Protokoll der Sitzung vom 07.03.2019

Ich komme nun zur

lfd. Nr. 18:

Bundesratsinitiative zur Bekämpfung des Identitätsdiebstahls

Dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 27. Februar 2019 Drucksache 18/1704

zum Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/1067

Der Dringlichkeit haben Sie bereits eingangs zugestimmt. In der Beratung beginnt die Fraktion der CDU. Das Wort hat Frau Abgeordnete Seibeld. – Bitte schön!

[Beifall von Stefan Evers (CDU)]

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selten ist ein Antrag – und sogar eine Bundesratsinitiative – einer Oppositionsfraktion in diesem Hause mit so großer Mehrheit angenommen worden.

[Beifall bei der CDU]

Das liegt – anders, als der eine oder andere Journalist, von denen allerdings keiner mehr da ist, vermuten mag – nicht daran, dass die Betroffenheit bei nahezu zwei Dritteln der Parlamentarier vorhanden sein muss, sondern an den krassen Gesetzeslücken, die im Zuge dieser Erkenntnisse deutlich geworden sind und die die Bürger in Deutschland beim Identitätsdiebstahl weitgehend schutzlos zurücklassen.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Holger Krestel (FDP)]

Ich darf mich, bevor ich inhaltlich einsteige, ganz herzlich für die gute, kollegiale Zusammenarbeit bedanken, die in den letzten zwei Jahren mit diesem Antrag, mit der Bearbeitung dieses Problems und letztlich auch mit der Findung der Lösungsansätze, die sich jetzt in der Bundesratsinitiative niederschlagen, verbunden war.

[Beifall von Roman Simon (CDU)]

Die jeweiligen Fallkonstellationen dürften – inzwischen jedenfalls – jedem in diesem Hause hinreichend bekannt sein. Es funktioniert relativ simpel: Die Ware wird im

Versandhandel unter einer richtigen Identität an eine falsche Adresse bestellt. Die Ware wird von Betrügern abgefangen. Der Versandhandel bemerkt von alledem zunächst nichts. Irgendwann, wenn die Ware nicht bezahlt wird, wird die Forderung an ein Inkassounternehmen abgetreten. Dieses ermittelt zunächst den eigentlichen Inhaber der Identität, mahnt dann mit erheblichem Druck, und in Einzelfällen kommt es sogar zur Zwangsvollstreckungen aus niemals rechtmäßig zustande gekommenen Titeln. – So weit der kurze Sachverhalt.

Auch die Schufa Holding AG spielt in diesem Szenario eine unschöne Rolle. Mit ihren zum Teil nicht nachvollziehbaren und intransparenten Machtinstrumenten

[Beifall von Holger Krestel (FDP) und Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

hat sie es in der Hand, erhebliche Nachteile für die Bürger auszulösen; genannt seien gesperrte Kreditkarten, gekündigte Dispoverträge, die Verweigerung beim Abschluss von Miet-, Leasing-, Mobilfunkverträgen usw.

Letztlich geht es in der Bundesratsinitiative um fünf Aspekte, mit deren Umsetzung der Betrug zu fast 90, 95 Prozent beendet werden könnte. Genau hierum geht es im Interesse der Verbraucher und Verbraucherinnen in Deutschland: dass sie auch alleine – ohne rechtlichen Beistand – und ohne auf den Kosten sitzen zu bleiben, nicht mehr in solche Situationen geraten.

[Beifall bei der CDU]

Erster Punkt ist das Agieren der Schufa Holding AG und anderer mit Bonitätsauskünften befasster Unternehmen. Hier müssen mehr gesetzliche Voraussetzungen her. Die Voraussetzungen für einen Eintrag bei der Schufa müssen im Sinne der ZPO glaubhaft gemacht und nicht nur schlicht behauptet werden.

Der zweite Punkt ist die Sachkunde und Seriosität der Inkassounternehmen inklusive ihrer Mitarbeiter. Hier muss auf den Prüfstand, wer hier als Aufsicht tätig ist. Das sind bisher die Amtsgerichtspräsidenten. Wer ernsthaft glaubt, dass ein Amtsgerichtspräsident eine geeignete Aufsichtsinstitution ist, der muss sich auch nicht wundern, dass es quasi keine Aufsicht gibt.

Der dritte Punkt ist die Zusendung von Waren bei einer Erstbestellung, die bislang auch auf Rechnung – und genau das ist das Problem – erfolgen kann. Würde die Erstzustellung nur gegen Vorkasse, PayPal, oder Kreditkarte erfolgen können, käme es zu dem ganzen Geschäftsmodell nicht, und ein Großteil der Probleme wäre bereits gelöst.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Viertens: Es muss gesetzlich geregelt werden, dass die Verfahrenskosten, die außergerichtlichen wie die gerichtlichen, dem Verbraucher erstattet werden.

