Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

„Vor der Klimakonferenz in Paris: Vorschläge der Enquete-Kommission ernst nehmen, Berliner Energiepolitik jetzt zukunftsfähig machen.“

(auf Antrag aller Fraktionen)

in Verbindung mit

lfd. Nr. 3:

Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Neue Energie für Berlin – Zukunft der energiewirtschaftlichen Strukturen“

Abschlussbericht Drucksache 17/2500

in Verbindung mit

lfd. Nr. 28:

Transparenz zum Verfahren zur Stromnetzkonzession herstellen

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2535

Zunächst erteile ich dem Vorsitzenden der EnqueteKommission, dem Abgeordneten Stroedter, das Wort für die Berichterstattung über die Kommissionsarbeit. Hierfür sind zehn Minuten vorgesehen. – Kollege Stroedter, Sie haben das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, Ihnen heute nach eineinhalb Jahren Arbeit den Abschlussbericht der EnqueteKommission „Neue Energie für Berlin“ vorstellen zu können. Das Ziel der internationalen Klimapolitik, die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen, stellt die Energiesysteme weltweit vor große Herausforderungen. Für einen erfolgreichen, weltweiten Klimaschutz spielen ergänzende Politikmaßnahmen eine Rolle.

Die Regierungskoalition aus SPD und CDU hat sich mit Eintritt in die 17. Legislaturperiode darauf verständigt, Berlin – das ist ein ehrgeiziges Ziel – bis zum Jahr 2050 zu einer klimaneutralen Stadt zu machen, um hierdurch einen Beitrag zum globalen Klimaschutz und zur Energiewende in Deutschland zu leisten.

[Beifall bei der SPD]

Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wurde untersucht, ob und wie dieses Klimaneutralitätsziel in Berlin erreicht werden kann und welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Durch die Einsetzung der EnqueteKommission „Neue Energie für Berlin“ hat das Land Berlin eine weitere politische Maßnahme ergriffen, um Lösungswege für klimafreundliche energiewirtschaftliche Strukturen in Berlin zu finden und die erforderlichen energiepolitischen Entscheidungen möglichst im überparteilichen Konsens zu treffen. Gemäß § 24 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses wurde die Kommission am 2. April 2014 eingesetzt. Die Kommission besteht aus 16 Mitgliedern. Hiervon sind elf Abgeordnete im Verhältnis zur Stärke der Fraktionen und fünf Experten, die gemeinsam vom Parlament bestimmt wurden. Alle Kommissionsmitglieder waren vollwertige Mitglieder des Gremiums und hatten ein eigenes Stimm- und Antragsrecht.

Im Rahmen von Anhörungen und mittels schriftlicher Stellungnahme wurden Informationen von einer Vielzahl von Experten eingeholt, aber auch von den zuständigen Verwaltungen für Finanzen, Stadtentwicklung, Umwelt, Wirtschaft, Technologie und Forschung. Die dort erhaltenen Daten haben wir kommissionsintern kommentiert. Wir haben sie ausgewertet und haben dann diese Informationen in Schlussfolgerungen umgewandelt und Handlungsempfehlungen für weitere Politikansätze gegeben.

Wir haben in der Enquete-Kommission die durch den Einsetzungsbeschluss vorgegebenen Themen der Berliner Wärme- und Stromversorgung einschließlich der Fragen zu den Interdependenzen dieser Sektoren sowie den jeweiligen Infrastrukturen ausführlich untersucht und diskutiert. Auch der Themenkomplex Institutionen wurde intensiv abgearbeitet, worunter die zukünftige Rolle und die Aufgaben der einzelnen Berliner Akteure sowie die Fragen zur Gründung einer einheitlichen Netzgesellschaft und der Gestaltung des Berliner Stadtwerks fielen.

Ich will das hier deutlich sagen: Um dieses ehrgeizige Ziel einer klimaneutralen Stadt bis zum Jahr 2050 zu erreichen, müssen jetzt weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Ich will deshalb einige nennen, die wir vorschlagen.

Die Kommission empfiehlt den Ausstieg aus der Braunkohle bis zum Jahr 2020 und aus der Steinkohle bis zum Jahr 2030. Das ist nicht mehr lange hin. Die in Berlin vorhandenen Kraftwerke Klingenberg, Moabit und Reuter-West sollen stillgelegt oder zu klimafreundlichen

(Martin Delius)

Gaskraftwerken umgerüstet werden. Die Umstellung der Energiesysteme auf erneuerbare Energiequellen stellt uns vor wirtschaftliche, technologische und politische Herausforderungen. Hierfür müssen – ich sage das auch im Rahmen der anstehenden Haushaltsberatungen – ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt, Investitionen getätigt sowie die Akzeptanz, auch das darf man nicht unterschätzen, der Bürgerinnen und Bürger erhöht werden. Die Energiewende bietet für Berlin zugleich eine große Chance.

