Protokoll der Sitzung vom 10.12.2015

Die Verantwortungsdiffusion wird weiterbetrieben. Die Menschen in dieser Stadt werden mit diesem Haushalt nicht an der wachsenden Stadt beteiligt, und die Situation wird damit nicht nachhaltig besser. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Delius! – Für den Senat hat jetzt das Wort der Regierende Bürgermeister. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen und Monaten hat uns vor allem ein Thema beschäftigt, nämlich die Aufnahme von Zehntausenden Menschen in unserer Stadt, die bei uns Schutz suchen. Ich sage auch an dieser Stelle noch einmal ganz klar: Die deutsche Hauptstadt hält Kurs. Wir sind eine weltoffene und tolerante Metropole, und wir wollen es auch sein. Berlin bekennt sich zu einer humanen und solidarischen Flüchtlingspolitik.

[Beifall]

Keine Frage, das darf man auch nicht schönreden, es ist eine große und schwere Aufgabe, die wir hier zu leisten haben. Wir müssen ständig überprüfen, ob das, was wir organisieren, zielgerichtet und gut ankommt, und was zu verbessern ist.

Ich habe mir in den letzten Wochen jeden Abend zu unterschiedlichsten Zeiten selbst ein Bild von der Situation am LAGeSo gemacht, und ich kann Ihnen sagen, dass auch ich nicht länger akzeptieren kann und will, auch in Anbetracht der vor uns stehenden, noch kälter werdenden Jahreszeit, dass Menschen vor einem Zaun stehen und in leere, beleuchtete und beheizte Zelte gucken. Wir werden diese Zelte in den nächsten Tagen öffnen, um die Wartesituation für die Menschen vor Ort zu verbessern. Wir werden ein neues Wartesystem für die, die registriert sind, installieren, sodass diese Situation aufgelöst wird, dass einige glauben, wenn sie in den frühen Morgenstunden dort vor Ort sind, dass sie dann schneller und besser bearbeitet werden als andere. Ich habe auch selbst die Gespräche geführt, dass wir ab Anfang Januar zusätzliches Personal von externen Dienstleistern mit an Bord haben, die uns helfen, in eine noch bessere und schnellere Bearbeitungssituation am LAGeSo zu kommen.

[Beifall bei der SPD]

Herr Wolf hat danach gefragt. In meiner Regierungserklärung habe ich neun Punkte angesprochen, die mir wichtig sind und als weitere Bausteine umgesetzt werden müssen, nicht, um alles zu lösen, aber um die Situation zu verbessern. Diese Punkte sind entweder schon komplett umgesetzt, oder sie sind in der Bearbeitung.

Sie haben auch wieder konkret nach dem TempelhofGesetz gefragt: Kommt das? Muss das sein? – Ja, es muss sein, und es wird im Januar auch kommen, auch getragen von den Koalitionsfraktionen. Wir brauchen weitere Möglichkeiten auch in Tempelhof. Ich bin gespannt, Herr Wolf, ob Sie irgendwann zur Unterbringungssituation auch einmal eine klare Haltung haben werden.

[Udo Wolf (LINKE): Haben wir! – Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Das, was ich bei Ihnen erlebe, ist das, was ich bei vielen anderen Leuten auch erlebe, die sich einfach nicht die Finger schmutzig machen wollen.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von der LINKEN]

Turnhallen auf keinen Fall belegen, das ist nicht gut! – Es ist ein Eingriff, ich sehe das auch so. Wir treffen damit viele Menschen. Kinder und Jugendliche treffen wir. Turnhallen nicht belegen! – Freie Flächen nutzen für neue Baumaßnahmen? – Auf keinen Fall die freien Flächen nutzen!

[Zuruf von Udo Wolf (LINKE)]

Sie haben doch die Beispiele genannt. Wir müssen erst einmal alle anderen Einrichtungen nutzen. – Großeinrichtungen wie Tempelhof nutzen? – Auf keinen Fall! Das ist ein untragbarer Zustand für die Menschen, die dort untergebracht werden.

[Zurufe von Udo Wolf (LINKE) und Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Herr Wolf! Auch Sie, auch in der Opposition hat man eine Verantwortung, mal eine Antwort zu geben und nicht nur zu kritisieren, und das erwarte ich auch von Ihnen.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Udo Wolf (LINKE): Wo ist denn Ihre Liste mit den Immobilien? – Zurufe von den PIRATEN]

Sie können noch so viel schreien und Anträge schreiben, es kann noch so viele Artikel geben, ich bleibe bei meiner Position. Ich sage, was aus meiner Sicht richtig und gut läuft und was nicht richtig und gut läuft, und ich bin auch selbstkritisch. Es gibt Dinge, die müssen nach wie vor verbessert werden, obwohl sich in den letzten vier Wochen wieder viel getan hat. Was gestern passiert ist, war aus meiner Sicht eine wichtige, eine fällige Aussage, eine überfällige Personalentscheidung am LAGeSo. Das ist richtig. Ich glaube, dass es nötig ist, dass wir dort auch

(Martin Delius)

mit einem anderen Anspruch und einer anderen personellen Situation arbeiten.

