Protokoll der Sitzung vom 27.10.2016

Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/0001-1

Änderungsantrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/0001-2

Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0001-3

Die genannte Drucksache sowie die Änderungsanträge liegen Ihnen allen auf Ihren Tischen vor.

Es ist für die Beratung eine Redezeit von je fünf Minuten pro Fraktion vorgesehen. Die Rederunde beginnt die SPD-Fraktion. – Bitte sehr, Herr Schneider!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie es üblich und erforderlich ist, gibt sich das Abgeordnetenhaus heute eine Geschäftsordnung, wie das jedes Parlament für sich tut. Die Geschäftsordnung ist eine nach innen wirkende Norm, die für uns von großer Bedeutung ist, weil

wir nämlich Abstriche an unseren eigenen Rechten vornehmen. Das ist erforderlich und anerkannt, um einen geordneten Parlamentsablauf zu organisieren.

Wie zu Beginn jeder Legislaturperiode ist es auch in diesem Jahr gelungen, eine von fünf Fraktionen getragene Geschäftsordnung als gemeinsamen Entwurf zur Abstimmung und zur Beratung vorzulegen. Ich bin froh darüber, dass wir wie in den letzten Legislaturperioden mit den noch nicht in vollem Konsens befindlichen Einzelpunkten so verfahren, dass wir sie im Rechtsausschuss miteinander diskutieren. Es ist nämlich unsere Aufgabe, auch die Geschäftsordnung immer wieder zu überprüfen, sie in Relation zu setzen, wie sich andere Parlamente diesbezüglich organisieren. Dafür ist der Rechtsausschuss der richtige Ort. Wir sichern als SPD-Fraktion zu – und sind uns auch im Hause einig –, dass wir vor dem Hintergrund der Wahrung der Rechte der Opposition eine Evaluation in Bezug zu anderen Landesverfassungen vornehmen, die wir allerdings nicht an Einzelpunkten, die möglicherweise auf erhöhtes Interesse in der Öffentlichkeit treffen, sondern an substanziellen inhaltlichen Fragen ausrichten. Sollte eine solche Betrachtung ergeben, dass die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin für diese 18. Legislaturperiode an dieser Stelle einen Nachholbedarf hat, wovon ich nicht ausgehe, dann werden wir das gemeinsam konstruktiv betrachten und korrigieren.

Ich bin sogar der Auffassung, und mit mir die SPDFraktion, dass wir stolz sein können auf unsere Geschäftsordnung, denn was wir hier seit Jahren praktizieren – keine Redezeiten nach der Stärke der Fraktionen, sondern jede Fraktion, auch die kleinste, gleichberechtigt aufzurufen, Zugriffsrechte in dieser Art und Weise zu gestalten –, das sucht seinesgleichen, und das ist ein starker Auftritt des Parlaments nach außen. Ich werbe im Namen der SPD-Fraktion dafür, dieser Geschäftsordnung zuzustimmen und sich in diesem Verfahren, das ich skizziert habe und das gute, geübte Praxis ist, wiederzufinden und gemeinsam konstruktiv zu arbeiten.

Ich möchte noch etwas zu einem Änderungsantrag sagen. Wir haben mit Blick auf den Umstand, dass wir nunmehr sechs Fraktionen in diesem Hohen Haus sind, die Geschäftsordnung auf den Prüfstand gestellt, zum Beispiel, was das Ende unserer Plenarsitzung anbelangt, aber auch andere Aspekte, Fragerechte usw. In diesem Kontext ist es gelungen, eine ganz und gar signifikante Veränderung vorzunehmen, die ihre Einleitung schon zu Beginn der letzten Legislaturperiode gefunden hat. Wir haben nämlich gemeinsam festgestellt, dass es für Regierungsfraktionen durchaus bequem sein kann, einzelne Anträge in den Fachausschüssen liegenzulassen. Diese Beobachtung ist nicht neu. Die Methode ist bekannt, das gehört zum taktischen Parlamentsalltag. In der letzten Geschäftsordnung haben wir dafür gesorgt, dass solche Anträge nach sechs Monaten aufgerufen und hier im Plenum diskutiert

(Alterspräsidentin Bruni Wildenhein-Lauterbach)

werden können, um eine Exponiertheit im politischen Raum herzustellen. Jetzt sind wir noch einen signifikanten Schritt weiter gegangen und haben dafür gesorgt, dass ein Quorum von 25 Prozent der Mitglieder des Ausschusses oder des Hauses Anträge auf die Tagesordnung zwingen kann. Das ist nach meiner Einschätzung bundesweit einmalig, und das wird auch eine Herausforderung für den Parlamentsablauf sein.

