Und das alles, obwohl gar keine Gesetzesänderung nötig wäre! Denn es wäre auch heute schon möglich, sowohl die Unterbringung als auch Versorgungs- und Integrationsbauten ohne Not vor Ort unterzubringen. Temporäre Bauten am Tempelhofer Damm, am Columbiadamm, in den Innenhöfen oder auf dem Vorfeld könnten Sie ohne eine Gesetzesänderung jederzeit aufstellen.
Dass Sie dieses nicht getan haben, weckt einmal mehr Zweifel an Ihren Motiven. Geht es am Ende vielleicht doch nur um eine Ankündigungspolitik – Stichwort 9-Punkte-Plan – oder geht es hier um Machtgesten? Oder bestätigt das vielleicht die Befürchtung all derjenigen, die vermuten, Sie würden hier doch die dauerhafte Bebauung durch die Hintertür ermöglichen? Tut mir leid, aber Vertrauen und Akzeptanz schaffen geht anders!
Doch nicht nur das Volksgesetz wird durch Ihre Pläne ausgehebelt, auch die Qualitäts- und Mindeststandards des LAGeSo gelten für die vielen Tausend Menschen vor Ort nicht. Es wäre doch das Mindeste, diese wenigstens auch in Tempelhof einzuführen. Dann könnten Sie aber im Umkehrschluss dort auch keine 7 000 Menschen mehr unterbringen.
Wir erleben gerade eine Ausnahme- und Extremsituation, und das erfordert manchmal auch schnelles Handeln. Aber schnelles Handeln, das muss uns allen klar sein, darf nicht zu schlechtem Handeln führen, Herr Czaja!
Auch Notunterkünfte und Notmaßnahmen erfordern ein Konzept. Und vor allem sind Notunterkünfte, wie es in Tempelhof eigentlich angedacht ist, Orte, an denen Geflüchtete nur wenige Wochen untergebracht werden sollten. Sie haben aber selber auf der Bürgerversammlung vor einer Woche zugeben müssen, dass fast alle Flüchtlinge, die im Oktober in Tempelhof gelandet sind, diesen Ort nicht mehr verlassen haben. Die Tatsache, dass viele
Menschen dort, von Unregistrierten bis zu denen, die schon längst beim Jobcenter gemeldet sind, heute die Nachricht bekommen, dass sie mindestens bis Mai, aber vielleicht sogar länger in Tempelhof bleiben müssen, straft diesen Begriff „Notunterkunft“ Lügen.
Wir brauchen deshalb keine Ausweitung der Massenunterkunft, sondern wir brauchen endlich ein Umsteuern in der Berliner Flüchtlings- und Integrationspolitik. Schaffen Sie also die rechtlichen Grundlagen für die Beschlagnahmung leerstehender Immobilien! Einen entsprechenden Gesetzesentwurf haben wir bereits im November vorgelegt. Die Grundstücke der BImA, zahlreiche Angebote für Privatunterkünfte, die Angebote der Bezirke, konkrete Projekte wie das Haus der Statistik, und selbst viele privat Engagierte: All diese Vorschläge liegen seit Monaten auf dem Tisch. Umgesetzt haben Sie davon bis heute keinen!
Also hören Sie endlich auf, uns vorzuwerfen, unsere Vorschläge würden die Flüchtlinge direkt in die Obdachlosigkeit treiben! Machen Sie das nicht, denn Sie wissen ganz genau, kein einziger Mensch in diesem Saal will das!
Stattdessen: Machen Sie doch Ihre Liste selbst mal transparent! Dann können wir nämlich gemeinsam darüber beraten, wie Ihre und unsere Vorschläge zusammen zu mehr Unterbringungsmöglichkeiten in Berlin führen können.
Aber zurück zu Tempelhof: 7 000 Menschen auf knappem Raum, ohne Beschäftigung, ohne Privatsphäre – da sind leider soziale Probleme vorprogrammiert. Unter diesen Bedingungen in Berlin nicht nur anzukommen, sondern auch dauerhaft für viele Monate zu leben, ist meiner Meinung nach tatsächlich die größte Integrationsblockade, die man sich vorstellen kann. Eine Unterkunft dieser Dimension ist nicht nur die größte Massenunterkunft Deutschlands – es ist für jeden Einzelnen dort eine menschunwürdige Zumutung!
