Protokoll der Sitzung vom 24.01.2019

[Stefan Evers (CDU): Genau! Feiertage!]

Aber gut, reden wir drüber. Werter Kollege Swyter! Sie haben hier einen Antrag vorgelegt und auch in Ihrer Begründung ausgeführt und dabei leider meine Erwartungen enttäuscht.

[Florian Swyter (FDP): Oh!]

Sie haben tatsächlich einfach nichts mehr gemacht, als die alte Leier von neoliberalem Staatsverständnis und Bürokratieabbau gesungen.

[Florian Swyter (FDP): Oh!]

Das ist tatsächlich sehr schade, denn eigentlich geht es bei dem Thema um mehr, es geht um die Frage Rechtsetzungslehre und gute Gesetzgebung.

[Holger Krestel (FDP): Um Symbole!]

Die Ausführungen waren leider auch unterkomplex und aus der Zeit gefallen. Ich werde Ihnen sagen, warum das so ist: Zuerst einmal – das haben Sie vielleicht nicht recherchiert –, Berlin hatte einmal eine unabhängige Normenprüfkommission bei der Senatskanzlei,

[Christian Gräff (CDU): Genau!]

und die wurde aus guten Gründen abgeschafft und überführt in die zentrale Gesetzesfolgenabschätzung, GFA, das können Sie nachlesen in § 35 GGO II. Diese Gesetzesfolgenabschätzung umfasst sämtliche Fragen, die Ihr heißgeliebter Normenkontrollrat eigentlich auch behandeln soll. Es geht um volkswirtschaftliche Auswirkungen von Gesetzentwürfen, Kosten-Nutzen-Verhältnissen,

Regelungsalternativen, Teilhabefragen und vieles mehr. Die Rechtsetzungslehre, das ist ein alter Hut, hat mit dieser Idee und mit dieser Checkliste das Ziel einer guten Gesetzgebung verfolgt.

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gräff von der CDU zulassen.

Nein! – Sie können ja eine Zwischenintervention machen, kein Problem. Ich will erst einmal ausführen.

Dieses Ziel der guten Gesetzgebung mit dieser sehr, sehr umfangreichen Checkliste war auch Gegenstand des Deutschen Juristentages im Jahr 2003. Es gab sogar Leute, die gesagt haben, es gebe eine verfassungsrechtliche Pflicht zum guten Gesetz. Wissen Sie, was nach all diesen Debatten von schlaueren Leuten als denen, die hier sitzen, herausgekommen ist? – Gute Gesetzgebung ist, wenn überhaupt, eine gesetzgeberische Obliegenheit. Der Gesetzgeber schuldet verfassungsrechtlich nichts außer dem Gesetz selbst.

Das bringt uns zum zentralen Kritikpunkt an Ihrem Gesetzentwurf. Sie unterstellen, dass eine Vielzahl von aktuellen, aber auch geplanten gesetzlichen und untergesetzlichen Normen, Berichtspflichten, Rundschreiben und Ähnlichem bürokratische Belastungen seien.

[Henner Schmidt (FDP): Ist ja auch wahr!]

Das ist totaler Unsinn. Nehmen wir einmal ein Beispiel, nehmen wir einmal das Elterngeld und die Elternzeit. Das sind Gesetze, die sind für viele Eltern und viele Kinder ein echter Segen. Keine Normenkontrollprüfung und kein Standardkostenmodell und keine Gesetzesfolgenabschätzung wären in der Lage, bei einem solchen Gesetzesvorhaben die extrem umfangreichen, facettenreichen Auswirkungen auf unsere komplexe Gesellschaft zu prognostizieren oder sogar zu beziffern. Dafür ist unsere Gesellschaft viel zu vielfältig, Gott sei Dank, viel zu komplex, und das ist an der Stelle auch erstens ganz normal und zweitens auch gut so.

(Christian Goiny)

Gesetzgebung hat auch etwas mit Technik zu tun, ja, mit Rechtsförmigkeit, auch dafür gibt es ein Handbuch, das brauchen wir nicht neu erfinden. Gesetzgebung ist aber in allererster Linie geronnene Politik, liebe FDP. Sie ist die politisch gewollte Gestaltung der Gesellschaft und keine betriebswirtschaftliche Veranstaltung.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Das ist der Unterschied zwischen Demokratie und Technokratie! Diese Koalition steht für Demokratie, Sie sollten einmal klären, wo Sie stehen, liebe FDP.

[Holger Krestel (FDP): Das haben Sie schon selbst gemacht, Herr Schlüsselburg!]

Aber selbst, wenn wir einmal innerhalb der Logik Ihres Antrags, ihres Gesetzesvorschlags bleiben, ist er für uns nicht zustimmungsfähig. Zunächst wollen Sie Bürokratie mit Bürokratie bekämpfen – das hat Kollege Dörstelmann auch schon problematisiert –, eine ganz tolle Idee. Ich glaube, das wird nicht gelingen. Ihr Normenkontrollrat würde Stellungnahmen machen, würde Gegenstellungnahmen machen. Ich habe vorher im Bundestag gearbeitet. Da kümmert sich niemand, weder in der Regierung noch im Deutschen Bundestag, um irgendetwas, was dieser Rat aufschreibt. Das ist einfach nur eine lästige Veranstaltung.

