Protokoll der Sitzung vom 15.11.2018

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Hier, das erleben wir heute, wird gelebte Praxis umgesetzt und – anders als die Opposition es natürlich gerne und lautstark behauptet – keine Ideologie zementiert. Die Gemeinschaftsschule wird sich mehr und mehr durchsetzen. Sie ist die Schule der Zukunft, und Sie werden das nicht aufhalten! Wir Grünen, R2G stehen für die Gemeinschaftsschule als eine Schule für alle.

[Beifall von Ülker Radziwill (SPD) und Regina Kittler (LINKE)]

Ich erkläre es Ihnen auch gerne noch einmal: Die Gemeinschaftsschule ist eine Schule von unten, eine partizipative Schule. Nur wenn alle Beteiligten es wollen – Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, und ja, auch die Schülerinnen und Schüler –, kann die Gemeinschaftsschule erfolgreich sein und wird hier in Berlin überhaupt erst Realität. Keine Berliner Schule wird zwangsweise in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt. Die Neufassung des Schulgesetzes ändert hieran nichts. Es gibt mittlerweile in vielen Stadtteilen eine steigende Zahl von Eltern, die genau dieses Modell für ihre Kinder suchen. Mehr und mehr fordern diese Schulen ein. Die Anmeldezahlen an den meisten Schulen bestätigen dieses Interesse. Deutlich sagen muss man aber auch: Schulen, die meinten, einfach nur ihr Türschild auszuwechseln, ohne Änderung der Art zu unterrichten, hinken nach wie vor hinterher. Diesen Schulen müssen und wollen wir helfen, wie wir auch allen anderen Schulen helfen und sie dabei unterstützen, sich positiv weiterzuentwickeln. Rot-Rot-Grün hat die entsprechenden Mittel dafür bereitgestellt und Instrumentarien geschaffen. Eltern und Schülerinnen und Schüler haben gleichermaßen gemerkt: Es macht Spaß, in der Gruppenarbeit auch mal den Schwächeren zu helfen. Das motiviert enorm und bringt alle gemeinsam weiter, anstatt die einen voranzutreiben und die anderen vollkommen auf der Strecke zu lassen.

Soziales und demokratisches Lernen für den Erhalt unseres demokratischen Rechtsstaats sind genauso wichtig wie formales Lernen, und das gelingt am besten in Vielfalt. Die Lernzuwächse der Schülerinnen und Schüler sind nachweisbar – das übrigens deutlich unabhängig von

der sozialen Herkunft. Also gibt der Erfolg uns definitiv recht. Schubladendenken ist nicht der Weg zum Erfolg, sondern längeres gemeinsames Lernen. Und wenn Ihnen von der rechten Seite dieses Hauses nichts mehr einfällt, schwadronieren Sie vom Sozialismus, um uralte konservative Vorkämpfe aus grauer Vorzeit zu bedienen. Das ist ein Zeichen von Schwäche. Einer ernsthaften Debatte mit den Protagonistinnen und Protagonisten stellen Sie sich jedenfalls nicht, denn dann würden Sie zu den Veranstaltungen und Diskursen auch kommen. Aber da fehlen Sie seit Jahren. Schade eigentlich! Da könnten Sie noch was lernen.

Schauen wir aber einmal über unseren Berliner und deutschen Tellerrand hinweg. Was finden wir? – Fast alle europäischen Bildungssysteme setzen auf ein längeres gemeinsames Lernen. Diese sind in der Regel sehr viel erfolgreicher in den internationalen Vergleichen und sozial sehr viel durchlässiger als Deutschland. Wir können davon lernen: Gemeinschaftsschule ist gut. Das beweisen alle anderen Bildungssysteme in Europa auch.

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Der Kampf der Opposition gegen die Gemeinschaftsschule ist ein reiner Schattenkampf, ein Festhalten an Privilegien, Lernverweigerung und soziale Abschottung.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Bettina Domer (SPD)]

Ein weiterer wichtiger Punkt im Schulgesetz sind die inklusiven Schwerpunktschulen. Sie sind ein wichtiger Teil des inklusiven Transformationsprozesses, in dem sich Berlin seit Jahren befindet. Diese Schulen sind für alle Kinder mit Förderbedarf – außer LES –, und das macht auch Sinn. Kinder, die schlecht oder gar nicht sehen können, hörgeschädigt sind oder Autisten erhalten die Möglichkeit, eine Regelschule in Berlin zu besuchen. Das ist ein Meilenstein für die Inklusion und eine echte Chance für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle Berliner Schülerinnen und Schüler. Damit schaffen wir auch eine spürbare Erleichterung für die Eltern dieser Kinder.

