Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

diese Stadt durch Tourismus zu befürchten hat. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum Tourismus. Wir freuen uns, dass es Tourismus gibt. Wir sollten etwas dafür tun, dass Tourismus auch weiter in dieser Stadt gefördert wird, denn das bringt immerhin 200 000 Arbeitsplätze und noch mehr. Also bitte ein klares Bekenntnis zum Tourismus! Auch dieses steuerungsintensive Tourismuskonzept ist zumindest ein Anfang. Selbst hinter das fällt der Sprecher der Linksfraktion zurück und sagt: Nein, das ist zu belastend.

[Zuruf von Katalin Gennburg (LINKE)]

Insofern wäre ein Signal für das Tourismuskonzept, dass wir uns auch zum Urbantourismus bekennen. Da wäre die Onlineplattform ein Baustein für einen schonenden Tourismus, ganz anders, als Sie behaupten, dass es nur in Konkurrenz tritt. Wir werden uns als FDP-Fraktion auch weiter an dieser Diskussion beteiligen, was Tourismus anbetrifft. Dazu gehört zuletzt noch ein Plan zum Bürokratieabbau und auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland, dass wir bei der Sonntagsöffnungsmöglichkeit noch einen Schritt nach vorne gehen, was Spätis beispielsweise anbetrifft. Jedenfalls ich bedauere die Entscheidung des OVG, das die Sonntagsöffnung für den kommenden Sonntag untersagt hat. Schade, auch das ist eine vertane Chance!

Machen wir Berlin wirklich zu einer Chancenstadt, indem wir Bürokratie abbauen, die Wirtschaft willkommen heißen und ihr die Hand reichen! Dann wird auch dieser Titel mit Leben gefüllt. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Nun gebe ich Frau Senatorin Pop das Wort. – Bitte sehr, Frau Senatorin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Swyter! Ich schätze Sie ja aus der gemeinsamen Arbeit im Ausschuss, aber mit Verlaub, die FDP als Experte für Gleichstellungsfragen, da werfe ich nur einen Blick in Ihre Reihen und würde sagen, da würde ich mich an Ihrer Stelle zurückhalten!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Paul Fresdorf (FDP): Wir sehen die Menschen!]

Leider haben wir hier viel Gemecker und Gemopper gehört, einiges an kleingeistigem Gemotze aus der Opposition, keine Idee, keine Vorschläge, nur Schlechtreden einer wirtschaftlichen Entwicklung.

[Zuruf]

Ich würde mal sagen, das reicht nicht mal zu einer vernünftigen Opposition, geschweige denn zu etwas anderem hier in der Stadt.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Nicht weit von hier, ein paar Hundert Meter weiter, wird die Festmeile zum Tag der deutschen Einheit aufgebaut. Wir blicken nunmehr zurück auf fast drei Jahrzehnte deutscher Einheit, die Einheit Europas und auch Berlins, unserer Stadt.

[Mario Czaja (CDU): Das war nicht wirklich kraftvoll!]

Die Berliner Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte – und jedes dieser drei Jahrzehnte stand ein Stückweit für sich – können wir heute, glaube ich, im Rückblick gut beurteilen, politisch, kulturell und vor allem wirtschaftlich. Wer sich erinnern mag – es gibt ja noch den einen oder anderen echten Berliner hier im Saal,

[Antje Kapek (GRÜNE): Hier!]

ich gehöre, wie so viele, zu den Zugezogenen –: Nach dem Mauerfall kam die Euphorie der Wendezeit, das Wirtschaftswachstum schnellte erst einmal deutlich nach oben durch den Nachholbedarf, den Konsum und Ähnliches. Die euphorischen Prognosen von damals kennen die einen oder anderen noch, Berlin als Wachstumsmarkt Richtung Osten mit Einwohnerzahlen von 5 bis 6 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen. Es wurde groß gedacht, groß geplant, groß geklotzt. Es war fast schon so etwas wie Großkotzigkeit zu merken. Die Gründung der Bankgesellschaft war, glaube ich, ein Sinnbild dafür, worin das dann auch gipfelte. Darauf folgte leider, aber schnell der Katzenjammer mit einem ziemlich heftigen Abbruch. Mit dem Auslaufen der Berlinförderung fiel die Wachstumsrate der Berliner Wirtschaft Mitte der Neunzigerjahre schlagartig unter das bundesdeutsche Niveau, und der Haushalt schrumpfte um die Hälfte.

[Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

In beiden Stadthälften musste sich die Wirtschaft neu aufstellen: die Wirtschaftsstruktur im Osten der Stadt nach dem Zusammenbruch der Planwirtschaft und der Auflösung der Betriebe; und auf der anderen Seite musste sich die hochsubventionierte Wirtschaftsstruktur in Westberlin auch neu finden. Nur zur Erinnerung: Nach der Wiedervereinigung, nachdem in Zeiten der Teilung ohnehin schon die meisten Unternehmen abgewandert waren, sind mehr als 100 000 Industriearbeitsplätze hier in der Stadt abgebaut worden und verschwunden. Und das gehört zur Geschichte der Stadt eben auch dazu. Bis Mitte der Zweitausenderjahre lag die Wachstumsrate in Berlin nicht nur unter dem Bundesdurchschnitt, sondern wir erinnern uns noch an bittere Jahre, wo wir unter der Nulllinie waren mit dem Wirtschaftswachstum. Das Implodieren der Bankgesellschaft ruinierte nicht nur den Haushalt, sondern auch die Berliner Glaubwürdigkeit und die Berliner Wirtschaft. Das war ein Jahrzehnt des Katzen

(Florian Swyter)

jammers. Und ich glaube, in diese Krisenjahre möchte niemand mehr zurück, die Berlin aber auch erlebt hat.

Wenn man sich vor diesem Hintergrund die Häme anschaut, die aus dem Süden der Republik über Berlin hinwegschwappt, aber auch hier aus dem Saal überraschenderweise zu hören ist, dann frage ich doch schon mal: Ist keinem hier mehr bewusst, welche Geschichte unsere Stadt hat, eine Geschichte von Krieg und Teilung, die keine andere Stadt in Europa so hat? Da gibt es Vergleiche mit Paris und London, auch hier im Saal. Da falle die Wirtschaftskraft Berlins dahinter zurück, damit hätte der Berliner Senat etwas zu tun. – Ich kann Sie nur daran erinnern: Berlin hat eine einzigartige und eine schwierige Geschichte. Das spiegelt sich in unserer Wirtschaft bis heute wider. Ich habe es gerade gesagt: Der Verlust von über 100 000 Industriearbeitsplätzen nach der Wiedervereinigung, das ist alles nicht so schnell wegzustecken.

Aber ja, inzwischen sind wir auf einem Wachstumspfad. Wir sind auf einer unglaublich dynamischen Entwicklung unterwegs. Und das ist gut für die Stadt.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Ja, nach den Krisenjahren kamen die Konsolidierungsjahre, auch fast ein Jahrzehnt harte Konsolidierung, harte Einschnitte. Aber ich glaube nichtsdestotrotz, dass es, auch wenn es quietschte, über das Ziel hinausgeschossen wurde und das Umsteuern zu lange nach der Konsolidierung brauchte, trotzdem richtig gewesen ist, den Haushalt in Ordnung zu bringen. Auch hier mit Verlaub, an die Kollegen und Kolleginnen von der CDU: Ich kenne keine Fraktion hier im Hause, die sich bei der Konsolidierungspolitik dermaßen in die Büsche geschlagen hat.

[Heiko Melzer (CDU): Ganz schön viel Rückspiegel, Frau Senatorin! Wie sieht es denn mit der Zukunft aus?]

Ich kenne keine andere Fraktion, die gegen jede einzelne Konsolidierungsmaßnahme, die vorgeschlagen wurde, gewesen ist. Das ist nicht Verantwortung, das ist verantwortungslos gewesen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Heiko Melzer (CDU): Ist ja vor allen Dingen falsch, was Sie hier erzählen!]

