürgern, die nie gefragt wurden, gerade für viel Geld eine Schlossattrappe und verkauft das Ganze als feine Idee, weil die grässliche Hülle ja mit einem wertvollen humanistischen Erbe gefüllt werde. Und mit der gleichen Hybris nimmt sie in Kauf, dass die Friedrichs
(Alexander Spies)
werdersche Kirche in sich zusammenfällt, weil sie sich inmitten lukrativen Baulands befindet. Man kann in Berlin gleichzeitig ein Legolandschloss bauen, das wilhelminischen Absolutismus verkörpert, und ein real existierendes Palais seines Charakters als architektonisches Kleinod berauben. Wahrscheinlich hätten die fortschrittsliebenden Brüder Humboldt die Stadt gemieden, wäre ihnen diese postume Vergewaltigung in Aussicht gestellt worden.
Schön für den Konzern ist auch, dass nicht einmal nachgezahlt werden muss. Die Preisanpassungsfrist zugunsten Berlins bei Wertsteigerung durch Bebauung, die eigentlich gar nicht geht, war 2011 abgelaufen, was verdeutlicht, dass sich die Arroganz des Senats hier paart mit einer ebenfalls überhaupt nicht beispiellosen Unterwürfigkeit gegenüber einem Großkonzern.
Beides, Arroganz und Unterwürfigkeit, lässt sich an dem Textbaustein festmachen, der den Regierenden noch für jede Schriftliche Anfrage, die ich im Abgeordnetenhaus zum Magnus-Haus gestellt habe, tauglich schien. Im Senat macht man sich nicht einmal die Mühe, seine Textbausteinschreiber aufzufordern, das zumindest in verschiedenen Varianten zu formulieren, nur damit es nicht ganz so peinlich wird.
Die Berliner Architektenkammer und der Landesdenkmalrat haben im November 2015 gemeinsam mit weiteren Architekten- und Stadtplanerverbänden dazu aufgerufen, die Gestaltung des Siemens-Bauvorhabens zu boykottieren. SPD und CDU ficht all das nicht an. Sie werden heute den Antrag ablehnen, rechtskonforme Zustände wieder herzustellen und das Magnus-Haus zurückzuholen und zu entwickeln: als Denkmal und Ort der Wissenschaftsgeschichte, öffentlich und offen für alle Berlinerinnen und Berliner sowie ihre Gäste. So paaren sich Arroganz und Unterwürfigkeit auch in der Koalition heute hier. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Frau Haußdörfer! Ihre Darstellung ist an ein paar Stellen nicht ganz korrekt. Nicht Siemens hat nach dem Kauf des Grundstücks der DPG ermöglicht, dort bis zum Jahr 2024 zu mieten, sondern Siemens hat nach dem Kauf des Grundstücks als erstes versucht, mit Unterstützung des Senats von Berlin vor dem Landgericht den DPG-Nutzungsvertrag zu verändern bzw. zu beendigen. Das ist leider schiefgegangen. Sie können sich das in den Akten bei der Senatsfinanzverwaltung gerne angucken. Das heißt, Siemens ist nicht der große Mäzen gewesen, sondern Siemens hat von Anfang an versucht, das Magnus-Haus für seine Repräsentationszwecke zu nutzen, und erst als das Land Berlin und der Senat gemeinsam es nicht geschafft haben, die DPG dort rauszubekommen, fing Siemens, und zwar genau zehn Jahre nach dem Kauf – nachdem der Besserungsschein abgelaufen ist, nachdem Siemens nicht mehr an Berlin nachzahlen musste –, an, sich auf den Senat zuzubewegen und ein unbebaubares Grundstück bebauen zu wollen.
Jetzt können Sie sagen, wir sollen nicht so viel spekulieren und versuchen, Unvereinbares vereinbar zu machen. Es ist nun einmal unvereinbar. Auf welcher gesetzlichen Grundlage ist eine Baugenehmigung für Siemens auf diesem Grundstück zu erteilen? Sagen Sie mir das bitte! Sie müssen es ja wissen. Alle Stellungnahmen aus dem Bezirksamt und der Senatsverwaltung sagen: Es gibt keine baurechtliche Möglichkeit, dieses Grundstück zu bebauen. Was ist der Kompromiss zwischen unbebaubar und dem Bauwunsch eines Bauherren? Wie wäre es bei Ihnen, wenn Sie sich irgendein Waldgrundstück kaufen würden und das Bauamt würde sagen: Sorry! Es liegt im Außenbereich. Da können Sie nicht bauen, Frau Haußdörfer. Da müssen Sie sich ein anderes Grundstück kaufen. – Wie wollen Sie das zusammenbringen? Die Hausspitzen und Herr Spallek haben sich über alles hinweggesetzt und ihre Beamtinnen und Beamten angewiesen, trotz der Nichtbebaubarkeit einen Bauvorbescheid zu erteilen. Wie wollen Sie das privat machen? Glauben Sie allen Ernstes, nur weil Sie so eine dufte SPD-Politikerin sind, macht das Bauamt Köpenick bei Ihnen eine Ausnahme und erteilt Ihnen im Wald eine Genehmigung nach § 34, obwohl es Außenbereich ist? Beantworten Sie mir die Frage, wie es gehen soll! Wie soll hier in Berlin ein Sonderbaurecht gelten, wenn ein Großkonzern kommt und der Senat ihm die Möglichkeit gibt, sich devot in den Staub zu werfen?
