Protokoll der Sitzung vom 19.02.2015

Ich rufe auf die

lfd. Nr. 4.2:

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 20

Freie Fahrt mit Bus und Bahn – Schadstoffbelastung minimieren!

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/2091

Die Regelung der Redezeit im Prioritätenblock ist Ihnen bekannt. Es beginnt die Piratenfraktion. Das Wort hat der Abgeordnete Baum. – Bitte!

Vielen Dank! – Freie Fahrt mit Bus und Bahn – Schadstoffbelastung minimieren. – Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Im vergangenen Jahr wurden in Berlin an 48 Tagen die zulässigen Feinstaubgrenzwerte überschritten. 35 sind nach aktuellen EU-Luftqualitätsrichtlinien maximal zulässig. Damit lag Berlin im Jahr 2014 nach Stuttgart auf dem bundesweit traurigen zweiten Platz der Städte mit der höchsten Feinstaubbelastung. Berlin liegt nicht im Talkessel, der diese Konzentration zumindest zum Teil erklären könnte.

Die Belastung mit dem hochgiftigen Stickstoffdioxid überschreitet das ganze Jahr hindurch die Grenzwerte und gefährdet insbesondere die Anwohnerinnen und Anwohner von Hauptverkehrsstraßen. Zehntausende Menschen droht die Berliner Luft krank zu machen.

Bisher versucht der Senat, mit einer Vielzahl kleinteiliger, oft lokal und in ihrer Wirkung begrenzter Maßnahmen das Problem der Schadstoffbelastung in den Griff zu bekommen. Diese Maßnahmen können im aktuellen Luftreinhalteplan 2011 bis 2017 nachgelesen werden. Das wichtigste und umfangreichste Instrument war sicherlich die Einführung der Umweltzone im Jahr 2008. Doch seitdem steigt die Schadstoffbelastung wieder. Die aktuellen Zahlen zeigen: Die kleinteiligen Maßnahmen, die der Senat ergreift, reichen nicht annähernd aus, um die Berliner Luft nachhaltig sauberer zu machen. Immerhin hat die Einführung der Umweltzone gezeigt: Das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der Luftverschmutzung ist die Reduzierung des Autoverkehrs. Dieser einfachen Erkenntnis kann sich auch der Senat nicht verschließen.

Doch statt daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, hält der Senat an seiner autofreundlichen Politik fest. Zusätzliche Tempo-30-Ausweisungen, z. B. auf Hauptstraßen, hat Stadtentwicklungssenator Geisel vor wenigen Wochen ausgeschlossen. Mit dem Weiterbau der A 100 treibt der Senat ein vollkommen anachronistisches Verkehrsprojekt voran, das zusätzlichen Autoverkehr generieren wird und damit zusätzliche Schadstoffbelastungen.

[Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Wie damit umgegangen werden soll, wie die zusätzlichen Schadstoffbelastungen reduziert werden könnten, dazu gibt es bisher keine Planungen, nur dafür, mehr Beton in Berlins Mitte zu kippen.

Und bei der seit langem geplanten Tangentialverbindung Ost kommt auch nur der Straßenbau voran. Die gleichfalls geplante Schienen-TVO hat der Senat auf die Zeit nach 2020/2025 verschoben und damit in eine ungewisse Zukunft. Die Einschränkung des Autoverkehrs, statt ihn weiter zu fördern und auszubauen, wäre ein wichtiger Punkt bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung. Das wird aber nicht viel bringen, wenn nicht gleichzeitig umweltfreundliche Alternativen geboten werden.

