Protokoll der Sitzung vom 26.01.2012

man dürfte den Ermittlungsbehörden dort nicht misstrauen. Das teile ich dem Grundsatz nach. Und dann haben Sie eines gesagt: Und im Übrigen sehen es 93 oder 95 Prozent der „Tagesspiegel“-Leser, die online abstimmen, genauso.

[Heiterkeit bei Martin Delius (PIRATEN)]

Da fragt man sich erst mal prinzipiell: Mensch, Herr Henkel, gerade die wenigen 7 Prozent sollten Sie noch überzeugen. Das sind ja vielleicht auch welche, die von einem Rechtsstaat mit Augenmaß überzeugt werden müssen. Diesen Versuch haben Sie gar nicht gewagt. Sie haben es auf 93 Prozent derjenigen, die bei „Tagesspiegel.de“ abgestimmt haben, delegiert.

[Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Das ist schon vom Prinzip her fragwürdig.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Aber, Herr Henkel, lassen Sie es sich eine Lehre sein! Als ich vor einer halben Stunde nachgeguckt habe, da waren nur noch 50 Prozent der Online-userzinnen und -User Ihrer Auffassung.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Das war das Ergebnis, Herr Henkel! Welche Folgen ziehen Sie daraus? Machen Sie weiter die Sicherheitspolitik der kurzen Beine, der falschen Versprechungen, der leeren Versprechungen? Werden Sie weiterhin den Menschen in dieser Stadt sagen, 250 Polizisten mehr, und alle Probleme dieser Stadt werden gelöst?

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Ich werde sie einsetzen in den Einsatzhundertschaften, bei unfriedlichen Demonstrationen, gegen die Brandstifter, und dann – das haben Sie schön gesagt, als die Kriminalstatistik kurz nach Weihnachten herauskam – hat man gesehen, bei den Vermögensdelikten, Wohnungseinbrüchen, Fahrraddiebstählen gab es einen massiven Anstieg in Berlin, bei der Alltagskriminalität. Und was hat Herr Henkel gesagt? – Er sieht sich darin bestätigt, dass mehr Polizisten das Problem wuppen werden. Viel Erfolg, Herr Henkel, wenn Sie glauben, dass diese Politik, dass dieses Vormachen von Sicherheit dazu führen wird, dass es hier tatsächlich sicherer wird! Ich glaube es Ihnen nicht. Sie werden damit fallen. Sie beschwören damit auch, ganz wie der Zauberlehrling, böse Geister herbei. Sie beschwören die Geister herbei, die das glauben, was Sie ihnen vermitteln, und die dann sagen, der Staat muss mich schützen. Und Sie sagen: Null Toleranz kommt ganz nah an mich heran. – Was versprechen Sie den Leuten denn da? Glauben Sie, dass es in Berlin keine Kriminalität mehr geben wird, wenn Sie sich auf diesen Kurs stellen? Völlig unverantwortliche Politik, Herr Henkel! Viel mehr muss man an dem Punkt dazu nicht sagen.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich habe meine Zehn-Minuten-Rede in der Aktuellen Stunde mit einem Appell an die SPD-Fraktion geschlossen und ich tue es noch mal: Ich wünsche mir eine besonnene Innenpolitik, die klar am Rechtsstaat orientiert ist und die es unter dem Innensenator Dr. Körting die längste Zeit gab. Hier sind Sie in der Pflicht. Wir haben vorhin gesagt, dass die Innen- und Rechtspolitik an die CDU abgegeben worden ist. Und ich sage Ihnen eines: Wenn ich den Kollegen Kohlmeier hier höre, frage ich mich eigentlich, warum.

[Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von den PIRATEN]

Sehr viele Freunde scheinen Sie in der SPD-Fraktion nicht zu haben, Herr Kollege Kohlmeier! Heilmann und Henkel scheinen bei Ihnen beliebter zu sein. Das tut mir leid. Bei mir haben Sie in der letzten Legislaturperiode und mit dieser Rede eben hier große Punkte gemacht. Sie haben problematisiert. Herr Schreiber sitzt ja auch schon in der CDU-Fraktion. Da gibt es aus der SPD sozusagen auch Lücken zu füllen. Viel Erfolg, Herr Schreiber! Passen Sie auf, dass Sie nicht zu weit abdriften, sonst landen Sie irgendwann bei den Piraten!

