Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute die Vorkommnisse der letzten Wochen, die uns erschrecken und zutiefst betrüben, die aber auch nicht neu sind, weil wir wissen, dass derartige Vorkommnisse auch schon vor einem Jahr und davor stattgefunden haben. Wir behandeln heute einen Oppositionsantrag, der die Seenotrettung im Mittelmeer wiederbeleben möchte. Bei aller Trauer und Anteilnahme ist es wichtig, dass wir versuchen, die Lage nüchtern zu analysieren. Wer sind die Menschen, die die Bootsflüchtlinge in den Tod schicken? Sind die Toten des Mittelmeeres nicht Opfer gewissenloser, raffgieriger und verbrecherischer Schlepperbanden?
Diese Verbrecher pferchen verzweifelte Menschen auf seeuntüchtigen Booten ein. Sie schließen Hunderte von Menschen, wie wir jetzt erfahren mussten, unter Deck ein mit der schrecklichen Folge, dass diese Menschen einen qualvollen Tod sterben, wenn das Boot kentert.
Diese verbrecherischen Schlepper nehmen Tote nicht nur etwa billigend in Kauf, sondern ihr perfides Geschäftsmodell, mit dem sie ihre Opfer ausbeuten, hat Tote zum Ziel,
denn sie wissen, nichts kann unsere Bereitschaft zur Ausdehnung der Seenotrettung auf internationale Gewässer mehr steigern als Meldungen über Tote auf den Nachrichtenbildschirmen der europäischen Staaten.
Nein, danke! – Es ist schlimm, aber wahr, nichts befeuert das Geschäft der Schlepper mehr als die Ausdehnung unserer Seenotrettung auf internationale Gewässer.
Das ist es, was die kriminellen Schlepper wollen, das beschreibt auch das Dilemma, in dem wir uns befinden.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir bei aller Betroffenheit schon versuchen zu analysieren, wie es zu diesen Unglücken kommt. Wichtig ist aber auch, dass wir uns über den Inhalt Ihres Antrags genau unterhalten. Geht es um eine Wiederbelebung der Seenotrettung? – Nach dem Seenotrettungsübereinkommen der Vereinten Nationen haben alle Küstenstaaten in ihren Hoheitsgewässern Seenotrettung durchzuführen.
Nein. – Das geschieht. Was wir debattieren, ist nicht die Wiederbelebung der Seenotrettung, sondern die Ausdehnung der Seenotrettung auf internationale Gewässer.
Das ist richtig, aber hierzu gibt es kein internationales Übereinkommen und damit keine bestehende Rechtspflicht,
Einen weiteren Punkt möchte ich in die Debatte einfügen. Wieso meinen wir eigentlich, dass Wanderungs- und Flüchtlingsbewegungen zwischen Kontinenten, hier zwischen dem bevölkerungsreichen Afrika in das vergleichsweise kleine Europa, ausschließlich ein europäisches Problem sind? Ist es nicht ein globales Problem? Ist hier nicht neben uns selbstverständlich auch die Weltgemeinschaft gefordert?
Was nun – und das ist meine abschließende Frage – sind die Konsequenzen, die wir aus diesen Vorkommnissen ziehen müssen? – Selbstverständlich, und ich glaube, da sind wir völlig einig,
müssen wir nach allen Kräften verhindern, dass Schlepper weiterhin Menschen auf hoher See umbringen.
[Canan Bayram (GRÜNE): Nein, Herr Dregger, das sehen Sie falsch, da sind wir uns nicht einig! – Martin Delius (PIRATEN): Wir sind uns nicht einig! Das möchte ich im Protokoll stehen haben! Nicht in einem Satz einig!]