Ihr Antrag ist im Übrigen auch eine Ohrfeige für unseren Rechnungshof. Vielleicht ist Ihnen das nicht aufgefallen, aber unser Rechnungshof wurde unter der ehemaligen Präsidentin Claßen-Beblo umgesteuert. Die prüfen nämlich anlassbezogen auch den Erfüllungsaufwand unserer Gesetze und auch die Kosten. Die machen sich da viel Arbeit. Wir kümmern uns in diesem Haus auch darum und nehmen die Anregungen auf und nehmen Änderungen vor. Kollegin Meister weiß das, sie sitzt im Unterausschuss Haushaltskontrolle, zusammen mit mir. Ehrlich gesagt, das ist eine Ohrfeige für die Arbeit des Rechnungshofs. Das finde ich ziemlich schade.

Nein, wir sind dem Antrag gegenüber sehr, sehr skeptisch. Das haben Sie gehört. Ich finde es auch verfassungsrechtlich – also, verfassungsrechtlich? –, ich finde es regelungstechnisch problematisch, das Ding bei der Senatskanzlei anzusiedeln. Gesetzgebung ist Aufgabe der ersten Gewalt. Wenn überhaupt, dann gehört so etwas hierher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir diesem Antrag als Linksfraktion zustimmen. Ich glaube, Berlin braucht Dringenderes, als die Lobbyinteressen der Arbeitgeberverbände hier zu diskutieren und zu beschließen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Oliver Friederici (CDU): Ab zur Jugendweihe, der Anzug sitzt schon!]

Für eine Zwischenbemerkung hat der Kollege Swyter das Wort.

Sehr geehrter Herr Schlüsselburg! Vom Anzug her gesehen könnten Sie Mitglied in unserem Club der Arbeitgeberverbände sein, das stimmt, allerdings nicht, was diese Schlaumeierei betrifft.

[Beifall bei der FDP]

Herr Schlüsselburg! Das Erste ist, dass die Welt sich auch ein bisschen weitergedreht hat. Wir haben, Gott sei Dank, mittlerweile weiterentwickelte Modelle und mit dem Standardkostenmodell eine neue Methode, um Bürokratiekosten zu berechnen, die dem damaligen Rechtsetzungsrat nicht zur Verfügung standen. Insofern ist diese Frage wieder aktuell.

Zweitens: Sie haben infrage gestellt, ob man mit einem Preisschild gleich einen Gesetzgebungszweck infrage stellt. Sie haben das Elterngeld genannt. Das wollten wir auch nicht infrage stellen, aber dennoch ist es richtig und legitim, einmal ein Preisschild dran zu tun, um zu wissen, was kostet das denn die Betroffenen, auch die Wirtschaft, aber vor allen Dingen auch die Verwaltung. Deswegen ist das legitim. Wenn Sie weitere Beispiele brauchen, der Kollege Goiny hat das schon angesprochen: Im „Checkpoint“ werden Sie viele Beispiele finden. Es ist einfach nicht normal, wenn wir drei Jahre brauchen, um einen Zebrastreifen zu verlegen. Da müssen wir uns Gedanken machen, und das ist mal endlich ein Anfang, den wir damit machen würden.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Oliver Friederici (CDU)]

Insofern, Herr Schlüsselburg, wenn Sie hier jetzt gleich antworten und nicht in den Ruf gelangen wollen, als Linkspartei die Bürokratenpartei von Berlin zu sein, dann warte ich auf Ihr Beispiel, wie Sie Bürokratie in dieser Stadt eindämmen wollen. – Danke!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Wollen Sie erwidern? – Bitte schön!

[Oliver Friederici (CDU): Noch ein Wort aus dem Maßanzug! – Kurt Wansner (CDU): Bürokratenpartei! – Holger Krestel (FDP): Nun hört doch mal auf!]

Herr Swyter! Sie setzen einen Schwerpunkt beim Thema Bürokratieabbau mit dem Normenkontrollrat. Der Normenkontrollrat ist, wenn Sie sich mit der Materie befasst

hätten, aber mehr. Er hat nicht nur den Anspruch, Bürokratiekosten zu messen, sondern er verfolgt auch die Idee, den Gesetzgeber zu beeinflussen, und zwar unter betriebswirtschaftlichen Diktionen.

[Florian Swyter (FDP): Das habe ich doch nicht infrage gestellt!]

Das kann ja Ihr Modell und Ihr Staats- und Demokratieverständnis sein. Sie müssen aber aushalten, wenn ich hier für die Linksfraktion feststelle, dass das nicht unser Verständnis ist. Wir haben ein weitergehendes Verständnis. Wir sagen, die erste Gewalt, die hier unmittelbar legitimiert wurde durch das Staatsvolk, fällt politische Entscheidungen. Eines, wenn nicht ihr schärfstes Schwert zur Umsetzung dieser politischen Entscheidungen ist das Gesetz, dass alle staatliche Gewalt in diesem Land und in diesem Land Berlin bindet. An dieser Stelle kommt es in erster Linie darauf an, welche politische Entscheidung man trifft, welchen Willen man hat. Möchte man ein Elterngeld oder eine Elternzeit einführen? Möchte man das Ticket für alle Schülerinnen und Schüler kostenfrei machen? Möchte man ein Haushaltsgesetz erlassen, was diese Stadt zusammenführt und nicht spaltet und sie solidarischer macht?