Ich sage es Ihnen ganz deutlich: In den Unterlagen finden sich die Daten. Man muss nicht mehr spekulieren, wie bebaut wird. Es ist auch in den Antworten auf meine
Anfragen alles beantwortet worden. Der Senat von Berlin hat Siemens 1 800 Quadratmeter VMF-Mindestgröße zugesichert und eine Tiefgarage von 21 Stellplätzen bei vier Geschossen. All das ist durch geltendes Baurecht nicht gedeckt. Alles wurde von Politikerinnen und Politikern angewiesen, die offenbar besser als Stadtplaner und Denkmalschützer die Bauordnung, das Baugesetzbuch und das Denkmalschutzgesetz auslegen können. Ich halte das für Filz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! – Lieber Herr Schneider! Dass Sie bei 23 Prozent in den Umfragen etwas nervös werden, kann ich verstehen. Sie müssen das aber nicht auf uns projizieren.
Was die Anmerkung des Kollegen Evers angeht, so wiederhole ich es noch mal und fordere Sie auf, nicht nur das Gegenteil zu behaupten, sondern auch zu belegen: Was hier passiert ist, ist ein Verstoß gegen das Baugesetzbuch, gegen die Bauordnung und gegen das Denkmalschutzgesetz. Um es noch mal ganz deutlich zu machen: Das Grundstück am Kupfergraben ist als Bestandteil der Erhaltungssatzung Dorotheenstadt/Friedrichstadt sowohl Pufferzone des Weltkulturerbes als auch selbst ein Baudenkmal – das Gebäude in dem Ensemble – und damit
einer Bebauung nicht zugänglich. Wenn Sie jetzt die These aufstellen, dass es irgendwo – im Grundgesetz oder in der Verfassung von Berlin – eine Norm gebe, die da lautet: Eine politische Führung kann nach Belieben geltendes Recht außer Kraft setzen, wenn sie das für nötig hält –, dann sage ich Ihnen: Zeigen Sie mir bitte, wo Sie das finden!
Die Wirklichkeit ist eine andere, das kann man in den Akten in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gut nachlesen. Die Wirklichkeit ist, dass die Einschätzung über die Frage, ob dieses Verfahren genehmigungsfähig sei oder nicht, von den Beamtinnen und Beamten sowohl in der Stadtentwicklungsverwaltung als auch im Bezirksamt Mitte beantwortet ist mit: Nein! Das ist baurechtlich nicht möglich. – Die Wirklichkeit ist, dass dieser Widerstand aus den Ämtern nur überwunden werden konnte, indem die Leitungen – der Bezirksstadtrat Spallek und die Hausleitung der Stadtentwicklungsverwaltung – ihre Beamtinnen und Beamten angewiesen haben, geltendes Recht zu verletzen. Die Beamtinnen und Beamten sagen: Wir weisen darauf hin, dass Sie von uns einen Rechtsbruch verlangen. – Das nennt man remonstrieren. Und dann sagt die Hausleitung: Ja, das nehmen wir zur Kenntnis, wir weisen Sie aber an, diesen Rechtsbruch zu begehen. – Remonstration bedeutet, sich gegen einen Rechtsbruch zu verwahren, den die Hausleitung von einem verlangt. Jetzt bitte ich den Kollegen Evers, der mir schon von Anfang an nicht zugehört hat, was im Übrigen auch wieder bestätigt, dass es sich um Unterwürfigkeit und Arroganz gleichermaßen handelt,
mir die Norm zu zeigen, nach der seine wilde These, dass man in der Bundesrepublik Deutschland geltendes Recht einfach außer Kraft setzen könnte, wenn es einem nicht passt, in dem Fall anwendbar war. Zeigen Sie mir konkret im allgemeinen oder besonderen Baurecht, wo das steht!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag zur Karenzzeit für Senatorinnen und Senatoren hat ja nun schon gut zwei Jahre auf dem Buckel. Wir haben ihn hier im Januar 2014 erstmalig beraten. Ja, es stimmt, Herr Kollege Zimmermann, zumindest der Aufhänger für die Grünen waren damals die Absichten der Deutschen Bahn AG, den früheren Kanzleramtsminister Pofalla als Lobbyisten in den Vorstand zu holen, was inzwischen auch passiert ist. Den hat er, den Job, und zwar seit 1. August 2015.
