Protokoll der Sitzung vom 10.12.2015

Letztes Beispiel: Gestern gab es im Hauptausschuss noch mal eine Anhörung einer Volksinitiative. Wenn sogar die Beamtinnen und Beamten in dieser Stadt zu dem Mittel der Volksinitiative greifen, dann ist doch echt was zu spät.

Noch ein Beispiel für die Inkonsequenz: Statt sich auf Megasportevents zu kaprizieren, was okay sein kann – Herr Graf hat es angesprochen; auch da sind wir offen, wir waren auch bei Olympia gesprächsbereit –, sollten Sie nicht unerwähnt lassen, dass Sie gleichzeitig die Übungsleiterinnen und Überleiter und die Trainerinnen und Trainer vor Ort einfach nicht ausbauen und im Zweifel angesichts der wachsenden Stadt die Kapazitäten dort verringern. Dabei ist dieser Haushalt nach Jahren etwas Besonderes, weil er angesichts der Haushaltsüberschüsse viel politischer sein könnte als die vorherigen. Seit Jahren lohnt es sich wieder, über politische Weichenstellungen nachzudenken. Aber statt zum Beispiel Ihrer eigenen Linie der fahrradgerechten Stadt Rechnung zu tragen und den eigenen Aussagen zur Stärkung des ÖPNV Taten folgen zu lassen, sind kaum Mittel im Tiefbau für diese Bereiche vorhanden.

Statt sich einer echten Debatte über die Zukunft der Gemeinschaftsschulen zu stellen zum Beispiel und das Erfolgsprojekt weiter zu stärken, war die Koalition nurmehr zum langsamen Sterbenlassen in der Lage, zumindest sieht es im Haushalt so aus. Inzwischen gibt es Umfragen, die belegen, dass die Menschen in dieser Stadt weitere Reformen im Schulsystem möchten und vor allen Dingen in Sachen Chancengleichheit und Inklusion mehr Veränderungen haben wollen. Die politische Debatte dafür führen wir seit Jahren. Es wäre jetzt an der Zeit gewesen, Entscheidungen zu treffen, z. B. endlich genügend Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter zu finanzieren.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir haben das mehrfach beantragt, sind doch 56 Millionen Euro, und das hilft den Leuten in dieser Stadt. Es hilft den Kindern, den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Schulleitungen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben. Es wäre direkt eine Maßnahme, die schlüssig und sinnvoll umzusetzen ist.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Das will die Koalition nicht!]

Aber für Inklusion stehen nur sukzessiv Schwerpunktschulen an, aber auch diese sollen dann nur bei Bedarf behindertengerecht ausgebaut werden. Das ist keine politische Entscheidung für Inklusion, das ist Hinhaltetaktik.

[Beifall bei den PIRATEN]

Sie geben Geld für Maßnahmen aus, deren Sinnhaftigkeit nicht nachgewiesen ist. Ein paar Beispiele: Das Land Berlin zahlt z. B. 30 000 Euro für die Pflege einer Überwachungssoftware, die es nicht einsetzen darf. Hier ist längst eine politische Entscheidung fällig. Die Koalition zahlt brav weiter. Genauso bei der Frage der Sinnhaftigkeit einer halben Stelle als Abschiebebeobachter. Es ist überhaupt nicht klar, was da geleistet werden kann, wenn Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit – auch diese Menschen haben ein Recht darauf – von Geflüchteten durch Abschiebung bedroht sind. Hier ist die politische Debatte nötiger denn je, und Ihr eigener Innensenator hat sie aufgemacht. In meinen Ohren klingt es grotesk, aber er wollte, dass Lehrkräfte die entsprechenden Schülerinnen und Schüler und Klassen human auf die Abschiebung dieser Schülerinnen und Schüler vorbereiten. Wie soll das denn laufen, wenn das Land Berlin überhaupt gar keinen Überblick darüber bekommt und auch offensichtlich nicht bekommen will, wie human oder inhuman Abschiebungen aus diesem Land ablaufen?

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Da hätte man politisch diskutieren können, genauso auch bei den Jugenddemokratiefonds – Herr Saleh hat es angesprochen –, Kampf gegen Radikalisierung und Extremismus oder wie es auch immer heißen soll. Ein anderes Beispiel: Die Senatorin für Bildung hat sich stark gemacht dafür, ich bin da kritisch gewesen, inzwischen ist das offensichtlich ein Erfolgsprojekt: Die Jugenddemokratiefonds funktionieren. Sie tragen zur politischen Bildung und zur Stärkung der öffentlichen und privaten oder freien Einrichtungen in diesem Bereich bei und sind gerade in Zeiten von AfD und PEGIDA immer wichtiger. Wir hätten darüber reden können, dass Sie das stärken. Sie hätten es Ihrer eigenen Koalitionslinie nach stärken müssen. Das haben Sie nicht getan.

