Protokoll der Sitzung vom 08.09.2016

[Beifall bei der LINKEN]

(Vizepräsident Andreas Gram)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Becker?

Das mache ich gerne. – Ich hatte zwar gehört, dass Sie keine Stimme haben, aber –

Ja, aber für eine Zwischenfrage wird es reichen!

wenn es für die Zwischenfrage reicht – bitte!

Ich versuche es einfach mal. – Frau Kollegin Bluhm! Ich wollte fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass im laufenden Doppelhaushalt rund 4 000 Stellen eingestellt wurden.

Ja, aber dann, Frau Becker, kennen Sie ja bestimmt auch den eigentlichen Einstellungsbedarf. Sie wissen wahrscheinlich auch, dass im Statusbericht, der gestern im Hauptausschuss nicht diskutiert werden sollte, 100 Millionen Euro an Personalkosten übrig geblieben sind – Personal also, das hätte eingestellt werden können, jedoch nicht eingestellt wurde. Zu diesem Delta über den Austausch durch die natürliche Fluktuation hinaus sollte man Stellung nehmen, und Sie werden nicht drumherum kommen zu begründen, warum Ihnen das nicht gelungen ist.

[Beifall bei der LINKEN]

Ich glaube, es liegt auch an einem Politikstil, der nicht mehr zu dieser Stadt passt und der auch nicht funktionieren kann. Wenn ich ein Problem im Wesentlichen dadurch als gelöst ansehe, dass ich verkünde: Das Geld ist da, wir haben alle Voraussetzungen geschaffen –, und damit in der Zeitung stehe, schaffe ich eine Erwartungshaltung. Wenn ich mich dann aber dem Problem gegenüber nicht angemessen verhalte, die Probleme der Umsetzung nicht löse und mich um die Umsetzung nicht kümmere, sondern die Verantwortung an die Bezirke oder andere – auf jeden Fall nach unten – durchgebe, mich nicht um die zum Teil ja nicht trivialen Lösungen kümmere, die da hätten gefunden werden müssen, ich zudem die Bezirke strukturell nicht in die Lage versetze, diese Probleme zu lösen, dann fällt das auf mich zurück, und dann ist das ein Politikstil, der sogar verhindert und verunmöglicht, sich den Problemen zu stellen, weil ich sie als gar nicht existent ansehe.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Diesen Problemen müssen Sie sich stellen. Die Voraussetzungen sind durchaus schlechter geworden, das muss man sagen, weil durch Zeitverzug eine andere Marktsituation entstanden ist. Ich will auch nicht unerwähnt lassen, dass die Begleitmusik, der Umgang des Innensenators mit den Beschäftigtenvertretungen, mit dem Hauptpersonalrat und den Vorschlägen, die diese unterbreitet haben, ein unerträglicher ist – bei der Beamtenbesoldung haben Sie entschieden, die Beamten 13 Jahre warten zu lassen, bis sie im Bundesdurchschnitt der anderen Länder angekommen sind. All das sind Entscheidungen, die Sie begründen müssen.

[Beifall bei der LINKEN]

Es liegen Anträge vor, die wir im Jahr 2014 gestellt haben. Inzwischen sind sich alle einig, das ist in den Formulierungen zu hören, dass das die richtigen Anträge waren. 2016 haben Sie alle Anträge abgelehnt. Einen können Sie nun nicht ablehnen, denn Michael Müller hat vorhin gesagt, dass die alleinige Zuständigkeit für das Thema Personal an einer Stelle selbstverständlich richtig und wichtig sei.

[Steffen Zillich (LINKE): Ja, stimmt, hat er gesagt!]

Diesem Antrag werden Sie dann ja auf jeden Fall zustimmen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Thomas Birk (GRÜNE)]

Ich glaube nur, dass das nicht reicht, und ich wünsche mir, dass es kein „Weiter so!“ gibt, sondern dass der Sanierungsfall öffentlicher Dienst als Chance begriffen wird und das Potenzial der Stadt zugutekommt.

[Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Bluhm! – Bei der SPD gibt die Kollegin Becker ihre Rede zu Protokoll, weil sie heute stimmlich begrenzt ist. Ich wünsche Ihnen gute Besserung! Sie haben offenbar eine schwere Erkältung – alles Gute!

