Anders als das Gesetz vorgibt, wird die gesetzliche Tarifeinheit aber nicht die Solidarität unter den Beschäftigten stärken, im Gegenteil: Die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften wird sich verschärfen, Solidarität und Kooperation lassen sich nämlich nicht verordnen und schon gar nicht gesetzlich erzwingen. Beides ist nur auf freiwilliger Basis zu haben.
Meine Kollegin Breitenbach hat es schon gesagt: Es ist Aufgabe der Gewerkschaften und nicht die Aufgabe der Politik, diese Basis herzustellen.
Deshalb unterstützen wir den Antrag der Linken, in dem der Senat aufgefordert wird, dem Gesetz zur Tarifeinheit im Bundesrat nicht zuzustimmen. Das empfehle ich im Übrigen auch den Kolleginnen und Kollegen, zumindest von der SPD: Ziehen Sie die Notbremse! Sie laufen gerade Gefahr, wieder an die Wand zu fahren. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Bundesarbeitsgericht hat im Jahr 2010 seine ständige Rechtsprechung im Bereich der Tarifeinheit aufgegeben. Vor diesem Hintergrund und nicht etwa wegen der Streikwelle im Nah- und Fernverkehr, unter der wir auch in Berlin alle zu leiden hatten, hat die Bundesregierung das Tarifeinheitsgesetz auf den Weg gebracht, das Anfang nächsten Monats in Kraft treten soll. Das Gesetz sieht vor, dass bei Tarifkonflikten nur noch
der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den jeweils meisten Mitgliedern gelten soll, denn eine Überschneidung unterschiedlicher Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe innerhalb eines Unternehmens beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Künftig sollen mehrere Gewerkschaften in einem Betrieb gemeinsam statt gegeneinander arbeiten.
Nein, keine Zwischenfragen, das Thema ist sehr kompliziert. – Nur wenn eine Tarifkollision nicht durch Einigung der beteiligten Gewerkschaften aufgelöst werden kann, soll und muss die neue Regelung des Tarifeinheitsgesetzes greifen. Es soll dann der Tarifvertrag gelten, der die größte Akzeptanz in der Belegschaft genießt. Das Interesse der Mehrheit der Beschäftigten wird im Mittelpunkt stehen und entscheidend sein. Wir wollen nicht, dass eine besonders ausdauernd streikende Minderheit sich gegen die Mehrheit der Beschäftigten durchsetzt. Dabei hat eine Konsenslösung immer Vorrang.
Das Gesetz soll in erster Linie verhindern, dass in einem Betrieb konkurrierende Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe gelten. Eine Tarifkollision soll verhindert werden. Sie ist dazu angetan, Belegschaften zu spalten, den Betriebsfrieden nachhaltig zu stören und die Tariflandschaft zu zersplittern. Unser Ziel ist es jedoch, die bewährte deutsche Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie zu erhalten.
Der Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ hat lange Tradition in Deutschland. Diesen Grundsatz stärkt das Tarifeinheitsgesetz, wobei es Pluralität der Meinungen und die Möglichkeit des Interessenausgleichs im Konsens bestehen lässt.
[Elke Breitenbach (LINKE): Aber das gibt es schon lange! – Sabine Bangert (GRÜNE): Haben Sie das Gesetz mal gelesen, Herr Prof. Korte?]
Das Konsensprinzip wird von den Sozialpartnern weiter vertreten. Darum haben sie im Jahr 2010 nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts um eine gesetzliche Regelung gebeten. Mit dem Tarifeinheitsgesetz liegt diese Regelung nun vor und soll im Bundesrat auch beschlossen werden.
Sie unterstellen, die Bundesregierung greife gezielt die Koalitionsfreiheit auf Arbeitnehmerseite und das Streikrecht nach Artikel 9 Grundgesetz an. Aber genau das Gegenteil trifft zu. Die Tarifautonomie wird im Ergebnis gestärkt.
Das Freiheitsgut des Streikrechts steht dem ebenfalls hohen Gut des Betriebsfriedens gegenüber. Wir wollen die Voraussetzungen der Produktivität unserer Betriebe erhalten. Aber wir wollen auch den Arbeitnehmern sinnvolle Mittel an die Hand geben, faire und gerechte Löhne zu erzielen und notfalls zu erstreiten.
Das verfassungsmäßig garantierte Streikrecht wird durch das Tarifeinheitsgesetz gerade nicht ausgehöhlt. Auch heute entscheiden die Arbeitsgerichte, ob ein Streik verhältnismäßig ist oder nicht. Auch unter dem Tarifeinheitsgesetz wird das Mittel des Streiks bestehen bleiben.
Meine Damen und Herren Antragsteller! Wir nehmen die Bedenken, die Sie geäußert haben, aber auch die Bedenken, die der Deutsche Beamtenbund artikuliert hat, in einem ganz bestimmten Punkt besonders ernst, und daran wird in der Tat noch zu arbeiten sein bei der Ausgestaltung. Es besteht kein Bekenntniszwang in den Betrieben, weshalb es nicht einfach ist, die zahlenmäßig stärkste Gewerkschaft ohne Weiteres festzustellen.
Und hier müssen den Bedenken, die Sie artikuliert haben, auch den Bedenken des Deutschen Beamtenbunds, in der praktischen Ausgestaltung, nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, in der Tat Rechnung getragen werden.
