Protokoll der Sitzung vom 23.04.2015

[Martin Delius (PIRATEN): Jetzt, Herr Dregger: Warum sind Sie nicht dabei?]

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute die Vorkommnisse der letzten Wochen, die uns erschrecken und zutiefst betrüben, die aber auch nicht neu sind, weil wir wissen, dass derartige Vorkommnisse auch schon vor einem Jahr und davor stattgefunden haben. Wir behandeln heute einen Oppositionsantrag, der die Seenotrettung im Mittelmeer wiederbeleben möchte. Bei aller Trauer und Anteilnahme ist es wichtig, dass wir versuchen, die Lage nüchtern zu analysieren. Wer sind die Menschen, die die Bootsflüchtlinge in den Tod schicken? Sind die Toten des Mittelmeeres nicht Opfer gewissenloser, raffgieriger und verbrecherischer Schlepperbanden?

[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Diese Verbrecher pferchen verzweifelte Menschen auf seeuntüchtigen Booten ein. Sie schließen Hunderte von Menschen, wie wir jetzt erfahren mussten, unter Deck ein mit der schrecklichen Folge, dass diese Menschen einen qualvollen Tod sterben, wenn das Boot kentert.

[Zuruf von Carsten Schatz (LINKE)]

Diese verbrecherischen Schlepper nehmen Tote nicht nur etwa billigend in Kauf, sondern ihr perfides Geschäftsmodell, mit dem sie ihre Opfer ausbeuten, hat Tote zum Ziel,

[Zuruf von Ajibola Olalowo (GRÜNE)]

denn sie wissen, nichts kann unsere Bereitschaft zur Ausdehnung der Seenotrettung auf internationale Gewässer mehr steigern als Meldungen über Tote auf den Nachrichtenbildschirmen der europäischen Staaten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höfinghoff?

Nein, danke! – Es ist schlimm, aber wahr, nichts befeuert das Geschäft der Schlepper mehr als die Ausdehnung unserer Seenotrettung auf internationale Gewässer.

[Carsten Schatz (LINKE): Das ist ja grotesk!]

Das ist es, was die kriminellen Schlepper wollen, das beschreibt auch das Dilemma, in dem wir uns befinden.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir bei aller Betroffenheit schon versuchen zu analysieren, wie es zu diesen Unglücken kommt. Wichtig ist aber auch, dass wir uns über den Inhalt Ihres Antrags genau unterhalten. Geht es um eine Wiederbelebung der Seenotrettung? – Nach dem Seenotrettungsübereinkommen der Vereinten Nationen haben alle Küstenstaaten in ihren Hoheitsgewässern Seenotrettung durchzuführen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Delius?

Nein, danke!

Keine Zwischenfragen, ich verstehe.

Nein. – Das geschieht. Was wir debattieren, ist nicht die Wiederbelebung der Seenotrettung, sondern die Ausdehnung der Seenotrettung auf internationale Gewässer.

[Carsten Schatz (LINKE): Die es schon mal gab!]

Das ist richtig, aber hierzu gibt es kein internationales Übereinkommen und damit keine bestehende Rechtspflicht,

[Carsten Schatz (LINKE): Sie brauchen doch keine Rechtspflicht, um Menschenleben zu retten!]

für Küstenstaaten ebenso wenig wie für Binnenstaaten.

Einen weiteren Punkt möchte ich in die Debatte einfügen. Wieso meinen wir eigentlich, dass Wanderungs- und Flüchtlingsbewegungen zwischen Kontinenten, hier zwischen dem bevölkerungsreichen Afrika in das vergleichsweise kleine Europa, ausschließlich ein europäisches Problem sind? Ist es nicht ein globales Problem? Ist hier nicht neben uns selbstverständlich auch die Weltgemeinschaft gefordert?

(Canan Bayram)

Was nun – und das ist meine abschließende Frage – sind die Konsequenzen, die wir aus diesen Vorkommnissen ziehen müssen? – Selbstverständlich, und ich glaube, da sind wir völlig einig,

[Udo Wolf (LINKE): Ich glaube, dass wir in dieser Frage in nichts einig sind!]

müssen wir nach allen Kräften verhindern, dass Schlepper weiterhin Menschen auf hoher See umbringen.

[Canan Bayram (GRÜNE): Nein, Herr Dregger, das sehen Sie falsch, da sind wir uns nicht einig! – Martin Delius (PIRATEN): Wir sind uns nicht einig! Das möchte ich im Protokoll stehen haben! Nicht in einem Satz einig!]

Dazu gehört auch für uns die Verbesserung und auch die Ausdehnung der Seenotrettung, ebenso wie die jetzt diskutierten polizeilichen und militärischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Schlepperunwesens. Dazu gehört aber auch die enge Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Staaten, sofern sie überhaupt intakt sind und funktionieren.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Auch da weisen wir jede Einigkeit von uns!]

