Protokoll der Sitzung vom 09.02.2012

Tagesordnungspunkt 26

Jedes Kind gut fördern! Eine solide Planung für den bedarfsgerechten Ausbau der Kindertagesbetreuung umgehend vorlegen und kontinuierlich weiterentwickeln!

Antrag auf Annahme einer Entschließung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0140

Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von jeweils bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat die Abgeordnete Burkert-Eulitz. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berliner Kinder und Eltern! Haben Sie es gehört und gelesen? In Berlin herrscht seit geraumer Zeit ein massiver Kitaplatzmangel. Es ist schon jetzt fünf nach zwölf, weil der alte Senat geschlafen oder das Problem einfach verdrängt hat. Die Situation war bekannt, die Bezirke haben rechtzeitig um Hilfe gebeten, und es wird noch schlimmer werden, wenn nicht mit großem Engagement des Landes etwas dagegen getan wird und die Familien nicht mehr wie bisher im Regen stehen gelassen werden.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Sie sollten einmal morgens in der Zeit zwischen 8 und 9 Uhr in meinem Wahlkreis rund um den Boxhagener

Platz kommen oder – noch besser – am Samstag zum dortigen Spielplatz. Sie müssen live erleben, was es bedeutet, dass es endlich wieder viele kleine Kinder in dieser Stadt gibt. Täglich erleben Eltern die frustrierende Hatz durch diverse Kitas auf der Suche nach einem Platz. Die meisten Kitas haben schon in ihre Fenster gehängt, dass Bewerbungen um einen Platz sinnlos sind, weil auf Jahre hinaus keine Plätze mehr frei sein werden. Viele Eltern sind schon dazu übergegangen, sich bereits auf die Suche zu machen, bevor ihr Kind überhaupt geboren worden ist. Das gesetzlich verbriefte Wunsch- und Wahlrecht der Eltern existiert nicht mehr. Sie müssen froh sein, überhaupt irgendeinen Platz zu finden. Für viele hängt aber ihre weitere Existenz davon ab. Wer keinen Betreuungsplatz für sein Kind findet, kann seine Berufstätigkeit nicht wieder aufnehmen, verliert seinen Arbeitsplatz. Eltern berichten von Existenzängsten.

Wie konnte es dazu kommen? – Jahrelang hat der alte Berliner Senat unter Führung der SPD die Augen vor der Entwicklung beim Kitaplatzbedarf geschlossen. Der ehemalige Senator Zöllner hat noch vor einem Jahr vollmundig behauptet, dass es in Berlin ausreichend Kitaplätze gebe und nur die Verteilung mangelhaft sei. Die Bezirke haben schon lange auf den steigenden Bedarf und die Misere hingewiesen. Dennoch hat der von der SPD geführte Senat an seiner Alles-ist-gut-Haltung festgehalten und nicht nur nichts unternommen, um die Lage zu verbessern, sondern im Gegenteil Maßnahmen erzwungen, die die Situation noch verschärft haben. So wurde den Kitaeigenbetrieben lange verboten, notwendiges zusätzliches Personal fest einzustellen, was dazu führte, dass das Platzangebot zurückgefahren werden musste. Die Bezirke wurden genötigt, angeblich nicht mehr benötigte Einrichtungen zu schließen und die Liegenschaften in den Liegenschaftsfonds abzugeben, der sie dann meistbietend verhökert hat. Einrichtungen wurden mit öffentlichen Geldern abgerissen, jetzt fehlt vor Ort Raum und Fläche.