Nein, es stimmt nicht, dass die Mobilitätszuschüsse – wer hat das denn gesagt, ich glaube, auch Herr Graf – wirklich gestiegen sind. Wahllos fahren Sie sinnvolle soziale

Ausgaben zurück. Es ist überhaupt nicht zu erklären, warum Sie die Förderung der Mobilität von behinderten Menschen mit dem Taxikonto trotz zweier Tariferhöhungen allein in diesem Jahr um mehr als ein Viertel, also 320 000 Euro kürzen. Sie geben den Berliner Bäder-Betrieben ganze 4 Millionen Euro für Sanierung und Tariferhöhungen, ohne sich mal darüber Gedanken zu machen, was für eine Sanierung denn überhaupt sinnvoll ist angesichts der Tatsache, dass schon sanierte Bäder noch mal saniert werden müssen, weil es nicht funktioniert hat mit der Sanierung im Bestand. Auch darüber hätte man sich politisch mal austauschen können.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Dr. Gabriele Hiller (LINKE)]

Es fehlt an echter Entscheidungs- und Richtungskompetenz in dieser Koalition. Sie freuen sich wie Schneekönige darüber, dass so viele Start-ups in die Stadt ziehen. Der Regierende Bürgermeister lobt eine digitale Hauptstadt aus, aber mit echter Wirtschafts- und Gründungsförderung ist es nicht weit her. Sie erhöhen im Haushalt die Mittel für das Berlin-Marketing, Werbung. Kann ja auch nicht schlecht sein. Sie machen aber Werbung für ein Produkt, dessen Leistung Sie gleichzeitig einschränken. Denn tatsächlich werden die Wirtschaftsförderungsinstrumente um mehr als die Hälfte der Mittel heruntergeschraubt. Sie machen Marketing für eine Leistung, die Sie gar nicht erbringen können. Das ist eine klassische Blase. Davon hat die Wirtschaft in der Stadt überhaupt nichts.

Wenn Sie den Wirtschaftsmotor dieser Stadt am Laufen halten und so die Einnahmen der nächsten Jahre sichern wollten, würden Sie Infrastruktur und öffentliche Unternehmen stärken und darin investieren. Die öffentlichen Unternehmen müssen aber weiter für Ihre Einnahmentitel herhalten. Wir hatten das Thema gerade in den Zwischenrufen. Die BSR z. B. zehrt seit Jahren von der Substanz und brauchte dringend Kapital, um in die wachsende Stadt zu investieren. Von der Entschuldung der BVG wagt in dieser Stadt gar keiner mehr zu reden.

[Beifall bei den PIRATEN]

Sie investieren natürlich auch, das lässt sich nicht leugnen, aber worin investieren Sie denn? – In den BER, wobei noch gar nicht abzusehen ist, welche Auflagen Sie für dessen Subventionen bekommen und wann die EUKommission dem zustimmt. In das ICC – dass steht auch noch im Haushalt –, obwohl es als Kongressfläche erst mal völlig unbrauchbar und an einen Umbau überhaupt nicht zu denken ist, weil Sie es brauchen, um Geflüchtete unterzubringen. Es steht für die zwei Jahre im Haushalt. Und nicht zuletzt, um Ihren selbstgeschlagenen Wunden Pflaster aufzudrücken, siehe sauteure S-Bahn-Ausschreibung. Bravo!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Sie wollen in Projekte investieren, die danach ausgewählt wurden, wie schnell sie umsetzbar sind. Immerhin. Allerdings darf das doch nicht das einzige Kriterium sein. Am Beispiel Schulsanierung, Schulneubau lässt sich wunderbar ablesen, wo die eigentlichen Probleme liegen. Der Sanierungsstau wird am Ende nur da abgearbeitet, wo es jetzt schon die Möglichkeit gibt, ihn abzuarbeiten, wo Personal und Kapazitäten für die schwer zu steuernden Aufgaben vorhanden sind. Und statt systematisch zu entscheiden, möchte der Senat die Frage, was finanziert werden soll, inklusive Pädagogik und soziale Arbeit oder die Sanierung des maroden Dachstuhls, lieber den Schulen überlassen. Das 20 000-Euro-Programm ist zwar nett gedacht, und ich unterstütze solche Programme zur freien Verwendung der Schulen natürlich auch, wird aber nicht dazu führen, dass schneller saniert wird, sondern Schulen und bezirkliche Bauämter zusätzlich belasten, jene Bauämter, die zwar einen leichten Aufwuchs bekommen – wir reden hier von 120 neuen Stellen für die Ämter in den Bezirken, davon sind die Bauämter ja nur eins –, aber schon jetzt unter den zusätzlichen Aufgaben wie der Herrichtung von Räumlichkeiten für die Geflüchtetenunterbringung verstärkt im öffentlichen Wohnungsbau, Straßen- und Brückenbau ächzen. All das sind Aufgaben der wachsenden Stadt. Die erledigen Sie nicht, wenn Sie der Projektitis und Verantwortungsdiffusion anheimfallen.

