Ich eröffne hiermit die erste Lesung. Zunächst möchte der Senat die Einbringung der Gesetzesvorlage begründen.
Das Wort hat deshalb die Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. – Frau Senatorin Günther! Sie haben das Wort, bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Das Klima ändert sich. Das spüren die Berlinerinnen und Berliner. Die Sommer sind im Vergleich zu früher heißer, es gibt häufig Starkregen, und die Zahl der Stürme nimmt zu. Dieser Trend wird aber zunehmen, wenn wir jetzt nicht sehr aktiv gegensteuern.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat den Trend der letzten 30 Jahre des Berliner Wetters von 1971 bis 2000 ausgewertet und hochgerechnet und kommt zu einem klaren Ergebnis. Wir haben es nicht vereinzelt mit Extremwetterlagen zu tun, sondern mit einem grundlegenden Wandel unseres Klimas. Noch mehr als wir spüren aber ärmere Regionen der Erde genau diesen Wandel durch Meeresspiegelanstieg, extreme Wetterereignisse, Probleme bei der Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung. Das sind gravierende Probleme.
Es ist eine gefährliche Illusion anzunehmen, dass diese Verschlechterung der Lebensbedingungen für viele Menschen andernorts für uns hier ohne Folgen bleibt. Auch und gerade vor diesem Hintergrund sind wir aufgefordert, zu handeln und uns unserer Verantwortung zu stellen.
Aber auch in Berlin hat der Klimawandel handfeste Auswirkungen für die Menschen und die Natur. Für alte und kranke Menschen könne viele Tage mit sehr hohen Temperaturen gefährlich werden. In Frankreich hatten wir Tage, an denen Menschen verstarben. Starkregenfälle, Hagel und Sturmböen können Unfälle verursachen. Unsere Stadtbäume leiden schon heute unter Trockenheit. Und die Pflanzen werden von Schädlingen heimgesucht, die sich unter den neuen klimatischen Bedingungen bei uns angesiedelt haben. In Brandenburg droht die Versteppung großer Flächen. Der Berliner Senat nimmt deswegen den Klimaschutz sehr ernst, aus Verantwortung für die Berlinerinnen und Berliner, aber auch aus globaler Verantwortung.
Das Pariser Klimaabkommen hat Leitplanken für die globale Klima- und Energiepolitik gesetzt. Die globale Erderwärmung soll auf deutlich unter 2 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten begrenzt werden. Die Verbrennung fossiler Energierohstoffe soll bis Mitte des Jahrhunderts weitgehend beendet werden. Jetzt kommt es darauf an, diesen globalen Vorgaben konkrete Politik folgen zu lassen. Das ist die Aufgabe, der sich das Projekt Energiewende in Deutschland und der sich auch der Senat stellen. Wenn zum Wohle der Menschen und unserer natürlichen Lebensgrundlagen der Klimawandel be
herrschbar bleiben soll, dann wird es nicht zuletzt auf die Städte ankommen. Denn mehr als 50 Prozent der Menschen leben weltweit in Städten, und 70 Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen werden dort verantwortet. Ich möchte, dass die Bundeshauptstadt neue Wege geht, um Modellstadt Klimaschutz und Energiewende zu werden, nicht aus Imagegründen, verstehen Sie mich nicht falsch, sondern auch im Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt und in Wahrnehmung unserer globalen Verantwortung.
Für den Klimaschutz ist die Energiewende eine zwingende Voraussetzung. Wesentlicher Teil der Energiewende ist der Ausstieg aus der Verbrennung von umweltschädlicher Kohle zur Strom- und Wärmeerzeugung. Die vom Senat am 9. Mai 2017 beschlossene Novelle des Berliner Energiewendegesetzes soll die gesetzliche Grundlage für den Kohleausstieg legen. Sie sollte auch Beispiel für den Bund sein, denn auch da ist es zwingend notwendig, dass man sich von der Kohle verabschiedet.