Hier liegt ein Änderungsantrag vor, der sich gegen diese deutliche Ausweitung der Oppositionsrechte ausspricht. Wir haben uns auch das noch mal in der gebotenen Sorgfältigkeit angesehen. Diesem Änderungsantrag wird die SPD-Fraktion nicht nähertreten, weil wir glauben, dass wir da einen deutlichen Schritt nach vorne gekommen sind. Wir sehen keinen Anlass, das weiter auszuweiten. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Jetzt bitte die CDU-Fraktion; Herr Melzer, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Mit dem heutigen Start der Legislaturperiode verbindet meine Fraktion die Hoffnung und Erwartung, dass wir alle konstruktiv in der Sache und fair im Umgang um den besten Weg für Berlin ringen. Die Spielregeln dazu werden im Regelfall in Geschäftsordnungen erarbeitet. Viele der bestehenden Regelungen der 17. Wahlperiode sind jetzt übernommen worden. Einige Anpassungen – Herr Schneider hat auch darauf hingewiesen –, z. B. bei der Redezeit im Plenum, bei der Aufteilung von bestimmten Fragestellungen, beim Wechsel von einem Fünf- in ein Sechsfraktionenparlament, sind vorgenommen worden. Der Plenarablauf verändert sich, um die Arbeitsfähigkeit in diesem Sechsfraktionenparlament sicherzustellen. Überfällig war aus unserer Sicht, gemeinschaftlich die Möglichkeit, von Papierbergen von Drucksachen auf elektronisch übersandte Drucksachen umstellen zu können, wenn man das möchte. Viele dieser Spielregeln und die Übernahme alter Regelungen sind im Konsens erarbeitet worden und werden heute von fünf Fraktionen dem Haus als Geschäftsordnungsvorschlag vorgelegt und sicherlich in großer Einigkeit beschlossen.

Bei der Frage allerdings, wer zukünftig dem Hauptausschuss vorsitzen soll, gingen die Meinungen auseinander. Auch das hat hier im Haus Tradition, denn eine solche Debatte haben wir zu Beginn jeder Legislaturperiode in der ersten Plenarsitzung geführt. Eine Klärung außerhalb der Geschäftsordnung war zu unserem Bedauern leider nicht möglich. Das liegt vor allem daran, dass die Fraktion, die seit Jahren den Vorsitz im Hauptausschuss stellt, nämlich die SPD-Fraktion, diesen Vorsitz behalten möch

te und nicht bereit war, ihn einer Oppositionsfraktion zuzuschlagen. Liebe Kollegen der SPD-Fraktion! Es wäre ganz sicher ein Zeichen der Größe und ein Signal der Zusammenarbeit aller Fraktionen gewesen, ein Signal des parlamentarischen Umgangs, wenn dieses Leitungsrecht des Hauptausschusses an eine Oppositionsfraktion gegangen wäre, auch ohne Debatte der Geschäftsordnung. So ist es beispielsweise auch im Deutschen Bundestag guter Brauch. Und da dies eben außerhalb dieser Debatte nicht möglich ist, diskutieren wir heute auch über Änderungsanträge zu einer ansonsten konsensualen Geschäftsordnung.

Wir hätten uns gewünscht, dass in der rot-rot-grünen Koalition im Wartestand sozusagen dieses Thema anders gelöst wird. Die Grünen haben dazu einen Versuch unternommen. Das ist nicht wirklich verwunderlich, denn in vergangenen Plenarsitzungen anderer Legislaturperioden haben meine Fraktion, die Fraktion der CDU, die Fraktion der Grünen, die Fraktion der Linken und die Fraktion der FDP regelmäßig einen solchen Antrag gestellt. Wir haben jetzt die Situation, dass die Oppositionsfraktionen gemeinsam mit den Grünen, die einen Antrag mit dem gleichen Duktus ins Parlament eingebracht haben, im Parlament der 18. Wahlperiode mehrheitlich nichts entscheiden könnten. Es ist aus unserer Sicht weiterhin geboten, darüber zu diskutieren, ob es vor dem Hintergrund vernünftiger parlamentarischer Zusammenarbeit nicht richtig wäre, einer Oppositionsfraktion, der größten, wie es die Grünen beantragen, das Vorsitzrecht im Hauptausschuss zuzuschlagen. Da wir das heute nicht abschließend werden klären können, aber eine Geschäftsordnung brauchen, wird diese Frage weiter im Rechtsausschuss, im zuständigen Geschäftsordnungsausschuss des Parlaments, zu erörtern sein.

