Protokoll der Sitzung vom 26.05.2016

Zudem muss das Nothelferverfahren im Krankenhaus neu gestaltet und gerecht ausfinanziert werden.

Meine Dame, meine Herren von den Piraten! Da Sie sich in Ihrem Antrag aber auf den § 95 Aufenthaltsgesetz – und nur er steht in Ihrem Antrag – berufen, lassen Sie mich bitte auf die innenpolitischen Aspekte der Bundesebene hinweisen: Eine illegale Einreise in die Bundesrepublik Deutschland muss selbstverständlich eine Strafanzeige nach sich ziehen.

[Canan Bayram (GRÜNE): Nein! – Benedikt Lux (GRÜNE): Warum?]

(Fabio Reinhardt)

Dieses Verfahren stellt jedoch keine generelle Kriminalisierung von Flüchtlingen dar und verstößt auch nicht gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.

[Canan Bayram (GRÜNE): Ah!]

Die Straffreiheit nach der Genfer Flüchtlingskonvention ergibt sich aus den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes, welche in diesem Falle Anwendung finden.

Vergessen werden darf nicht, dass es neben Flüchtlingen auch noch weitere Personen gibt, die sich illegal im Bundesgebiet aufhalten. Umso wichtiger ist es daher, auf geordnete und rechtlich einwandfreie Verfahren zurückgreifen zu können. Hinsichtlich einer Entbürokratisierung könne man lediglich über Schritte zur Verfahrensvereinfachung nachdenken. Bei der Beihilfe zur illegalen Einreise muss zwingend darauf geachtet werden, dass es zu keiner pauschalen Straffreiheit, auch für gewerbsmäßig agierende Schleuser kommt.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Das will doch keiner!]

Nun geht es Ihnen ja hier heute darum, dass das Bundesland Berlin eine Bundesratsinitiative startet bzw. sich einer solchen anschließt. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Mit dieser gesamten Thematik hat sich bereits der Deutsche Bundestag in dieser Legislaturperiode befasst, nämlich am 23. März 2016 mit einer Beschlussempfehlung und einem Bericht des Innenausschusses. Ihr Antrag datiert auf den 17. Mai dieses Jahres, also war Ihnen diese Vorlage sicherlich bekannt. Trotzdem ist es meines Erachtens aber wichtig – das haben Sie gesagt, Kollege Reinhardt –, dass diese Thematik viele Facetten beinhaltet, nicht nur diesen § 95 Aufenthaltsgesetz. Dementsprechend finden wir es wichtig, dass wir uns darüber in den zuständigen Ausschüssen weiter unterhalten. – Ich bedanke mich bei Ihnen, dass Sie mir zugehört haben. Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Kollege Lehmann! – Kollegin Bayram, Sie haben jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, den die Piratenfraktion heute eingebracht hat, beschäftigt sich mit der Lebenssituation der Menschen ohne Papiere, von denen es sehr viele in unserer Stadt gibt. Der Vorschlag ist, wie es der Kollege Reinhardt gesagt hat, nicht konkret, ist allgemein gehalten. Es soll eine Legalisierungswelle geben.

Die Lebenssituation der Menschen ohne Papiere ist tatsächlich, wie hier schon teilweise geschildert wurde, dergestalt, dass die Menschen in einer ständigen Angst

vor Kontrolle, vor Abbruch der bestehenden Lebenssituation leben. Sie werden sehr kreativ dabei, jeden Tag ums Überleben zu kämpfen. Jetzt wäre die Frage, wie wir für diese Menschen eine Lösung herbeiführen können, denn diese permanente Situation ohne Papiere, ohne wirkliche staatliche Unterstützung macht den Menschen das Leben schwer. Die Perspektive durch eine Legalisierung wäre, eine Zukunft in Deutschland zu haben. Dieses Anliegen finden wir als Bündnis 90/Die Grünen auch richtig.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Aber da wir hier alle wissen, dass das eine schwierige Aufgabe ist, die in dem Antrag formuliert ist, müssen wir uns auch mit der Situation beschäftigen, wie es denn derzeit den Menschen hier geht und welche dringenden Bedarfe die Leute ohne Papiere haben. Einige Themen wurden hier schon angesprochen. Die Menschen arbeiten trotzdem, meist eben in der sogenannten Schattenwirtschaft. Das war für Spanien ein zentrales Anliegen, eigentlich als Kampf gegen die Schattenwirtschaft gedacht, eine Legalisierungswelle einzubringen, um klar zu haben, dass alle Arbeitsverhältnisse vom Staat mit kontrolliert werden. Insoweit könnte man dort zwei Bereiche mit lösen.

