Protokoll der Sitzung vom 03.03.2016

Gut! – Kollegin Bangert! Ich erteile Ihnen jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön!

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Nein! Frau Kolat wollte doch jetzt noch etwas sagen!]

Frau Kolat kann sich äußern, wann sie will. Der Senat darf jederzeit. Das überlassen Sie bitte der Senatorin! – Bitte, Frau Bangert, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der wohl wichtigste Schlüssel zur Integration geflüchteter Menschen ist der Zugang zum Arbeitsmarkt und damit zu qualifizierter und vor allem existenzsichernder Beschäftigung.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ob uns der Antrag der Piraten in seiner Kleinteiligkeit hier weiterbringt, wage ich zu bezweifeln. In der Praxis geht es um wesentlich mehr. Denn ob die Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt gelingt, hängt ganz wesentlich vom gesellschaftlichen Klima ab, und dieses Klima ist gerade im Begriff zu kippen. Das liegt nicht nur an der großen Anzahl von geflüchteten Menschen, die jetzt zu uns kommen, das hat in erster Linie damit zu tun, dass die Menschen das Gefühl haben, den politisch Verantwortlichen von SPD und CDU ist das Problem vollständig entglitten. Und dafür trägt im Bereich der Arbeitsmarktintegration die gleichnamige Senatorin Dilek Kolat die Verantwortung.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ja, Frau Senatorin Kolat! Im Schatten von Mario Czaja ist es leicht, das eigene Versagen zu verstecken.

[Vereinzelter Beifall und Heiterkeit bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Als Senatorin für Arbeitsmarkt und Integration hätten Sie die idealen politischen Instrumente in der Hand, um gezielt zu koordinieren. Stattdessen muss McKinsey angeheuert werden, weil Sie der Sache nicht gewachsen sind. Das ist eine politische Bankrotterklärung.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Mit Ihrem Versagen stehen Sie aber leider nicht alleine da. Ohne Plan geht der gesamte Senat an die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen. Es gibt einzelne Maßnahmen, aber keine Strategie, wie bestehende Angebote in die Breite gebracht und verstetigt werden können. Das ist fatal, denn wenn Geflüchtete schnell den Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen sollen, braucht es gezielte Unterstützung und ein gemeinsames Vorgehen aller Akteure.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Insbesondere bei der Anerkennung formaler Berufsqualifikation stockt es seit Jahren in Berlin. Die Verfahren laufen äußerst zäh und dauern viel zu lange. Noch wichtiger ist es, die nichtdokumentierten Fertigkeiten und Kompetenzen der geflüchteten Menschen zu erfassen. Das betrifft 80 Prozent der Personen, die hier Zuflucht

(Burgunde Grosse)

und Schutz suchen. Vielen sind auch die Qualifikationsnachweise im Kriegsgebiet oder auf der Flucht verloren gegangen.

Hier komme ich zu einem ganz zentralen Punkt: Solange Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Politik und Bildungseinrichtungen wenig Bereitschaft zeigen, nichtformales und informelles Lernen anzuerkennen, erschweren sie geflüchteten Menschen den beruflichen Ein- und Aufstieg, und noch schlimmer: Sie erschweren die gesellschaftliche Teilhabe. Damit ihre Integration gelingt, muss ihr Wissen und Können sichtbar sein. Wir müssen Qualifikationen zertifizieren, die in der Praxis erworben wurden, und bei Bedarf ergänzende Qualifizierung ermöglichen.

[Beifall von Canan Bayram (GRÜNE)]

Wichtig ist, dass dafür Standards entwickelt werden, die für die Unternehmen aussagekräftig sind. Hier ist der Senat gemeinsam mit den Kammern und Trägern in der Verantwortung, ein Verfahren zu entwickeln, das sicherstellt, dass geflüchtete Menschen entsprechend ihren Fähigkeiten beschäftigt werden können. Zudem bietet die frühzeitige Erfassung der Qualifikationen die Grundlage dafür, dass die Jobcenter individuelle Eingliederungsvereinbarungen mit den erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen erstellen können, damit sich geflüchtete Menschen nach der Integration in Arbeit im Rahmen beruflicher Aus- und Weiterbildung weiterqualifizieren können. Wenn dies nicht passiert, riskieren wir, dass geflüchtete Menschen in prekäre, ungesicherte Jobs gedrängt werden, und dann heißt es nicht, Frau Senatorin Kolat, „Willkommen in Arbeit!“, sondern dann heißt es „Willkommen in prekärer Beschäftigung!“

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Angesichts des in vielen Branchen bestehenden Fachkräftemangels wäre dies verantwortungslos für die Zukunft Berlins und gegenüber den Geflüchteten.