Aber all jene, die, lieber Herr Wesener, den Mund gespitzt haben, sollten vor der Koalitionsvereinbarung und auch danach in der Koalition nicht vergessen, auch zu pfeifen. Sie haben darauf hingewiesen, in Interviews und woanders, dass die größte Oppositionsfraktion den Vorsitz im wichtigsten Ausschuss stellen soll, wo es um die Finanzen des Landes geht. Das wäre ein Mehrwert – Zitat – für das Zusammenspiel von Koalition und Opposition.

Ich fordere Sie auf, ich fordere die Fraktion der Grünen, aber auch die Koalition im Wartestand gemeinsam mit SPD und Linken auf: Geben Sie sich einen Ruck! Geben Sie im Sinne einer vernünftigen parlamentarischen Zusammenarbeit die Möglichkeit und halten Sie nicht am Hauptausschuss fest, aus purem Trieb der Machterhaltung vielleicht, sondern geben Sie die Möglichkeit, das, was heute zweimal beantragt und noch zu diskutieren ist, auch hier im Plenum umzusetzen. Deswegen plädieren wir dafür und werden das auch in den Ausschussberatungen machen und darüber hinaus. Ich hoffe und gehe davon aus, dass die Grünen das als Koalitionär dann nicht

(Torsten Schneider)

vergessen haben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Melzer! – Und jetzt von der Fraktion Die Linke Herr Zillich, bitte!

Frau Alterspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon gesagt worden, wir geben uns, was notwendig ist in einer konstituierenden Sitzung, eine Geschäftsordnung, die die Spielregeln der Zusammenarbeit regelt, die die Abläufe regelt und die vor allen Dingen das Verfahren in Konfliktfällen regelt. Deswegen ist es gut, dass es eine breit getragene Geschäftsordnung als Antrag gibt, denn natürlich – das wissen wir alle, zumindest diejenigen, die schon etwas länger im Haus sitzen – können sich die Perspektiven auf bestimmte Abläufe und Regeln im Parlament ändern, je nach der Rolle, die man gerade einnimmt. Deswegen ist es eben wichtig, dass man eine Geschäftsordnung nicht nur mit einer Regierungsmehrheit beschließt, sondern weit darüber hinaus. Es ist gut, dass wir diese Einigung haben.

Wenn man sich diese Geschäftsordnung in der Tradition der Geschäftsordnung anguckt, dann wird einem auffallen, dass man sich einerseits in der Berliner Tradition bewegt – das begrüßen wir –, auch in der Berliner Tradition, dass man Rederechte, Redezeiten nicht nach Mehrheit und nicht nach Größe der Fraktionen vergibt, sondern dort die Egalität und die gleichen Rechte der Fraktionen betont. Wir haben diese Geschäftsordnung weiterentwickelt. Wir haben sie in ein paar Punkten rechtssicher gemacht. Wir haben sie in technischen Punkten modernisiert.

Und wir sind auch gemeinsam übereingekommen – das war ein wichtiger Schritt –, dass wir in einigen Punkten – Herr Schneider hat schon darauf hingewiesen – die Rechte der Opposition und die Rechte des Parlaments gegenüber der Exekutive gestärkt haben, indem wir gesagt haben: Die Opposition, besser gesagt: eine Minderheit von Abgeordneten muss mehr Möglichkeiten haben, eigene Anliegen im Ausschuss zu thematisieren. Die bekannte Praxis, dass Anträge und Anliegen von Oppositionsfraktionen in Ausschüssen lange liegenblieben und nicht behandelt werden, wollen wir durchbrechen, indem wir einer Minderheit von Ausschussmitgliedern die Möglichkeit geben, sie auf die Tagesordnung zu setzen.

