Protokoll der Sitzung vom 11.06.2015

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Jetzt kann man nicht über das Tarifeinheitsgesetz reden, ohne etwas zu Spartengewerkschaften zu sagen. Ich finde Einheitsgewerkschaften richtig. Das sehen nicht alle so, auch nicht alle Mitglieder meiner Partei und meiner Fraktion.

(Fabio Reinhardt)

[Was? von der LINKEN]

Wenn man aber eine Tarifeinheit haben will und wenn man findet, Spartengewerkschaften sind der falsche Weg, dann muss man die politische Auseinandersetzung führen um Einheitsgewerkschaften, um Spartengewerkschaften und um genau dieses Prinzip „ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag“. Das findet überhaupt nicht statt, sondern Politik mischt sich ein.

Und wenn Politik sich einmischen möchte – das sage ich jetzt mal in Richtung der SPD, denn Ihre Arbeitsministerin hat dieses Gesetz auf den Weg gebracht –, dann muss man sich mal angucken, warum Menschen eigentlich streiken. Sie streiken wegen Zunahme von prekärer Beschäftigung. Sie streiken gegen Reallohnverlust, sie streiken gegen sittenwidrige Entlohnung. Sie streiken, weil die Arbeitsbelastung immer stärker wird. Hier hätte Frau Nahles ganz viele Punkte, wo sie Gesetze verbessern könnte. Das soll sie mal machen. Sie soll sich aus der Tarifautonomie heraushalten. Frau Nahles könnte etwas gegen die Zergliederung von Betrieben machen. Sie könne etwas machen, damit Gewerkschaften bzw. Personal- und Betriebsräte mehr Einfluss hätten. Das wird alles nicht gemacht. Sie könnte bei den Hartz-IV-Gesetzen anfangen.

Wir wollen, dass die Tarifautonomie erhalten bleibt. Wir wollen, dass alle Gewerkschaften, ob sie uns im Einzelfall gefallen oder nicht, das volle Streikrecht haben. Dieses Recht darf nicht angetastet werden. Deshalb stimmen Sie unserem Antrag zu! Das Tarifeinheitsgesetz muss abgelehnt werden! – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Breitenbach! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Grosse. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Breitenbach! Auch die Zeiten bei den Gewerkschaften haben sich geändert, das weißt du ganz genau! Und deine geliebte HBV gibt es inzwischen auch nicht mehr, sie ist bei Verdi untergegangen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Elke Breitenbach (LINKE): Hab‘ ich doch gesagt, mit der DAG!]

Ist das Tarifeinheitsgesetz ein Fluch, oder ist es ein Segen? Ist das im Bundestag beschlossene Tarifeinheitsgesetz ein Zugeständnis an die Arbeitgeber? Ist das Tarifeinheitsgesetz ein Zugeständnis an die großen Gewerkschaften? – Ich sage, weder das eine noch das andere.

[Zuruf von Uwe Doering (LINKE)]

Ziel des Tarifeinheitsgesetzes ist es, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern.

[Udo Wolf (LINKE): Was?]

Kollidierende Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften beeinträchtigen die Tarifautonomie. Der Bundesgesetzgeber schafft mit dem neuen Tarifvertragsrecht einen gesetzlichen Rahmen. Es beschreibt Verfahrensweisen, wie Tarifkollisionen vermieden werden können, nicht mehr und nicht weniger. Wenn die Gewerkschaften bestehende Interessenkonflikte untereinander nicht autonom zu einem Ausgleich bringen können, erst dann greift subsidiär der Grundsatz der Tarifeinheit. Die Tarifkollision wird dann auf demokratischem Wege nach dem Mehrheitsprinzip aufgelöst. Es gilt der Tarifvertrag, der innerhalb der Belegschaft die größte Akzeptanz findet.

[Elke Breitenbach (LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Nein, keine Zwischenfrage, das Thema ist schwierig genug!

[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)]

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken! Sie bezeichnen das Gesetz als Verfassungsbruch und als Angriff auf die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht. Das ist nicht der Fall; die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht werden nicht angetastet.