Aus den erfolgreichen Erfahrungen mit den Verbundmodellen können nun gemeinsame Oberstufen zwischen ISSen, Gemeinschaftsschulen und OSZen entwickelt werden. Nicht jede ISS braucht eine eigene Oberstufe. Das ist organisatorisch auch gar nicht möglich, aber der Verbund bietet die Chance, an einer echten Oberstufe zu partizipieren und den Schülerinnen und Schülern nach der Sek I einen geregelten Übergang in die Oberstufe anzubieten.

Aus der Anhörung, die wir neulich im Bildungsausschuss hatten, haben wir gelernt, dass wir beim Datenschutz noch Nachholbedarf haben. Diesem Komplex sollten wir uns als nächste Aufgabe einmal widmen. Ansonsten bin ich aber davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden

Gesetzentwurf die Berliner Schule weiter gestärkt und fit für die nächste Zukunft gemacht wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, für die letzte Rede des heutigen Abends den Geräuschpegel etwas zu dämpfen. Das wäre lohnenswert. – Herr Fresdorf, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier heute in erster Lesung das Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften. Frau Scheeres! Sie haben es geschafft, mich als bildungspolitischen Sprecher der FDPFraktion zu überraschen, aber leider nicht positiv. Sie haben mich inhaltlich negativ überrascht, obwohl das nach 22 Jahren SPD im Bildungsressort nicht so einfach ist. Ich werde später noch darauf zurückkommen.

Womit Sie mich auch negativ überrascht haben, ist die Art und Weise, wie Sie dieses Gesetz mit Hilfe Ihrer Koalitionsfraktionen durch die Ausschüsse hier im Haus peitschen, und zwar mit einem Zeitdruck, der jede vernünftige fachliche Beratung verhindert. Das ist keine Beobachtung allein der FDP-Fraktion. Nein, Ihre eigene, die SPD-Fraktion hat diesen Schweinsgalopp auch scharf kritisiert. Der Kollege Kohlmeier hat im Ausschuss für Kommunikationstechnologie und Datenschutz gesagt: So etwas lässt er kein zweites Mal in der Legislaturperiode mit sich machen. Was hat er gemeint? – Er sprach von dem Druck, unter dem er mit den anderen Koalitionsfraktionen Ihren Gesetzestext beschließen musste, ohne eine richtige inhaltliche datenschutzrechtliche Beratung vornehmen und ohne Änderungsanträge stellen zu können.

Die Koalitionsfraktionen haben in einem ziemlich einmaligen Vorgang die Gesetzesvorlage zwar beschlossen, aber zeitgleich als Fachausschuss für Datenschutz – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – einen Brief an den Bildungsausschuss geschrieben, er möge mit den Datenschutzaspekten, die auch von der Datenschutzbeauftragten kritisiert wurden, beschäftigen, weil man keine Zeit hatte, eigene Änderungsanträge zu formulieren. Die Fachpolitiker sehen da also einen Änderungsbedarf beim Datenschutz, haben aber keine Zeit, Änderungsanträge einzubringen, und schieben es den Bildungspolitikern zu, die nicht unbedingt zu den Datenschutzexperten in diesem Haus gehören. Dafür haben wir ja die Fachausschüsse.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Hildegard Bentele (CDU) – Beifall von Ronald Gläser (AfD)]

(Marianne Burkert-Eulitz)

Man könnte also den Eindruck gewinnen, dass Sie, Frau Scheeres, probieren, eine ordnungsgemäße Befassung zu verhindern. Aber warum wollen Sie keine ordentliche Befassung hier im Haus? – Dazu später.