Gleichzeitig wollen wir in gewisser Weise auch zur Entschleunigung beitragen und der Regierung nicht mehr die Möglichkeit geben, darauf zu vertrauen, dass Gesetzentwürfe, die dringlich eingebracht werden, hier automatisch die Dringlichkeit erhalten, sondern nur dann, wenn eine

solche Dringlichkeit auch über die Mehrheit der regierungstragenden Fraktionen hinaus anerkannt wird und wir deswegen hier eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Das ist eine wichtige Stärkung des Parlaments gegenüber der Regierung. Ich bin froh, dass wir uns darauf verständigen konnten.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Gleichwohl liegt es in der Natur der Sache, dass hier unterschiedliche Fraktionen mit unterschiedlichen Erfahrungen, politischen Kulturen und Zielen zusammensitzen, dass die Sicht auf eine solche Geschäftsordnung und die Sicht darauf, was darin sinnvollerweise geregelt werden sollte, eine unterschiedliche ist – und dass dort auch unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden.

So mussten auch wir zur Kenntnis nehmen, dass nicht alles, was wir als änderungsbedürftig an dieser Geschäftsordnung gesehen hätten, tatsächlich auch geändert worden ist. Wir hätten uns z. B. eine modifizierte Wiedereinführung von Großen Anfragen vorstellen können. Wir hätten uns ein anderes Umgehen mit dem Sitzungsende vorstellen können, obwohl wir hier weitergekommen sind. Und wir hätten uns auch – das ist kein Geheimnis, darüber wurde ja diskutiert – eine andere Regelung beim Thema Hauptausschussvorsitz vorstellen können, obwohl nach wie vor zu klären ist, inwieweit diese Regelung einer Regelung in der Geschäftsordnung überhaupt zugänglich ist.

Aber wir haben uns sehr bewusst dafür entschieden und wir sind sehr froh, dass darüber hinaus auch die anderen Fraktionen das inzwischen so sehen, dass, wenn man sich einigen muss, es nur so gehen kann, dass man nicht alles, was man selber für wichtig und bedeutsam hält, auch eins zu eins durchsetzen kann, sondern dass diese Einigung im Mittelpunkt steht. Ich glaube auch, sagen zu dürfen – das war meiner Fraktion ebenfalls wichtig –, dass es gerade auch in der derzeitigen politischen Situation wichtig ist, dass wir hier demonstrieren, dass wir zu einer gemeinsamen Grundlage kommen und in die Arbeitsfähigkeit hineinkommen. Dass das gelungen ist und dass darüber hinausgehende Anliegen wie z. B. die Frage des Hauptausschussvorsitzes in Ruhe geprüft werden können, ist jetzt ein guter Weg. Wir wissen, dass es nicht einfach ist. Respekt vor allen, die diesen Weg mitgegangen sind! Wir brauchen diesen gemeinsamen Weg.

Deshalb sage ich an dieser Stelle noch einmal zu: Wir wollen eine faire, vernünftige Zusammenarbeit. Diese Geschäftsordnung ist eine vernünftige Grundlage dafür. Wenn die Frage des Hauptausschussvorsitzes im Rechtsausschuss diskutiert werden wird, dann werden wir sie dort vernünftig prüfen. Man muss sie rechtssicher machen. Man muss es rechtssicher einführen, wenn man das will. Auch darüber wird um eine Einigung zu ringen sein. Das ist jetzt an der Stelle, wo es hingehört. Wichtig ist, dass wir hier eine Übereinkunft für eine gemeinsame Geschäftsordnung haben, sodass wir jetzt auch in eine

(Heiko Melzer)

gemeinsame Arbeit im Sinne der Bürgerinnen und Bürger kommen können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Danke schön, Herr Zillich! – Jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Wesener, bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über nichts Geringeres als die gemeinsame Geschäftsgrundlage, auf der wir in diesem Parlament in den nächsten fünf Jahren zusammenarbeiten wollen. Wenn es nach uns Grünen geht, ist das weit mehr als eine Frage von Formalien und technischen Details. Für uns ist eine Geschäftsordnung im besten Fall auch eine Frage der gemeinsamen Haltung, einer Haltung, die zum Ausdruck bringt, wie wir jenseits aller parteipolitischen Unterschiede und Differenzen in der Sache miteinander umgehen wollen, welchen Stil wir dabei pflegen und welche politische Kultur uns dabei leitet.

