Es ist völlig aus der Zeit gefallen, die Gymnasialzeit in Berlin auf sechs Jahre festzunageln und die Gymnasien zu knebeln. Und es führt auch in der Realität zu sehr merkwürdigen Effekten. Kinder, die in der Grundschule ein sehr gutes Sprachniveau haben, leicht und gern lernen und Herausforderungen beim Lernen suchen, also auf gymnasialem Niveau sind, müssen sich krampfhaft auf bestimmte Hobbies festlegen, um in eine der wenigen Profilklassen ab Klasse 5 zu kommen. Um diese kleine Gnade muss man ja dankbar sein, aber viele Eltern machen dieses Spiel zu Recht nicht mit und lassen ihre Kinder dann nolens volens doch noch zwei Jahre in der Warteschleife in der Grundschule, die vielen Grundschülern leider nicht für einen vertieften Fachunterricht dient, sondern dazu, grundlegende Defizite aus den ersten vier Grundschuljahren aufzuholen.
Die Regel- und Optimalleistungen der Berliner Viertklässler – das hat die IQB-Studie abermals aufgezeigt – liegen unter denen der anderen Bundesländer. Das heißt, dass es der Berliner Grundschule nachweislich nicht gelingt, die Potenziale unserer Schüler voll auszuschöpfen, ganz abgesehen davon, dass es einen elfjährigen Gymnasiasten, der nach Berlin umzieht, sehr seltsam anmutet, wieder zurück in die Grundschule gehen zu müssen.
Richtig fahrlässig wird es aber, wenn als hochbegabt getestete Kinder durch lange Schulwege entmutigt werden, ihre Talente auch wirklich fördern zu lassen, bloß weil der Senat starre Begrenzungen von entsprechenden Klassenzügen pro Schule ausgesprochen hat.
Vor zwei Tagen stand ein schönes Porträt über das ErnstAbbe-Gymnasiums in Neukölln in der Zeitung. 97 Prozent ndH-Anteil, kaum Akademikereltern und ein schwieriger Kiez – und der Schulleiter fährt trotzdem unbeirrt einen knallharten Gymnasialkurs, der ausdrücklich auf Leistung abzielt, inklusive Lateinunterricht, Notengebung, Sitzenbleiben, Hausaufgaben, Zusatzunterricht in Deutsch. Das Ernst-Abbe-Gymnasium hat in diesem Schuljahr die meisten Anmeldungen im Bezirk Neukölln bekommen und sich zu einem Leuchtturm im bildungsfernen Kiez entwickelt.
Unser Wunsch mit diesem Antrag ist, dass alle Schüler in Zukunft in Berlin früher als erst mit elf oder zwölf Jahren Zugang zu gymnasialem Unterricht und vor allem Zugang zum gymnasialen Spirit bekommen, beschrieben mit Bereitschaft zu Leistung, Anstrengung, zur Abstraktion,
zu überdurchschnittlichem Engagement, Bildungswillen und hohen verbindlichen Zielen. Erkennen Sie endlich das große Bildungs- und auch das soziale Aufstiegspotenzial an, das Gymnasien auf der Grundlage von Leistung anbieten können! Legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab,
und sprechen Sie mit ihnen, unter welchen Bedingungen Sie noch besser als heute dazu beitragen können, dass wir die Berliner Schülerinnen und Schüler optimal fördern!
Nein. – Wir wollen ganz ausdrücklich, dass die Aufnahme ins Gymnasium ab Klasse 7 an allen Gymnasien bestehen bleibt, denn manche Kinder entwickeln sich schneller, manche langsamer. Mit der Möglichkeit der zusätzlichen Öffnung ab Klasse 5 entsteht vor allem mehr Durchlässigkeit und Freiheit im Berliner Schulsystem. Da können Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen, doch eigentlich gar nichts dagegen haben. Und deshalb werben wir für Zustimmung zu unserem Antrag.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU fordert in ihrem Antrag, dass alle Gymnasien ab der 5. Klasse beginnen und dass die Deckelung der Züge abgeschafft wird. Frau Bentele argumentiert mit der Benachteiligung allgemein gymnasial begabter Schüler, die ansonsten nicht die angemessene Förderung bekommen würden. Ihr Problem, Frau Bentele, ist, dass die Fakten hier nicht auf Ihrer Seite sind.
Sagt Ihnen „Element-Studie“ was? – Die Studie belegt klar, dass die sechsjährige Grundschule in Schülerleistungen dem Gymnasium nicht unterlegen ist. Der Lernzuwachs in Mathematik und Lesen in den Klassen 5 und 6 ist an Gymnasien und Grundschulen nahezu identisch. Mit anderen Worten: Es ist egal, ob mein Kind auf einem Gymnasium oder auf einer regulären Grundschule die Zeit verbringt, der Lernzuwachs ist derselbe. Die einzige Ausnahme von diesen Ergebnissen sind sehr begabte Kinder, die sehr früh spezifische Interessen entwickeln.
