Protokoll der Sitzung vom 19.10.2017

All das bleibt auch nicht ohne Konsequenzen auf unsere konkrete parlamentarische Arbeit hier im Hause. Bei den Haushaltsberatungen in der letzten Sitzung des Verfassungsschutzausschusses haben Sie sich gegen eine Verstärkung des Verfassungsschutzes gestellt. Sie haben sogar Streichungen gefordert und verdeutlicht, dass Sie den Verfassungsschutz eigentlich ablehnen. Sie haben das sogar schriftlich in Ihren Änderungsanträgen gemacht und sind nicht einmal davor zurückgeschreckt, Textblöcke der Linken und der Grünen aus der Vergangenheit abzuschreiben. Nicht einmal das haben Sie gelassen!

[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Herr Pazderski! Was soll man denn da sagen? – Werfen Sie mal einen Blick ins Gelände, betrachten Sie Ihre eigene Truppe, bevor Sie sich zu Extremismusfragen äußern!

[Beifall bei der CDU, der SPD und der LINKEN]

Geben Sie nicht vor, sich Sorgen um unseren Staat zu machen, sondern klären Sie endlich Ihr eigenes Verhältnis zum Staat in Ihren eigenen Reihen! Da gibt es durchaus einiges zu tun und Anlass zur Sorge.

[Georg Pazderski (AfD): Ich höre nichts Erhellendes! Reden Sie zur Sache!]

Das einzige Berechtigte, was ich jetzt gehört habe, war, ich muss noch mehr zum eigentlichen Thema, das ich für berechtigt halte, sagen. Das werde ich jetzt auch tun.

Ich komme jetzt zum Berliner Senat und sein Verhältnis zum Linksextremismus.

[Georg Pazderski (AfD): Waren Sie nicht Bestandteil vor Kurzem?]

Tatsächlich gibt es aus meiner Sicht – ich habe das eingangs gesagt – durchaus eine sehr problematische Nähe des rot-rot-grünen Senats zu Teilen der linksextremistischen Szene. Teilweise gibt es sogar personelle Überschneidungen. Das Thema Holm haben wir in diesem Haus schon sehr ausführlich diskutiert. Wir werden das heute auch im Laufe des Tages noch weiter tun. Ich will noch einmal verdeutlichen, worum es geht. Das Problem im Fall Holm war nicht nur die Stasi-Vergangenheit von Herrn Holm, sondern es war auch dessen unstreitige Nähe zur linksextremistischen Szene. Noch einmal zur Klarstellung: Dieser Senat hat eine Person zum Staatssekretär gemacht, die unstreitig der linksextremistischen Szene nahestand. Das war unstreitig. Das können Sie nachlesen in einem Beschluss des Bundesgerichtshofs. Ich sagte hier an dieser Stelle, dass dank der am Ende doch deutlichen Haltung einiger sozialdemokratischer Kollegen der Fehler wieder rückgängig gemacht wurde, und Herr Holm wurde ja auch entlassen. So weit, so gut.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Es bleibt aber dabei, liebe Sozialdemokraten: Sie haben sich hier mit Personen ins Koalitionsbett gelegt, die offenbar keine klare Haltung haben. Konkret geht es um Die Linke, aber es geht auch um Teile der Grünen, zumindest der Grünen aus dem Bezirk FriedrichshainKreuzberg.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Lachen bei den GRÜNEN]

Und auch das ist ein durchgängiges Erlebnis in der Arbeit des für Extremismus zuständigen Fachausschusses: Während jede rechtsextremistische Bestrebung intensivst beäugt und beachtet wird, bleibt die Erregung der Linken, auch bei Teilen der Grünen, im Hinblick auf den Phä

nomenbereich links in der Regel vollkommen aus. Man hat den Eindruck, dass durchaus Linksextremismus und von diesen Kräften begangene Gewalt auch als ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung angesehen wird. Nicht einmal nach den Ereignissen in Hamburg im Zusammenhang mit der Durchführung des G20-Gipfels ist hier Besserung eingetreten. Außer lauwarmen Bekenntnissen, wie wir das eben wieder gehört haben, man lehne im Prinzip Gewalt ab, ist von den Linken nichts zu hören.

[Holger Krestel (FDP): Was heißt denn „im Prinzip“?]

Im Grunde machen Sie es genau wie die AfD, nur eben am anderen Ende des politischen Spektrums.

[Beifall bei der CDU]

Vor diesem Hintergrund erscheint Ihre Aufregung über die AfD auch immer besonders künstlich und auch unglaubwürdig.