Ich lege auch gar keinen Wert auf allmächtige Einigkeit,

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Sie haben das doch eben gesagt!]

sondern mir kommt es darauf an, dass wir auch nachhaltig die Verhältnisse verbessern. Ich bin nicht der Meinung, dass wir durch Seenotrettung allein die Verhältnisse nachhaltig verbessern werden,

[Martin Delius (PIRATEN): Mehr legale Einwanderung!]

sondern ich glaube, es ist wichtig, dass wir nachhaltige Veränderungen herbeiführen, damit es zu solchen Flüchtlingsströmen und solchem Übersetzen nicht kommt.

[Beifall bei der CDU]

Wenn Sie mir da nicht beistimmen, täte es mir leid.

[Zuruf von Martin Delius (PIRATEN) – Weitere Zurufe von den PIRATEN]

Dazu gehört auch die Stabilisierung der Herkunftsstaaten,

[Lachen von Alexander Spies (PIRATEN) – Steffen Zillich (LINKE): Nicht viel dafür gemacht!]

denn es ist wichtig, dass wir darauf hinwirken, dass es keine Fluchtgründe mehr gibt. Ich hoffe, Sie werden mir auch darin zustimmen.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Was ist mit dem Zwischenschritt der legalen Einwanderung?]

Richtig! Sie weisen darauf hin, wir diskutieren auch über die Erweiterung des sicheren Zugangs zu Asyl im europäischen Territorium. Ich glaube, wir müssen offen sein, das zu diskutieren, und wir sind offen, das zu disku

tieren. Wir müssen aber eines mitbedenken. Insoweit wir den sicheren Zugang für Schutzbedürftige erweitern, müssen wir den Zugang für Nichtschutzbedürftige schließen. Wenn wir nur das eine tun und das andere unterlassen, dann werden wir das Geschäft der Schlepper fortsetzen und die Unterstützung der Bevölkerung, die Aufnahmebereitschaft der Menschen verlieren. Das ist nicht im Interesse derjenigen, die wirklich schutzbedürftig sind. Deswegen ist mein Vorschlag und mein Wunsch, dass wir diese Fragen nicht oberflächlich in fünfminütigen Plenarbeiträgen diskutieren, sondern dass wir uns die Zeit nehmen, die das Thema verdient, um in Ausschüssen eine vernünftige Lösung zu erarbeiten. Daran sind wir jedenfalls sehr interessiert. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Dregger! – Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Herr Abgeordnete Taş, bitte!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dregger! Mit der Abschottungspolitik, die Sie fortsetzen wollen, haben Sie selbst die Geschäftsgrundlage für kriminelle Schleuser geschaffen. Schutzsuchende Menschen haben keine andere Chance, als sich diesen skrupellosen Geschäftemachern auszuliefern. Statt sichere, legale Einreisewege für Flüchtlinge zu schaffen und damit das Geschäft der Schleuser zu vermiesen, wollen ihr Bundesinnenminister und auch andere europäische Innenminister nun mit militärischen Mitteln gegen sie vorgehen. Es gibt dafür keine völkerrechtliche Basis für militärisches Vorgehen gegen Kriminelle in anderen Ländern.

Angesichts der Beiträge, insbesondere von Herrn Dregger, bin ich nahezu sprachlos. Innerhalb einer Woche sind mehr als 1 000 Menschen verstorben, und alles, was Sie zu bieten haben, ist die Zerstörung von Schlepperbooten, Fingerabdrücke und eine schnellere Abschiebung. Was kommt als Nächstes? Schwimmkurse an der libyschen Küste möglicherweise? – Das sind doch reiner Zynismus und Symbolpolitik. An der tatsächlichen Situation wird auch der Zehn-Punkte-Plan, der uns vorgestellt worden ist, rein gar nichts verändern.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die europäische Abschottungspolitik, Herr Dregger, ist doch der Grund dafür, weshalb sich Flüchtlinge in die Hände krimineller Schlepperbanden begeben und den riskanten Seeweg auf sich nehmen. Was wir jetzt brauchen, sind akute und harte Maßnahmen. Öffnen Sie die Grenzen, und ermöglichen Sie den Flüchtlingen einen legalen Weg nach Europa! Europa schützt nach wie vor seine Grenzen, während Flüchtlinge auf offener See auf Rettungsboote warten. Setzen Sie sich dafür ein, dass die

(Burkard Dregger)

Bundesregierung und die Europäische Union nun endlich einen flüchtlingsfreundlichen Kurs einschlagen! Alles andere wird für zahlreiche Flüchtlinge tödliche Folgen haben.