Es war übrigens die allerletzte Rederunde in der 17. Legislaturperiode in diesem Haus vor der Wahl im September 2016, als wir über die Gemeinschaftsschule als Regelschule diskutiert haben, für die sich neben Stefanie Remlinger und mir, auch Lars Oberg und Martin Delius – beide nicht mehr in unserem Haus – ausgesprochen haben. R2G war schon in Sicht und wurde dann nach der Wahl mit dem Koalitionsvertrag Realität, in dem die Gemeinschaftsschule als schulstufenübergreifende Regelschule als ein Ziel verankert worden ist. Dieser Kreis wird sich nun schließen. Das wird ein großer Tag für mehr Bildungsgerechtigkeit.
Bei der gestrigen Feier zum zehnten Geburtstag der Berliner Gemeinschaftsschulen in der Fritz-Karsen-Schule haben die Schülerinnen und Schüler eine Schatzkiste der Senatorin mitgegeben, mit vielen klugen Ideen gefüllt, und sicherlich wird die Senatorin uns irgendwann in der Beratung noch einmal dazu berichten, was sie mit den vielen klugen Vorschlägen, Ideen und all dem, was in der Schatzkiste versteckt worden ist, machen wird. Zwei Schülerinnen packten dabei zwei Perücken in die Schatzkiste: eine, bei der sie vor aller Augen symbolisch einen alten Zopf abschnitten, und eine mit einer coolen, bunten Frisur, in der die Haare sich widerständig in alle Richtungen aufstellten, als Symbol für bunte Vielfalt.
Nein. – Vielfalt zeigt sich auch darin, dass sich Gemeinschaftsschulen als inklusive Schulen verstehen, sie leben Inklusion in viel größerem Umfang als alle anderen Schulen dieser Stadt. In unseren Gemeinschaftsschulen lernen 9 Prozent Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Wenn man außerdem weiß, dass die ISS 7 Prozent Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf beschulen, und im Gegensatz dazu an den Gymnasien nur zwischen 0,1 und 1 Prozent, dann wissen wir, dass wir hier etwas ändern müssen.
Die Linksfraktion sieht hier im Geiste unseres Koalitionsvertrages auch für das Schulgesetz weiteren Änderungsbedarf, der über die Regelung für inklusive Schwerpunktschulen hinausgeht. Das betrifft die Aufnahme der inklusiven Schule als Zielstellung und die Verankerung des Anspruchs auf einen Schulbesuch an einer allgemeinen Schule auch für die Schülerinnen und Schüler, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Die Linksfraktion unterstützt hier den Fachbeirat für Inklusion, der genau dies fordert.
In diesem Zusammenhang der Entwicklung hin zu einer inklusiven Schule begrüße ich sehr die Änderungen in § 107 bezüglich der inklusionspädagogischen Beratung und Unterstützung, deren Organisation und Durchführung hier geregelt werden, und die für die Schulen sehr wichtig sind – genauso wie die Stärkung der Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe, dem öffentlichen Gesundheitsdienst und Gesundheitseinrichtungen sowie dem schulpsychiatrischen Dienst, dessen Aufgabenbeschreibung gerade auch den Weg der inklusiven Schule stärken kann.
Ebenso werden die Position der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern gestärkt und die Möglichkeiten zu ihrer Beratung und Unterstützung geregelt. Ein Fortschritt für die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sehe ich auch in den neu ins Schulgesetz aufgenommenen Absätzen 8 und 9 in § 58 zum Nachteilsausgleich und zum Notenschutz. Unter anderem wird dort auch der Notenschutz bei Lese- und Rechtschreibschwäche und Dyskalkulie im Schulgesetz benannt. Betroffenen Schülerinnen und Schülern kann hier eine große Last genommen werden. Wichtig sind dann sicher auch die dazugehörigen Ausführungsverordnungen.
Änderungsbedarf sieht die Linksfraktion – aber da, denke ich, hat sich ja auch schon die Datenschutzbeauftragte eingebracht – bei der Einhaltung des Datenschutzes. Aber da diese Vorlage zur Beschlussfassung ja bereits per Vorabüberweisung den Weg in eine gemeinsame Anhörung des Bildungsausschusses und des KTDat-Ausschusses fand, werden wir uns zu diesen und anderen Änderungen in der Auswertung der Anhörung sicherlich noch verständigen.
Kurz zu den Änderungsanträgen der AfD: Hinsichtlich der Drucksache 18/1398-2 muss ich einfach nur einmal feststellen: Das, was Sie hier aufschreiben – bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens werden die Kinder und Jugendlichen in ihrer Herkunftssprache unterrichtet –, das ist Rassismus.