Das gilt auch im Umgang mit der linksextremen Szene. Ich nenne die Rigaer Straße, das haben wir oft erörtert, die Häme der Linken über die bislang gescheiterte Räumung ist unvergessen. Woher kommt diese Häme? – Die kommt genau aus der eben beschriebenen Haltung. Wir haben die Geschehnisse rund um den 1. Mai. Jedes Jahr wird hier ein enormes Gewaltpotenzial abgerufen, auch wenn wir das jetzt einigermaßen im Griff haben. Frau Bayram treibt es sogar auf die Spitze und hat teilgenommen an Demonstrationen linksextremistischer Aktivisten gegen das durchaus berechtigte Verbot der Internetplattform Indymedia. Das lässt einen wirklich einigermaßen fassungslos zurück.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ich fasse zusammen: Im Kampf gegen den Extremismus kommt die entscheidende Rolle den Parteien der Mitte zu: der Union, der FDP, aber ich nenne hier ausdrücklich auch die Sozialdemokraten, und ich nenne auch – nehmen wir mal Kreuzberg aus – die Grünen. Wir alle gemeinsam müssen konsequent den Gefahren für unseren Staat entgegentreten – sei es von links, sei es von rechts. AfD und Linke scheiden als Verbündete im Kampf gegen Extremisten aus. Ich habe ausführlich dargelegt, warum das so ist. Kompromisse kann es hier nicht geben. Vor zu viel Großzügigkeit sollte man sich hüten. Meines Erachtens ist eine Kooperation mit Parteien ausgeschlossen, die selbst in Extremismusfragen nicht über eine klare Haltung verfügen. Im Ergebnis betrifft dies eine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken gleichermaßen.

[Beifall bei der CDU]

Die Position der Union in dieser Frage war und ist immer klar gewesen: Mit diesen Kräften kann es keine Kooperation geben.

[Frank-Christian Hansel (AfD): In drei Jahren seid ihr Juniorpartner!]

Der Fall Holm ist in dieser Hinsicht ein besonders klarer Moment. Er zeigt auch auf, wie schmerzfrei Die Linke versucht, eine Person, die offenkundig ein problematisches Verhältnis zu unserem Staat hat, wieder weiter an der Gestaltung unserer Stadt mitwirken zu lassen. Frau Lompscher hat ja offenkundig sukzessiv seinen Einfluss auf die Stadtpolitik wieder verstärkt. Das Signal ist klar: Herr Holm ist zurück! Die Linke betreibt seine Rehabilitierung und versucht, seine linksradikalen Standpunkte salonfähig zu machen. Eigentlich müsste sich für die SPD allein aus diesem Grund eine weitere Zusammenarbeit erübrigen. Man tanzt Ihnen ja offenkundig auf der Nase herum in einer ganz entscheidenden Frage, nämlich ob linksextremistische Positionen salonfähig sind oder eben nicht.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Aus Sicht der Union kann ich hier nur eine klare Antwort geben, die lautet nämlich: nein! Sind sie nicht! Denn für Extremismus jedweder Couleur gibt es in unserer Stadt keinen Platz – niemals!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Frau Kollegin Helm das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! In der Tat stärken wir das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und zur Stärkung der Demokratie und Schutz vor Diskriminierung und Gewalt – sehr schwieriger Titel – im kommenden Haushalt erheblich. Um den soll es ja hier gehen. Leider ist dieser Mehrbedarf nicht nur durch die wachsende Stadt zu begründen. Reach out, die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, verzeichnete 380 Angriffe für das Jahr 2016. Das ist ein Anstieg von fast 20 Prozent der Gewalttaten und massiven Bedrohungen im Vergleich zu 2015. Maneo registrierte 2016 291 Fälle von Gewalt mit deutlichen oder einfachen Hinweisen auf einen homo- oder transphoben Hintergrund. Das ist ein Anstieg um 12 Prozent im Vorjahresvergleich – und das alles hier in unserer Stadt.

Am 23. März 2016 brüllt ein Unbekannter einen Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft an: Du bist Moslem. – und zielt mit einer Waffe auf ihn. Drei Tage später wird ein Zweiunddreißigjähriger in Spandau fremdenfeindlich beleidigt, mit einem Messer angegriffen und verletzt. Zwei Tage darauf wird eine Marokkanerin mit ihrem einjährigen Kind ebenfalls in Spandau rassistisch beleidigt und mit dem Tod bedroht. Der Täter schlägt auf den

(Stephan Lenz)

Kinderwagen und tritt die Mutter gegen die Hüfte, bevor er flieht. Sie muss ambulant behandelt werden. Am nächsten Tag wird ein vierunddreißigjähriger Türke in Steglitz rassistisch beleidigt. Der Täter lauert ihm später auf, schlägt ihm mit einem Fahrradschloss ins Gesicht und verletzt ihn, bevor der Angegriffene ihm das Fahrradschloss entreißen kann. Das war lediglich ein Schlaglicht auf das gesamte Problem aus wenigen Tagen im März des letzten Jahres. Für die Opfer bedeutet jeder einzelne dieser Fälle einen tiefen Einschnitt. Körperliche, psychische und emotionale Verletzungen sind oft die langwierigen Folgen solcher Angriffe.