Genau für diese Gruppe gibt es spezifische Profile an grundständigen Gymnasien, damit man ihrer besonderen Begabung gerecht wird. Für alle anderen Kinder ist die sechsjährige Grundschule gut und richtig. Sie fördert die starken Schüler genauso gut wie das Gymnasium in der entsprechenden Phase, und die leistungsschwächeren Schüler profitieren auch.
Ihnen kann es also nicht um Leistungssteigerung der zukünftigen Gymnasialschülerinnen und -schüler gehen, denn die Leistungszuwächse sind vergleichbar. Also worum geht es Ihnen dann? Trauern Sie immer noch der Dreigliedrigkeit hinterher? Sehnen Sie sich nach dem segregierenden System zurück, das schon durch seine Struktur die Kinder nach sozialer Herkunft teilt? Auf die Sehnsucht nach Segregation hat R2G eine klare Antwort: Nicht mit uns!
Berlin hat mit der Schulstrukturreform ein kleines Meisterwerk vollbracht. Wir haben aus einem dreigliedrigen segregierenden System ein Zwei-Säulen-System geschaffen, in dem beide Säulen gleichwertig zu allen Abschlüssen und Anschlüssen führen. Mit den integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen haben wir noch einen langen Weg vor uns, bis sie als Säule so stark sind, wie wir es uns wünschen. Wir müssen die gymnasialen Oberstufen ausbauen, wir müssen den Ganztag stärken, wir müssen die Inklusion voranbringen. Hier stecken die wichtigsten Baustellen für diese und auch die nächste Legislatur.
Und Gymnasien? – Den Gymnasien in Berlin geht es gut. Das sage ich als SPD-lerin, die in R2G auch für den Schutz der Gymnasien zuständig ist.
Durch Gymnasien wird die bunte Landschaft Berlins vollständig. Wir brauchen und wir wollen sie, auch politisch. Sie ergänzen das bunte Spektrum an Möglichkeiten, erfolgreich die Schule zu beenden. Es ist doch wunderbar, dass in Berlin sowohl die Möglichkeit besteht, nach 12 als auch nach 13 Jahren Abitur zu machen. Und genauso wollen wir es behalten.
Aber an die Gleichwertigkeit der Säulen lassen wir nichts heran. Genau deshalb halten wir am MSA nach der 10. Klasse fest, auch an Gymnasien. Genau deshalb glauben wir, dass gemeinsames Lernen bis zum Ende der 6. Klasse auch richtig ist. Ich bin ebenfalls überzeugt, dass es an Gymnasien Bereiche gibt, die wir stärken müssen. Was Inklusion anbetrifft, können z. B. unsere
Gymnasien eine Menge lernen von unseren integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen. Das wäre mal eine Debatte, die sich hier im Plenum wirklich lohnen würde. – Ich freue mich auf Ihren Vorstoß dazu.
Die Fraktion der CDU hat eine Zwischenbemerkung angemeldet. – Frau Bentele! Sie haben das Wort. Bitte!
Frau Lasić! Ganz herzlichen Dank für Ihre Aussage, dass es gleichwertig ist, ob man in der 5. oder 6. Klasse an der Grundschule oder am Gymnasium lernt. Dann können Sie doch gar nichts dagegen haben, einfach den Eltern die Entscheidung zu überlassen, für sich zu entscheiden. Wenn es so wunderbar an der Grundschule ist, wird sich auch kein Mensch für einen Gymnasialzug entscheiden. Aber Sie lassen den Eltern ja gar nicht die Möglichkeit. Wir haben auch nicht gesagt, dass wir grundsätzlich ab Klasse 5 beginnen wollen, aber lassen Sie doch zumindest einen Pilotversuch zu, wo zehn Gymnasien das anbieten.
Wenn Sie sich so sicher sind, dass der Unterricht in Klasse 5 und 6 in den Grundschulen den gleichen Wert hat wie an den Gymnasien, öffnen Sie das und lassen Sie Ihre These einfach mal in der Praxis wirken! Ich bin ganz sicher, dass sich die Eltern anders entscheiden werden, wenn sie endlich einmal die Freiheit dazu haben.
[Danny Freymark (CDU): Sie können auch einen Änderungsantrag stellen! – Sebastian Czaja (FDP): Sie können auch bedingungslos zustimmen!]