Als Nächstes fordern Sie wahrscheinlich auch noch den Ariernachweis, damit Kinder gemeinsam Unterricht in unseren Schulen mit anderen durchführen dürfen.
In dem zweiten Änderungsantrag wird ja dann auch noch ziemlich viel – ich würde einmal sagen – rumgesülzt, was denn an Querschnittsaufgaben in ein Schulgesetz gehört. Da möchte ich Ihnen bloß einmal sagen: Wenn das Erlernen des Blockflötenspiels, das Sie hier explizit benennen, eine der Hauptaufgaben in den Schulen sein soll, weil es typisch deutsch sei, na dann schönen Dank auch! – Ich würde sagen, das können wir beides – so wie es ist – in den Papierkorb werfen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Woran denken Sie, wenn Sie hören, dass die wichtigste Gesetzesänderung in dieser Legislaturperiode im Bildungsbereich mit der Brechstange oder mit der Peitsche durch das parlamentarische Verfahren getrieben wird? Denken Sie da an etwas politisch Durchdachtes? Oder ein solides Verwaltungshandwerk? – Nein, das denken Sie wahrscheinlich nicht, und Ihr Gefühl trügt Sie nicht.
Nehmen wir heute aufgrund der Zeitbegrenzung aus diesem ganzen Konvolut die drei wichtigsten Punkte heraus, die die Schullandschaft am meisten verändern werden. Erstens die Gemeinschaftsschule: Hier dürfen sich die Linken in trauter Gemeinsamkeit mit der Grünen endlich verewigen. Unter Rot-Rot angestoßen, soll die Gemeinschaftsschule nun ihren Pilotstatus verlieren. Die Freiwilligkeit ist perdu, jetzt wird die Gemeinschaftsschule für viele – ja, wenn wir nur wüssten, für wie viele und für welche Grundschüler – bitterer Ernst: keine Noten, selbststrukturiertes, individuelles Lernen, hauptsächlich anhand von Aufgabenblättern, Auflösung der Klassengemeinschaft, Lehrer nur als Lernbegleiter, nicht als Anleiter – das ist ein besonderes pädagogisches Konzept –,
das vielleicht von manchen gewünscht wird, Frau Kittler, und vielleicht auch auf manche passt, aber eben nicht auf alle.
Die Gemeinschaftsschule ist nicht die Schule für alle. Genau hier setzt unsere Hauptkritik an. Lassen Sie die Entscheidung bei den Eltern, ob sie ein solch spezielles pädagogisches Profil für ihre Kinder wollen oder nicht! Verordnen Sie es nicht einfach per Einzugsgebiet von oben! – Für uns ist sehr klar: Gemeinschaftsschule freiwillig: ja, Gemeinschaftsschule zwangsweise: nein.
Deshalb fordern wir auch ein Widerspruchsrecht für Eltern, die ab nächstem Schuljahr aufgrund ihres Wohnorts einer Gemeinschaftsschule zugeordnet werden. Ferner fordern wir die Möglichkeit, ihr Kind auf der nächstgelegenen normalen Grundschule einschulen zu können. So, wie Sie jetzt hier steht, darf die Gesetzesänderung auf keinen Fall kommen, denn sie stellt einen massiven Eingriff in das Elternwahlrecht dar.
Jetzt zum Punkt, inwieweit das Ganze durchdacht und solide gemacht ist. – Frau Dr. Lasić und Frau Dr. Czyborra! Sie haben doch selbst einmal geforscht, und auch Sie lassen sich mit einer Studie abspeisen, die ganz viele
Gefühlsfaktoren abfragt, aber bei einer Schule, die von 1 bis 13 geht, gerade einmal in zwei Klassenstufen – in 7 und 9 – Lehrstandsproben genommen hat. Wenn die Leistungsstände also komplett unbedenklich und die Konzepte gefestigt sind, wenn alles nur Erfolg ist, weshalb legt die Senatsverwaltung dann nicht längst selbst entsprechende Zahlen und Daten vor und überzeugt damit die Eltern – so, wie wir es vor einem Jahr in unserem Antrag zur Pilotphase Gemeinschaftsschulen gefordert haben?
Eine Anfrage von mir – genau dazu – liegt seit drei Wochen bei der Senatsverwaltung. Bei einem durchschlagenden Erfolgsprojekt – so wie es uns Linke und Grüne hier verkaufen wollen – müsste man die Schublade nur öffnen, die Informationen herausholen, fertig. Das ist nicht so – und das macht stutzig.
Vielen Dank! – Sie sagten gerade, dass die Studie auf jeden Fall nicht wissenschaftlich ist. – Habe ich Sie richtig verstanden?