Das menschenverachtende Motiv spielt hierbei eine große Rolle. Es ist für die Betroffenen wichtig, dass dieses Motiv anerkannt und verstanden wird. Ich bin froh, dass wir kompetente Opferberatungsstellen haben, die wir über das Landesprogramm fördern.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Frau Kitschun hat Ihnen bereits einige Projekte vorgestellt, die nach dem Willen der AfD eingestampft werden sollen. Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, Ihnen einige weitere vorzustellen. Da ist beispielsweise „Berlin gegen Nazis“, ein weites Partnerinnen- und Partnernetzwerk, zu dem unter anderem der Lesben- und Schwulenverband gehört, Sportvereine, der Landesseniorinnen- und -seniorenbeirat, aber auch die Yorck-Kinogruppe. Durch kreative Prozesse gegen Neonaziaufmärsche setzen sie das Signal, dass Menschen aus aller Welt mit unterschiedlichsten Lebensentwürfen in Berlin willkommen sind. Dann ist da das antifaschistische Pressezentrum und Bildungsarchiv, kurz apabiz, das in diesem Jahr für seine herausragende Aufklärungsarbeit mit dem Projekt NSU-Watch – das sicher viele von Ihnen kennen und Journalistinnen und Journalisten als Quelle genutzt haben – den Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ bekommen hat.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Dann gibt es noch die sehr verhasste Amadeu-AntonioStiftung. Von ihr fördern wir ein Projekt zur Stärkung jüdischer Jugendkultur und ein Workshopangebot zur Stärkung der Digitalkompetenz. Nichts davon hat auch nur im Geringsten etwas mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz und erst recht nichts mit Zensur zu tun, wie es die AfD in der Begründung ihres Streichungsantrags behauptet.

[Zurufe von der AfD]

Es lässt schon sehr tief blicken, wenn man es als Zensur empfindet, wenn Jugendlichen Hilfe angeboten wird im Umgang mit Hass und Diskriminierung, die ihnen im Netz entgegenschlagen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Aber es geraten auch andere Initiativen unter Beschuss, wie beispielsweise Amaro Foro, die einzige RomaSelbstorganisation der Stadt, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, das Jüdische Forum und das Anne-Frank-Zentrum. Überhaupt scheint die gesamte Zivilgesellschaft verdächtig zu sein, wenn sie sich für eine offenen Gesellschaft einsetzt oder für Demokratie, faire Löhne und bezahlbare Mieten. Das lässt sich aus der bereits zitierten Kleinen Anfrage des Abgeordneten Weiß „Linksextremistische Netzwerke in Berlin“ ablesen. Darin nahm er 43 Organisationen aus Kultur, Bildung und Gesellschaft, aber auch Fußballklubs und Unternehmen ins Fadenkreuz und wollte sie und ihre Kontakte komplett durchleuchten.

[Zurufe von der AfD]

Darunter waren der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Arbeiterwohlfahrt, aber auch die Brauereiquartiermeister. In einem Ausschuss mussten sich Anzuhörende von einer Opferberatungsstelle für Stalkingopfer von einem Abgeordneten der AfD als Sozialindustrie diffamieren lassen.

[Oh! von der AfD]

Sie sagen „Oh!“ – Das ist eine widerwärtige Menschenverachtung für die sozialen Hilfesysteme in dieser Stadt.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Ein anders Mitglied der AfD-Fraktion bezeichnete Transpersonen als Geisteskranke. Wenn es Ihnen tatsächlich um den sog. Linksextremismus gegangen wäre, hätten Sie an den Haushalt für Inneres gehen müssen. Kleiner Tipp: er ist vom Finanzsenator unter dem Code Einzelplan 05 versteckt worden. Da sind die Kapitel zur Verbrechensbekämpfung enthalten und auch die zur Deradikalisierung. Aber zum gesamten Innenresort haben Sie lediglich den Änderungsbedarf gesehen, eine knappe Million Euro mehr für Abschiebungen auszugeben.

[Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Ich nehme an, ein solcher Antrag geht Ihnen mal so locker von der Hand, ohne den Einzelplan überhaupt aufgeschlagen zu haben.