Die Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ sieht knapp 50 Prozent der Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich, wo eine energetische Sanierung insbesondere der Reduzierung des Wärmeverbrauchs dient. Deshalb muss der Berliner Gebäudebestand bis 2050 weitgehend energetisch saniert werden. Der öffentliche Bereich sollte hierfür eine Vorbildfunktion übernehmen. Wir wissen alle, dass da noch eine Menge zu tun bleibt.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Darüber hinaus sollten alle Neubauten ohne Abstriche ihren Beitrag zum klimaneutralen Berlin leisten, und da Berlin eine Mieterstadt ist, müssen soziale Belange ein Kernbestandteil der energiepolitischen Umsetzungsstrategie sein.

Die Enquete-Kommission begrüßt ausdrücklich, dass der Senat mit dem Berliner Energiewendegesetz eine wichtige institutionelle Maßnahme für einen legislaturperiodenübergreifenden Politikansatz in Angriff nimmt. Das zentrale Ziel in den kommenden Legislaturperioden muss sein, partei- und fraktionsübergreifend und gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern die Vision einer ökologisch, ökonomisch und sozial zukunftsfähigen Stadt in die Praxis umzusetzen – das klimaneutrale Berlin.

Mein Ziel als Vorsitzender der Kommission war es von Anfang an – wir kennen das aus dem Parlament, aus den Ausschüssen –, die bekannten Auseinandersetzungen zwischen Regierungsfraktionen einerseits und Oppositionsfraktionen andererseits zu verhindern. Die EnqueteKommission war und ist aus meiner Sicht kein Bestandteil einer Regierungsvereinbarung, sondern ihre Aufgabe ist es, über Fraktionsgrenzen hinweg Handlungsempfehlungen für die nächsten Jahrzehnte abzugeben.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Es ist gelungen, einen gemeinsamen Bericht einstimmig zu verabschieden, bei dem es nur in drei Punkten durch die Fraktion der CDU und einen Experten ein Minderheitsvotum gab. Insofern muss man feststellen: Bei 95 Prozent der Thematik haben wir eine gemeinsame Grundlage gefunden. Parlamentarische Arbeit ist nicht dann erfolgreich, wenn sich am Ende die Regierungsfraktionen bei unterschiedlichen Positionen nur auf einen Minimalkonsens geeinigt haben und die Oppositionsfrak

tionen mit der Arbeit völlig unzufrieden sind. Wir wissen alle, dass das erreichte Ergebnis eher die Ausnahme ist. Insofern glaube ich, dass uns inhaltlich nicht nur ein großer Wurf gelungen ist, sondern hier hat im positiven Sinne in diesen anderthalb Jahren Parlamentsarbeit gemeinsam gut funktioniert.

Gleichwohl gab es harte Debatten, unterschiedliche Positionen, einen Kommissionsbericht mit 300 Seiten. Da sind drei Minderheitenvoten sicherlich nicht zu viel. Ich bin sehr zufrieden, dass wir auch bei der aktuellen politischen Debatte klare Positionen mit deutlicher Mehrheit zu strikten Themen wie die Rekommunalisierung von Gas und Strom, die Inhousevergabe und das Berliner Stadtwerk bezogen haben.

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem Land Berlin die Rekommunalisierung des Stromnetzes. Das Stromnetz trägt Monopolcharakter, ist für die Gestaltung der Energiewende wichtig und bietet über die Bürgerbeteiligung und eine genossenschaftliche Beteiligung die aus Sicht der Enquete-Kommission zu realisierende Möglichkeit, dass die Berlinerinnen und Berliner in ihrer Stadt die Energiewende konkret mitgestalten.

Auch das Gasnetz ist ein natürliches Monopol und stellt auf absehbare Zeit einen wichtigen Teil der Energieversorgung und damit der öffentlichen Infrastruktur dar. Die Enquete-Kommission spricht sich ebenfalls für eine vollständige Rekommunalisierung des Gasnetzes aus. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass der Kaufpreis des Gasnetzes nicht den Ertragswert übersteigt, den dieser unter den Bedingungen einer konsequenten Klimapolitik, die Berlin bis 2050 klimaneutral machen kann, noch hätte.

Auch für das Fernwärmenetz empfehlen wir, sorgfältig zu prüfen, welche Voraussetzungen gegeben sind, auch hier eine Übernahme zu machen. Auch dieses halten wir für sinnvoll.