Jetzt erst mal zum Datenschutz, denn wir müssen uns damit befassen. Der Fachausschuss konnte es ja nicht machen. Bereits im Beteiligungsverfahren hat die Datenschutzbeauftragte Ihnen einiges ins rote Muttiheft geschrieben, was Sie hätten umsetzen können, aber es ist nicht passiert. Auch der Entwurf war äußerst mangelhaft. In datenschutzrechtlicher Hinsicht haben Sie hier das Klassenziel nicht erreicht. Die Datenschutzbeauftragte kritisiert z. B., dass die Daten alle Kinder, die die schulzahnärztliche Untersuchung machen, direkt an die schulzahnärztliche Stelle gehen, obwohl es gar keinen Grund dafür gibt, dass alle Daten der Eltern, auch wenn es bei den Kindern keinen Befund gibt, der des Nachhaltens bedürfte, übermittelt werden. Hier müssen wir über Datensparsamkeit reden.

[Beifall bei der FDP]

Kommen wir zu einem sehr wichtigen Anliegen. Auch hier muss man darauf achten, wie wir damit umgehen, denn wir sind grundsätzlich bei diesem Thema an Ihrer Seite, Frau Scheeres. Wir reden über die Schülerinnen und Schüler, die bei der Vollendung des 21. Lebensjahres in der Regel nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, aber keinen Schulabschluss haben. Es handelt sich um 4 000 bis 10 000 Schülerinnen und Schüler jährlich. Diese nachzuhalten und weiterzuqualifizieren, ist ein Anliegen unserer Gesellschaft. Das müssen wir tun. Aber können wir ihre Daten ungefragt an Berufsagenturen weitergeben? – Ich denke, nein. Da muss es Widerspruchsregelungen geben, und auch diese müssen Sie in das Gesetz einarbeiten. Was Sie hier gemacht haben, ist wirklich mangelhaft.

[Beifall bei der FDP]

Auch die sehr weiten Berichtspflichten, die Sie für die Schulen in freier Trägerschaft vorsehen, sind aus unserer Sicht zu großzügig gefasst. Wir werden hierzu in der Ausschussberatung noch einen Änderungsantrag vorlegen, sodass die Ersatzschulen nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Berichtspflicht herangezogen werden können.

Ich möchte nun, nachdem wir einen kleinen Ausflug zum Datenschutz gemacht haben, zu den inhaltlichen Punkten des Schulgesetzentwurfs kommen. Durch Ihre halbherzige Art, das Schulgesetz mal ordentlich anzufassen und zu modernisieren, schaffen Sie ein Schulgesetz der vertanen Chancen. Es ist eine Änderung ohne wirkliche Innovation und ohne einen klaren Gestaltungswillen, wie wir es von Ihnen in den letzten 22 Jahren in diesem Ressort gewöhnt sind.

Was hätte unseres Erachtens in eine große Novelle des Schulgesetzes gehört? – Man hätte die Förderung der

Selbständigkeit der Schulen durch die Verfügung über das komplette Schulbudget einführen können. Man hätte die Gleichstellung der Schulen in freier Trägerschaft bei der Finanzierung mit den staatlichen Schulen anfassen können. Man hätte das Festschreiben von Verwaltungsleiterstellen an allen Berliner Schulen aufnehmen können. Man hätte die Einschulungsbereiche in Berlin aufheben können. Man hätte die Ausweitung der Schulpflicht auf das letzte Kitajahr zur besseren Schulvorbereitung der Kinder in das Schulgesetz schreiben können.

[Beifall bei der FDP]

Sie hätten auch die Disziplinarmaßnahmen und die damit verbundenen Fristen novellieren können, denn es dauert unendlich lange, bis Sie ein auffälliges Kind im Zweifel aus einer Klasse entfernt haben, und zwar rechtswirksam. Hier hätte man etwas tun müssen.