Fünftens muss geregelt werden, dass auch die negative Feststellungsklage des Verbrauchers gegen die Inkassounternehmen möglich ist, und selbstverständlich gegen Kostenerstattung.

Dass wir mit unserem Antrag zum Schutz vieler Verbraucher in Deutschland genau richtig liegen, zeigt die vehemente Verweigerung von Teilen des Versandhandels, an der Situation etwas zu ändern. Die Wichtigkeit unserer Bundesinitiative zeigt sich aber noch deutlicher an den Aktivitäten, die Inkassounternehmen plötzlich in den vergangenen 24 Monaten gegenüber Mitgliedern dieses Hauses entfaltet haben. Ich nehme an, jeder von Ihnen ist schon zu Frühstücken, Empfängen oder ähnlichen Veranstaltungen eingeladen worden, hat Schreiben von Inkassounternehmen bekommen, von denen er niemals vorher gehört hat, und die es auch in den letzten zehn Jahren in diesem Haus noch nicht gegeben hat. Erkenntnis: Die Beunruhigung bei den Inkassounternehmen ist hoch.

Tatsächlich steht zu befürchten, dass durch die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen ein durchaus florierendes Geschäftsmodell verloren ginge, das aber ganz überwiegend am Gewinninteresse des Handeln statt an den berechtigten Schutzinteressen der Verbraucher ausgerichtet ist. Denn hier sind nicht etwa Verbraucher betroffen, die persönliche Daten in großem Umfang und sorglos im Internet hinterlassen, nein, es trifft Verbraucher, die keinesfalls ihre Daten sorglos hinterlassen haben. Das Einzige, was der Versandhandel, die Betrüger und die Inkassounternehmen brauchen, ist das Geburtsdatum, und das ist von jedem von uns und von jedem Bürger sehr einfach zu ermitteln.

In Zeiten umfassenden Verbraucherschutzes können wir es uns nicht länger leisten, diese Risiken für Verbraucher einfach fortbestehen zu lassen. Deswegen freue ich mich, dass diese Bundesratsinitiative zustande gekommen ist und hoffe, dass wir auch zu einer zeitnahen Umsetzung auf Bundesebene kommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Für die Fraktion der SPD erhält jetzt das Wort der Abgeordnete Dörstelmann. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, meine Vorrednerin hat den Sachverhalt, um den es geht, die Tatbestände, sehr präzise dargestellt und auch die Risiken, die sich daraus für den Verbraucher, die Verbraucherin ableiten. Ich glaube, es gibt wirklich eine parteiübergreifende Einigkeit hier im Haus, dass der Identitätsdiebstahl eben keine Petitesse, sondern eine

regelrechte Bedrohung für Verbraucher ist, weil sie als Unbeteiligte in einen Prozess geraten können, der sie komplett unvorbereitet trifft, der aber enorme und gravierende Konsequenzen haben kann.

Der Antrag adressiert mehrere Punkte. Die sind alle wichtig. Beginnend bei den Auskunfteien, ob das Schufa oder Crefo ist, die haben eine enorme Macht, und sie haben mit den Auskünften, die sie geben, für den Einzelnen eine enorme Wirkung. Es ist ja naheliegend, dass im Extremfall wirtschaftliche Existenzen alleine durch eine falsche Auskunft oder durch eine nicht sorgfältig geprüfte Auskunft in der Konsequenz bedroht sein können, wenn die Kreditfähigkeit oder andere Eigenschaften der Person durch eine solche Auskunft infrage gestellt werden. Deshalb ist die Forderung erstens nach einer sorgfältigen Prüfung der Voraussetzungen, bevor man eine solche Auskunft erteilt, durch Glaubhaftmachung sinnvoll und zweitens auch die Forderung insgesamt, dass transparent wird, wie diese Einträge überhaupt zustande kommen, unerlässlich.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Der Kauf auf Rechnungen wurde zu Recht angesprochen. Tatsächlich ist es so, dass man an dieser Stelle, das ist ja das Einfallstor für den Identitätsdiebstahl schlechthin, mit relativ kleinen Änderungen, nämlich einer gesonderten Überprüfung beim Erstkontakt, die größten Risiken ausschließen kann. Das ist ohne Weiteres zumutbar. Ich denke, das sollten wir einfordern, und das tut dieser Antrag konsequenterweise.