Plötzlich, im letzten Sommer, kam die Erkenntnis. Die zuständige Senatsverwaltung stellte über Nacht fest, dass sie jahrelang mit nicht validen Zahlen über die Bevölkerungsentwicklung geplant hatte. Sie hätte doch einfach auf die Bezirke hören können.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Berlin ist erfreulicherweise viel attraktiver für junge Familien als gedacht. Die Landflucht in den Brandenburger Speckgürtel ist gestoppt. Weitere junge Familien werden auch künftig hierher ziehen. Im Sommer musste der Senator, der gerade noch die heile Kitawelt proklamiert hatte, plötzlich zugeben, dass es eine Lücke von mehr als 20 000 Plätzen gibt. Im Wahlkampf wurden aus der Erkenntnis keine praktischen Konsequenzen gezogen, außer der, die Zahl erst einmal wieder vom Tisch zu nehmen. Der damalige Senator wusste ja auch, dass er die Misere nicht mehr ausbaden muss, sondern seine Nachfolgerin.

Die neue Koalition hat den Berliner Eltern in ihrer Koalitionsvereinbarung großartige Versprechungen gemacht. Jedes Kind soll ab dem ersten Geburtstag einen Kitaplatz in hoher Qualität bekommen, bei flexiblen Betreuungszeiten, möglichst ohne Bedarfsprüfung und beitragsfrei. Das klingt gut, scheint einfach, allerdings ist überhaupt nicht klar, wie dies umgesetzt werden soll. Es ist ein gigantisches Projekt. Wie die aktuelle Bedarfslücke geschlossen werden soll, ist noch ein Rätsel. Allein um diese Lücke zu schließen, müsste der Senat mindestens 100 Millionen Euro in die Hand nehmen. Im Haushaltsplanentwurf findet sich davon aber nur die Hälfte. Es bleiben also viele Fragezeichen bestehen – zu viele Fragezeichen. Um endlich Klarheit über die Maßnahmen zu erhalten und künftige Planungspannen zu vermeiden, bitte ich Sie, dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zuzustimmen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Eggert das Wort. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten nun die Priorität der Grünen. Ein Antrag, in dem die Fraktion der Grünen den Senat auffordert, umgehend solide Planungen für einen bedarfsgerechten Ausbau der Kitaplätze vorzulegen.

[Joachim Esser (GRÜNE): Mit Betonung auf „solide“!]

Richtig, wichtig und nachvollziehbar würde man denken, wenn man nur einen kurzen, flüchtigen Blick darauf wirft. Aber schauen wir uns doch einmal die Fragen, die Ihrem Antrag zugrunde liegen, etwas genauer an.

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Gucken Sie genau hin, dann können Sie etwas lernen!]

Ja, das tue ich, danke, Herr Mutlu! – Wie viele Kitaplätze benötigen wir in Berlin? Aufgrund der positiven Bevölkerungsentwicklung – –

[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Ich beginne den Satz einfach noch einmal, denn ich habe noch ein bisschen Zeit.

[Ramona Pop (GRÜNE): Sie haben Zeit und nichts zu sagen!]

Aufgrund der positiven Bevölkerungsentwicklung in Berlin steigt der Bedarf kontinuierlich.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Die Koalition geht davon aus, dass wir in den Jahren 2011 bis 2015 circa 23 000 Plätze mehr benötigen. Jetzt kommt die nächste Frage: Was tut der Senat? –

[Ramona Pop (GRÜNE): Bin ich bei „Sendung mit der Maus“?]

Bis Ende 2011 wurden bereits 4 000 Plätze geschaffen. Dies insbesondere durch das Förderprogramm und aufgrund der Eigeninitiative von freien Trägern. Denen gilt unser Dank. Es bleiben also noch 19 000 Plätze bis zum Jahr 2015.

[Heidi Kosche (GRÜNE): Das ist ja kaum der Rede wert! – Weitere Zurufe von den Grünen]

Von diesen 19 000 Plätzen sollen 8 000 – – Wenn Sie zuhören würden, würden Sie vielleicht auch etwas lernen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Von diesen 19 000 Plätzen – schließlich wollen Sie ja Informationen haben, jetzt gebe ich Ihnen welche – sollen 8 000 Plätze durch regulär laufende Maßnahmen wie das U3-Programm des Bundes und mithilfe von städtebaulicher Förderung errichtet werden. Für den bedarfsgerechten Ausbau stellt das Land Berlin 20 Millionen Euro zusätzlich in den Doppelhaushalt 2012/2013 ein. Dazu lesen wir in Ihrer Begründung und haben es eben auch gehört, dass Sie die Zahlen des Senats, was den Kitaplatzbedarf betrifft, nicht anzweifeln, aber Sie wissen, dass die 20 Millionen Euro nicht stimmen, sondern man 100 Millionen Euro benötigt. Woher Sie das wissen und wie Sie zu dieser Erkenntnis kommen, das sagen Sie uns nicht.