Die medizinische Versorgung wirft sehr viele Probleme auf, denn dieses permanente Leben in der Angst zusammen mit einer schlechten Versorgungssituation macht auch krank. Ich denke, dass wir in Berlin durch die Kirchen und zivilgesellschaftliche Akteure hier Einrichtungen haben, Akteure haben, die tatsächlich Gutes auf den Weg bringen. Eigentlich wäre das aber eine staatliche Aufgabe, die das Land Berlin leisten müsste, unabhängig davon, ob die Menschen legalisiert werden, ob sie einen Status haben oder nicht, denn die Einhaltung der Menschenwürde erfordert es, dass der Staat diesen Menschen auch eine medizinische Versorgung gewährleistet.

Der letzte Punkt, der bereits angesprochen wurde, betrifft die Schulbildung. Hier muss ich alle lobend erwähnen, die sich dafür einsetzen, dass den Kindern und Jugendlichen in dieser schwierigen Gemengelage das bisschen Recht auf Bildung gewährt wird.

Vieles an Unterstützung findet in diesem Rahmen in einer Grauzone statt. Deswegen ist das Land Berlin schon eine Zufluchtsstadt, eine Stadt, in der Menschen ohne Papiere Zuflucht suchen, weil es hier etwas weniger schwierig ist als auf dem Dorf oder in kleineren Gemeinden, ohne legalen Aufenthaltsstatus zu existieren. Die Idee, dazu eine Bundesratsinitiative zu machen, hat natürlich etwas für sich. Wir sollten allerdings vorher überlegen, wie dieses Instrument angewendet werden soll, denn die Legalisierungswelle in Frankreich beispielsweise hat größtenteils eine Legalisierung für Familienangehörige gebracht. Unter 20 Prozent der ledigen Menschen konnten davon profitieren. Wir werden deshalb nicht darum

(Rainer-Michael Lehmann)

herumkommen, uns darauf zu verständigen, für welche Gruppe wir eine Lösung suchen. Wir werden auch darüber diskutieren müssen, wie insbesondere die Menschen, die schon sehr lange hier sind, das nachweisen können, um in den Genuss einer Erleichterung ihres Aufenthalts zu kommen.

Zum Abschluss meiner Rede will ich kurz erwähnen, dass wir das Thema „Menschen ohne Papier“ wahrscheinlich nie ganz lösen oder klären werden können. Menschen haben ein Recht, sich frei zu bewegen. Es gibt auch Menschen in dieser Stadt, die hier leben, die aber nicht bleiben wollen, die keine Anträge stellen wollen, sondern in andere europäische Länder oder andere Kontinente weiterziehen wollen. Wir sollten diese Diskussion beginnen, sie wird aber wohl eine längere Debatte erfordern. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Bayram! – Kollege Dregger! Sie haben jetzt das Wort für die CDU-Fraktion – bitte sehr!

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie legen uns heute einen Antrag vor, mit dem Sie uns erklären wollen, dass gesetzwidrig sich in Deutschland aufhaltende Menschen nicht illegal seien.

[Zuruf von den PIRATEN: Ja!]

Es ist schon erstaunlich, zu welchen Irrationalitäten Sie bei der Überschrift Ihres Antrags fähig sind, denn Sie schreiben selbst: Kein Mensch ist illegal – Legalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus. – Das ist ein Widerspruch in sich, der sich einem nicht erschließt.

Worum geht es? – Sie schreiben es, und ich stimme Ihnen zu: Es ist ein ernstes Thema. Man muss es allerdings nur richtig beschreiben. Es geht um verdeckt im Inland lebende Menschen ohne Aufenthaltsstatus, um Menschen, die sich hier unter Angabe falscher Identität einen Aufenthalt möglicherweise erschlichen haben, sowie um Menschen, die den Behörden bekannt sind, die aber keinen Aufenthaltsstatus haben.