Am Spätabend der auslaufenden 17. Wahlperiode begrüße ich es, dass die vorliegenden Anträge zu dem wichtigen Thema Personalentwicklung in der öffentlichen Verwaltung heute noch einmal aufgerufen werden. Ich möchte meine Redezeit für eine Zwischenbilanz nutzen und nach vorne blicken.

Wir alle kennen Situationen auf Ämtern und wissen, wie wichtig es ist, dass sie reibungslos funktionieren sollten. Gerade die sich an einigen Stellen zugespitzt darstellenden Schwierigkeiten bei den Bürgerämtern zeigen Handlungsbedarf, dem wir uns bereits stellen. Damit die Berliner Verwaltung allen Berlinerinnen und Berlinern als

verlässliche, moderne Partnerin zur Seite stehen kann, brauchen wir mehr qualifizierte und motivierte Mitarbeitende, die auf die gewandelten Bedürfnisse der Berlinerinnen und Berliner eingestellt sind, vor allem im Hinblick auf Transparenz und Beteiligung. Damit wir gutes Personal besser und schneller finden, müssen wir in der nächsten Zeit einiges auf den Weg bringen.

Ich erzähle kein Geheimnis damit, dass die Spar- und Personalabbaupolitik der letzten 15 Jahre vor allem der finanziellen Situation Berlins in den Nachwendejahren geschuldet war und nun an Grenzen gestoßen ist. Für die Verwaltung bedeutet das nichts weniger, als dass der riesige alte Tanker bewegt werden muss, um die moderne Hauptstadt Berlin mit einer modernen leistungsfähigen Verwaltung auszustatten! Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein großes Verdienst dieser Wahlperiode – und auch der großen Koalition –, dass wir den Verwaltungstanker mit unseren parlamentarischen Initiativen und unserem energischen Nachhalten zu einer Kursänderung umsteuern konnten!

Besonders deutlich zeigt sich diese Korrektur daran, dass die Hauptverwaltung und Bezirke seit dem letzten Jahr wieder einstellen. Der Personalbestand wird bis 2018 wieder auf gut 110 000 Landesbeschäftigte anwachsen. Dazu haben wir im laufenden Doppelhaushalt rund 4 000 neue Stellen für Land und Bezirke eingestellt. Sämtliche Auszubildenden werden dauerhaft übernommen. Die Neueinstellungen sind allerdings überfällig, hat doch dieser Tanker eine doppelte Aufgabe zu lösen: Zum einen steht ein Generationenwechsel an, der mit dem altersbedingten Ausscheiden in den kommenden sechs bis sieben Jahren einhergeht und die Einstellung von jährlich 5 000 bis 6 000 neuen Mitarbeitenden in der Hauptverwaltung und den Bezirken erforderlich macht. Zum anderen wird Berlin in den nächsten Jahren auf eine Vier-MillionenStadt anwachsen, was ein professionell gesteuertes gesamtstädtisches Personalmanagement dringend erforderlich macht. Diese enormen Zuzüge sind übrigens ein großer Erfolg für die Politik der letzten 15 Jahre, wenn man einmal rückblickend betrachtet, dass Experten Berlin in den 1990-er-Jahren noch als schrumpfende Stadt nahezu abgeschrieben haben!

Für die Verwaltung heißt das, dass sich ihr Rollenverständnis wandelt von einer reinen Personalausgabenverwaltung hin zu einer, die die Gewinnung und Deckung des personellen Bedarfs und eben eine stringente und vorausschauende Personalentwicklung professionell im Blick haben muss. An dieser Stelle kommt die Situation bei den Fachkräften mit ins Spiel, die in der Stadt stark nachgefragt sind, allein durch die Konkurrenz der privaten Wirtschaft, durch das Nachbarbundesland Brandenburg und natürlich die Bundesministerien. Schon jetzt sind in unserer Verwaltung Mangelberufe identifiziert worden, beispielsweise im ärztlichen und bautechnischen Bereich sowie bei den IT-Berufen.

Das Land Berlin muss sich hier sehr rasch als attraktiver Arbeitgeber im Wettbewerb um gute Fachkräfte positionieren. Allein das geringe Arbeitsplatz- und Standortrisiko reichen als Wettbewerbsargument nicht aus. Gleichfalls gilt, auch wenn die gerechte Entlohnung unser erklärtes Ziel bleibt, dass wir den Wettlauf um die beste Bezahlung selbst bei größter Anstrengung mittelfristig nicht gewinnen werden. Trotzdem werden wir um die besten Köpfe konkurrieren müssen!