Deshalb setzen die Piraten mit diesem Antrag Anreize, freiwillig auf das Auto zu verzichten und die kostenlose Benutzung von Bussen und Bahnen an Tagen, an denen Schadstoffgrenzwerte überschritten werden oder an denen aufgrund der Wetterlage und der Wettervorhersage des Wetterdienstes solche Überschreitungen zu erwarten sind. Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass an einzelnen Tagen mit einem Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr 20 bis 50 Prozent mehr Menschen Busse und Bahnen nutzen als an kostenpflichtigen Tagen. Viele lassen dafür ihre Autos stehen. Ein Nulltarif an Tagen mit starker Schadstoffbelastung könnte also unmittelbar und in erheblichem Ausmaß Abhilfe schaffen. Gleichzeitig hätten viele Menschen, die heute das Auto als alltägliches Verkehrsmittel benutzen, die Möglichkeit, den öffentlichen Nahverkehr als schnelle, stressfreie und kostengünstige Alternative zum Auto zu erleben. Mit den Erkenntnissen, die der Senat und die Verkehrsunternehmen an solchen Tagen gewinnen, hätte das Vorhaben außerdem langfristig Pilotcharakter für den von uns geforderten fahrscheinlosen ÖPNV, der einen dauerhaften Rückgang des Autoverkehrs und damit eine nachhaltige Entlastung der Umwelt bewirken könnte.

[Beifall bei den PIRATEN]

Eine kostenlose Benutzung von Bussen und Bahnen an Tagen mit hoher Schadstoffbelastung ist natürlich nicht zum Nulltarif zu haben. Nach unseren Schätzungen würden pro Tag Einnahmeausfälle von rund 700 000 Euro entstehen, die das Land Berlin zu übernehmen hätte.

Die im Jahr 2008 ratifizierten EU-Grenzwerte für Feinstaub sind seit dem Jahr 2011 verbindlich. So ist im letzten Jahr eine Übergangsfrist abgelaufen. Es ist völlig unklar, wie der Senat dafür sorgen will, dass diese Grenzwertüberschreitungen in diesem Jahr abgestellt werden könnten. Aus einer möglichen EU-Klage oder aus Klagen von Umweltverbänden oder einzelnen Bürgerinnen und Bürgern auf Einhaltung der Grenzwerte könnten dem Land Berlin erhebliche Kosten entstehen. Dieses Geld sollte lieber in eine sinnvolle Alternative zum Autoverkehr und damit in eine umweltfreundliche Zukunft der

Mobilität in dieser Stadt investiert werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Baum! – Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort Herr Abgeordneter Kreins. – Bitte!

Vielen Dank! – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Baum! Vielleicht einen Hinweis: Bei Tempo 30 reduziert sich die Emission von Stickoxiden im Vergleich zu höheren Geschwindigkeiten nicht wesentlich. Das hat etwas mit dem Wirkungsgrad von Motoren zu tun, es sei denn, man redet über Elektromotoren, da gibt es gar keine Stickoxide.

[Zurufe von Andreas Baum (PIRATEN) und Martin Delius (PIRATEN)]

Herr Kollege! Ich habe Ihnen gerade eben zugehört. Ich habe noch nicht mal den ersten Satz gesprochen, schon krakeelen Sie dazwischen. Wir können uns darauf einstellen, dass es eine launige Runde wird, aber dann agiere ich auch in einer etwas lauteren Sprache.

Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Reduzierung der Schadstoffbelastung und die Reinhaltung der Lust – der Luft

[Heiterkeit – Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN]

ist der Koalition ein wichtiges Anliegen. – Na sehen Sie, ein freudscher Versprecher!

[Unruhe]

Frau Präsidentin, also wirklich!

[Udo Wolf (LINKE): Jetzt hat er keine Lust mehr!]

Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Abgeordnete Kreins und sonst niemand.

[Udo Wolf (LINKE): Dann soll er’s nutzen, dazu hat er ja das Mikro!]