Apropos Fachkräftemangel: Im personensensiblen Bereich Kita, Schule, Pflege brauchen die Beschäftigten ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis. Wie geflüchtete Menschen ein solches bekommen, ist bis heute ungeklärt. Damit besteht für Geflüchtete faktisch ein Arbeitsverbot für diese Bereiche, wo wir dringend Personal benötigen. Das gilt selbst für Praktika. Bis heute haben Sie, Frau Kolat, dieses Problem nicht gelöst. Im Ausschuss konnten Sie nicht einmal sagen, was Sie diesbezüglich bisher unternommen haben. „Wir sind dran!“– haben Sie lapidar verlauten lassen. Das ist zu wenig, Frau Kolat! Sie stehen in der Verantwortung, die Zukunftsbarrieren zu beseitigen. Geflüchteten Menschen müssen alle Berufe offenstehen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei LINKEN und PIRATEN]

Die zu uns kommenden Menschen sind eine Chance für unsere Stadt. Es liegt an uns zu beweisen, dass unsere Gesellschaft imstande ist, Menschen unterschiedlichster Herkunft aufzunehmen, sie zu integrieren und gemeinsam gestärkt aus diesem Prozess hervorzugehen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei LINKEN und PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Bangert! – Die CDUFraktion hat als Redner den Kollegen Prof. Dr. Korte benannt, und er erhält das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Die Zahl der in Berlin ankommenden und verbleibenden Flüchtlinge ist unverändert hoch: knapp 80 000 registrierte Flüchtlinge 2015 und bereits rund 11 000 in den ersten beiden Monaten dieses Jahres. Davon sind rund zwei Drittel im erwerbsfähigen Alter. Deshalb ist der Arbeitsmarktzugang für anerkannte Asylberechtigte und Geflüchtete ein Thema, das unsere Aufmerksamkeit verlangt und Antworten verdient. Hier haben diese Koalition und der Senat schon viel erreicht, und ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf Initiativen wie das ARRIVO-Projekt zur Erprobung in der Praxis, die neuen Willkommen-in-Arbeit-Büros in verschiedenen Flüchtlingsunterkünften oder die Verstärkung des Einsatzes von Integrationslotsen.

Die Piraten fordern nun umfangreiche Änderungen der Bundesgesetze und der Berliner Regelungen, auf die ich hier nicht in jedem Detail eingehen kann und eingehen will.

[Elke Breitenbach (LINKE): Schade eigentlich!]

Ich will nur einige Punkte herausgreifen – erstens: die gemeinnützigen zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten. Hier war der Senat schneller als Sie: Der Masterplan Integration und Sicherheit war ja bereits angesprochen, und ein Bestandteil der Planungen für diesen Masterplan sind eben gerade die Schaffung solcher gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten als eine Einstiegsmöglichkeit in Beschäftigung.

Zweitens wollen Sie die Verfahrensdauer bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse auf drei Monate beschränken. Nun lese ich in § 6 Abs. 3 des Anerkennungsgesetzes bereits: Die zuständige Stelle muss innerhalb von drei Monaten über die Gleichwertigkeit entscheiden. Die Frist beginnt mit Eingang der vollständigen Unterlagen.

[Zuruf von Fabio Reinhardt (PIRATEN)]

(Sabine Bangert)

Die Dreimonatsfrist gibt es also schon. Offenbar meinen Sie mit Ihrem Vorschlag, die Frist soll schon mit der Antragstellung beginnen. Und was, wenn ein Flüchtling die Unterlagen dann nicht so schnell beschaffen kann? Soll dann das Verfahren abgebrochen werden und die Anerkennung versagt werden? Oder soll die Anerkennung auch ohne Auflagen pauschal erteilt werden und damit entwertet? Wollen Sie das wirklich?

Drittens Ihre Forderung nach der völligen Aufhebung des Arbeitsverbots in den ersten drei Monaten: –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reinhardt?