Außerdem ist Tempelhof tatsächlich eine reine Verzweiflungsstrategie, weil der tatenlose Sozialsenator seinen Aufgaben nicht nachkommt. Zu reiner Verzweiflung führt das aber bei den Flüchtlingen vor Ort, wenn Ihnen mitgeteilt wird, dass sie noch monatelang dort leben müssen. Das Hauptproblem an den Tempelhofplänen ist daher, dass Sie hier keine Notunterkunft betreiben, sondern mitten in Berlin ein Flüchtlingsdorf erschaffen, das in seinen Ausmaßen seinesgleichen sucht. Damit lösen Sie keine Probleme – damit schaffen Sie vor allem jede Menge neuer Probleme! Und genau aus diesem Grund
Der Ausnahmezustand, der gerade herrscht, darf in Berlin nicht zum Normalzustand werden. Deshalb haben wir als Grüne unserer Verantwortung entsprechend am letzten Freitag ein eigenes Integrationskonzept vorgelegt. Von der SPD und der CDU kenne ich ein solches Papier nicht.
Aber immerhin soll es jetzt ein Landesamt für Flüchtlinge geben. Leider konnte uns keiner erklären, welche Vorteile es für Geflüchtete haben soll, wenn man das LAGeSo einfach nur aufsplittet, ganz zu schweigen von der Frage, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigentlich in einem solchen neuen Landesamt arbeiten sollen. – Herr Czaja! Sie glauben, dass Sie durch einen solchen Schnellschuss eventuell zu einem Befreiungsschlag kommen. Ich kann Ihnen aber sagen, es wird genau das Gegenteil passieren: Sie werden daran am Ende des Tages gemessen werden.
Während das Landesamt nach dem Gesetz, das Sie heute einbringen wollen, bereits am 1. Januar 2016 errichtet werden soll – offenbar hat der Senat auch eine Zeitmaschine –, wollen wir als Grüne der Verwaltung bis zum 1. Januar 2017 Zeit für eine vernünftige Planung geben. Wir glauben, dass man nämlich so viel Zeit braucht, um ein Landesamt für Migration und Flucht als echte Willkommensbehörde zu errichten, die dann aber auch umfassend die Zuständigkeiten von Flucht, Migration und Integration bündelt und außerdem Teilaufgaben der Ausländerbehörde und des Integrationsbeauftragten zusammenführt.
Schnelles Handeln vor allem in und um das LAGeSo ist dringend geboten. Dass dort immer noch Flüchtlinge in der Kälte ausharren müssen oder gar Hunger leiden, das sind völlig inakzeptable Zustände, die sofortiger Maßnahmen bedürfen.
Aber Herr Czaja, schnelles Handeln sollte eben nicht zu Schnellschüssen führen, und deshalb wird meine Fraktion Ihrem Schnellschussvorschlag eines Landesamtes auch nicht zustimmen. – Herzlichen Dank!
Danke schön, Frau Kollegin! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Buchholz das Wort. – Bitte schön!
[Lars Oberg (SPD): Wer keine Argumente hat, trägt halt T-Shirts! – Abgeordnete der GRÜNEN und der PIRATEN halten Schilder hoch.]
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sehe, dass Sie T-Shirts angezogen haben. Ich glaube, die Blätter kenne ich auch schon von der Bürgerversammlung vor einer Woche. Ich werde darauf auch noch zu sprechen kommen.
Kleinen Moment, Herr Kollege! – Liebe Kollegen bei den Grünen! Ich bitte, die Schilder runterzunehmen! Sie wissen, dass das nicht den parlamentarischen Regularien entspricht. Zur Farbe der T-Shirts äußere ich mich nicht, das ist eine Geschmacksfrage, aber ich bitte Sie wirklich eindringlich, die Schilder runterzunehmen! Das ist eine politische Demonstration, die nicht hierher gehört.
[Zuruf von der SPD: Jetzt nehmen Sie die Schilder runter! – Sven Kohlmeier (SPD): Die Radikalen von den Piraten aber auch!]
[Allgemeine Heiterkeit und Beifall – Martin Delius (PIRATEN): Das sind alles Verfassungsvorgaben! – Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Das ist ein parteiinternes Problem!]
Herr Präsident! Ich fürchte, das wird ihm nicht gelingen, sich in der Piratenfraktion durchzusetzen.
Dritter Anlauf! Meine Damen, meine Herren! Es ist ein ernstes Thema, vielleicht können wir jetzt auch ernsthaft beraten. Das wäre dem Thema auch angemessen.
Im letzten Jahr sind in Berlin rund 80 000 geflüchtete Menschen angekommen. Davon haben 40 000 tatsächlich auch durch die Stadt eine Unterkunft gefunden, und bevor jemand denkt, das war alles im letzten Jahr: Dieses laufende Jahr ist 28 Tage alt. Es sind vom 1. bis zum 28. Januar 6 000 Menschen neu in der Stadt angekommen, die eine Unterkunft suchen und darauf ein Anrecht haben. Wir legen großen Wert darauf, dass das auch tatsächlich durchgeführt wird, denn wir wollen, dass niemand, der als geflüchteter Mensch Krieg und Terror erlebt hat, hier in eine Situation kommt, wo er auf der Straße schlafen muss, wo er kein Obdach hat – das gilt es um jeden Preis zu vermeiden!