Aber trotzdem, auch das will noch einmal einordnen, auch in Richtung Frau Pop: Sie reden von einer humanitären Katastrophe. Diese Formulierung ist eine Begründung für Kriegseinsätze. Ich erwarte, dass man Maß hält, auch in dieser Debatte. Auch wenn man Dinge kritisiert, kann man Maß halten.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Man kann vor Ort Dinge kritisieren und gleichzeitig aber auch sagen – auch das lasse ich mir nicht nehmen –, dass gerade auch die Arbeit der Koalition dazu geführt hat, dass wir 60 000 Menschen in unserer Stadt helfen konnten. Das, was wir in dieser Stadt leisten, ist mehr, als das gesamte große Flächenland Rheinland-Pfalz leistet, und da haben wir vielen Menschen schon sehr gut helfen und eine gute Perspektive bieten können.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Es bleibt dabei: Es ist eine große und schwere Aufgabe, für die niemand wirklich ein Patentrezept hat, einen Weg, der immer eins zu eins so umzusetzen ist, sondern wir müssen ständig prüfen. Aber diese Aufgabe ist leistbar. Und wenn es uns in einer großen Kraftanstrengung gelingt, die aktuelle Krise zu überwinden und den Menschen hier einen guten Neuanfang zu ermöglichen, auch mit der Unterstützung des Bundes – den ich auch aus seiner Verantwortung nicht entlassen werde; es ist Aufgabe, dass auch das umgesetzt wird, was Frau Merkel angekündigt hat: dass die Länder besser unterstützt werden und dass es internationale Lösungen gibt – na, dann mal jetzt los damit, wir brauchen das in den Ländern! Wenn der Bund auch diese Verantwortung übernimmt, dann ist es aus meiner Sicht möglich, nicht nur diese Krise zu überwinden, sondern weiterhin Menschen zu helfen und auch gestärkt aus dieser Situation in Berlin herauszukommen.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von der SPD]

Aber Berlin steht eben auch vor einer anderen außergewöhnlichen Herausforderung, die mit einer sehr guten Nachricht, mit einer höchst erfreulichen Entwicklung einhergeht, nämlich damit, dass Berlin zu einer weltweit beachteten Metropole geworden ist, in der es einen neuen Gründergeist gibt. Berlin ist eine Stadt, die kreative und kluge Köpfe aus aller Welt anzieht und zu einer wachsenden Stadt geworden ist. Beim Wirtschaftswachstum – ich glaube, Herr Graf hat das schon angesprochen – liegt Berlin mit über 18 Prozent in den letzten zehn Jahren bundesweit an der Spitze. Die Bevölkerung wächst. All dies bedeutet Dynamik, bedeutet neue Chancen für Berlin, aber eben nur, wenn wir jetzt in die Zukunft der Stadt investieren, wenn wir die Verwaltung stärken, auch mit neuem Personal, wenn wir in Schulen und Kitas, in Bürgerdienstleistungen, in die Sicherheit – ja, auch! – und in

die Infrastruktur investieren. Und genau dafür steht dieser Haushalt.

Daher sage ich: Statt „arm, aber sexy“ muss es in nächster Zeit heißen: „smart, aber sexy“. Statt „sparen, bis es quietscht“ muss die Überschrift sein: „konsolidieren und investieren“. Das alles, der harte Sparkurs, hatte seine Berechtigung. Völlig richtig, nur so konnten wir uns Spielräume erarbeiten. Aber es ist immer noch so, dass wir uns nicht alles leisten können.

Jetzt aber ist die Zeit zum Umsteuern gekommen. Einige Bereiche, richtig angesprochen von Ihnen, sind zu lange auf Verschleiß gefahren. Das sehen wir in den Bürgerämtern, richtig! Das sehen wir beim LAGeSo, das sehen wir beim Sanierungsstau in Schulen oder Straßen. In einem ersten Schritt haben wir im Januar in unserer Senatsklausur auch mit dem Umsteuern begonnen. Dieser Doppelhaushalt steht jetzt für einen Paradigmenwechsel. Er steht dafür, dass wir auf allen Politikfeldern dem Wachstum Berlins Rechnung tragen. Berlin ist eine wachsende Stadt. Damit, wie gesagt, verbinden sich große Chancen, und die wollen wir nutzen. Wir investieren in ein Berlin, das wirtschaftlich leistungsstark und kulturell attraktiv ist, eine attraktive Metropole im Herzen Europas, aber eben auch eine solidarische Stadt, die nicht nur für wenige da ist, die es sich leisten können, sondern die eine Stadt ist für alle, eine Stadt, die in allen Teilen bezahlbaren Wohnraum schafft, ihre Infrastruktur auf Vordermann bringt und ausbaut, eine Stadt, die ihren Bürgerinnen und Bürgern bessere Dienstleistungen bietet, die in die innere Sicherheit investiert, in Bildung und Wissenschaft. Aber vor allem investieren wir in eine Stadt der Arbeit, in eine Stadt, die Aufstiegschancen und gute Arbeitsplätze bietet,

[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

wirtschaftliche Stärke und solidarischen Zusammenhalt – dafür steht dieser Doppelhaushalt, über den Sie heute abstimmen werden.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Die größte Chance, das Wachstum der Stadt, ist zugleich auch Berlins größte Herausforderung. Wenn Berlins Wirtschaft wächst, dann bietet das vielen Menschen eine Chance, einen Job zu finden. Die niedrigste Arbeitslosenrate seit 1991, das ist ein großer Erfolg. Das zeigt: Berlin ist attraktiv für Investoren und für kluge Köpfe von außen, für Menschen mit Unternehmergeist.