[Elke Breitenbach (LINKE): Gucken wir mal!]

Die Wahrung und Förderung der Wirtschaft und Arbeitsbedingungen gemäß Artikel 9 Grundgesetz bleiben auch weiterhin allein Aufgabe der Tarifparteien. Das Innen- und das Justizministerium haben das Gesetz geprüft und ihm bescheinigt, verfassungskonform zu sein. Das Gleiche hat während der Anhörung im Bundestag auch ein ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts getan. Ihm zufolge ist es geradezu die Pflicht des Gesetzgebers, das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit auszugestalten, den Ausgleich der verschiedenen Träger dieses Grundrechts gesetzlich zu regeln. Und über die Verhältnismäßigkeit eines Streiks entscheiden auch künftig die Arbeitsgerichte anhand des konkreten Einzelfalls.

Die Tarifeinheit, also das Prinzip „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“, war im Übrigen bis 2010, fast 60 Jahre lang, liebe Elke, grundlegender Bestandteil unserer Arbeits- und Wirtschaftsordnung.

[Elke Breitenbach (LINKE): Und dann? Was passiert dann?]

Nicht umsonst hat sich der DGB, haben sich aber auch die Arbeitgeber sofort nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts an die Politik gewandt – nicht die Politik hat sich eingemischt, sondern sie haben sich an die Politik gewandt – und gefordert, die Tarifeinheit wiederherzustellen, um Tarifkollisionen zu vermeiden. Denn Tarifkollisionen gefährden den sozialen Frieden in den Bet

(Elke Breitenbach)

rieben. Elke! Wenn besonders streikmächtige Berufsgruppen die Schlüsselposition im Betriebsablauf einnehmen, ihre Interessen gesondert vertreten, statt sich für das Wohl der gesamten Belegschaft einzusetzen, führt das zu einer Entsolidarisierung innerhalb der Arbeitnehmerschaft.

[Elke Breitenbach (LINKE): Aber diese Auseinander- setzung kann man doch führen!]

Das schwächt die gewerkschaftliche Interessenvertretung insgesamt. Nur wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Verteilungsfragen untereinander lösen, können sie nicht gegeneinander ausgespielt werden. Auch das hast du ganz klar vorhin gesagt.

[Elke Breitenbach (LINKE): Aber doch nicht mit Zwang!]

Deshalb hoffe ich, dass sich künftig wieder mehr Gewerkschaften zusammentun und Tarifgemeinschaften bilden.

Die Zusammenarbeit von Verdi und dem Beamtenbund im öffentlichen Dienst ist ein Beispiel dafür. Gemeinsam sind sie stärker als gegeneinander. Das Tarifeinheitsgesetz verhindert Anreize, Belegschaften zu spalten, und wirkt der Zersplitterung der Tariflandschaft entgegen.

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Es stärkt die bewährte Sozialpartnerschaft und sichert die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie.

Abschließend noch ein kurzes Wort an dich, liebe Elke, und an euch, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken: Mit diesem dringlichen Antrag seid ihr offenbar einem Antrag von Klaus Ernst gefolgt, der angekündigt hat, dieses Thema am Köcheln zu halten. Wir werden eurem Antrag – jedenfalls heute – nicht zustimmen, aber ich denke, das habt ihr auch nicht erwartet. Wir werden ihn in den Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen überweisen.

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Vielen Dank, Frau Grosse! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Bangert. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Burgunde Grosse! Ich hätte nie gedacht, dass ich mal solch eine Rede von der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der SPD höre und dass sich die SPD so positioniert.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Mein geschätzter ehemaliger Kollege Wolfgang Wieland hat einmal gesagt: Große Koalition ist großer Mist.

[Andreas Gram (CDU): Er hat nicht immer recht!]