Und natürlich kann man Preisschilder ranmachen. Das tun wir aber im laufenden Geschäft sehr wohl. Sie können sich den Haushalt angucken, Sie können sich zum Teil auch aus den Senatsverwaltungen die Vorblätter zu Gesetzesvorhaben angucken, wo es manchmal dünne, aber manchmal auch dickere Kostenschätzungen gibt. Sie haben alle das Instrument der parlamentarischen Kontrolle durch Anfragen – hier und in Ausschüssen – und können viele Dinge herausfinden. Sie können sich zusammen mit dem Rechnungshof bestimmte Prüfergebnisse angucken. Das ist alles nicht unser Problem. Wir sind sehr transparent. Was ich Ihnen nur sage, ist, nicht jede politische Entscheidung und nicht jede gesetzgeberische Entscheidung können Sie mit Ihrem Standardkostenmodell, das entwickelt wurde, beziffern. Und Sie können schon gar nicht die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen und damit auch die volkswirtschaftlichen Auswirkungen prognostizieren. Das geht nicht. Unsere Gesellschaft ist zu komplex. Und wenn Sie im Eingang Ihres Redebeitrags gesagt haben: Es gibt immer mehr Gesetze, es gibt immer mehr Normen, es gibt immer mehr Vorschriften und Berichtspflichten. – Das ist Demokratie! Die Gesellschaft wird komplexer. Aufwachen, FDP! Deswegen werden Gesetze komplexer. Deswegen brauchen wir mehr Gesetze. Das heißt nicht, dass die alle schlecht sind. Sie müssen mal gucken, dass Sie Ihr unterkomplexes Verständnis von Rechtssetzung und von Regulierung mal ablegen. Auf der anderen Seite ist es auch schön, dass es hier transparent geworden ist, dass Sie die verlässliche Stimme der Wirtschaft sind, die jede Regulierung ablehnt, weil dabei verhindert wird, Profite zu machen. Das können Sie gerne machen, ist eine transparente Veranstaltung. Da haben wir aber eine andere Auffassung, und das müssen Sie aushalten.

[Zurufe von der FDP]

Und da können Sie auch schreien, das macht Ihre Argumente nicht stärker, es macht sie eher schwächer. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Stefan Förster (FDP): Vorwärts immer, rückwärts nimmer!]

Herr Vallendar von der AfD-Fraktion hat jetzt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen von der FDP! Als ich Ihren Gesetzesantrag zur Einsetzung eines Normenkontrollrats durchgelesen hatte, dachte ich mir zeitweise: Das können die doch nicht wirklich ernst meinen! Da wollen sie Bürokratie abbauen und vermeiden und schaffen dazu ein neues Gesetz sowie ein weiteres Verwaltungsorgan. Dieses Organ hat eigene Stellungnahmepflichten, kann Gutachten in Auftrag geben, Anhörungen durchführen, muss jährlich dem Senat berichten, kann Sonderberichte vorlegen und überprüft sämtliche Gesetzesvorlagen usw., also ein Organ der Exekutive, das neben den bestehenden Senatsverwaltungen eingerichtet werden soll.

Viele Köche verderben den Brei. Die Partei, die angeblich für einen schlanken Staat und weniger Staat eintritt, fordert hier unverblümt noch mehr Staat. Ich weiß schon, warum ich die FDP vor einigen Jahren verlassen habe. Es ist schon beinahe schizophren, dass hier angenommen wird, dass weitere Gesetze und die Schaffung neuer Verwaltungsorgane dem Bürokratieabbau dienen sollen. Das genaue Gegenteil tritt damit ein. Dieses bei der Exekutive angesiedelte beratende, angeblich unabhängige Legislativorgan ermöglicht es einem kleinen nicht gewählten, sondern vom Regierenden Bürgermeister ernannten Gremium aus sechs Mitgliedern, Einfluss auf die Berliner Gesetzgebung zu nehmen. Nicht mal das unmittelbar gewählte Parlament bestimmt also die Besetzung dieses bedeutenden Gremiums, sondern der Regierende Bürgermeister. Unabhängig ist dieses Gremium dann schon mal gar nicht

[Beifall bei der AfD]

und vom Volk legitimiert erst recht nicht. Dieses in § 3 Abs. 5 genannte Ehrenamt wird selbstverständlich nach Abs. 11 durch eine pauschale Entschädigung sowie ein angemessenes Sitzungsgeld vergütet. Und jetzt kommt das Beste, bitte anschnallen: Die Höhe dessen wird nicht etwa vom Parlament festgelegt, sondern

von der Chefin bzw. dem Chef der Senatskanzlei im Einvernehmen mit der bzw. dem für Finanzen zuständigen Senatorin bzw. Senator festgesetzt.

(Sebastian Schlüsselburg)