Geboten sind ganzheitliche Konzepte für ein zeitgemäßes Personalmanagement in einer vielfältigen Stadt, damit eine Tätigkeit in der Hauptverwaltung und den Bezirken noch attraktiver wird. Wir wollen neben den oben angeführten Argumenten stärker auf Aus- und Weiterbildung des eigenen Nachwuchses resp. duale Studiengänge setzen, auf die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege, auf präventive Gesundheitsförderung als Ausweg aus belastenden Teufelskreisen, auf verbesserte Aufstiegschancen innerhalb der Verwaltung und für alle Laufbahngruppen, die nun rasch angegangen werden müssen. Gerade hier hat sich die Innenverwaltung trotz der gesetzlichen Möglichkeiten leider kaum bewegt.

Viele erfolgreiche Modelle gibt es zweifelsohne – hier sei die Finanzverwaltung genannt –, doch müssen sie stärker standardisiert und alle Berufsgruppen berücksichtigt werden. Damit Fachkräfte wissen, dass es im Land Berlin attraktive Arbeitsplätze gibt, muss das zentrale Karriereportal schnell zu einem intelligenten, einheitlichen Bewerberportal entwickelt werden, das sowohl die Personalbedarfsplanung im Blick hat als auch die Konkurrenzsituation unter den Behörden entschärft. Weiterhin setzen wir auf Wissenstransfer, um Nachwuchskräfte für bestimmte Positionen zu motivieren und den Verlust von Wissen und Erfahrung durch Ausscheidende gering zu erhalten. Ein großes Thema bleibt die Dauer von Stellenbesetzungsverfahren, die wir in den letzten zwei Jahren immer wieder intensiv behandelten.

Parlament und Senat haben die Herausforderungen erkannt und ergreifen Strategien und Maßnahmen zur Personalentwicklung mit zahlreichen Initiativen. Der Regierende Bürgermeister hat seine Absicht sehr richtig deutlich gemacht, dass die Personalentwicklung künftig gesamtstädtisch gebündelt und aus einer Hand gesteuert werden soll. Das muss natürlich in enger Abstimmung mit der ebenfalls zentral zu koordinierenden IT-Verantwortlichkeit geschehen.

Mit der Umsetzung unserer parlamentarischen Aufträge 2013 waren wir als Parlamentarier zunächst nicht zufrieden. Mehrfach mahnten wir im Hauptausschuss wie im Unterausschuss Personalwirtschaft an, dass die Anträge ernsthafter und rascher umgesetzt werden müssen – insbesondere die Innenverwaltung vergaß hier nicht selten ihre Hausaufgaben. Gleichwohl sehen wir, dass sich Verwaltung nach all den Sparjahren zunächst in ihre neue

Rolle einfinden muss, was wir erreicht haben. Das war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Lobend erwähnen möchte ich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die von Anfang ihren Job richtig verstanden und gut gemacht hat und Personalbedarf von Anfang an aufgabenkritisch analysierte und fragte, welche Aufgaben weiter erledigt werden müssen, welche anders sind bzw. es nicht mehr gibt. Davon wollen wir mehr! Stellenaufwuchs und Neueinstellungen sind kein Automatismus, sondern müssen gerade jetzt wieder aufgabenkritisch betrachtet werden und sich aus den neuen oder wachsenden Aufgaben heraus begründen!

Die vorliegenden Anträge sehe ich als wichtige und unterstützende Ergänzung zu den umfangreichen Parlamentsinitiativen der Koalition – ausgehend von der SPDInitiative – der letzten vier Jahre. Wir haben die Anliegen intensiv im Plenum, im Haupt- und Innenausschuss sowie im Unterausschuss Personalwirtschaft behandelt und die Verwaltung mit der weiteren Behandlung beauftragt. Ich empfehle daher die Ablehnung.

