In der Beratung beginnt die Fraktion der CDU. Herr Kollege Rissmann, Sie haben das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermeister! Vor mehr als vier Wochen haben Sie Herrn Holm zum Staatssekretär für Wohnen in Ihrem neuen Senat ernannt. Sie haben dies getan, obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt wissen konnten, wissen mussten, dass Herr Holm nach vorliegenden, unwidersprochenen, unwiderlegten Papieren und Aufzeichnungen Mitarbeiter der Stasi war. Sie haben dies getan, obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt wissen konnten und wissen mussten, dass Herr Holm bei seinem letzten Arbeitgeber, der Ihnen fachlich unterstellten Humboldt-Universität zu Berlin, bei seiner Bewerbung falsche Angaben hinsichtlich dieser früheren Stasi-Tätigkeit gemacht hatte. Kurz: Sie haben wissen müssen, Sie haben gewusst, dass er dort die Unwahrheit gesagt hat, dass er dort die Unwahrheit angegeben hat. Sie haben das getan, obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt wissen konnten, dass Herr Holm eine Belastung für diesen Senat, für diese Regierung und eine Zumutung für unsere gesamte Stadt werden würde.
Sie haben dies getan, obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt wissen konnten, dass diese Ernennung ein Schlag in das Gesicht all derer sein würde, die die Erinnerung an das menschenverachtende Unterdrückungssystem der Staatssicherheit bis heute als Trauma empfinden und deren Leid durch diese zweite deutsche Diktatur eben nicht, auch nicht nach 27 Jahren, vergessen und verschmerzt ist.
Trotz alledem haben Sie, Herr Müller, das getan. Deshalb, Herr Regierender Bürgermeister, ist das auch Ihr
Staatssekretär. Es ist Ihr Fehler, Ihr Versagen. Deshalb, Herr Müller, weil Sie das alles hätten wissen können, wissen mussten oder wussten, werden Sie auch an Ihre Verantwortung erinnert. Sie werden von uns so lange daran erinnert, bis Sie diese Entscheidung, diesen Fehler, diese Schmach korrigiert haben werden.
Glauben Sie, Herr Regierender Bürgermeister, eigentlich im Ernst, dass nach all diesen sukzessiven Erinnerungsbruchstücken und Lebenslaufanpassungen noch irgendeine Vertrauensbasis und Grundlage für eine sinnstiftende Zusammenarbeit zwischen Herrn Holm und Vertretern dieses Parlaments oder zwischen Herrn Holm und Ansprechpartnern aus seinem Ressort, Investoren oder gar den Wohnungsbaugesellschaften, aufgebaut werden könnte? Einmal ganz abgesehen von der Tatsache, dass Herr Holm offenbar wiederholt Hausbesetzungen als „nach wie vor zeitgemäß“ befand? Diese böten eine Reihe von „Vorteilen im Vergleich zu anderen Formen der politischen Intervention“. – Ist das Ihre Meinung, Herr Regierender Bürgermeister, über Wohnungsbaupolitik und über politische Auseinandersetzungen in unserer Stadt?
Ziehen Sie diesen Staatssekretär zurück! Entlassen Sie ihn! Verstecken Sie sich nicht länger hinter dem Prüfauftrag der Humboldt-Universität! Diese Prüfung arbeitsrechtlicher Konsequenzen – egal, wie sie ausgeht – kann Sie nicht entlasten. Das ist eine politische Entscheidung, die Sie zu treffen haben werden, die Sie treffen müssen und die längst überfällig ist.
Es ist Ihre Entscheidung und nicht die Entscheidung von Frau Lompscher. Frau Lompscher hat Ihnen diese Personalie eingebrockt und zwischen den Zeilen bereits klargemacht – deutlich sekundiert von Ihrem Nachbarn, Herrn Lederer –, dass sie keinen Anlass für einen Rückzieher sieht. Deshalb stellen wir heute diesen Antrag. Herr Regierender Bürgermeister! Wir fordern den Senat auf, keine Personen, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR, dem Unterdrückungsapparat der zweiten deutschen Diktatur, zusammengearbeitet haben, in Positionen der Regierung zu entsenden.
Dass ich einmal an den Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen – also den aktuellen Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen – oder gar an die rot-rote Landesregierung Brandenburgs erinnern und sie als Kronzeugen für meine Position benennen muss, hätte ich mir nicht träumen lassen.
Aber das, was dort klarer Grundsatz der Koalitionsvereinbarung und Überzeugung der Staatskanzlei in Brandenburg ist, muss offenbar hier gegen einen zaudernden Regierenden Bürgermeister eines Linksbündnisses erst hart erkämpft werden. Die amtierende Koalition in Thüringen aus der Linken, der SPD und den Grünen hat in ihrem Koalitionsvertrag im Dezember 2014 verschiedene Schlussfolgerungen aus dem DDR-Unrecht tatsächlich gezogen und auch verabredet. Dort ist das eindeutig geregelt – Zitat –:
Die Koalition wird keine Personen, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet haben, in Positionen dieser Regierung entsenden.