Wenn Herr Zimmermann jetzt sagt, na ja, Pofalla, sonst fällt mir nichts ein, dann gibt es ein Problem. Immer wenn es einen konkreten Fall gibt, und irgendjemand schlägt das vor, wird man hier in diesem Haus von ir
gendeiner Seite hören, ätsch, ihr instrumentalisiert das ja, das kann man doch nicht machen, wenn ein konkreter Fall da ist, das geht ja so nicht. – Und wenn kein konkreter Fall da ist, dann sagen diejenigen, die eine solche Regel nicht wollen, es gibt ja gar keinen Anlass, es gibt ja gar keine Fälle, also müssen wir das nicht machen. – Da muss man sich jetzt schon mal entscheiden: Entweder man macht es fernab vom Fall, abstrakt, was ich für gut halte, jetzt haben wir gerade keinen Fall, jetzt sollte man es machen. Oder man will es nicht, dann soll man es sagen. Also eins von beidem.
Der Gesetzesänderungsantrag der Grünen ist nicht von irgendwo ganz weit hergezogen, sondern das Landesbeamtengesetz hat in § 68 eine solche Karenzvorschrift schon drin, die gilt für Beamtinnen und Beamte, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre analog. Das heißt, sie müssen innerhalb einer bestimmten Frist eine Tätigkeit anzeigen, wenn sie aus dem Dienst ausgeschieden sind. Danach entscheidet die zuständige Dienstbehörde über die Zulassung anhand der Frage einer möglichen Interessenkollision.
Ich finde das durchaus folgerichtig, dass man die Maßstäbe, die man bei Beamtinnen und Beamten, bei Staatssekretärinnen und Staatssekretären anlegt, auch bei der politischen Führung anlegt. Ich finde auch, dass der Antrag der Grünen der Tatsache Rechnung trägt, dass Senatsmitglieder eben keine Beamtinnen und Beamten oder keine Staatssekretärinnen und Staatssekretäre sind.
Die Frist von zwei Jahren hat die Grünen-Fraktion an die Zahlungsdauer des Übergangsgeldes geknüpft, das Senatsmitglieder beanspruchen können. Im Landesbeamtengesetz beträgt die Frist fünf Jahre bzw. drei nach Ausscheiden bei Erreichen der Altersgrenze. Es ist also eine Frist, die sich auch in der Sache durchaus rechtfertigen lässt, da kein Senatsmitglied in eine existenzielle Notlage geraten kann, zumal es – machen wir uns nichts vor – einen vielfältigen Arbeitsmarkt mit mannigfaltigen Möglichkeiten der beruflichen Selbstverwirklichung gibt. Wir meinen, es sollte eine solche Regel zukünftig geben.
Wir werden deswegen als Linksfraktion diesen Antrag heute auch unterstützen. Auch wenn es in der seinerzeitigen Plenardebatte manche Frage in Bezug auf die Berufsfreiheit gab, ich habe nach Prüfung des Vorschlags mittlerweile keinen Zweifel, dass eine Regelung, wie sie hier vorgeschlagen worden ist, mit Artikel 12 des Grundgesetzes vereinbar ist.
Es ist sogar so, dass die vorgeschlagene Einführung einer behördlichen Prüffrist die Rechtssicherheit für die Betroffenen erhöht. Sie müssen künftig nicht damit rechnen, monate- oder gar jahrelang in einer Warteschleife zu hängen, bis irgendeine Behörde ihnen dann mal sagt, ob
(Frank Zimmermann)
sie diesen Job machen dürfen oder nicht. Die Prüffrist ist aus meiner Sicht ein Fortschritt; im konkreten Zusammenhang würde ich sogar sagen, sie ist eine Notwendigkeit. Denn was wir in der Tat nicht wollen, ist die generelle Verhinderung einer Berufsausübung nach dem Ausscheiden aus dem Amt oder Dienstverhältnis. Wir wollen dafür sorgen, dass solche Beschäftigungen nicht in Konflikt mit den vorherigen Aufgaben eines Senatsmitglieds, einer Staatssekretärin, eines Staatssekretärs, einer Landesbeamtin oder eines Landesbeamten kommen. Da finde ich eine Entscheidungsfrist von acht Wochen durchaus angemessen. In der Frist wird man doch wohl erwarten können, dass eine Behörde prüfen kann, ob eine Interessenkollision vorliegt oder nicht.
