Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Gesetzesantrag Drucksache 17/2574 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich gegen die Oppositionsfraktionen die Ablehnung. Wer dem Gesetzesantrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind Linke, Grüne und Piraten. Wer lehnt ab? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich nicht. Damit die Ablehnung beschlossen.
Gemeinschaftsschule soll eine schulstufenübergreifende Regelschule werden! (Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes von Berlin)
Ich eröffne die erste Lesung. Frau Kollegin Kittler ist für die Linksfraktion benannt. – Sie erhalten das Wort. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 250 000 Kinder und Jugendliche in Berlin sind arm. Das ist jede/r Dritte unter 18 Jahren. Hinzu kommen Tausende, die in Familien leben, in denen die Eltern zu den sogenannten Geringverdienenden gehören. Sie gehören zu den Schülerinnen und Schülern, die gegenüber den anderen benachteiligt sind und weniger Bildungschancen haben. Sie erreichen oft keinen oder geringere Abschlüsse als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Das gilt übrigens in ganz Deutschland, besonders aber in den Großstädten und auch in Berlin, und das in einem der reichsten Länder der Welt!
Herr Graf sprach heute wieder über das drohende Szenario der Einheitsschule – gemeint ist sicherlich die Gemeinschaftsschule, Herr Graf, nicht? –
und schmiss sich hinter den fahrenden Bus bezüglich der Gymnasien. Zu Letzteren ist mir übrigens nicht bekannt, dass sie sich in irgendeiner Gefahr befinden würden und
In dem Zusammenhang muss ich sagen: Keiner will diese Schule gegenwärtig abschaffen. Was abgeschafft gehört, ist das Probejahr an den Gymnasien.
Aber ich sehe hier auch einen Bildungsauftrag für mich. Da würde ich der CDU zumindest gerne sagen: Wenn diese Schule, die Gemeinschaftsschule, von Ihnen häufig als Einheitsschule abqualifiziert wird, ist das eine völlig ahnungsfreie Einschätzung.
Ja, die Gemeinschaftsschule ist eine Einheitsschule, und zwar im besten Sinne, nämlich in dem, wie sie Wilhelm von Humboldt schon in seinem Schulgesetzentwurf für Preußen von 1819 forderte: eine Einheitsschule, die jedes Kind individuell fördert. Nicht umsonst hat eine der erfolgreichsten und überall nachgefragten Gemeinschaftsschulen im Prenzlauer Berg diesen Namen gewählt.
Sehr geehrter Herr Graf! Werte Damen und Herren der CDU! Sie beklagen überall, dass zu wenige Schülerinnen und Schüler einen Abschluss erreichen, dass die Lernerfolge bei VERA nicht hoch genug sind. Auch Sie wissen, dass der Bildungserfolg in hohem Maße von der sozialen Herkunft abhängig ist. Sind Sie wirklich der Meinung, dass das Gymnasium diese Probleme der Bildung in Berlin lösen wird? – Mit Sicherheit nicht, um einmal eines Ihrer Lieblingsworte zu gebrauchen.
Also müssen wir etwas Neues wagen. Ein „Weiter so“ kann es nicht geben, sonst ändert sich nichts. Unsere Berliner Gemeinschaftsschule hat sich in der achtjährigen Pilotphase bewährt, attestiert durch eine exzellente wissenschaftliche Begleitung. Der im April 2016 vorgelegte Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung bestätigte mit noch größerer Deutlichkeit als die vorangegangenen Zwischenberichte, dass es der übergroßen Mehrheit der Gemeinschaftsschulen gelingt, dem Bildungserfolg ihrer Schülerinnen und Schüler von der sozialen Herkunft abzukoppeln und sich zu Schulen für alle zu entwickeln, in denen alle erfolgreich lernen können, hochbegabte Kinder genauso wie Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und alle anderen. Lerndefizite, wie sie in den zurückliegenden Jahren durch VERA 3 und 8 zum Beispiel in Deutsch und Mathe erkennbar wurden, sollten uns geradewegs zu Gemeinschaftsschulen führen, denn hier wurden nachweisbar große Erfolge erreicht.
Mit dieser Schulgesetzänderung, die wir beantragen, wird die Gemeinschaftsschule als schulstufenübergreifende Regelschule in das Schulgesetz aufgenommen und
umfasst somit alle Schuljahrgänge von Klasse 1 bis zu einem Schulabschluss, also auch bis zum Abitur.