Wir sehen wirklich, wohin das bei Ihnen führt. Vor allem zeigt sich aber, wie teuer auch manches erkauft werden muss, zum Beispiel ein Mindestlohn oder die abschlagsfreie Rente ab 63. Aber manchmal schätzt man den Umfang der Kröte, die man zu schlucken bereit ist – hier das Tarifeinheitsgesetz – auch als zu groß ein, und man läuft Gefahr, daran zu ersticken. So geht es gerade der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, Sozialdemokratin und IG-Metall-Mitglied. Ihr zentrales Projekt, die Versöhnung der SPD mit den Gewerkschaften, droht zu scheitern. Sie rechnete mit der Unterstützung für ihr Tarifeinheitsgesetz, denn schließlich sind breite Bevölkerungsanteile betroffen von den ständigen Streiks der Bahn oder bei den Fluggesellschaften, in den Krankenhäusern und in den Kitas. Alle sind angenervt, und in solchen Situationen ist es dann verlockend, die besonders offensiv auftretenden Berufs- und Spartengewerkschaften, allen voran die GDL und die Vereinigung Cockpit, per Gesetz zum Frieden zu zwingen. Frau Nahles wähnte sich mit ihrem Gesetz zur Erzwingung der Tarifeinheit schon in sicheren Gefilden.

Aber plötzlich rumort es auch bei den Gewerkschaften beim DGB, auch den Industriegewerkschaften, die das Vorhaben bislang unterstützt haben, sie zeigen sich mittlerweile außerordentlich skeptisch. Verdi, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft lehnen das Gesetz ohnehin ab. Und plötzlich ist Frau Nahles nahezu allein zu Haus. Uneingeschränkte Unterstützung kommt nur noch von den Arbeitgeberverbänden. Das müsste die Bundesarbeitsministerin und alle SPD-Mitglieder doch außerordentlich nachdenklich stimmen.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Die denken nicht mehr nach! Schon seit Jahren!]

Wir lehnen das Gesetz zur Tarifeinheit ab. Für uns stellt eine gesetzlich erzwungene Tarifeinheit einen inakzeptablen Eingriff in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit und eine Verletzung des Minderheitenschutzes dar. Hier konnten unsere verfassungsrechtlichen Bedenken auch nicht ausgeräumt werden. Ganz im Gegenteil: Nicht wie Sie es dargestellt haben, hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags unsere Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes in dem von unserer Bundestagsfraktion beauftragten Gutachten bestätigt. Der Beamtenbund dbb und der Marburger Bund haben im Übrigen bereits Klage angekündigt, sollte das Gesetz in Kraft treten.

Für uns haben alle Beschäftigten und alle Berufsgruppen das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Und in letzter Konsequenz haben sie das Recht, für ihre Anliegen zu streiken. Auch diese Freiheit gehört zu unserer

(Burgunde Grosse)

Demokratie. Sie ist ein wertvolles Gut und darf nicht beschnitten werden.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Gleichzeitig ist unbestritten: Die Tarifpolitik der Gewerkschaften lebt von Solidarität. Tarifpluralität erfordert deshalb Kooperation zwischen den Gewerkschaften. Nur solidarisch können alle Beschäftigten angemessen vertreten und in ihren Anliegen unterstützt werden. Das Tarifeinheitsgesetz stellt die Existenzberechtigung von Minderheitengewerkschaften infrage und wird daher nicht den notwendigen Betriebsfrieden schaffen. Ein Kampf um die Betriebe ist vorprogrammiert, denn kleinere Gewerkschaften müssen versuchen, größer und mächtiger zu werden, gut zu beobachten momentan bei der Deutschen Bahn. Denn immerhin bekommt der Gewinner am Ende alles, vor allem den gültigen Tarifvertrag.

Anders als das Gesetz vorgibt, wird die gesetzliche Tarifeinheit aber nicht die Solidarität unter den Beschäftigten stärken, im Gegenteil: Die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften wird sich verschärfen, Solidarität und Kooperation lassen sich nämlich nicht verordnen und schon gar nicht gesetzlich erzwingen. Beides ist nur auf freiwilliger Basis zu haben.