Wie ist die Rechtslage derzeit? – Dass der Gesetzgeber sich mit dem Thema bereits beschäftigt hat, ergibt sich aus dem Aufenthaltsgesetz. Zunächst hat der Bundesgesetzgeber § 25a Aufenthaltsgesetz geschaffen, der vorsieht, dass gut integrierte Jugendliche, die nur einen Duldungsstatus haben, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Dann wurde § 18a Aufenthaltsgesetz hinzugefügt und genau das für qualifizierte geduldete Erwachsene ergänzt. Zuletzt ist § 25b Aufenthaltsgesetz hinzugefügt

worden, wonach nachhaltig integrierte Erwachsene ebenfalls die Möglichkeit haben, aus dem Duldungsstatus herauszukommen. Sie sehen, der Bundesgesetzgeber hat bisher darauf abgestellt, dass der Betroffene entweder eine besondere Qualifikation besitzt oder eine besondere Integrationsleistung erbracht hat.

Bei Ihnen geht es jetzt um alle anderen. Die Zahlen, die Sie nennen, sind erschütternd. Es ist richtig, sich damit auseinanderzusetzen, und ich glaube auch, dass es richtig ist, was Sie sagen, dass Illegale in Unsicherheit leben, dass sie sich unter schwierigen Wohnverhältnissen und Gesundheitsverhältnissen bewegen. Worin ich Ihnen jedoch nicht zustimme, jedenfalls nicht, ohne dass wir es intensiver beraten, das ist, dass die einzige Option die Legalisierung durch den Gesetzgeber ist.

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Die Legalisierung können auch die Betroffenen vornehmen, denn es ist nicht zu viel verlangt, sich gesetzeskonform in einem Land zu verhalten.

[Beifall bei der CDU – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Ach!]

Es ist auch nicht so, wie Sie schreiben, dass erst durch die Legalisierung durch den Gesetzgeber die Menschenrechte gewährleistet wären. Das ist schlichtweg falsch. Jeder Mensch, jedes Individuum in diesem Land hat unveräußerliche Menschenrechte, Grundrechte. Die werden jedem zuerkannt. Das bedeutet: Wenn er sich den Behörden stellt, wird er menschenwürdig behandelt

[Canan Bayram (GRÜNE): Menschenwürdig abgeschoben!]

und so, wie die Gesetze es verlangen. Ich glaube, es ist nicht zu viel verlangt, dass wir als Staat den Anspruch haben, dass diejenigen, die sich in unserem Land aufhalten, sich unseren Gesetzen unterwerfen und ihnen entsprechen.

Sie werfen uns dann noch Ausgrenzungspolitik vor; damit meinen Sie die Asylpakete I und II. Was das mit Ausgrenzung zu tun hat, kann ich nicht verstehen. Bei Ihnen steht offenbar der Gedanke dahinter, dass der souveräne Staat kein Recht hat, selbst zu entscheiden, wen er einwandern lassen möchte und wen nicht. Ich bin der diametral anderen Auffassung. Ich bin der Auffassung, dass ein souveränes Land das Recht hat zu entscheiden, wen es einwandern lässt, wen es duldet, wen es nicht dulden möchte. Das kann man nicht als „illegal“ oder „menschenunwürdig“ bezeichnen.

[Beifall bei der CDU]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spieß?

(Canan Bayram)

Bitte schön!

Herr Kollege Dregger! Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sich eben für ein Einwanderungsgesetz ausgesprochen haben?

Nein, das haben Sie falsch verstanden.

[Torsten Schneider (SPD): Ich wollte gerade applaudieren!]

Davon habe ich nichts gesagt. Ich wollte gerade ergänzen, vielleicht darf ich das tun: Sie wollen eine Sofortabstimmung. Sie nehmen uns die Chance, diese Fragen ernsthaft zu beraten. Wenn Sie die Sofortabstimmung haben wollen, können Sie sie haben.

[Zuruf von Udo Wolf (LINKE)]

Ich frage mich nur, warum Sie einen Antrag, der Ihnen so wichtig ist, am Ende der Legislaturperiode einreichen, zu einem Zeitpunkt, zu dem eine parlamentarische Beratung nicht mehr möglich ist.

[Zuruf von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Da stellt sich die Frage, wie ernsthaft Ihnen das Anliegen ist, das Sie hier vortragen. Ich sehe jedenfalls keine Veranlassung, Ihrem Antrag im Rahmen einer Sofortabstimmung zuzustimmen. Wir werden ihn ablehnen. – Vielen Dank!