Lieber Herr Zimmermann! Es handelt sich weiß Gott nicht um eine gesetzliche Vermutung für Interessenkollision. Dann müsst ja im Gesetz stehen: Es liegt eine Interessenkollision vor. Gegenteiliges ist zu begründen. – Das ist doch Quatsch. Das steht dort nicht. Es handelt sich um eine Verfahrensvorschrift, und zwar um eine, die es dem Senat ermöglichen soll, binnen einer bestimmten Frist zu prüfen, ob eine Interessenkollision vorliegt oder nicht. Nirgendwo im Gesetz – weder im Landesbeamtengesetz noch in dem Vorschlag der Grünen – steht: Wir unterstellen per se, dass Amtsträgerinnen und Amtsträger, die einen bestimmten Job gemacht haben – sei es Senatsmitglied, Staatssekretärin oder Staatssekretär –, wenn sie nachher einen Beruf aufnehmen, in eine Interessenkollision geraten. Das steht da nicht. Das ist Quatsch. Insofern, Herr Zimmermann – sorry –, haben Sie am Thema vorbeigeredet.
Die Linksfraktion wird dem Antrag heute zustimmen. – Herr Zimmermann! Sie hatten zwei Jahre und drei Monate Zeit – falls das so wäre –, einen Vorschlag zu machen, wie Sie es gerne regeln würden. Warum haben Sie die Zeit nicht genutzt?
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Seibeld! Sie haben eben behauptet, ich hätte in der damaligen Plenardebatte gesagt, der vorliegende Gesetzentwurf werde uns von den Gerichten um die Ohren gehauen. – Das trifft nicht zu. Ich habe im Protokoll nachgelesen. Ich habe gesagt: Wir müssen uns sehr genau angucken, wie wir die Interessenkollision beschreiben, sonst kann es uns passieren – ich zitiere nicht wörtlich, weil ich das Protokoll nicht hier habe, aber ich habe es eben im Internet nachgelesen –, dass uns das Gesetz um die Ohren fliegt. Dann hätten wir ein schönes Gesetz, aber nichts davon.
Es ist völlig normal, dass man in einer ersten Lesung eine erste Einschätzung abgibt. Nun hatten wir, wie ich eben schon deutlich gemacht habe, zwei Jahre und drei Monate Zeit, um uns in eine vertiefte Prüfung darüber zu bege
ben, inwieweit das Gesetz, wie es von den Grünen vorgeschlagen wird, verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt oder nicht. Bei dieser Prüfung bin ich nach zwei Jahren und drei Monaten zu dem Ergebnis gekommen, es würde genügen. Ich war damals deutlich distanzierter; das räume ich ein. Ich finde es auch richtig, in einer ersten Lesung zunächst einmal deutlich zu machen, wo man die Knackpunkte und den Diskussionsbedarf sieht. Ich sage jetzt aber auch: Wenn Ihnen, Frau Seibeld und Herr Zimmermann, eine bessere Formulierung eingefallen wäre, dann hätten Sie sie im Rechtsausschuss auf den Tisch legen können. Das ist offenbar nicht der Fall gewesen. Da sage ich mir: Die Regelung, die die Grünen vorgeschlagen haben, reicht. Sie orientiert sich an dem, was im Landesbeamtengesetz steht. Damit ist sie rechtssicher genug. Ich bin heute der Überzeugung, das Gesetz hätte Bestand.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind schon mal ganz froh, dass das befürchtete Niederkonkurrieren der Standards nach der Föderalismusreform hier nicht eingetreten ist, sondern dass dieses Gesetz den Status quo abbildet, den Status quo, der weitgehend dem anderer Bundesländer entspricht, der auch weitgehend dem entspricht, was vorher hier in Berlin Standard war. Immerhin!
Ansonsten, muss man sagen, enthält dieses Gesetz nicht viel Originelles, schon gar nicht viel Neues. Also, es ist viel Justizvollzug, aber von Weiterentwicklung ist nicht allzu viel zu spüren. Da hätten wir mehr erwartet und haben auch entsprechende Vorschläge gemacht. Bei dem Kollegen Behrendt klang es, wenn er von „uns“ redet, jetzt wieder so, als ob die Grünen das alles ganz allein gemacht hätten.