[Heiterkeit bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der SPD und der CDU]

Aber Herr Kohlmeier hat recht, wenn er sagt, dass die Quellen-TKÜ auf rechtsstaatliche Grundlagen gestellt werden muss, dass wir in der Pflicht sind zu beobachten, ob und wie transparent es ist, ob sie wirkt und ob sie auch Begehrlichkeiten weckt und man hier und da teilweise übers Ziel hinausschießt.

[Oliver Friederici (CDU): Na, das sagt hier der Richtige!]

Ja, im Über-das-Ziel-Hinausschießen haben Sie in der CDU-Fraktion wirklich nichts nachzuholen. Sie sind ja in dieser Frage auch durchsetzungsstark. Ich respektiere es politisch. Machtpolitisch habe ich größten Respekt davor, wie es Ihnen gelungen ist, trotzdem eine Law-andOrder-Politik in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln. Man könnte an manchen Punkten vermuten, dass Kurt Wansner da mitgeschrieben hat. Man könnte an manchen Punkten vermuten, dass sich die Law-andOrder-Poltiker der CDU aus den Siebzigern und Achtzigern durchgesetzt haben.

[Senator Mario Czaja: Aus den Zwanzigern!]

Das sieht man, wenn man auf ein Koalitionsprojekt schaut, und zwar auf die Verlängerung des Präventivgewahrsams. Hier wollen Sie ohne Zahlen die Freiheitsentziehung für Berliner verlängern. Sie wollen den öffentlichen Nahverkehr ohne Grund stärker überwachen, Personal abziehen und heimliche Videoüberwachung machen. Auch die Demonstrationen und Versammlungen wollen Sie heimlich mehr überwachen. Funkzellenabfrage kann durchaus kommen. Jedenfalls sind Sie kritiklos. Am Ende

wird das zusammenbrechen wie die Umfrage im „Tagesspiegel“.

[Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Ich habe noch eines, wo ich wirklich die Solidarität der SPD-Fraktion erwarte. Ich habe vorhin beim Thema NSU schon problematisiert, dass Herr Kollege Henkel auf dem rechten Auge nicht ganz so scharf sieht wie auf seinen vielen linken. Ich sage Ihnen hier noch mal eines: Anders als die Resolution, die wir als Haus gegenüber den Opfern der NSU-Attentate verabschiedet haben, anders als dieses Haus spricht die Senatsverwaltung für Inneres immer noch von lediglich zwei Todesopfern rechtsextremer Gewalt. Wir als Haus haben beschlossen, zehn.

[Lachen bei der CDU]

Wir haben mit vielen Personen und Autoritäten aus der Zivilgesellschaft festgestellt, es sind zehn. Herr Henkel! Hier sind Sie in der Pflicht. Hier haben Sie noch nichts getan. Bitte seien Sie ein Innenpolitiker für die ganze Stadt! Darauf warten wir noch.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Als Nächster hat Herr Dr. Juhnke für die CDU-Fraktion das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, dass wir heute über das Thema Quellen-TKÜ reden, weil ich glaube, dass das ein wichtiges Thema ist. Es ist notwendig, sachlich darüber zu reden, auch Aufklärung zu betreiben und der Legendenbildung vorzubeugen, die eventuell im Schwange sein kann. Ich glaube, es ist Frank Henkel gelungen, die Dinge sachlich geradezurücken.

Was habe ich von Herrn Lux erlebt? – Zwei Minuten zum Thema, acht Minuten Blabla, ein bissen karnevalistisch gewürzt, hat fast schon ein bisschen an Herrn Lauer angeschlossen.