Gleichzeitig erleben wir: Es wird enger in der Stadt. Der Wohnraum wird knapp, Busse und Bahnen voller. Das Leben im Zentrum wird teurer. Ja, wir wollen die Chancen der wachsenden Stadt nutzen, aber wir wollen auch, dass Berlin im Wachstum der Stadt seinen Charme und seinen Zusammenhalt nicht verliert. Wir wollen – noch mal betont – eine menschliche und lebenswerte Metropole.

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

In diesem Haushalt setzen wir dafür dieses klare Signal. Seit 2012 haben wir jedes Haushaltsjahr mit einem Überschuss abschließen können. Und auch mit dem Doppelhaushalt für 2016 und 2017 werden wir ohne Neuverschuldung auskommen und schrittweise Schulden tilgen. Ich weiß – Sie haben das ja auch wieder betont –, dass jetzt manche den Wunsch haben, Haushaltsüberschüsse nicht zum Abbau der Schuldenlast zu nutzen, sondern für noch mehr Investitionen und andere Aufgaben in der Stadt. Das kann ich verstehen. Es gibt auch viele sinnvolle Aufgaben, für die wir das Geld einsetzen könnten. Aber wir müssen auch an die nächste Generation denken. Immer noch lastet ein Schuldenberg von rund 60 Milliarden Euro auf Berlin. Niemand weiß, wie lange die Niedrigzinsphase anhält und wann die Zinsen und damit Berlins Ausgaben wieder steigen. Verantwortliche Politik heißt daher, schrittweise weiter die Schulden zu tilgen und gleichzeitig in die Zukunft, in den solidarischen Zusammenhalt der Stadt zu investieren. Ich nenne so etwas solides Wirtschaften.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Torsten Schneider (SPD): Jawohl!]

Wir haben einen harten und auch schmerzhaften Konsolidierungskurs hinter uns. Er trägt jetzt Früchte. Die Steuereinnahmen wachsen, unsere öffentlichen Unternehmen sind gesund. Herr Delius hat die Situation bei der BVG kritisiert. Ja, es ist immer noch eine schwierige Finanzsituation, aber wir haben ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsunternehmen.

[Martin Delius (PIRATEN): Es soll ja so bleiben!]

Wir investieren in dieses Unternehmen und machen, Schritt für Schritt, immer bessere Angebote. Unsere kommunalen Wohnungsunternehmen bauen wieder und erweitern ihre Bestände für die Berlinerinnen und Berliner für mehr bezahlbare Wohnungen in unserer Stadt. Mit der BSR ist gerade erst ein Unternehmensvertrag abgeschlossen worden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in öffentlichen Unternehmen sind Leistungs- und Sympathieträger in unserer Stadt, sie sind Garanten einer funktionierenden Daseinsvorsorge. Nach vielen schweren Jahren sind wir gerade in diesem Bereich der öffentlichen Dienstleistung, der Daseinsvorsorge für die Menschen, sehr gut aufgestellt.

Genau das ist mir wichtig, dass wir da anknüpfen und auch weiter investieren, dass wir in diesem Bereich auch noch besser werden in den nächsten Jahren. Genau deshalb gibt es auch diesen SIWA-Fonds. Ich weiß gar nicht, was es daran zu kritisieren gibt. Aus Überschüssen von knapp 1 Milliarde Euro werden 500 Millionen Euro in die Schuldentilgung gesteckt, und 500 Millionen Euro werden investiert.

[Zuruf von Udo Wolf (LINKE)]

Und da wird hier kritisiert, dass 50 Millionen – 10 Prozent – abgeflossen sind.

[Zuruf von Martin Delius (PIRATEN)]

Na, mein Gott, so ist es nun mal: Wenn die Mittel zur Verfügung stehen, dann gibt es einen schrittweisen Abfluss dieser Mittel über die nächsten Jahre! Wichtig ist, dass es die Planungssicherheit gibt und wir nicht von Monat zu Monat und von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr denken, sondern dass es die verlässliche Investitionszusage gibt, dass diese 500 Millionen Euro für die Stadt zur Verfügung stehen. Und das ist mit SIWA gegeben.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von Udo Wolf (LINKE) und Martin Delius (PIRATEN)]

Ich frage auch an dieser Stelle noch mal, wie denn nun eigentlich die Haltung der Opposition dazu ist. Ich habe es noch nicht ganz verstanden. Ich habe eher das Gefühl, dass Sie selbst noch unsicher sind, wie Sie mit dieser guten Situation eigentlich umgehen sollen.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist das Problem!]