Nein, ich möchte gern im Zusammenhang ausführen! – Im November 2014 sind bereits die Fristen von zwölf respektive neun Monaten auf drei Monate verkürzt worden, und im Oktober 2015 wurde, um Fluchtanreize zu vermeiden, mit dem Asylpaket I die Beschäftigung von Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsländern während des Asylverfahrens komplett unterbunden. Diesen § 61 des Asylgesetzes wollen Sie jetzt abschaffen oder aushöhlen, auch für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten.

[Zuruf von Fabio Reinhardt (PIRATEN)]

Sie wollen keine Fluchtanreize vermeiden, sondern Sie schaffen neue! Das ist unverantwortlich und mit dieser Koalition daher auch nicht zu machen.

Viertens: die Abschaffung der Wohnsitzauflage. Weil es die geflüchteten Menschen in die Großstädte zieht, auch und vor allem nach Berlin, brauchen wir mehr Wohnsitzauflagen und nicht weniger im Anerkennungsverfahren, aber auch nach einer Anerkennung. Zu Recht haben das Bundesinnenminister de Maizière und Senatorin Kolat in dieser Woche gefordert, nachdem der EuGH Bundesauflagen für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz ausdrücklich gebilligt hat. Integration scheitert, wenn die große Mehrheit der Aufgenommenen sich in wenigen Großstädten ballt. Ihr Antrag schadet der Integration, und er schadet Berlin, und das machen wir nicht mit.

Fünftens, ganz am Ende Ihres Antrags geht es noch um das Bleiberecht für alle Auszubildenden und Erwerbs- tätigen.

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Ja, für alle!]

Erst wollen Sie sämtliche zeitlichen Beschränkungen des § 61 Asylgesetz abschaffen, auch für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten. Dann wollen Sie ein Bleiberecht für alle Erwerbstätigen. Erwerbstätigkeit für alle Einreisenden plus Bleiberecht für alle Erwerbstätigen ist gleich Bleiberecht für alle – das ist die vorsehbare Pointe Ihres

Antrags. Aber das Thema Integration durch Arbeit ist zu ernst und zu wichtig für einen solchen Klamauk.

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Das ist doch ein anderes Thema!]

Es braucht keine zuwanderungspolitischen Wünsch-dirwas-Anträge, sondern es braucht konkrete, wirksame Schritte, wie sie diese Koalition mit ARRIVO, „Willkommen in Arbeit!“ und Integrationslotsen auch bereits erfolgreich geht. Und Herr Reinhardt – auch wenn Sie das nicht hören wollen –, es braucht auch den Mut zu unangenehmen Wahrheiten. Den Facharbeitermangel, der angesprochen worden ist, wird die Zuwanderung so ohne Weiteres nicht beheben können. Vielmehr liegt in der fehlenden Qualifikation von Flüchtlingen ein enormes Problem bei der Integration in Arbeit. Das ergab die Anhörung am 3. Dezember 2015 im Arbeitsausschuss. Die Frage beantwortete Herr Becking von der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Arbeitsagentur nämlich mit der Formel 80:10:10 – 10 Prozent Akademiker, 10 Prozent mit formalen Qualifikationen, aber 80 Prozent ohne formale Abschlüsse irgendwelcher Art.

[Elke Breitenbach (LINKE): Können Sie noch mal den ganzen Satz wiederholen?]

Eine Vermittlung ist bei diesen 80 Prozent eine Herausforderung, nicht nur wegen fehlender Abschlüsse, sondern auch wegen mangelnder oder fehlender sprachlicher Befähigung und auch, weil der Arbeitsmarkt nicht aufnahmefähig ist für ungelernte Arbeit, jetzt nicht und in Zukunft, bei stärkerer Automatisierung vieler Tätigkeiten noch viel weniger als jetzt.

Es ist noch eine Zwischenfrage angemeldet von der Kollegin Breitenbach?

[Elke Breitenbach (LINKE): Hat sich erledigt!]

Nein, danke! Ich führe jetzt zu Ende aus! – Sprachqualifikation, dann Lernqualifikation, dann Fachqualifikation – und das für bis zu 80 Prozent. Das sind die realen und geradezu monumentalen Herausforderungen, und über die sollten wir im Ausschuss ernsthaft reden. – Herzlichen Dank!