[Beifall bei den PIRATEN]

Sie brauchen einen systematischen Vorschlag für die nächsten Jahre, wie alle Beteiligten gleichberechtigt an der Lösung des Problems mitwirken können. Sie müssen die bezirklichen Bauämter vielleicht doch erst mal in die Lage versetzen, Frau Senatorin, auch an Ihre Adresse, ihre Statusabfragen zu beantworten, ohne Sorge haben zu müssen, dass sie dann vor neuen Projekten im nächsten Jahr kollabieren.

Zur Statuserhebung bei der Schulsanierung und -entwicklung, weil wir dazu nachher nicht reden, haben die Linken heute zwei Anträge eingebracht, die ich teile und zu denen ich meiner Fraktion die Zustimmung empfehle.

Mein Kollege Heiko Herberg hat in der ersten Lesung des Haushalts davor gewarnt, ohne Systematik, ohne Plan Geld aus dem Fenster zu werfen.

[Torsten Schneider (SPD): Ehrlich?]

Hat er gemacht.

[Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Er hat Ihnen unsere Gesprächsbereitschaft angeboten.

[Torsten Schneider (SPD): Deswegen haben wir ja auch alle Anträge abgelehnt!]

Gesprochen haben wir nicht nur heute, inzwischen fast zweieinhalb Stunden. Gesprochen haben wir in den letzten Wochen viel über diesen Haushalt. Eine Systematik, wie er sie eingefordert hat, kann ich nicht erkennen.

Vielmehr gewinnt man immer öfter den Eindruck eines Kuhhandels mit der Öffentlichkeit. Sie sagen z. B., der dringend notwendige Ausbau von Kitakapazitäten kommt nur, wenn gleichzeitig die Beitragsfreiheit eingeführt wird, warum auch immer. Das packt die Koalition dann auch noch in einen gemeinsamen Antrag, sodass man sich nicht unterschiedlich zu den einzelnen Aspekten entscheiden kann. Natürlich geben Sie nicht genügend Geld für beides aus. Was Sie machen, ist, es mit der einen Hand zu geben und mit der anderen Hand zu nehmen. Das ist grotesk,

[Torsten Schneider (SPD): So ein Quatsch!]

und es ist unehrlich.

[Beifall bei den PIRATEN]

Herr Schneider! Lesen Sie doch Ihre E-Mail! Das ist die mit dem Socken im Betreff; die erklärt Ihnen das noch mal, von heute Morgen. Landeselternausschuss Kita. – Das setzt sich in anderen Teilen des Haushalts fort. Sie erkennen – das ist richtig –, dass Sie mehr Integrationsleistungen brauchen, und geben 12,5 Millionen Euro dafür aus. Gleichzeitig behauptet dann aber die Koalition, dass es angesichts der wachsenden Stadt und der steigenden Geflüchtetenzahlen keinen Mehrbedarf für Hilfen zur Erziehung in den Bezirken gibt. Das ist doch widersprüchlich in sich. Sie wollen die Ausländerbehörde neu organisieren, meinetwegen, kann man machen, muss man sich drüber unterhalten, kostet 120 000 Euro. Das ist grundsätzlich ja okay, gleichzeitig stagnieren aber die Mittel für die interkulturelle Öffnung genau dieser Behörde. Welches Konzept soll denn hinter einer neuen Ausländerbehörde stehen, die Sie nicht den neuen Aufgaben entsprechend schulen wollen und können? – Mehr Integration baucht eben auch mehr Kompetenzen, das haben Sie da offensichtlich vergessen. Jetzt ist es zu spät, da noch was reinzufahren.