Nein, als neue Schule mit einem speziellen pädagogischen Konzept – anders als herkömmliche Schulen. Zudem haben Sie mich falsch verstanden: Ich bezeichne die wissenschaftliche Studie nicht als – was sagten Sie? – nichtwissenschaftlich, ich habe nur gesagt, sie ist absolut nicht ausreichend. Dass Sie sich damit abspeisen lassen, wenn in den Klassenstufen 7 und 9 Lehrstandsproben genommen werden, wenn die Schule von der 1. bis zur 13. Klasse geht! Alle Anforderungen, die wir an solch eine Studie anlegen – dass man vielleicht drei Durchläufe
machen sollte –, haben wir wie auch unsere Anforderungen an die wissenschaftliche Begleitung ganz klar formuliert. Im Übrigen haben doch die Wissenschaftler selber gesagt, Frau Kittler, dass das noch nicht ausreicht. Lesen Sie die noch einmal ganz genau!
Dann komme ich zum zweiten Punkt: die inklusive Schule. Ja, es ist richtig, inklusive Schwerpunktschulen einzurichten und sie im Schulgesetz zu verankern. Was aber nicht richtig ist, ist die Gruppe mit dem häufigsten Förderungsbedarf – nämlich emotional und sozial auffällige Kinder – mit ihrem Förderbedarf zu ignorieren.
Hinter emotional-sozialen Störungen können schwere Traumata, Missbrauch und Vernachlässigung stecken, die nur von Profis mit viel Zeit und Wissen zu heilen sind. Weshalb gibt es denn keine inklusiven Schwerpunktschulen mit der Ausrichtung „emotional-sozial“ – Frau Kittler, hören Sie mir ruhig zu! –,
vor allem, wenn gleichzeitig ein Förderzentrum nach dem anderen für diesen Bereich aufgelöst wird? In Berlin ist es mittlerweile so, das emotional und sozial auffällige Kinder in volle Regelklassen gepfercht werden. Es darf in den ersten beiden Grundschuljahren keine Feststellungsdiagnose mehr gemacht werden, und es gibt nur noch pauschale, keine individuellen Personalzuweisungen, wenn sie denn überhaupt ankommen. Wir haben das immer kritisiert. Und das in einer Situation, in der wir immer weniger ausgebildete Lehrer an unseren Schulen haben, also Fachkräfte, die zumindest in Ansätzen gelernt haben, wie mit Inklusionskindern umzugehen ist! Das Schlimme in Berlin ist, dass immer erst etwas Schlimmes passieren muss – beispielsweise eine Vergewaltigung unter Grundschülern –, bis etwas passiert. Dann wird knallhart separiert – in kleinen Lerngruppen oder gleich in Hausunterricht.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Koalition! Es gibt einen Mittelweg, den übrigens andere Bundesländer wie beispielsweise das Saarland eingeschlagen haben, und der heißt: emotionalen und sozialen Förderbedarf als genauso ernst und wichtig anzuerkennen wie eine motorische Behinderung und mit entsprechenden Ressourcen und Bedingungen beispielsweise in einer Schwerpunktschule oder einem Förderzentrum entsprechend zu fördern. Zu diesem wichtigen Punkt findet sich in Ihrer Gesetzesänderung nichts, und sie ist deshalb auch nicht akzeptabel.
Als dritten Punkt möchte ich das Thema Oberstufenverbünde herausgreifen. Da kann man ja nur sagen: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? – Sie haben eine sehr schwierig umzusetzende Konstruktion gewählt, die vor allem dazu dient, Augenwischerei zu betreiben. Da soll auf dem Zeugnis stehen, dass ein Schüler von der 7. bis 13. Klasse auf ein und derselben Schule war, obwohl
er nach der 10. Klasse den Standort wechseln muss – genau, wie es bisher Schüler von ISS ohne gymnasiale Oberstufe tun. Natürlich wird die ISS am meisten profitieren, an der die Oberstufe dann auch wirklich angesiedelt ist. Die Abstimmungen, Lehrerzuteilungen etc. werden in der Praxis sehr schwierig werden und viel Energie der Schulleiter konsumieren. Die viel einfachere Variante wäre eine Kooperation mit dem nächstgelegenen Gymnasium gewesen. Die Gymnasien sind die Experten für die Oberstufe. Sie halten eine breite Bandbreite an Kursen und oberstufenerfahrenen Lehrern vor und bieten mit der Neustrukturierung der Klasse 10 jetzt auch eine gute Einstiegsmöglichkeit für ISS-Schüler.
Eine solche Lösung hätte auf der Hand gelegen und wäre einfach umsetzbar gewesen, aber das hätte ja die Gymnasien gestärkt, und das ist ja etwas, was rot Rot-Rot-Grün vermeidet wie der Teufel das Weihwasser.