Das ist natürlich mitnichten der Fall, sondern es waren die Oppositionsfraktionen gemeinsam. Bedauerlicherweise hat die Koalition diese Vorschläge nahezu komplett abgelehnt, mit einer einzigen Ausnahme: Es soll die Wahrnehmung der Aufgaben des Vollzugs auch zukünftig Beamtinnen und Beamten vorbehalten bleiben. Das stand im Gesetzentwurf ursprünglich nicht so drin, blieb etwas diffus. Aber offensichtlich hat der Antrag der Oppositionsfraktionen und der Protest der Bediensteten dazu geführt, dass das nun per Änderungsantrag geregelt werden soll – immerhin!
Eine Reihe anderer Vorschläge sind unter den Tisch gefallen. Es ist uns immer noch unklar, warum der offene Vollzug nicht als Regelvollzug erhalten bleibt. Offener Vollzug, wo er denn möglich ist, sichert am ehesten die Aufrechterhaltung von Arbeit und sozialen Bindungen und dient damit der Resozialisierung. Nun wird uns immer gesagt, die Neuformulierung soll gar nichts anderes heißen als das, was bisher galt. Da frage ich mich: Warum schreiben Sie es dann nicht so rein, wie es bisher galt? Warum die neue Formulierung? Das ist doch erklärungsbedürftig. Als Jurist fragt man sich natürlich zuallererst: Wie ist das auszulegen? – und kommt zu dem
(Sven Kohlmeier)
Ergebnis: Da ist die Änderung des Status quo beabsichtigt. Das finden wir explizit falsch.
Zweitens, die Verlängerung der Besuchszeiten auf vier Stunden, wie in Brandenburg: Auch hier geht es um soziale Kontakte, die nach allgemeiner Meinung eine wesentliche Funktion bei der Resozialisierung besitzen. Und Gleiches gilt für die Langzeitbesuche, wo die Koalition unsere Vorschläge, es verbindlicher zu regeln, abgelehnt hat.
Zum Thema „Arbeitspflicht in der totalen Institution Gefängnis“: Wir finden es falsch, dass den Inhaftierten die Arbeit zur Pflicht gemacht werden soll, was nicht bedeutet, dass es keinen strukturierten Arbeitsalltag oder keinen strukturierten Alltag geben soll. Wir sind nur anders herangegangen. Wir haben gesagt, dass die Qualität und die Qualifizierung innerhalb der Arbeit verbessert werden müssen, und die Arbeit sollte auch besser als bisher bezahlt werden. Entsprechende Vorschläge haben wir auf den Tisch gelegt. Die Koalition hat sie abgelehnt.
Ausweitung und Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten: Bislang gibt es lediglich die völlig überteuerten Telefonangebote. Das muss sich ändern. Auch im Hinblick auf die Internetangebote wird es Zeit, dass – was durchaus geht – Sicherheit einerseits und Angleichung des Lebens im Knast an die Verhältnisse außerhalb der Mauern andererseits zusammengebracht werden.
Kollege Kohlmeier! Sie haben jetzt viel darüber geredet, aber das war vor allem ein Dicke-Backen-Machen. Das Pfeifen bleibt aus. Das ist bemerkenswert dünn, was Sie heute vorgelegt haben. Der Antrag, den Sie auf den Tisch gepackt haben, kann schwerlich darüber hinwegtäuschen, dass die Union damit gar nichts zu schaffen haben will. Es scheint mir doch eher ein Symbol zu sein, dass die SPD jetzt hier auch noch ein bisschen was anmerken durfte, weshalb dann noch dieser Antrag ins Plenum hineingeschoben wurde, der gänzlich ohne Folgen bleiben wird. Davon bin ich ziemlich überzeugt.
Auch der Empfang von Paketen sollte keine Gefälligkeit sein, sondern Bestandteil der sozialen Kontakte mit der Außenwelt, auf die ein geregelter und nachvollziehbarer Rechtsanspruch bestehen sollte.
Schließlich ist es auch im Justizvollzug an der Zeit, alte Zöpfe abzuschneiden. Weshalb die Koalition unserem Vorschlag nicht gefolgt ist, den einer längst überwunden geglaubten Zuchthaustradition entspringenden Arrest als Disziplinarmaßnahme endlich abzuschaffen, ist mir nicht begreiflich. Überhaupt Zuchthaus: In den vergangenen Jahren war ein deutliches Bestreben der Koalition zu spüren, Haftfragen vornehmlich als Sicherheitsangelegenheiten zu diskutieren. Wenn Herr Kollege Kohlmeier die alte Mär aufwärmt, bei der Inhaftierung in Berliner
Knästen ginge es um einen Hotelaufenthalt, dann stimmt er eins zu eins ein in das Horn der Union.