Ja, ich bin mir sicher, dass die Klassen 5 und 6, dass das gleichwertig ist, ob man an einer Grundschule oder einem Gymnasium die Zeit verbringt. Und ja, ich bin überzeugt davon, dass es egal ist für das jeweilige, so wie Sie es nennen, gymnasial begabte Kind. Für wen es nicht egal ist, sind die restlichen Schüler, die sehr stark davon profitieren, wenn sie die 5. und 6. Klasse gemeinsam mit den – in Anführungsstrichen – gymnasial begabten Schülern verbringen. Und deshalb glaube ich, dass längeres ge
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, in denen die Grundschulzeit nur vier Jahre beträgt, besuchen die Berliner Kinder die Grundschule sechs Jahre lang. Leistungsstarke Schüler können aber, wenn sie über Zeugnis und Eingangstests die nötige Qualifikation nachweisen, bereits nach der 4. Klasse auf ein Gymnasium wechseln. Aber es sind nur 7 Prozent, die die Grundschule nach der 4. Klasse verlassen, also extrem gering.
Mit der Frage vierjährige oder sechsjährige Grundschule hat sich die AfD Berlin bereits eingehend beschäftigt. Die Förderung von Schülern mit besonderem Förderbedarf ist wichtig, darf aber nicht zulasten der leistungsstarken Schüler gehen. Durch die sechsjährige Grundschule wollen linke Bildungspolitiker eine frühe Selektion verhindern. Kinder sollen länger gemeinsam lernen, damit weniger die Herkunft über den Lernerfolg der Kinder entscheidet. Die Folge ist, die Unterschiede beim Lernerfolg sinken tatsächlich – durch Verschlechterung des Lernerfolgs bei den guten Schülern.
Ich komm gleich drauf, Frau Dr. Lasić! – Die ElementStudie von Rainer Lehmann, die Sie auch gerade angesprochen haben, von der Humboldt-Universität aus dem Jahr 2010 – da geht es eben darum, die gesamte Studie zu sehen –, verglich Schüler, die nach der 4. Klasse zum Gymnasium wechselten, und Schüler, die bis einschließlich der 6. Klasse die Grundschule besuchten. Die Element-Studie belegte, dass auch bei den guten Schülern der sechsjährigen Grundschule der Abstand zum Gymnasium stieg. Lehmann bezeichnete den frühen Wechsel aufs Gymnasium daher als eine rationale Entscheidung. Es muss aber gefragt werden, wodurch diese Leistungsunterschiede verursacht werden. Es wäre blauäugig zu behaupten, es seien schlicht die leistungsschwächeren Schüler, die die leistungsstärkeren ausbremsen. Das ist nicht so. Aus unserer Sicht entsteht das Problem aber auch durch den Mangel an fachdidaktisch qualifizierten Lehrern an der Grundschule, sprich Quereinsteiger, das Thema, das wir hier schon hinreichend diskutiert haben. Ein großer Prozentsatz der Berliner Kinder verlässt die sechsjährige Grundschule mit derart geringen Kompetenzen, dass die vier Jahre auf der weiterführenden Schule
nicht ausreichen, um einen Schulabschluss zu erlangen. An Grundschulen wird zu viel fachfremd unterrichtet. Zum Nutzen aller Schüler muss der Anteil an Fachlehrern an Grundschulen erhöht werden. Dies muss das Ziel sein. Es nützt nichts, etwas mehr Schüler ans Gymnasium zu lotsen; wir brauchen eine Gesamtlösung und nicht nur eine Fluchtbewegung aus der Grundschule, werte Kollegen von der CDU.
Prinzipiell befürworten wir natürlich eine Liberalisierung in der Bildungspolitik: mehr Elternfreiheit, mehr Wahlmöglichkeit. Aber die Überlegung, wohin die Aufhebung der Deckelung letztlich führt, die fehlt in Ihrem Antrag. Die Aufhebung der Deckelung zerreißt Klassenverbände, bedeutet über kurz oder lang das Ende der sechsjährigen Grundschule in Berlin. Hier sollten Sie einfach einmal ehrlich sein und die Konsequenzen erörtern. Die AfD präferiert die vierjährige Grundschule und das grundständige Gymnasium. Aber jede Reform, auch die Reform der Reform, bringt ein laufendes System durcheinander. Und wieder mal ein neues Pilotprojekt ist das Letzte, was die Berliner Bildungslandschaft derzeit benötigt. Das hatten wir nämlich in der Vergangenheit ausreichend genug.
Ein weiterer problematischer Punkt in Ihrem Antrag ist der Gymnasialabschluss nach acht Jahren. Mit G8 werden Schüler durchs Gymnasium gehetzt, um ihnen Vorteile auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Die AfD macht bei dieser Ökonomisierung der Bildung nicht mit. Wir setzen auf G9. Zur Bildung gehört nicht nur die Fähigkeit zum Broterwerb, sondern auch die Reifung des Charakters, die Bildung im klassischen Sinne, und dies braucht Zeit. Aus diesen Gründen werden wir uns bei dem vorliegenden Antrag enthalten. – Danke!