Ich will jetzt nicht über die Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik sprechen. Wir haben auch in den Siebzigerjahren erhebliche Missstände in der bundesrepublikanischen Psychiatrie gehabt. Die Psychiatrie-Enquete hat das alles ergeben. Die Enthospitalisierung ist besser
geworden, aber seitdem ist nicht mehr viel passiert. Wir würden gerne diesen Weg, diesen Reformeifer der Siebzigerjahre fortsetzen und nicht an uralten Behandlungsmethoden, die nichts bringen, festhalten. – Ich danke Ihnen!
Sehr geehrter Herr Präsident! Mein sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, das ist ein äußerst schweres Thema für uns alle, und ich bedauere es ein bisschen, zu was für einer Auseinandersetzung es über das Ganze in der letzten Diskussion gekommen ist. Das ist ein Thema, dem wir uns im Ausschuss mit verschiedenen Anhörungen und einer umfassenden Novellierung intensiv gewidmet haben, nachdem das Gesetz das letzte Mal 1985, also vor über 30 Jahren, in diesem Umfang novelliert worden ist. Ich glaube, dass wir sicherlich nicht heute sagen: Das ist das perfekte Gesetz und entspricht allen Anforderungen.
Das ist es nicht. Ich möchte aber denjenigen sehen, der diesen schwierigen Balanceakt zwischen – und da haben Sie völlig recht, Herr Behrendt – den natürlich vorhandenen Rechten von Patientinnen und Patienten und zu schützenden Grundrechten von Patientinnen und Patienten und gleichzeitig der Herausforderung einer Gefahrenabwehr aufgrund der Krankheit dieser Persönlichkeiten und der Notwendigkeit, den Ärztinnen und Ärzten, die einen schwierigen Job machen, und den Pflegerinnen und Pflegern, richtig und in Perfektion hinbekommt. Ich glaube schlicht, dass eine hundertprozentige, allumfassend zufriedenstellende Lösung in dieser Frage nicht möglich ist, sondern das wird ein Bereich sein, in dem wir uns immer wieder Schritt für Schritt den neuen medizinischen Erkenntnissen, den Möglichkeiten zuwenden und Lösungen immer wieder neu definieren müssen.
Zum Thema Zwangsmedikation und Patientenautonomie ist eine Menge vom Kollegen Isenberg gesagt worden. Ich muss das nicht alles wiederholen, aber mir ist schon wichtig, dass wir zum einen das Thema Besuchskommissionen sowohl in der Zusammensetzung wie in der Anzahl deutlich erhöht und eine qualitativ hochwertige Arbeit dieser Besuchskommission ermöglicht haben, dass wir die Sicherheit der Patientinnen und Patienten mit dem festgeschriebenen Behandlungsplan nach § 29 sowie der verpflichtenden vorherigen Aufklärung über ihre Behandlung und Rechte gestärkt haben und dass wir vor allem, Herr Behrendt – und das ist mir ganz besonders wich-
tig –, festgeschrieben haben, dass die Senatsverwaltung alle zwei Jahre einen Bericht über die Arbeit der Besuchskommissionen geben muss – bisher war das einmal in der Legislaturperiode – und dass wir festgeschrieben haben, dass das Gesetz einmal pro Legislaturperiode evaluiert wird. Denn das Entscheidende bei dieser schwierig zu regelnden Thematik ist, dass wir sie immer wieder in den politischen Diskurs holen, um immer wieder miteinander zu diskutieren, was der richtige Weg zwischen Gefahrenabwehr, der herausfordernden Arbeit und der notwendigen Rechtsgrundlage für die Ärztinnen und Ärzte und natürlich für den Schutz der Grundrechte der Patientinnen und Patienten ist. Deshalb glaube ich, haben wir hier für heute einen guten Kompromiss gefunden, und ich bitte herzlich um Zustimmung zu dieser Gesetzesvorlage! – Herzlichen Dank!
Danke schön! – Der Letzte in der Runde ist Herr Dr. Albers von der Fraktion Die Linke. – Bitte schön, Herr Dr. Albers!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen, meine Herren! Das war schon ein Parforceritt im Ausschuss: eine 78-seitige Synopse von Änderungsanträgen, nicht zuletzt auch der Regierungsfraktionen zum eigenen Senatsentwurf. Es bleibt dabei: Wir teilen die grundsätzliche Kritik der Berliner Krankenhausgesellschaft an diesem Gesetz. Die hohe Auslastung von nahezu 100 Prozent in den psychiatrischen Abteilungen, der Aufnahmedruck und die niedrigen Verweildauern machen einen Ausbau der klinischen Kapazitäten dringend notwendig.
Grundvoraussetzung zur Umsetzung der sich aus dem Gesetz ergebenden personellen Vorgaben und des räumlichen und sächlichen Mehrbedarfs wäre aber zunächst einmal die ausreichende Grundfinanzierung der Häuser – dem aber, so die Berliner Krankenhausgesellschaft mit klaren Worten, kommt der Senat weiterhin nicht nach. Wir werden diesem Gesetz allein schon aus diesem Grund nicht zustimmen.
Die Berliner Krankenhausgesellschaft kritisiert auch: Im Mittelpunkt der Arbeit und des Handelns der Mitarbeiter der Einrichtungen muss die psychisch erkrankte Person stehen, nicht deren administrative Vor-, Nach- und Aufbereitung. Dieser Zielsetzung aber – so die BKG wörtlich – „wird der vorgelegte Gesetzentwurf nicht umfassend gerecht.“ – Ein zweiter Grund, ihn abzulehnen.