Über das natürlich weiter bestehende Streikrecht hinaus erhalten Minderheitsgewerkschaften zudem auch Anhörungs- und Nachzeichnungsrechte. So können sie dem Arbeitgeber schon vor einer Tarifrunde ihre Vorstellungen darlegen oder nach einer Einigung Inhalte des Tarifvertrags der größeren Gewerkschaft übernehmen. Somit werden die kleinen Gewerkschaften nicht ausgeschlossen. Durch das Nachzeichnungsrecht werden kleinere Gewerkschaften und ihre Mitglieder den Schutz des Tarifvertrags erlangen können. Die Regelungen zum Schlichtungsverfahren werden von diesem neuen Gesetz nicht angetastet. Für bestehende Tarifverträge wird darüber hinaus Bestandsschutz gelten.
Das Tarifeinheitsgesetz fördert die friedliche Lösung von Tarifkonflikten in Betrieben mit mehreren Gewerkschaften. Es greift damit das bis 2010 geltende Prinzip der Tarifeinheit wieder auf und gießt es in neue gesetzliche Form. – Ihrem Antrag auf Ablehnung des Tarifeinheitsgesetzes im Bundesrat werden wir also heute nicht zustimmen, sondern das Thema im Ausschuss eingehend besprechen. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Dr. Korte! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Spies. – Bitte!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Piraten sind schon aus einem Grund gegen dieses Tarifeinheitsgesetz. Kollege Korte hat es gerade gesagt: Es besteht kein Bekenntniszwang in Betrieben. Wenn man aber nicht weiß, welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Mitglied einer Gewerkschaft sind, wie kann man dieses Gesetz dann ausführen?
Das müssen Sie erst mal aufzeigen. Entweder bekommen wir mehr Überwachung oder eine undurchschaubare Bürokratie in dem Punkt, die zu mehr Anrufungen von Gerichten und größerer Unsicherheit, als sie heute besteht, führt.
Aber was ist eigentlich passiert? – Prof. Korte sagte es gerade, 2010 hat das Bundesverfassungsgericht den Tarifeinheitsgrundsatz gekippt. Das ist jetzt fünf Jahre her. Und gab es in diesen fünf Jahren irgendwelche Veränderungen im Streikverhalten?
Klammern wir mal die GDL und Cockpit aus! 2014 war Deutschland mit 15 Streiktagen pro 1 000 Beschäftigte im unteren Drittel der Europäischen Union. Dänemark mit 106 und Frankreich mit 150 lagen weit darüber. Man kann nun nicht behaupten, dass Deutschland ein Land ist, wo besonders viel gestreikt wird. Dagegen haben dann Vertreter der Arbeitgeber schon nach dem Verfassungsgerichtsurteil englische Verhältnisse befürchtet. Aber was sind englische Verhältnisse? – Das waren mal 570 Streiktage pro 1 000 Beschäftigte.
Was wir hier verhandeln, ist für mich Absurdistan die Zweite. Denn was ist der Grund für diese Gesetzesinitiative? – Der Grund waren jetzt die Streiks im Verkehrswesen bei Cockpit und GDL. Das ist natürlich sehr unangenehm. Und in ganz populistischer Manier wollte Nahles hier zeigen, sie schafft es, Gewerkschaften wieder in ihre Bahnen zu bringen. Das ist aber genau der Eingriff in die Koalitionsfreiheit und die Verfassungsgrundsätze, der nicht sein darf. Man kann nicht für kurzfristigen populistischen Erfolg Verfassungsgrundsätze aufs Spiel setzen.
Und vor allem: Was hat das denn gebracht? – Allein die Ankündigung des Tarifeinheitsgesetzes hat mögli
cherweise den Streik der GDL wesentlich verlängert. Denn was hätte dort passieren müssen? – Es wäre auch Aufgabe der Betriebsleitung, also der Deutschen Bahn, gewesen, die Gewerkschaften an einen Tisch zu holen. Stattdessen hatte man den Eindruck, dass die Gewerkschaften eher noch gegeneinander aufgehetzt wurden. Hier haben die Koalitionspartner versagt. Das hätte man auch deutlich sagen können und nicht versuchen müssen, durch einen Eingriff in Grundrechte hier möglicherweise für die Zukunft solche Situationen zu unterbinden.
Es ist auch viel darüber gesagt worden, ob das überhaupt möglich ist. Es ist schon klar, dass im Falle von Cockpit dieses Gesetz, wenn es denn in Kraft tritt und gelten sollte, nicht viel bewirkt. Die Fälle, in denen es eben etwas Positives bewirken kann, kann man möglicherweise an einer Hand abzählen. Aber das, was zu befürchten steht, was es Negatives für die Tarifautonomie bewirken kann, ist ein wesentlich größerer Schaden als das, was man da möglicherweise als Gewinn erwarten könnte.
Zudem – und das muss ich einfach sagen – ist das wieder mal so ein Gesetz, das möglicherweise vom Verfassungsgericht gekippt wird. Und das ist etwas, was die Piraten immer wieder monieren. Macht doch bitte eure Gesetze so, dass sie nicht vom Verfassungsgericht entschieden werden, sondern denkt vorher darüber nach, was in unseren Verfassungsgrundsätzen angebracht ist oder nicht! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank, Herr Spies! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die antragstellende Fraktion hat die sofortige Abstimmung beantragt. Seitens der Koalition wird die Überweisung an den Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen beantragt. Wer dieser Überweisung zustimmen möchte, denn bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU und der fraktionslose Abgeordnete. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der Grünen, Linken und Piraten. Enthaltungen? – Ich sehe keine Enthaltungen. Der Antrag ist überwiesen.