Bei Ihnen ging es um Drogenspürhunde, um Mobilfunkblocker, um dichtere Fenstergitter, um Schießstände und Waffeneinsatz durch Vollzugsbedienstete und um Investitionen in Beton und Technik. Worum es weniger bzw. überhaupt nicht ging, waren Fragen der Fortentwicklung des Resozialisierungsgedankens. Das zeigt sich an dem vorliegenden Gesetzentwurf, und deswegen werden wir den auch ablehnen.
Mein Dank gilt zum Schluss den Bediensteten im Justizvollzug und denjenigen, die bei den freien Trägern der Straffälligen- und Bewährungshilfe unter schwierigen Bedingungen und nicht selten von der Politik alleingelassen eine sehr ordentliche Arbeit mit großem persönlichen Einsatz leisten. Das soll zum Schluss noch mal gesagt werden, weil unsere Vorschläge nicht auf dem Rücken der Bediensteten, sondern letztlich unter Verbesserung der Bedingungen für die Bediensteten umgesetzt werden sollen. Darum muss es gehen, und daran werden wir weiterarbeiten. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mal mit dem Positiven. Ganz offensichtlich hat die Debatte um die vermeintliche Missbrauchsanfälligkeit der freien Sammlung dazu geführt, dass die Koalition ihre ursprünglichen Pläne ad acta gelegt hat. Sie haben nun eine Gesetzesformulierung gefunden, die in der Tat zu mehr Klarheit und Rechtssicherheit führt, ohne an die Gültigkeit der Unterschriftsleistung absurd hohe Anforderungen zu stellen. Das ist grundsätzlich erst mal zu begrüßen.
Bedauerlicherweise haben Sie diese Fähigkeit zur Selbstkorrektur nicht bei der Regelung aufgebracht, die es Senat und Abgeordnetenhaus künftig erlauben soll, mit Steuergeldern Gegenkampagnen gegen Volksbegehren zu organisieren. Ja, wir erinnern uns an die Initiative zur Offenhaltung des Flughafens Tempelhof oder an „Pro Reli“, wo ganz offensichtlich hohe Summen – vermutlich
im sechs- bis siebenstelligen Bereich – mobilisiert worden sind. Aber geholfen hat es beiden nicht. Sowohl Tempelhof I als auch „Pro Reli“ sind gescheitert. Selbstverständlich hatten die Gegner dieser Volksbegehren auch Raum in den Medien und konnten ihre Position darstellen.
Wenn sich der Regierende Bürgermeister oder Senatsmitglieder oder Fraktionsvorsitzende zu solchen Initiativen öffentlich positionieren, wird das in der Regel nicht verschwiegen, sondern es wird auch abgedruckt oder abgefilmt. Sie haben einen privilegierten Medienzugang. Offenbar waren die Gegenargumente bei beiden Volksentscheiden überzeugender. Bei „Pro Reli“ hat der Senat noch eine Anzeigenkampagne gestartet und wurde vom OVG gestoppt. Wir haben damals in der Konsequenz der Spenden und der Unklarheit, woher diese kommen, die Offenlegung von Spenden an Volksinitiativen gesetzlich geregelt, denn – und das ist ja auch richtig – die Abstimmenden sollen schon erfahren, wer hinter solchen Initiativen steckt.
Letztlich hat sich aber ganz klar gezeigt: Die Gegenargumente waren überzeugender, nicht die aufgewendeten Summen zur Konterwerbung. – Deswegen finde ich es auch recht durchsichtig, wenn Senat und Koalition jetzt über ein strukturelles Ungleichgewicht jammern, sollten sie keine Kampagne machen dürfen. Bei „Pro Reli“ haben SPD und Linke etwas – ein paar Groschen auch die Grünen – in den Topf getan und für „Pro Ethik“ geworben. Die Zivilgesellschaft hat diese Auseinandersetzung begleitet und geführt. Das soll auch so sein, und niemand kann behaupten, den Gegnern von „Pro Reli“ seien die Hände gebunden gewesen. Das ist doch schlicht Unfug.