Frau Kollegin Remlinger! Sie haben das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Becker! Auch von mir alles Gute für die Stimme! Bevor ich ins Thema einsteige, möchte ich mich im Namen meiner Fraktion an dem passenden Thema Personal bei den Beschäftigten des Landes Berlin bedanken, dass sie unsere parlamentarischen Streitereien oder unser intensives Ringen, das oft sehr zeitintensiv gewesen ist, fünf Jahre ertragen haben, und zwar insbesondere bei den Ausschussmitarbeiterinnen und -mitarbeitern und den Beschäftigten hier im Haus. Bei Ihnen möchten wir uns, stellvertretend für das Personal der Berliner Verwaltung, bedanken – auch dafür, dass Sie unsere Entscheidungen aushalten, wenn Sie sicher auch oft auf noch Besseres hoffen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Linke! Wir diskutieren heute Ihre sechs Anträge. Inhaltlich muss ich nicht viel dazu sagen, sie sind einfach gut und richtig; wir werden ihnen zustimmen.

[Beifall von Dr. Manuela Schmidt (LINKE)]

Selbstverständlich ist es richtig, dass die Steuerung und Koordinierung samt zugehörigem Staatssekretär zusammengefasst werden. Der Regierende hat heute selbst gesagt, dass es ein Fehler war, die Personalpolitik halb bei Finanzen, halb bei dem Innensenator anzusiedeln, wobei ich sagen muss: Der Hauptfehler war wohl auch einfach, es bei Herrn Henkel anzusiedeln, denn der interessiert sich offensichtlich mehr für Fernreisen und für

die Sicherheitspolitik des chinesischen Zentralkomitees als für seine Berliner Beschäftigten.

[Beifall bei den GRÜNEN – Oliver Friederici (CDU): Ha, ha, ha!]

Ja, Herr Friederici, dass Sie darüber nicht lachen können, verstehe ich; ich kann auch nicht darüber lachen. Es wäre eigentlich eine wichtige Aufgabe gewesen, sich mehr um die Beschäftigten zu kümmern. – Herr Goiny! Ich weiß, Sie lächeln jetzt schon süffisant und werden nachher wahrscheinlich das erzählen, was Herr Henkel erzählt hat,

[Oliver Friederici (CDU): Das richtigstellen, was Sie sagen! – Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

dass Sie überhaupt keine Fehler gemacht haben. Aber außer der Beamtenbesoldung war Ihnen alles egal.

Es bleibt auch richtig, was die Linken zum Thema Personalbedarf geschrieben haben: Gerade auch jetzt, beim Personalaufbau muss vernünftig ermittelt werden. Man braucht eine vernünftige Mischung zwischen Zielvorgaben und aufgabenbezogener Betrachtung, statt dem, was Sie immer gemacht haben, nämlich einfach am Kartentisch auszuzocken, wer wieviel bekommt. Sie haben kein einziges Mal inhaltlich untersetzen können, warum Sie welche Stellen in welcher Verwaltung zu welchem Zeitpunkt zugeschlagen haben.

Unser Ziel dabei heißt: guter und schneller Service, übrigens gerne auch von der Hauptverwaltung gegenüber den Bezirken, und hohe Kundenzufriedenheit bei den Berlinerinnen und Berlinern.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Es ist uns als Fraktion wichtig zu betonen, dass die Hauptaufgabe der nächsten Jahre in der Personalgewinnung liegt. Personalaufbau ist das, was wir wollen. Wir gehen davon aus, dass wir mindestens 1 000 zusätzliche Stellen pro Jahr schaffen müssen, und wir wollen sie vor allem besetzt bekommen.

Herr Henkel! Sie haben mitnichten 1 000 neue Stellen bei der Polizei in dieser Wahlperiode besetzt. Gut die Hälfte ist vielleicht besetzt. Und bei den Direktionen, die so wichtig für die Arbeit und Präsenz der Polizei vor Ort sind, besteht sogar ein Minus von 700 Menschen, die diese Stellen besetzen.

Aber bei einem so langweiligen Wort wie Stellenbesetzungen spielt die Musik. Dem aktuellen Statusbericht für den Doppelhaushalt kann man entnehmen, dass 115 Millionen Euro, die für diese Stellen bereitstanden, nicht abgerufen worden sind. Deshalb müssen wir an dieses Thema ran. Wir fragen uns, warum das bei der Bildungsverwaltung klappt, aber nicht bei den Bezirken und der Polizei.

(Franziska Becker)