Und nun erleben wir ein Wachstum auf allen Feldern. Die Berliner Steuerkraft wächst. Das BIP wächst in Berlin. Die Investitionen, die Erwerbstätigenzahlen wachsen. Berlin wächst an Einwohnerinnen und Einwohnern – rund 40 000 bis 50 000 Menschen pro Jahr. Und nicht nur, dass wir kein Primärdefizit mehr im Haushalt haben, wir haben Haushaltsüberschüsse, die hier selber erwirtschaftet werden, weil die eigene Steuerkraft steigt und stark wird in Berlin.

Die Prognosen der dynamischen Wirtschaftsentwicklung sind alle gut, nach wie vor. Berlin liegt mit dem Wachstum seit Jahren über dem Bundesdurchschnitt. Allein seit dieser Senat im Amt ist, sind 100 000 neue Arbeitsplätze in dieser Stadt entstanden. Das sind 100 000 Menschen, die früher arbeitslos waren oder woanders herkommen, die jetzt hier in Lohn und Brot stehen und Steuern in dieser Stadt zahlen. Das ist eine gute Nachricht, wie ich finde.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wenn manche in Berlin herumlaufen und Berlin als Failed State bezeichnen, kann ich vielleicht auch da kurz daran erinnern, dass Failed States Staaten sind, aus denen Menschen flüchten, weil sie dort nicht mehr leben wollen. In Berlin haben wir eine umgekehrte Entwicklung zu sehen: Nach Berlin kommen die Menschen in Scharen – 40 000, 50 000, 60 000 jedes Jahr. Das passt nicht zusammen mit dem Bild von einem Failed State, und Sie wissen selber, dass das falsch ist.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Berlin ist ein Sehnsuchtsort – weltweit.

Wo werden eigentlich die meisten Start-ups gegründet? Wo fließen Milliarden an privaten Investitionen in zukunftsweisende Technologie? Wo werden die klimafreundlichen Mobilitätskonzepte der Zukunft überhaupt ausprobiert? Und wohin ziehen eigentlich die Zehntausende Menschen alle? – Die ziehen alle nach Berlin! Und der beispiellose Treiber dieser Entwicklung – weil wir heute in dieser Aktuellen Stunde von Innovation sprechen – ist die Digitalisierung. Wir sehen das in allen Lebensbereichen. Laut dem Global Startup Ecosystem Report – Frau Ludwig hat das schon angesprochen – ist Berlin von 2012 bis 2017 von Platz 15 auf Platz 7 vorgerückt, und keine andere deutsche Stadt befindet sich auch nur in den TOP 20 dieser Aufzählung. Das muss man sich mal vor Augen führen!

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Frau Senatorin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlömer?

Lieber nicht, denn dann kommen wir bekanntermaßen vom Thema weg.

[Heiko Melzer (CDU): Vielleicht kommen

wir mal zum Thema hin! –

Das ist heute wirklich

(Bürgermeisterin Ramona Pop)

ein rhetorisches Feuerwerk! –

Heiterkeit bei der AfD]

Ach ja! Das gute Benehmen war mal bei der CDU, aber das ist offensichtlich Vergangenheit.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Die Digitalisierungsbranche, eingebettet in unsere Forschungs- und Wissenslandschaft – –

[Lachen von Georg Pazderski (AfD)]

Ach ja! Lautes Männerlachen!

[Unruhe – Marcel Luthe (FDP): Was ist denn das für ein Sexismus? Eine Unverschämtheit!]

Die Berliner Digitalwirtschaft – – Ich weiß, das sind so moderne Themen. Das ist schwierig, aber ich versuche dann doch, mit Ihnen darüber zu reden, weil es wichtig für die Stadt ist, über Digitalwirtschaft zu sprechen. Die Digitalwirtschaft ist inzwischen nämlich nicht mehr irgendetwas, was Menschen im „St. Oberholz“ in Mitte mit iPads oder Notebooks betreiben, das ist inzwischen ein starker Treiber unserer Wirtschaft und auch gerade der Industrie.