Darüber hinaus empfiehlt die Enquete-Kommission dem Senat – wir kennen die aktuelle Debatte um die Netze –, im Bundesrat für klare rechtliche Regelungen einschließlich der Möglichkeit der Inhousevergabe einzutreten. Eine Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes ist dringend erforderlich.

Zur Umsetzung der Energiewende ist der weitere Ausbau des kommunalen Stadtwerks eine wichtige Voraussetzung. Für die Enquete-Kommission steht fest, dass das Stadtwerk derzeit als Tochter der BWB aufgrund der gesetzlichen Restriktionen weit hinter den Erfordernissen zurückbleibt. Die Berliner Wasserbetriebe haben das sogenannte Berliner Modell als Option vorgeschlagen, das sich vom beschlossenen Modell im Wesentlichen durch die Möglichkeit des Handelns mit zugekauftem Strom über den selbstproduzierten Strom aus Solar und

Windkraft hinaus unterscheidet. Für dieses Modell gibt es keine gesetzliche Grundlage. Wir möchten, dass diese eingeführt wird.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Die aktuellen Beschlüsse des Senats von Dienstag sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist bedauerlich, dass der Koalitionspartner gegen die große Mehrheit in der Enquete-Kommission und, wie beide Volksentscheide Wasser und Energie zeigen, gegen die Auffassung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung nicht bereit ist, eine vollständige Rekommunalisierung in den Bereichen Gas und Strom zu erreichen.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Es wäre insgesamt wichtig, dass die Beschlüsse der Enquete-Kommission „Neue Energie“ in praktische Politik umgesetzt werden, damit die vorgenommenen Ziele erreicht werden können. Wir haben der Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben, sowohl über den Zwischen- als auch den Abschlussbericht zu diskutieren. Wir hatten Pressekonferenzen. Wir hatten Podiumsdiskussionen. Allein gestern waren 300 Leute da. Das zeigt, wie groß das Interesse ist. Ich glaube auch, es wäre gut, wenn zukünftige Enquete-Kommissionen mit Ausnahme der Sitzung zur Abfassung des Zwischen- und Endberichts öffentlich tagen, was aber einer Änderung der Geschäftsordnung des Berliner Abgeordnetenhauses bedarf.

Abschließend möchte ich mich bei allen Mitgliedern der Enquete-Kommission für die geleistete Arbeit in den letzten anderthalb Jahren bedanken. Für uns alle war das eine zusätzliche Tätigkeit neben den sonstigen Aufgaben. Mein Dank gilt besonders den gewählten Experten. Die haben dafür gesorgt, dass wir immer zum Konsens gekommen sind.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Mein Dank gilt ebenso dem Ausschussbüro, Frau Hüfken, Frau Kahlert und den anderen Mitarbeitern, die für einen reibungslosen Ablauf der Sitzungen gesorgt haben.

[Allgemeiner Beifall]

Mein Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen, den Referentinnen und Referenten der Fraktionen, die sehr intensiv und sehr konsequent mitgearbeitet haben.

Ich hatte bei der Übernahme des Vorsitzes der EnqueteKommission das Ziel, einen Bericht zu erstellen, der inhaltlich den gesamten Komplex abbildet und gleichzeitig konkrete Empfehlungen für die nächsten Jahre und sogar für die nächsten Jahrzehnte enthält. Mein Ziel als Vorsitzender war, trotz eigener inhaltlicher Positionen alle Fraktionen und Experten in die gemeinsame Arbeit einzubringen, damit auf allen Seiten eine möglichst große

Zufriedenheit vorhanden ist. Ich glaube, dies ist gelungen. Und deshalb möchte ich mich bei allen Beteiligten, aber auch beim Parlament insgesamt für das Vertrauen in meine Arbeit bedanken.

[Allgemeiner Beifall]

Vielen Dank, Herr Stroedter, für diesen Bericht! – Für die Besprechung der Aktuellen Stunde sowie des Abschlussberichtes und für die Beratung des Tagungsordnungspunktes 28 steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. – Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! – Lieber Herr Vorsitzender Stroedter! Ihrem Dank schließen wir uns in vollem Umfang an, und ich möchte diesen Dank noch um einen Punkt ergänzen: Sie haben durch Ihre Sitzungsleitung einen ganz entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass in dieser Kommission ein Klima herrschte, in dem Argumente gezählt haben, das recht frei war von Parteitaktik und sonstigen Überlegungen, ein Klima des Diskurses – fast das parlamentarische Ideal –, und Sie haben die Sitzungen stets unparteiisch geführt, und dafür ganz herzlichen Dank! Sie haben damit einen ganz großen Beitrag zum Erfolg dieser Kommission geleistet.

[Allgemeiner Beifall]