Apropos mehr Integrationsleistungen: Im Rahmen der Geflüchtetenhilfe wollen Sie 12,5 Millionen Euro für Integrationsleistungen zur Verfügung stellen. Das sind pauschale Mehrausgaben. Genauso stellen Sie pauschale Mehrausgaben für die Unterbringung von Geflüchteten in dieser Stadt ein. Das ist richtig. Was Sie dann aber machen, ist grotesk. Sie verrechnen beide Titel miteinander und gehen so das Risiko ein, dass die Integrationsleistungen für die zu erwartenden Prognoseerhöhungen im nächsten und übernächsten Jahr gekürzt werden müssen, damit man noch Geld für die Unterbringung hat. Das kann man nicht machen, und das widerspricht auch Ihrem eigenen Finanzsenator, der gesagt hat: Für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten müssen wir keine anderen Ausgaben kürzen. Sie gehen damit ein Risiko ein, das ich nicht tragen wollte. Richtig und sinnvoll wäre, dass beide Titel, beide pauschalen Mehrausgaben mit den Zahlen, die uns dann vorliegen, transparent und kontrollierbar mitwachsen müssten, im Zweifel dann auch mit einem Nachtragshaushalt.

Widersprüchliches reiht sich an Widersprüchliches. Noch kurz etwas zur wohnungspolitischen Debatte: Die führen wir seit Jahren immer wieder, und es ist auch alles richtig bzw. gut, diskutiert zu werden. Aber dass endlich einmal Geld in die Hand genommen wird, heißt nicht, dass es wirklich zu Verbesserungen beiträgt. Viel hilft insbesondere dann nicht viel, wenn man neben Neubauprogramm und neuen Erschließungen den Bestand und die möglichen Hilfen zur Sanierung und Förderung von sozialverträglich saniertem Altbau völlig außen vor lässt. Viel hilft dann auch nicht viel gegen Verdrängung und Mieterarmut. – Ihr dürft klatschen.

[Beifall bei den PIRATEN]

Und da der Kuhhandel in alle Richtungen geht, gibt es auch etwas für die Opposition zu loben. Das kann ich dann jetzt auch einmal machen: Sie finanzieren endlich eine anständige Gewaltschutzambulanz. Ja, es könnte mehr sein, aber offensichtlich hat der Druck aus der Opposition und vor allen Dingen auch von den Menschen vor Ort und von denen, die es dann machen sollen und wollen, etwas gebracht. Das ist positiv. Was Sie nicht tun, ist, eine vertrauliche Spurensicherung einzuführen.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Nein, tun Sie nicht! Die Haushaltsberatungen sind doch vorbei, warum sollen wir uns jetzt im Detail noch darüber unterhalten, Herr Schneider? Das ist doch Quatsch. Sie stimmen doch dem zu.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Nein, vertrauliche Spurensicherung ist mit den Mitteln, die Sie einstellen, so nicht möglich, in Ansätzen schon. Auch da liegt Berlin ganz weit hinten im Bundesvergleich.

[Zurufe von Torsten Schneider (SPD) und Lars Oberg (SPD) – Zurufe von den PIRATEN]

Ja, ja, regen Sie sich doch nicht auf! – Sie können noch eine persönliche Erklärung abgeben, Herr Schneider. Das steht Ihnen als Abgeordneter jederzeit frei.

Es wird nun doch einen Karneval der Kulturen geben – immerhin. Es wurde lange darüber gestritten, offensichtlich der wichtigste Streitpunkt in der Koalition. Und es gibt die Mittel aus dem Bonusprogramm für die freien Schulen. Wir haben seit Jahren darüber gestritten, und das ist auch gut so, und es ist auch folgerichtig, dass es sie gibt, denn auch freie Schulen tragen dazu bei bzw. beschäftigen sich mit sogenannten sozialen Brennpunkten und schrecken vor der Verantwortung nicht zurück. Das alles kann dann aber auch nicht darüber hinwegtäuschen – ich habe es eingangs gesagt –, dass die Haushaltssystematik und die politische Systematik in diesem Haushalt völlig fehlen.

[Torsten Schneider (SPD): So wie in Ihrer Rede!]

Sie haben sie zur Hälfte nicht gehört,

[Torsten Schneider (SPD): Ist auch sehr anstrengend. – Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

weil Sie so viel geschrien haben, Herr Schneider! Sie können es im Protokoll dann noch einmal nachlesen. Das ist alles gar keine Frage. Bei YouTube steht es dann auch.

Die Verantwortungsdiffusion wird weiterbetrieben. Die Menschen in dieser Stadt werden mit diesem Haushalt nicht an der wachsenden Stadt beteiligt, und die Situation wird damit nicht nachhaltig besser. – Vielen Dank!