Die Begründung der Aktuellen Stunde von Herrn Lauer war noch niveauloser als das, was er danach gesagt hat. Herr Lauer! Ihr Auftreten in diesem Haus, das durchaus als arrogant bezeichnet werden könnte, resultiert vor allem daher, dass Sie meinen, die Zeit sei an Ihrer Seite, Sie hätten die Zeit hinter sich, die alles in Ihrem Sinne regeln wird. In dem Zusammenhang bringen Sie vor allem Kritik an der Form, aber auch am Inhalt dieses Hauses. Die Kritik an der Form teile ich bis zu einem gewissen Grade, und ich glaube, man kann die eine oder andere Sache übernehmen. Was Sie aber inhaltlich bringen, ist teilweise so erschütternd, dass ich den Eindruck habe, dass Sie – wenn Sie so weitermachen – die Zukunft schon hinter sich haben.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Der Begriff der Quellen-TKÜ ist sperrig und ein bisschen erläuterungsbedürftig. Wir haben schon gelernt: Es geht um das Thema Skype, es geht um die Frage von OnlineGesprächen und die entsprechenden Anbieter dafür. Dass es eine technische Notwendigkeit ist, diese Informationen an der Quelle, also direkt am PC abzuzapfen, haben wir ebenfalls gehört.

Nun ist auch die rechtliche Lage besprochen worden. Es gibt eine Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2008, die sich auch auf die Frage bezieht, dass das Persönlichkeitsrecht um die Integrität informationstechnischer Systeme und die Gewährleistung der Vertraulichkeit erweitert wurde. In diesem Urteil heißt es weiterhin:

Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen.

Insoweit haben wir hier eine Rechtsgrundlage, und das BVG stellt ebenfalls fest, dass es sich um eine richterliche Anordnung handeln und der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt werden muss.

Die spezielle Rechtsnorm, die hier einschlägig ist, ist überwiegend § 100a StPO. Das hat Herr Henkel dargestellt. Herr Lux natürlich ein bisschen auf die Probleme und Fehlbarkeit dieser Rechtsgrundlagen abgestellt. Im Großen und Ganzen handelt es sich dabei um eine Mindermeinung von Juristen, die die Bedeutung ihrer Auffassung wesentlich daraus beziehen, dass sie sich regelmäßig wechselseitig zitieren.

In der Tat muss allerdings vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion insbesondere unter dem Stichwort Staatstrojaner sichergestellt sein, dass die eingesetzte Software zur Durchführung der Quellen-TKÜ ausschließlich die rechtlich zulässigen Funktionalitäten aufweist, auch wenn uns Herr Lauer weismachen wollte, das sei physikalisch völlig unmöglich.

[Martin Delius (PIRATEN): Es ist unmöglich!]

Die dafür vorgesehene Prüfung einer kommerziellen Software durch eine unabhängige Stelle ist deshalb zu begrüßen. Das hat das Bundesministerium des Innern verkündet. Es soll beim Bundeskriminalamt ein Kompetenzzentrum für die Entwicklung solcher Software eingerichtet werden. Auch das ist ein begrüßenswerter Schritt.

Die Antwort von Senator Henkel hat ergeben, dass die Maßnahme der Quellen-TKÜ in Berlin bisher keine Rolle gespielt hat, sodass hier keine Erfahrungen vorliegen. Insofern ist es angebracht und etwas erhellend, wenn man

einige Zahlen und Fakten aus der Anhörung im Deutschen Bundestag nennt, um mal die Bedeutung dieser Maßnahme in Deutschland zu würdigen.