Das beginnt damit, dass wir uns und unsere Rolle als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ernst und der Würde dieses Hauses entsprechend wahrnehmen. Insofern kann ich nur hoffen, dass das, was ich von einigen Abgeordneten der AfD in den letzten Tagen auf Twitter über den Berliner Parlamentarismus lesen musste, für Ihre neue Fraktion in den nächsten fünf Jahren nicht paradigmatisch ist.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Umso dankbarer sind wir Grünen dafür, dass uns heute ein weitgehender Konsens über eine neue Geschäftsordnung vorliegt, für den einige hier in den letzten Wochen hart gearbeitet haben. Dafür sage ich im Namen meiner Fraktion ganz herzlichen Dank.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN – Beifall von Thomas Seerig (FDP)]

Hier ist vieles gelungen, was es aufgrund der Veränderung nach der Wahl neu zu regeln galt. Zwei Beispiele sind schon angesprochen worden: Den Fraktionen steht trotz der Tatsache, dass wir nunmehr zu sechst sind, genug Redezeit zur Verfügung, um unter den Augen der Berliner Öffentlichkeit über all die Dinge zu diskutieren, die den Menschen in dieser Stadt ein Anliegen sind. Und künftig ist es nicht mehr möglich, Anträge in den Ausschüssen mit Koalitionsmehrheit auf den SanktNimmerleins-Tag zu vertagen. Das stärkt die Opposition, aber auch den Parlamentarismus insgesamt. Das schätzen wir umso mehr, als der damit verbundene Kompromiss für alle Beteiligten kein leichter war.

Leicht haben wir es uns auch nicht mit dem Antrag gemacht, den wir Grünen heute einbringen. Die Älteren in diesem Haus wissen, dass unsere Forderung nach dem Hauptausschussvorsitz für die stärkste Oppositionspartei alles andere als neu ist. Damals wie heute geht es uns um eine grundsätzliche Frage. Wenn die Kontrolle der Regierung die vornehmste Aufgabe eines Parlaments ist, dann ist es auch das vornehmste Recht der Opposition, über die geeigneten Instrumente dafür zu verfügen, gerade wenn es um den Haushalt und die Finanzen eines Landes geht.

Dass die Opposition den wichtigsten Ausschuss eines Parlaments leitet, ist übrigens keine Anomalie, sondern bundesweit Usus. Im Deutschen Bundestag ist das seit vielen Jahrzehnten Praxis. Gleiches gilt für 9 von 16 Bundesländern. Es ist Praxis mit rot-grünen, rot-rot-grünen, schwarz-grünen, grün-schwarzen und sogenannten großen Koalitionen. Auch wenn wir hier sicherlich gemeinsam davon überzeugt sind, dass Berlin eine ganz besondere Stadt und ein ganz besonderes Bundesland ist, wagen wir Grünen die These: Was überall sonst in der Bundesrepublik gut ist und auch gut funktioniert, kann für Berlin nicht schlecht sein.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Natürlich war und ist uns bewusst, dass ein solcher Vorstoß im Berliner Politikbetrieb in unserer Mediendemokratie Raum für Spekulationen eröffnet: Was versprechen sich die Grünen taktisch davon? Ist die künftige Koalition in dieser Frage zerstritten? Und welche politischen Deals sind damit verbunden? – Ich frage zurück: Wäre es nicht gut und angemessen für dieses Parlament, Diskussion an Argumenten festzumachen und in der Sache zu führen? Entspricht es nicht dem Auftrag der Wählerinnen und Wähler, unterschiedliche Meinungen auf Inhalte zu gründen und nicht parteitaktischen oder koalitionsräsonalen Gesichtspunkten unterzuordnen? Muss eine neue politische Kultur nicht auch einen neuen Umgang zwischen Koalition und Opposition beinhalten? – Wir Grünen finden: Ja!

Entgegen der landläufigen Meinung ist für uns Opposition kein Mist, sondern eine wichtige und ehrenhafte Aufgabe in unserer Demokratie. Wir erwarten deshalb von der CDU auch keine Gegenleistung für unseren Vorschlag, bis auf eine – dass die CDU ihre Verantwortung gegenüber allen Berlinerinnen und Berlinern genauso ernst nimmt wie die möglichen Regierungsparteien. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Senat und der Koalitionsmehrheit im Parlament ist in jeder Hinsicht legitim. Populismus, Destruktion und menschenfeindliche Hetze sind es nicht. Das werden wir Grünen in diesem Haus sehr genau beobachten und entsprechend reagieren.