[Heidi Kosche (GRÜNE): Deshalb sollten Sie zuhören! – Weitere Zurufe von den Grünen]

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! Herr Lux ist auch gar kein Experte in dem Bereich. Wohl ein Experte für Zwischenfragen, aber nicht dafür.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Ganz ruhig! Jetzt komme ich zu den Gründen, weshalb ich der Meinung bin, dass Ihr Antrag überflüssig ist. Er fordert den Senat nicht nur dazu auf, seiner alltäglichen Arbeit nachzukommen, nein, er greift auch viel zu kurz. Denn die Engpässe bei den Kitaplätzen, wie wir sie in einigen Bezirken haben, werden wir nicht nur durch den Bau und dem Anbieten neuer Kitastandorte begegnen, nein, was wir auch brauchen, sind Fachkräfte.

[Oh! von den Grünen – Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Das nach zehn Jahren, sehr gut!]

Davon steht in Ihrem Antragstext aber kein Wort. Eine Frage hätte also auch lauten müssen: Was tut der Senat, um den Fachkräftebedarf zu sichern.

[Zuruf von den PIRATEN: Ja, was tut er denn?]

Danke! Von den Piraten kommt gleich die Nachfrage. – Hätten Sie vorhin Frau Scheeres zugehört, dann hätten Sie gemerkt: Auch diese Frage ist in ihrem Redebeitrag mit beantwortet worden. Ich mache es gern noch einmal. Wir lernen durch Wiederholung. Ich gebe Ihnen gern die Antwort noch einmal. Vielleicht ist nur diese Bemerkung noch am Rande erlaubt:

[Joachim Esser (GRÜNE): Nein!]

Sie haben die Frage gar nicht aufgeworfen, weil Sie wissen, dass sich der Senat in diesem Fall eine ganz ordentliche Bilanz zusammengeschustert hat.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): „Zusammengeschustert“ ist gut! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN]

Seit 2008 wird die Ausbildungskapazität für Erzieherinnen und Erzieher erhöht. Das zeigt sich auch bei den Absolventenzahlen. 2011 waren es 1 200, 2012 werden es 1 300 sein, 2013 1 550, 2014 schließlich werden es 2 200 Erzieherinnen und Erzieher sein, die den Kindern in Berlin zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werden wir bis zu 20 Prozent Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger auf den Personalschlüssel einer Kita anerkennen.

[Ramona Pop (GRÜNE): Woher kommen die denn?]

Allein von April 2010 bis 2012 wurden 1 880 Anträge auf Quereinstieg bewilligt. Aber genug von den Erfolgen des Senats!

[Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE): Welchen denn?]

Noch ein oder zwei Anmerkungen zu Ihrem Antrag: Ich weiß, dass es üblich ist, enge Fristen zu setzen, aber hier soll der Senat schon Ende April berichten und Zahlen vorlegen, die erst dann solide finanziert sind, wenn der Haushalt beschlossen ist.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Ach!]

Ich weiß jetzt nicht genau – das müssen mir die Grünen noch mal sagen –, ob vielleicht der Haushälter zu der anderen Fraktion gehört, mit der Sie nicht ohne Mediator reden. Aber der Haushälter hätte Ihnen sagen können, dass wir erst im Juni hier im Haus den Haushalt beschließen werden. Dieses Recht sollten wir uns auch nicht nehmen lassen. Deshalb werden wir fordern, dass dieser Antrag erst mal überwiesen wird und wir das Ganze noch mal im Jugend- und Familienausschuss besprechen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!