Auf der anderen Seite hat es mehrere erfolgreiche Volksbegehren gegeben, bei denen die Initiativen kaum finanzielle Mittel zur Verfügung hatten. Nehmen wir den Volksentscheid Wasserverträge oder den Volksentscheid zur Nichtbebauung des Flughafens Tempelhof. Da war nicht viel Geld dahinter. Der Senat hat dagegen – ich behaupte: rechtswidrig, vor allem aber intransparent! – durchaus öffentliche Mittel in die Hand genommen, und zwar über die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften oder wie bei Tempelhof aus Mitteln der ZLB und bei der verfahrenen Olympia-Kiste durch eine eigene Kampagne. Trotzdem sind Senat und Koalition gegen die Wand gefahren. Da waren die Argumente wohl nicht so überzeugend. Aber es kann doch keiner ernsthaft behaupten, SPD, CDU und der Senat seien bei Tempelhof der erdrückenden Übermacht einer mit Millionen privater Euros initiierten Werbekampagne erlegen. Das kann doch wirklich keiner erzählen.
Das Gesetz trifft weder Regelungen über den Umfang zulässiger Werbemaßnahmen, noch wird gefordert und gesichert, dass Transparenz über die Verpulverung von Steuermitteln herrscht. Das lässt schon aufmerken, denn
(Vizepräsident Andreas Gram)
von den Initiativen wird die Offenlegung von Umfang und Spender ab einer Summe von 5 000 Euro verlangt. Messen Sie da nicht vielleicht mit zweierlei Maß?
Von Anfang an haben sich SPD und CDU geweigert, über eine minimale Kostenerstattung für die Initiativen auch nur zu diskutieren. Das ist nun wirklich inakzeptabel. Man gönnt sich einen ordentlichen Schluck aus der Steuerpulle und hält die Initiativen kurz. So geht das nicht.
Es wurde das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Senat und Parlamentsmehrheit einerseits und den Initiativen andererseits beklagt, aber mit Ihrem heutigen Gesetzesbeschluss schaffen Sie dieses strukturelle Ungleichgewicht erst, und zwar zulasten der Initiativen direkter Demokratie. Wir sind nicht bereit, das mitzutragen. Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und – wie es der Kollege Juhnke im Innenausschuss getan hat – sagen: Wir tasten die Grundsubstanz direkter Demokratie nicht an! –, dann sage ich: Gute vier Jahre Rot-Schwarz lassen keinen Zweifel offen, wie Sie es mit der direkten Demokratie halten. Sie akzeptieren sie, solange Sie bestätigt werden, und Sie torpedieren sie, sobald sie Ihnen kritisch begegnen. Termintricksereien und Nebelkerzen wie beim Volksentscheid „Neue Energie“ – wir haben ja vorhin schon über das Bonsai-Stadtwerk gestritten –, illegale Kampagnenfinanzierung aus öffentlichen Mitteln und am drastischsten beim Auskontern bezirklicher Bürgerbegehren zu Bauvorhaben wie beim Mauerpark und den Buckower Feldern!
Der heutige Gesetzesbeschluss reiht sich in eine ganze Reihe von Maßnahmen der Behinderung direktdemokratischer Initiativen der Stadtgesellschaft ein. Aber Berlin lässt sich nicht gegen die Berlinerinnen und Berliner regieren. Das hat sich letztlich auch immer wieder bestätigt – allen Manipulationen zum Trotz. Die Leute sind eben nicht blöde.
Wenn ich mich hier in den Reihen so umgucke, stelle ich ohnehin fest, dass das Interesse von CDU und SPD an dem Thema offenbar gleich null ist. Die Bänke sind so leer. Offenbar ist auch hier ganz deutlich, dass dieses Thema die Koalition einfach nicht interessiert. Das will ich an dieser Stelle wenigstens noch mal festgehalten haben, damit es sich später im Protokoll wiederfindet. – Vielen Dank, meine Damen und Herren!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Hauptstadt des wahrscheinlich reichsten Landes Europas hungern Menschen. Sie hungern, weil die Leistungsstelle des LAGeSo nicht in der Lage ist, die ihnen zustehenden Leistungen auszuzahlen. Sie hungern, weil sie trotz mehrfachen Vorsprechens keine Chance haben, auf den Sozialstaat zu treffen, dessen Aufgabe und grundgesetzliche Verpflichtung es ist, jedem Menschen das Existenzminimum zu sichern. Sie verlassen morgens um sechs ihre Unterkunft mit einem Termin und kommen um 20 Uhr zurück in die Gemeinschaftsunterkunft – ohne Geld, aber mit einem neuen Termin. Und das wiederholt sich Tag für Tag.
Der zuständige Senator schließt das überhaupt erst mal aus, dass das sein kann, obgleich Helferinnen und Helfer mit diesem Problem jetzt schon seit einiger Zeit konfrontiert sind. Und es war ja auch nicht so schwer zu kombinieren: In dem Maß, in dem die Registrierung der Menschen voranschreitet, kommt auf die Leistungsabteilung mehr Arbeit zu – das war doch absehbar, dass da mehr Menschen kommen würden!