In Berlin werden derzeit sechs Kohlekraftwerke sowohl für Strom- als auch zur Fernwärmeversorgung betrieben. Die Nutzung von Steinkohle zur Strom- und Wärmeerzeugung produziert 3,8 Millionen Tonnen CO2, auf Braunkohle entfallen 1,3 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. Die Novelle verpflichtet den Berliner Senat, ein Ende der Energieerzeugung aus Braunkohle bis Ende 2017 sicherzustellen.
Braunkohle ist der schmutzigste und klimaschädlichste Energieträger. Deswegen ist Eile geboten. Aber es geht nicht nur ums Klima, es profitieren auch Luft und Gewässer. Es werden weniger Feinstaub und Sulfate freigesetzt.
Entschuldigung, Frau Senatorin! Ich unterbreche Sie ungern, aber der Geräuschpegel ist einfach zu hoch. – Ich bitte, die Zwischengespräche sein zu lassen, entweder rauszugehen oder ansonsten den Rednern hier vorne ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Vielen Dank!
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin! – So trägt Klimaschutz dazu bei, Berlin gesünder und lebenswerter zu machen. Das Ende der Steinkohleverfeuerung soll bis
spätestens Ende 2030 sichergestellt sein. Wir werden die Strategie für den Kohleausstieg mit Vattenfall als Betreiber der Kraftwerke und des Fernwärmenetzes besprechen, aber die Verantwortung über den genauen Weg liegt zweifelsohne und allein bei der Senatsverwaltung. Wir werden aber natürlich auch intensiv darauf achten, dass der Kohleausstieg mit Sozialverträglichkeit einhergeht. Und natürlich muss die Versorgungssicherheit garantiert sein.
Mit den neuen Regelungen im Energiewendegesetz reduziert Berlin seine CO2-Emissionen und begibt sich auf den Weg zur Klimaneutralität. Diesen Weg können wir erfolgreich beschreiten, weil er von der Stadtgesellschaft gewollt ist und mitgetragen wird, denn Klimaschutz lebt vom Engagement und der Unterstützung ganz vieler Akteure.
Das vorgelegte Energiewendegesetz enthält einen sehr ausgewogenen Mix sehr unterschiedlicher Maßnahmen. Das zentrale Instrument zur Erreichung der Ziele ist das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm. Es enthält Strategien und Maßnahmen in den Bereichen Energie, Gebäude, Stadtentwicklung, Verkehr und Wirtschaft. Es adressiert auch die Anpassung an die jetzt schon wahrnehmbaren Folgen des Klimawandels. Wir brauchen genau diese Bandbreite von Maßnahmen, um die notwendigen Emissionsminderungen zum richtigen Zeitpunkt zu erzielen und Klimaschutz in Berlin zu einem stetigen Prozess zu machen.
Sehr geehrte Abgeordnete! Sie haben die Möglichkeit, Geschichte zu schreiben. Geben Sie dem novellierten Energiewendegesetz Ihre Stimme, und ebnen Sie damit den Weg, Berlin zu einer gesünderen und lebenswerteren Großstadtmetropole zu entwickeln, die globale Verantwortung lebt! – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Frau Senatorin! – In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Für die Fraktion hat der Abgeordnete Herr Kössler das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Mitkämpferinnen und Mitkämpfer für den Klimaschutz! Wir Politiker und Politikerinnen werden häufig mit der Frage konfrontiert: Was ändert Politik eigentlich noch? Wo sind denn die klaren Alternativen? Ihr seid doch alle gleich! Politik selber machen ist doch uncool! – Wirklich? – Jetzt gerade mache ich persönlich eine ganz andere Erfahrung. Früher politisierte mich die
Empörung über Umwelt- und Klimazerstörung. Das brachte mich zur Grünen Jugend, und mein Traum damals war, dass da oben, irgendwo da oben doch jemand mal bitte beschließt, dass diese Kohlekraftwerke abgeschaltet werden sollen. Ich fand das irgendwie aber auch utopisch. Ist es das wirklich? – Die große Politik schien damals noch so fern, als wir unsere Flyer am Eingang der Uni verteilt haben. Jetzt stehe ich hier am Pult und denke mir: Mensch! Politik ist irgendwie doch ganz schön cool. Man kann selber mitgestalten. – Und diese Koalition, ja, die hat Gestaltungswillen.