Der BKA-Präsident Ziercke hat dargelegt, dass ca. 70 Prozent der Aufklärungserfolge im Bereich der organisierten Kriminalität auf TKÜ-Maßnahmen basieren. Hier ist die gesamte Telekommunikationsüberwachung gemeint, nicht nur die Quellen-TKÜ. Auch das MaxPlanck-Institut hat eindrucksvoll belegt, dass die TKÜ ein wichtiges Instrument ist. Die Anklagequote bei Verfahren, bei denen TKÜ eingesetzt wurde, war mit 58 Prozent etwa doppelt so hoch wie im sonstigen Durchschnitt. Die Verurteilungsquote lag sogar bei 94 Prozent. Sie sehen, wir haben hiermit sogar ein Instrument, das außerordentlich scharf auf diejenigen geht, die tatsächlich verurteilt werden können, und nicht unbedingt auf diejenigen, die unschuldig sind. Die Überwachung der Telekommunikation ist kriminalistisch unverzichtbar, wenn das Internet als Tatmittel für schwere und schwerste Kriminalität eingesetzt wird.

Jetzt komme ich zu den Zahlen, damit hier ein bisschen Rationalität einkehrt: So wurden in der Zuständigkeit des BKA seit Einsatzfähigkeit im Jahr 2007/2008 lediglich 23 Quellen-TKÜ-Maßnahmen durchgeführt. Somit erfolgten lediglich etwa fünf bis sechs Maßnahmen pro Jahr. Das zeigt den absolut restriktiven Umgang mit diesem Instrument. Dabei handelt es sich um acht Maßnahmen zur Abwehr terroristischer Gefahren, und elf Maßnahmen wurden im Rahmen der Strafverfolgung durch die Gerichte angeordnet. Weitere Maßnahmen erfolgten als Hilfestellung für die Landespolizei in verschiedenen Bundesländern. Berlin ist hier nicht dabei, das haben wir gehört. Somit müssen die geschürten Horrorszenarien vom Überwachungsstaat und einer außer Kontrolle geratenen Polizei als Nachweis für unseriöse Skandalisierung zurückgewiesen werden.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Hat doch keiner gemacht!]

Ich habe in der Debatte anderes vernommen. – Es ist auch mal Gelegenheit, das für viele geradezurücken, die sich nicht mit der Thematik beschäftigen und teilweise dem glauben, was in den Zeitungen geschrieben wird, dass es weder Millionen noch Hunderttausende Rechner gibt, die von der Quellen-TKÜ überwacht werden. Auch das ist mal wichtig zu sagen. Vielmehr hat es in den letzten Jahren ca. 100 Maßnahmen durch das BKA und alle 36 deutschen Sicherheitsbehörden zusammen gegeben. Das sind also alle Länder mal zwei plus einige Sonderinstitutionen.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Können doch eine Million Vorgänge sein!]

Das sind nicht eine Million, sondern hundert Maßnahmen, Herr Lux! Wenn Sie zuhören und nicht laufend dazwischen brüllen würden, würden Sie das wissen.

Zu der viel diskutierten Nachladefunktion: Auch die Nachladefunktion hat eine Notwendigkeit, und zwar geht es darum, dass die eingesetzte Software bei einem eventuellen Update von Skype verändert werden können muss. Ansonsten könnte die Kommunikation unter Umständen nicht mehr aufgezeichnet werden. Wer aus dieser Nachladefunktion grundsätzlich unterstellt, dass die Polizei kompromittierendes Material auf den Rechner aufspielt, stellt ein Grundmisstrauen zur Schau, welches letztendlich jede polizeiliche Maßnahme in Deutschland in das Licht des Manipulationsverdachts stellen würde. Das ist eine Haltung, die ich nur missbilligen kann und die darüber hinaus die schwierige und oftmals auch persönlich gefährliche Arbeit der Ermittlungsbehörden verhöhnt.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Quellen-TKÜ ist ein in wenigen, rechtlich genau beschriebenen Fällen unumgängliches Instrument. Die Anzahl der Fälle ist bescheiden. In Berlin gab es bisher keine Anwendung. Informationstechnologie entwickelt sich weiter. Die Sicherheitsbehörden haben angekündigt, ihre Kompetenzen zu bündeln und aus Zweifelsfällen der Vergangenheit zu lernen. Ich bitte daher, unnötige Hysterie zu vermeiden und nicht so zu tun, als stünde die Uhr in Deutschland fünf Minuten vor Lukaschenko. – Vielen Dank!