Meine Kolleginnen und Kollegen! Sie sitzen im Parlament, da hört man sich gelegentlich auch mal zu. Ich will Sie nur daran erinnern. Das hat etwas mit der Wertschätzung dieses Hauses zu tun und hat auch etwas mit der Wertschätzung von Argumentation und der eigenen

(Andreas Baum)

Abwägung von Argumenten zu tun. Das wäre vielleicht ein guter Hinweis für Sie.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Es sind Maßnahmen ergriffen worden, um die Belastung der Luft mit Schadstoffen zu reduzieren, beispielsweise die Anschaffung umweltverträglicher Busse, die Radverkehrsstrategie, Maßnahmen der Verkehrslenkung, aber ich gebe Ihnen auch gerne zur Kenntnis, dass eine Metropole wie Berlin nicht auf den motorisierten Individualverkehr verzichten kann. Die zentrale Maßnahme des Luftreinhalteplans war die Errichtung der Umweltzone, das haben Sie schon richtig genannt. Und wer hier sagt, dass diese Umweltzone keine Erfolge zu verzeichnen hatte, der soll einmal zur Kenntnis nehmen, dass allein in der zweiten Stufe die Dieselrußstoffe um 58 Prozent und der Stickstoffausstoß um 20 Prozent reduziert werden konnten.

Es ist ein wichtiger Teil für die Stadt, es ist allerdings nicht alles. Ein Großteil der Schwankungen, die wir bei den Stickstoffen und bei der Feinstaubbelastung haben, liegt auch an den veränderten Wetterbedingungen, und die lassen sich in Berlin schlecht steuern. Das ist auch eine Erkenntnis, und das gehört zur Wahrheit dazu. Die Fortsetzung und Weiterentwicklung der Luftqualitätsverbesserung ist daher unabdingbar.

Der Vorschlag der Piraten für einen kostenlosen ÖNPV insbesondere an Tagen mit einer herausragenden Luftbelastung muss auch noch mal detailliert diskutiert werden. Einerseits ist – wenn ich feststelle, dass die Feinstaubbelastung importiert ist – das eine nicht im Sachzusammenhang mit dem anderen zu sehen. Andererseits, wenn Sie von Fahrgastzahlenerhöhungen von 20 bis 50 Prozent sprechen, frage ich mich an der Stelle, wie wir das im Berufsverkehr z. B. bei der U 5, bei der S 5 oder S 75 produzieren wollen. Wir müssten dann nicht nur über dichtere Taktungen nachdenken, sondern auch über einen größeren Fuhrpark. Sie kennen die aktuellen Zahlen und wissen, wie alt beispielsweise der U-Bahn-Fuhrpark der BVG ist, im Durchschnitt älter als 25 Jahre. Das heißt, es müsste ein große Investitionsprogramm organisiert werden, um das einerseits von den Fahrzeugen sicherzustellen, andererseits von den Dienst- und den Fahrzeiten.

Sie kennen aber auch die Situation, dass wir den ÖPNV in der Stadt erheblich subventionieren, das ist immer wieder auch Gegenstand unserer aktuellen Haushaltsdebatten. Das allein zu tragen und nicht auch den Fahrgast immer zu beteiligen, ist auch ein Thema, das bedenkenswert ist.

Wenn Sie dann auch sagen, wo und wie Sie die Dinge finanzieren wollen, kommen wir gern ins Gespräch. Ich denke, wir werden im Ausschuss noch detaillierter darüber sprechen können. Wir sind ja irgendwann wieder in

den Haushaltsberatungen, dann schauen wir uns an, wie das gegenfinanziert werden kann.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kreins! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Abgeordnete Gelbhaar. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man den Antrag überfliegt, dann liest sich das erst mal sehr gut.

[Ah! von den PIRATEN]

Mehr Umweltschutz durch bessere Luft, und das durch stärkere Nutzung von Bus und Bahn. Das sind Ziele, die sind richtig.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Und dennoch …!]

Wir begrüßen Maßnahmen, bei denen erstens der ÖPNV gestärkt und zweitens die Umwelt entlastet wird. Und da hat der Senat in dieser Wahlperiode wirklich wenig bis gar nichts vorzuweisen. Das muss sich in der Tat ändern. Die Belastung der Berliner Luft mit Schadstoffen muss sinken.

[Beifall von Claudia Hämmerling (GRÜNE)]

Danke, Claudia! – Doch wenn man mal genauer hinsieht, wird sehr schnell klar: Der Antrag der Piratenfraktion hält leider nicht, was er verspricht.