Berlin schreibt hiermit Geschichte, denn wir sind das erste Bundesland, das den Kohleausstieg in den Gesetzesrang erhebt. Das ist auch gut so, denn, und das wissen fast alle hier: Kohle ist einer der größten Antreiber des weltweiten Klimawandels. Klimaschutz ohne Kohleausstieg ist ungefähr so wie Blumengießen ohne Wasser.
Es soll ja am rechten Rand Stimmen geben – da gibt es eine ganze Menge Stimmen –, die sagen, dass es global gesehen auf Berlin und darauf, ob wir hier ein Kohlekraftwerk stilllegen oder nicht, nicht ankommt. Diese Position halte ich für naiv und eigentlich auch für apolitisch. Berliner Kohlekraftwerke sorgen für rund 5 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Ist das viel? – Nun, das ist ungefähr so viel wie in Albanien. Soll man jetzt in Albanien sagen: Klimaschutz? Das sollen andere machen! – Und wenn ja, was ist mit anderen Ländern, was ist mit Estland, Großbritannien, Portugal, Deutschland? Wo hört diese Logik auf? Und wenn am Ende alle auf den größten Klimasünder zeigen und der aber gerade bockig ist: Fällt der Klimaschutz dann ganz aus?
Ich frage Sie, würden Abrüstungsverhandlungen oder Handelsverträge nach dieser Logik funktionieren: Hätte es die moderne Demokratie so, wie wir sie kennen, überhaupt gegeben, wenn ganz zu Beginn die Option bestanden hätte, wir machen es ganz oder gar nicht? – Nein, natürlich nicht. Es muss immer jemand anfangen, und genau das tun wir jetzt, wenn wir den Kohleausstieg festschreiben.
Es gibt auch noch Stimmen, die sagen, Berlin hätte es leichter als andere Bundesländer. Nun, auch das zeugt mal wieder von Unkenntnis. Bei uns werden rund 40 Prozent der Fernwärme durch Kohlekraft erzeugt, und genau dort, in dieser Frage liegt auch die größte Herausforderung. Als Klimaaktivist hätte ich natürlich gerne den Sofortausstieg und Ende Gelände. Für die Weltrettung wäre das natürlich das Beste.
Doch als gewählter Parlamentarier muss ich zwischen ganz vielen Interessen abwägen, und das tun wir. Gerade bei den Heizkraftwerken Reuter West und Moabit benötigen wir ganz viele weitere Entscheidungen: Wie sehen wir die zukünftige Rolle von Gas als Stadt Berlin? Wie dezentral kann eine Fernwärme gespeist werden? Wie bekommen wir mehr erneuerbare Energie in die Wärme? Wie können die Kosten für die Endkundinnen und Endkunden stabil bleiben? Wie können wir den Kohleausstieg schneller machen als 2030? Auch und gerade das ist Teil der Studie, die in Auftrag gegeben wird, das versprechen wir. All diese Fragen müssen jetzt aber angegangen werden. Dennoch ist es richtig, dass wir das Ziel des Berliner Kohleausstiegs jetzt wasserfest festschreiben. Es ist eigentlich wie bei einer guten Wanderung: Nur wenn man weiß, wo man hinwill, kann man auch den besten Weg suchen. Deshalb schreiben wir es jetzt hier fest.
Ich habe gelernt: Wenn man etwas verändern will, dann muss man für eine Idee streiten und streiten wollen.
Es reicht eben nicht, bei einer Wahl einfach mal bei einer sogenannten Protestpartei sein Kreuz zu machen und sich zu denken: Mensch, denen da oben, denen habe ich es jetzt mal richtig gezeigt! – Nein! Politik ist keine Blackbox, auf die man einfach von oben immer dumm draufhaut. Politik ist der Raum der Möglichkeiten, den wir hier gemeinsam gestalten,
auf allen Ebenen – beim Verteilen von Flyern, auf Klimacamps, bei der Blockade von Tagebauen oder eben hier am Pult. Deswegen feiere ich gerade Politik so hart ab.