Bei den Anwaltskosten, überhaupt bei den Kosten, um sich zu wehren, muss man sich die Situation der Betroffenen vor Auge halten. Sie werden unvorbereitet getroffen und sie müssen sich mit einem Sachverhalt befassen, den sie erst einmal selbst ermitteln müssen. Das ist gar nicht so einfach. Sie kriegen eine Forderung, die sie sich erst einmal nicht erklären können, und überlegen, ob möglicherweise erst einmal der Fehler bei Ihnen liegt. Das ist ganz häufig der Fall. Tatsächlich haben sie mit der Sache gar nichts zu tun. In diesem Moment muss klar sein, dass sie, wenn sie einem Inkassounternehmen oder Anwälten gegenüberstehen, die ja in der Regel aus großen Unternehmen heraus beauftragt werden und über eine gut geölte Maschinerie zur Verfolgung dieser Ansprüche verfügen, im Grunde nicht auf Rechtsbeistand verzichten können. Wenn das der Fall ist, muss gewährleistet sein, dass ihnen die daraus resultierenden Kosten – das ist letztlich ein Gebot der Waffengleichheit – auch ersetzt werden, wenn sie dann obsiegen.

Die negative Feststellungsklage, das ist hier bereits angesprochen worden, in der Tat, mit dem Anerkenntnisurteil, das sie einfordern, auch bei vorherigem Anerkenntnis nach Einreichung der negativen Feststellungsklage, da folgen wir der neueren OLG-Rechtsprechung, die besagt, dass mit dem sofortigen Anerkenntnis trotzdem nicht das

(Cornelia Seibeld)

Bedürfnis auf Rechtsschutz und auf ein Urteil in der dargestellten Weise entfällt.

Wie gesagt, es gibt eine große Einigkeit. Ich würde mir wünschen, dass vielleicht auch die eine Partei, die sich bisher diesem Antrag nicht anschließen möchte, das noch einmal überdenkt und ihr Abstimmungsverhalten an den anderen Parteien ausrichtet und auch an diesen Argumenten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der CDU und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Für die AfD-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Vallendar das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dörstelmann! Ich weiß nicht, welche Partei Sie damit gemeint haben, denn wir haben eigentlich gesagt, dass wir uns dem Antrag anschließen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): FDP!]

Ich komme jetzt zu dem Identitätsdiebstahl: Das ist eine ernstzunehmende Angelegenheit, welche die Opfer eines solchen Betrugs oft allein stehenlässt. Bisher werden diese speziellen Fälle unter dem sogenannten sonstigen Warenkreditbetrug erfasst, laut PKS über 51 000 Fälle im Land Berlin im Jahr 2017. Auch 2018 ist wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2015 bestätigt, dass Berlin besonders betroffen ist. Demnach kamen in Berlin 4 135 Identitätsdiebstähle auf je 100 000 Einwohner, in Bremen waren es 813, in Hamburg 1 554. Statistisch sind jedem Einwohner Berlins infolge von Identitätsdiebstahl Kosten von 17 Euro entstanden und weitere 8 Euro infolge von Waren- und Dienstleistungsbetrug. Viele Verfahren werden eingestellt. Das Dunkelfeld, wo die Taten gar nicht zur Anzeige gebracht werden, dürfte ebenfalls erheblich sein.

Der Ansatz der CDU, die Schufa Holding AG und die Inkassounternehmen im Rahmen der Gesetzgebung stärker in die Pflicht zu nehmen, zielt deshalb nicht auf die eigentliche Ursache des Problems. In vielen Redebeiträgen wird hier so getan, als seien die eigentlichen Täter die Inkassounternehmen und die Versandunternehmen sowie die Schufa. Sie sind aber genau genommen ebenso Opfer. Die eigentlichen Täter werden von diesem Antrag gar nicht unmittelbar betroffen. Berlin hat ein Defizit in der Strafverfolgung gegenüber anderen Bundesländern in diesem Bereich. Das zeigen die Statistiken eindeutig. Deshalb sind die Täter auch mittlerweile so dreist, dass

sie sich sogar schon Parlamentarier dieses Hauses vorknöpfen.

Der Antrag kann zwar ein Baustein zugunsten des Verbraucher- und Opferschutzes sein und auch so verstanden werden und wird deshalb auch von uns unterstützt, aber die noch zu entwerfende Regelung auf Bundesebene, welche noch ziemlich unkonkret bleibt, wird die Frage aufwerfen, inwiefern mehr Bürokratie für die Unternehmen und damit auch mehr Kosten für die Verbraucher entstehen, sowie die Frage, ob die Unternehmen noch mehr Daten vom Verbraucher sammeln müssen, damit sie sich sicher sein können, dass es der richtige Verbraucher ist, mit dem sie es als Vertragspartner zu tun haben. Das könnte dann wieder neue Probleme verursachen.

Wir stimmen dem Antrag zu, vermissen aber den eigentlichen Ansatz, das Problem bei der Wurzel zu packen. Der Fahndungsdruck auf die Täter muss ansteigen. Das Verbrechen darf sich nicht lohnen. Der finanzielle Schaden der Einwohner Berlins ist erheblich. Hier sind insbesondere Innensenator Geisel und Justizsenator Behrendt gefragt. Handeln Sie endlich in diesem Bereich! Fangen Sie bitte nicht erst an, wenn Politiker und Personen des öffentlichen Lebens betroffen sind. – Vielen herzlichen Dank!