Später, am gleichen Tag noch, wird die Senatsverwaltung mitteilen: Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Situation in der zentralen Leistungsstelle beim LAGeSo ergriffen! – Wieder Rechtfertigungs-, Überforderungs- und Krisenrhetorik, wieder hektische und planlose Ankündigungen; und während die Verwaltung in Krisenrunden sitzt, packen die Berlinerinnen und Berliner an und schaffen kistenweise Lebensmittel in die Flüchtlingsunterkünfte. – Das alles kennen wir nun zu Genüge. Eine Regierungserklärung, vier Aktuelle Stunden zum Thema im zurückliegenden Halbjahr hier im Parlament, viele Beteuerungen, immer wieder – vermeintlich – neue Befreiungsschläge, und immer noch kein Übergang zu einer geplanten, strategischen Problembewältigung, um die Herausforderungen zu identifizieren, zu priorisieren und sorgfältig abzuarbeiten.
Dass es gelungen ist, mit dem LAGeSo mal einige Wochen nicht bundesweit Schlagzeilen zu machen, ist kein Indiz für Besserung, und dass dort bisher nichts Schlimmeres passiert ist, ist gewiss nicht das Verdienst dieses Senats. Wer regelmäßig mit Helferinnen und Helfern und mit den engagierten Hauptamtlichen in den Unterkünften spricht, weiß: Es klemmt nach wie vor an allen Ecken und Enden. Was nützt eine Hotline für die Heimbetreiber, wenn für Sozialarbeitende und Sozialbetreuende vor Bürokratie kaum Zeit für geflüchtete Menschen bleibt, für die banalsten Probleme aber keine Landesbehörde erreichbar ist, Kosten durch Improvisieren entstehen, weil der Senat versagt und sich niemand zur Kostenübernahme bekennt?
Kompensationslösungen für das Behördenversagen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft scheitern am bürokratischen Moloch. Mit den angekündigten Sofortmaßnahmen wie Barauszahlung vor Ort sollen den Hauptamtlichen und Helfern in den Unterkünften auch noch Zusatzaufgaben aufgebürdet werden.
Grotesk wird es dann, wenn die Heimaufsicht kommt und moniert, dass die Unterbringung nicht den Standards entspreche – wobei wir es eigentlich gut finden, dass sie das tut. Nur: Die Verantwortung dafür liegt oft nicht beim Betreiber, sondern beim Auftraggeber der Heimaufsicht. Das ist der gleiche Senat, dessen Heimaufsicht die Einhaltung der Bestimmungen prüft, der ihre Erfüllung aber unmöglich macht. Natürlich gibt es viel zu wenige Kontrollen der Standards, aber auch darüber, was von dem Geld, wenn das LAGeSo dann einmal zahlt, tatsächlich in den Einrichtungen bei den Geflüchteten ankommt.
Es bleibt der Eindruck bestehen, dass nach wie vor die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut, dass niemand einen Überblick hat, wo die Probleme liegen, aber unglaublich viele verschiedene Zuständige vor sich hin wurschteln, um den Laden halbwegs am Laufen zu
(Daniel Buchholz)
halten. Ich kann Ihnen schon jetzt prognostizieren: Je mehr Anerkennungsentscheidungen zum Flüchtlingsstatus das BAMF fällt, je mehr Geflüchtete aus der Zuständigkeit des LAGeSo fallen, desto mehr werden die Probleme zu den Bezirken hinüberwandern, die dann vom Senat im Stich gelassen, aber verantwortlich gemacht werden, erneut überfordert zu sein, nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können, weil Sie, der Senat, noch nicht einmal die eigenen Herausforderungen stemmen kann, geschweige denn schon jetzt den Bezirken vorausschauend die Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen, die sie dringend brauchen werden – personell, finanziell, durch Planung und Aufbau einer Infrastruktur zur Beherbergung der Menschen, bereits jetzt und nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Ich muss an der Stelle einmal sagen, Herr Kollege Buchholz, die Stadträtinnen und Stadträte der Linken, die ich kenne, lösen die Probleme in den Unterkünften vor Ort,
die sind nachts dort und fassen mit an. Von den Helferinnen und Helfern höre ich in Bezug auf die Bezirke keine Klagen, ob Kitagutschein oder sonst irgendetwas, das läuft. Die Probleme gibt es immer an der Schnittstelle zum Senat und zum LAGeSo.