Dazu gehört auch für uns die Verbesserung und auch die Ausdehnung der Seenotrettung, ebenso wie die jetzt diskutierten polizeilichen und militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Schlepperunwesens. Dazu gehört aber auch die enge Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Staaten, sofern sie überhaupt intakt sind und funktionieren.
sondern mir kommt es darauf an, dass wir auch nachhaltig die Verhältnisse verbessern. Ich bin nicht der Meinung, dass wir durch Seenotrettung allein die Verhältnisse nachhaltig verbessern werden,
sondern ich glaube, es ist wichtig, dass wir nachhaltige Veränderungen herbeiführen, damit es zu solchen Flüchtlingsströmen und solchem Übersetzen nicht kommt.
denn es ist wichtig, dass wir darauf hinwirken, dass es keine Fluchtgründe mehr gibt. Ich hoffe, Sie werden mir auch darin zustimmen.
Richtig! Sie weisen darauf hin, wir diskutieren auch über die Erweiterung des sicheren Zugangs zu Asyl im europäischen Territorium. Ich glaube, wir müssen offen sein, das zu diskutieren, und wir sind offen, das zu disku
tieren. Wir müssen aber eines mitbedenken. Insoweit wir den sicheren Zugang für Schutzbedürftige erweitern, müssen wir den Zugang für Nichtschutzbedürftige schließen. Wenn wir nur das eine tun und das andere unterlassen, dann werden wir das Geschäft der Schlepper fortsetzen und die Unterstützung der Bevölkerung, die Aufnahmebereitschaft der Menschen verlieren. Das ist nicht im Interesse derjenigen, die wirklich schutzbedürftig sind. Deswegen ist mein Vorschlag und mein Wunsch, dass wir diese Fragen nicht oberflächlich in fünfminütigen Plenarbeiträgen diskutieren, sondern dass wir uns die Zeit nehmen, die das Thema verdient, um in Ausschüssen eine vernünftige Lösung zu erarbeiten. Daran sind wir jedenfalls sehr interessiert. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Dregger! – Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Herr Abgeordnete Taş, bitte!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dregger! Mit der Abschottungspolitik, die Sie fortsetzen wollen, haben Sie selbst die Geschäftsgrundlage für kriminelle Schleuser geschaffen. Schutzsuchende Menschen haben keine andere Chance, als sich diesen skrupellosen Geschäftemachern auszuliefern. Statt sichere, legale Einreisewege für Flüchtlinge zu schaffen und damit das Geschäft der Schleuser zu vermiesen, wollen ihr Bundesinnenminister und auch andere europäische Innenminister nun mit militärischen Mitteln gegen sie vorgehen. Es gibt dafür keine völkerrechtliche Basis für militärisches Vorgehen gegen Kriminelle in anderen Ländern.
Angesichts der Beiträge, insbesondere von Herrn Dregger, bin ich nahezu sprachlos. Innerhalb einer Woche sind mehr als 1 000 Menschen verstorben, und alles, was Sie zu bieten haben, ist die Zerstörung von Schlepperbooten, Fingerabdrücke und eine schnellere Abschiebung. Was kommt als Nächstes? Schwimmkurse an der libyschen Küste möglicherweise? – Das sind doch reiner Zynismus und Symbolpolitik. An der tatsächlichen Situation wird auch der Zehn-Punkte-Plan, der uns vorgestellt worden ist, rein gar nichts verändern.
Die europäische Abschottungspolitik, Herr Dregger, ist doch der Grund dafür, weshalb sich Flüchtlinge in die Hände krimineller Schlepperbanden begeben und den riskanten Seeweg auf sich nehmen. Was wir jetzt brauchen, sind akute und harte Maßnahmen. Öffnen Sie die Grenzen, und ermöglichen Sie den Flüchtlingen einen legalen Weg nach Europa! Europa schützt nach wie vor seine Grenzen, während Flüchtlinge auf offener See auf Rettungsboote warten. Setzen Sie sich dafür ein, dass die
Bundesregierung und die Europäische Union nun endlich einen flüchtlingsfreundlichen Kurs einschlagen! Alles andere wird für zahlreiche Flüchtlinge tödliche Folgen haben.