Eine notwendige Anmerkung: Psychiatrische Behandlung, Herr Isenberg, muss immer gewaltfrei, nicht „möglichst gewaltfrei“ sein.
Aber leider sind psychiatrische Krankheitsbilder nicht immer gewaltfrei, und genau das ist das Problem.
Herr Behrendt! Die Psychose ist eine Veränderung im Kernbereich der Persönlichkeit, deshalb muss die medikamentöse Therapie gerade in diesem Kernbereich der Persönlichkeit ansetzen, ansonsten haben Sie keine Chance, sie medizinisch zu behandeln. Wer deshalb die Akutbehandlung psychiatrischer Ausnahmezustände als Folter bezeichnet, wie im Ausschuss geschehen, und den Beschäftigten in den Krankenhäusern somit Folter unterstellt oder „Foltergesetzmacher“ diffamiert, dem fehlt, das sage ich bewusst und in aller Deutlichkeit, mehr als ein Groschen zu einer Mark.
Ein weiterer Kritikpunkt in diesem Zusammenhang: In § 28 Abs. 7 legen Sie fest, dass eine sogenannte medikamentöse Zwangsbehandlung nur bei Lebensgefahr für den Betroffenen oder einer erheblichen Gefahr für dessen eigene Gesundheit zulässig sein soll. – Ich will Ihnen die Unsinnigkeit dieser Regelung am Beispiel des Vorfalls im Neptunbrunnen deutlich machen: So lange sich der Mann in seiner akuten psychiatrischen Notlage selbst bedroht hat, hätte er nach dem Gesetz im Krankenhaus mit den notwendigen Medikamenten akut behandelt werden können. In dem Moment aber, wo er im gleichen psychiatrischen Krankheitszustand den Polizisten bedroht hat, schließt Ihre Lesart des Gesetzes die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung aus. Lesen Sie es nach, es ist so! Das wird dazu führen, dass Patienten, die in krankheitsbedingter Verkennung der Situation eine andere Person als Bedrohung empfinden, zukünftig nicht mehr in ein Krankenhaus verbracht werden können. Sie landen in irgendwelchen Beruhigungszellen, und man enthält Ihnen die notwendige ärztliche Behandlung vor. – Wollen Sie das wirklich?
Ihr Gesetz ist da im Übrigen in sich selbst nicht schlüssig, denn unter § 39 Abs. 2 Satz 5 ermöglichen Sie die medikamentöse Sedierung fixierter Patienten im Zusammenhang mit besonderen Sicherungsmaßnahmen, gerade auch bei Gefahr für eine bedeutende Schädigung der Rechtsgüter Dritter. Das passt so nicht zusammen, deswegen lehnen wir Ihr Gesetz ab. Mehr Zeit zur detaillierten Kritik bleibt leider nicht. – Danke!
Zunächst lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/2992-1 abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das sind die Grünen und die Piraten. Gegenstimmen? – Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Die Fraktion Die Linke. Damit ist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt.
Nun lasse ich über den Änderungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 17/2696-1 abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das ist die Piratenfraktion. Gegenstimmen? – Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Bei Grünen und der Linken. Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Zu der Gesetzesvorlage Drucksache 17/2696 empfehlen die Ausschüsse mehrheitlich – gegen die Oppositionsfraktionen – die Annahme mit Änderungen. Zu diesem Tagesordnungspunkt ist von der Piratenfraktion die namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich bitte deshalb den Saaldienst, die vorgesehenen Tische an den Seiten des Stenografentisches aufzustellen. Ich bitte die Beisitzerinnen und Beisitzer nach vorne. Eine namentliche Abstimmung ist gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses mit Namensaufruf durchzuführen. Wir werden gleich mit dem Aufruf der Abgeordneten beginnen.
Die Stimmkarten werden Ihnen durch Präsidiumsmitglieder ausgegeben. Ich weise darauf hin, dass die tatsächliche Stimmabgabe erst nach Namensaufruf möglich ist. Zuvor werden die Urnenschlitze durch Präsidiumsmitglieder abgedeckt. Nur so ist ein reibungsloser und geordneter Wahlgang möglich. Sie finden Urnen vor, die eindeutig gekennzeichnet sind – eine Urne für die JaStimmen, eine Urne für die Nein-Stimmen, eine Urne für die Enthaltungen sowie für die nicht benötigten restlichen Karten und Umschläge.
Ich eröffne die Abstimmung über die Gesetzesvorlage Drucksache 17/2696. Dazu empfehlen die Ausschüsse mehrheitlich – gegen die Oppositionsfraktionen – die Annahme mit Änderungen. Wer der Gesetzesvorlage mit den Änderungen der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziales zustimmen möchte, muss mit Ja stimmen. Ansonsten Nein oder Enthaltung. – Ich bitte jetzt, mit dem Namensaufruf zu beginnen!
Hatten alle anwesenden Mitglieder des Hauses die Möglichkeit, abzustimmen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Präsidiumsmitglieder, die Auszählung vorzunehmen! Für die Dauer der Auszählung wird die Sitzung unterbrochen.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen. Ich darf Ihnen das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten bekannt geben.
a) Gesetz zur Anpassung der Besoldung und Versorgung für das Land Berlin 2016 und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (BerlBVAnpG 2016)
Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 6. Juni 2016 und dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 8. Juni 2016 Drucksache 17/2990
Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/2934-2
b) Gesetz zur Wiedereinführung von Jubiläumszuwendungen für Beamtinnen und Beamte sowie Richterinnen und Richter im Land Berlin
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 9. Mai 2016 und dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 8. Juni 2016 Drucksache 17/2991