Kommen wir zu dem Kern, den Sie in den letzten Rederunden der Koalitionsfraktionen so hervorgehoben haben, nämlich die Gemeinschaftsschule. Ich bin da ganz bei der Kollegin Bentele. Wir benötigen eine belastbare Evaluation, wenn wir einen Schulversuch in die Regelschule überführen. Denn was bedeutet das? Ist der Schulversuch jetzt kein Schulversuch mehr, sondern die Regelschule? Dann ist die Gemeinschaftsschule auch gleichzeitig Einzugsbereichsschule. Und die Eltern haben keine Wahl, ob ihre Kinder auf diese Schule besonderer pädagogischer Prägung kommen oder nicht. Gerade diese Schulen leben doch wie keine andere davon, dass sie engagierte Eltern und Kinder haben, die da gerne sind, die zu diesem pädagogischen Konzept passen. Selbst die Interessenvertreter der Gemeinschaftsschulen haben in der Anhörung gefordert, dass mindestens 50 Prozent auf der Gemeinschaftsschule nicht aus dem Einzugsbereich kommen sollen, sondern dass dieser Bereich für wirklich interessierte Eltern und Kinder freigehalten werden soll. Ich sage Ihnen eines, die Forderung müssen wir noch viel weiter fassen, wir sollten 100 Prozent freiwillig für die Gemeinschaftsschule machen. Dann wird man sehen, wie beliebt die Gemeinschaftsschule ist.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Verstehen Sie mich nicht miss! Wir lehnen die Gemeinschaftsschule nicht ab. Wir denken, die Gemeinschaftsschule kann ein weiterer erfolgreicher Baustein in der Bildungspolitik dieses Landes und in der Bildungslandschaft sein, aber sie gehört ordentlich untersucht, und wir sollten sie keinem überhelfen. Wir brauchen eine wirkliche Wahlfreiheit, wenn es um die Gemeinschaftsschule geht. Die Wahlfreiheit, die Sie momentan anbieten, ist die Gemeinschaftsschule oder Schule in freier Trägerschaft. Das ist interessant, dass das gerade von der Linkskoalition in diesem Hause kommt.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Über den Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung“ hat Frau Bentele schon viel gesagt. Wir denken auch, dass wir da Förderschulen brauchen, weil die Regelschule momentan überfordert ist, das aufzufangen, genauso wie Sie bei der gesamten Inklusion den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Natürlich ist das ein hehres Ziel, dass alle Kinder zusammen lernen, aber dann müssen Sie die Schulen auch so ausstatten, dann müssen Sie genügend Lehrer und multiprofessionelle Teams in die Schulen schicken. Aber das haben Sie nicht ausreichend, und Sie machen es nicht. Das müssen wir Ihnen vorwerfen, und das müssen Sie sich auch anrechnen lassen, dass Sie diese Kinder und die Lehrer alleine lassen. Das ist wirklich verwerflich.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Burkert-Eulitz?

Sehr gerne!

Lieber Kollege Fresdorf! Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es in Berlin mehr freie Schulen sind, die Gemeinschaftsschulen sind, als öffentliche Gemeinschaftsschulen, und wie bewerten Sie das eigentlich?

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der SPD]

Das sieht man ganz klar, dass sich freie Schulen auch an Innovationsprojekten in der Stadt beteiligen und dass sie auch immer Innovationsträger waren. Es ist ja nicht schlimm, dass wir Gemeinschaftsschulen haben. Das habe ich Ihnen gerade gesagt. Ich finde es sogar als weiteren Baustein in der Bildungslandschaft wichtig, aber das Verpflichtende ist das, was mich und die Eltern in dieser Stadt stört.

Lassen Sie mich noch kurz eines sagen, weil wir ja auch immer den Ansatz haben, konstruktiv zu sein! Es gibt in Ihrem Antrag Punkte, die gut sind. Das ist z. B. die Anpassung der Aufnahmebedingungen an den Abendgymnasien, die schulärztliche Pflichtuntersuchung für Kinder, die aus dem Ausland kommen, und die verpflichtende Einrichtung von Krisenteams im Zusammenhang mit der Gewaltprävention. Das sind wirklich gute Punkte, die Sie hineingeschrieben haben. Sie haben versäumt, viele weitere gute Punkte hineinzuschreiben. Wir werden im Ausschuss versuchen, das noch zu ändern. Ich freue mich auf

die zweite Lesung in diesem Hohen Hause, wo wir sicherlich noch einmal eine Rederunde haben werden. Und ich entschuldige mich jetzt schon, dass es redundant werden wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Den Ausschussüberweisungen haben Sie bereits eingangs zugestimmt. Ich darf festhalten, dass auch die beiden Änderungsanträge entsprechend an die Ausschüsse überwiesen werden.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 5:

Berliner Gesetz zum Umgang mit elektronischen Rechnungen (Berliner E-Rechnungsgesetz – BERG)

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/1404