Leider fehlt mir jetzt die Zeit, auf den heute in der „FAZ“ erschienen hanebüchenen Artikel eines ehemaligen Gymnasiallehrers einzugehen. Wer dazu Fragen hat, kann sich gerne an mich wenden.
Die Berliner Gemeinschaftsschulen sind in ihrer Mehrheit hoch- und übernachgefragt und bei den beteiligten Eltern, Pädagoginnen, Pädagogen, Schülerinnen und Schülern hoch akzeptiert. Aus diesem Grunde kann man die Pilotphase für beendet erklären und den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern ein reguläres Angebot im Berliner Schulwesen entsprechend empfehlen. Also kann ich nur sagen: Bestanden, mit guten und sehr guten Noten. Und deshalb und weil die Gemeinschaftsschule eine Antwort auf die bisher ungelösten Aufgaben in der Bildung dieser Stadt ist, kann und soll sie jetzt Regelschule werden. Das ist unser Ziel. Dafür werbe ich um Unterstützung.
Danke schön, Frau Kollegin! – Kollege Oberg! Sie sprechen für die SPD-Fraktion, und ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Politik macht immer dann am meisten Spaß, wenn es gelingt, echte Verbesserungen durchsetzen zu können, so wie das mit dem Schulmittagessen, dem Brennpunktschulprogramm oder der Schließung der Hortlücke in dieser Wahlperiode gelungen ist, oder aber, wenn eine Idee konsequent ausprobiert wird und sich dann als Erfolg erweist, so wie das bei der Gemeinschaftsschule der Fall ist. Spätestens seit der Evaluation, die nun schon einige Tage vorliegt, wissen wir, dass die Pilotphase und damit auch die Gemeinschaftsschule eine gute Idee und eine erfolgreiche Idee war.
Und Frau Kittler, wenn Sie uns noch etwas zu dem „FAZ“-Artikel von heute sagen möchten, dann können Sie jetzt in Form einer Kurzintervention auf mich Bezug nehmen. Ich bin nämlich wie Sie der Meinung, dass dieser Artikel sicher den einen oder anderen bedenkenswerten Aspekt enthält, aber in seiner Grundausrichtung schon klar war, bevor der erste Satz geschrieben war.
Jetzt muss der nächste Schritt erfolgen. Das ist ganz klar. Die Pilotphase muss abgeschlossen werden. Die Gemeinschaftsschule muss neben dem Gymnasium, neben der ISS zu einer Berliner Regelschule werden. Dafür muss das Schulgesetz geändert werden. Der Linksfraktion ist dafür zu danken, dass sie hierfür einen Entwurf vorgelegt hat. Nun wissen wir alle, in eineinhalb Wochen wird gewählt, deshalb wissen wir auch, dass das mit dem Gesetz ändern nicht mehr klappen wird. Eine reguläre Beratung im Abendrot dieser Wahlperiode wird schon terminlich nicht möglich sein. Dann ist es auch so, dass es in dieser Koalition, die die Stadt noch regiert, keine gemeinsame Auffassung zu dem Thema gibt, es sei denn, Frau Bentele überrascht uns gleich alle.
Tun Sie der Stadt einen Gefallen und sorgen Sie dafür, dass das Ende der Pilotphase aber auf keinen Fall wieder Anlass für einen ideologischen Erregungs- und Eiertanz wird, wie ihn CDU und FDP zu Beginn der Pilotphase aufgeführt haben!
Was drohte da nicht alles durch die Gemeinschaftsschule: der Sozialismus, nein, die DDR standen direkt vor der Tür und die Schule in Berlin kurz vor dem Untergang.
Man musste den Eindruck haben, die Gemeinschaftsschule sei nichts weniger als eine bildungspolitische Wasserstoffbombe. Und heute Morgen konnte man ein leichtes Echo dieser Rhetorik in der Rede von Herrn Graf hören. Ich finde es ein bisschen verrückt, dass ausgerechnet die gescheitertste Rhetorik und die, die sich als untauglichste erwiesen hat, direkt vor einer Wahl wieder ausgepackt wird.
Das Theater von damals war unfassbar weit weg von der Wirklichkeit. Irgendwann wurde dann in dieser Stadt der Schulfrieden ausgerufen. Und das ist auch eine gute Idee, zumindest solange man den Schulfrieden nicht so versteht, dass er das Ende der Schulpolitik ist. Schulfrieden bedeutet für uns, dass wir die Politik machen, gerade im Bildungsbereich, mit der die Stadt ihren Frieden gemacht hat.