Eine Causa Holm hätte es auch in Brandenburg nicht gegeben. Bevor dort eine Besetzung in solche Ämter erfolgt, erfolgt auch eine Regelanfrage bei der StasiUnterlagen-Behörde. Der Regierungssprecher Brandenburgs – Ihres sozialdemokratischen Genossen – Herr Florian Engels sagt:
Die neue Berliner Koalition aus den drei linken Parteien hat auf eine solche oder in der Sache vergleichbare und in Berlin dringend notwendige Vereinbarung verzichtet. Es ist genauso selbstverständlich wie dringend erforderlich, dass auch in Berlin in der Personalauswahl der Berliner Landesregierung der geschichtsvergessene Umgang mit der DDR-Diktatur revidiert wird. Dieses Linksbündnis ist aktuell dabei, den gesellschaftlichen Kompass in unserer Stadt zu verschieben.
Herr Müller! Sie haben am Dienstag im Rahmen Ihrer Pressekonferenz davon gesprochen, dass Sie hinsichtlich der Personalie Holm mit sich ringen. Auf was warten Sie? Absolution wird Ihnen nicht zuteil werden, solange Herr Holm im Amt ist und solange Sie die Büchse der Pandora, die Sie mit Ihrer selbstgerechten Art der Besetzung eines Staatsamtes eigenwillig geöffnet haben, nicht wieder schließen. Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht! Beenden Sie Ihr Schweigen! Sie dienen mit diesem weder der Aufklärung noch der politischen Hygiene. Unserem Antrag zuzustimmen, wäre ein Anfang auf dem Weg dieser Einsicht.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken! Mit was für einer öffentlichen Reaktion haben Sie eigentlich gerechnet, als Sie Andrej Holm, der für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war, zum Staatssekretär ernannt haben?
Man kann durchaus der Meinung sein, dass eine formale Zugehörigkeit zum MfS fast drei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution keine ausschlaggebende Rolle bei der Besetzung eines öffentlichen Amtes spielen darf, besonders angesichts des jugendlichen Alters des Betroffenen. Man kann sogar zu der Bewertung kommen, dass eine falsche Angabe in einem Fragebogen aus dem Jahr 2005 kein K.o.-Kriterium mehr sein muss. Aber wenn Sie das so sehen, warum haben Sie nicht genau diese Haltung vor der Ernennung offensiv vertreten? Warum haben Sie Andrej Holm nicht dabei geholfen, mit allen Punkten der Vergangenheit vorher reinen Tisch zu machen? Haben Sie das Risiko gescheut? Denn ein gewisses Risiko bestand natürlich. Klar, am Ende einer solchen offenen Debatte, die man vorher führt, hätte das politische Ergebnis stehen können, dass man zu dem Schluss kommt: Nein, es geht nicht. – Aber wie heißt es so schön: Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt darin um.
Vielleicht haben Sie auch gedacht: Wir machen das, weil wir das können, und wir zeigen einfach mal, was wir uns da trauen. – Oder sind Sie von einem stillschweigenden Konsens ausgegangen? Das wäre angesichts der Tatsache, dass sich Ihr Parteikollege Bodo Ramelow in Thüringen dafür abfeiern lässt, dass er eine Ausschlussklausel in den Koalitionsvertrag aufgenommen hat, ja wohl eine krasse Fehleinschätzung.
Was auch immer Ihr Kalkül gewesen sein mag, es ist nicht aufgegangen. Jetzt ist der politische Schaden da, und er ist erheblich – ganz egal, ob Andrej Holm Staatssekretär bleibt oder nicht. Jetzt wollen Sie das Ganze von der dienstrechtlichen Entscheidung abhängig machen und drücken sich damit vor der politischen Verantwortung.
In diesem Fall keine politische Entscheidung mehr fällen zu wollen, liebe Linkspartei, das ist erstens auch eine politische Entscheidung und zweitens eine schlechte. Im Übrigen: Ob das der richtige menschliche Umgang mit
Die eigentlich notwendige Debatte über den Umgang mit der Vergangenheit, die nicht vergessen und nach meiner Überzeugung auch noch nicht vergangen ist, wird so jedenfalls nicht befördert. Gott sei Dank gibt es Menschen, denen diese Debatte wichtig ist. Stellvertretend für alle möchte ich Wolfgang Thierse für seinen Aufruf zur Sachlichkeit und Peter Neumann für seine erfahrene Einschätzung und seine klare Positionierung danken.
Wir haben in diesem Parlament oft genug bewiesen, dass wir sehr wohl zu einem angemessenen Umgang mit der Vergangenheit in der Lage sind. Wir nehmen unsere Verantwortung gegenüber den Opfern ernst. Die erwarten nämlich etwas anderes als Freifahrtscheine, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Sie erwarten mit Recht Anerkennung. Sie haben Anspruch auf eine angemessene Auseinandersetzung und eine begründete Haltung zu dem, was damals passiert ist. Vergebung und Versöhnung kann es nur zwischen Tätern und Opfern geben, und das setzt einen gemeinsamen Prozess voraus, den ich im Moment in der Debatte um Herrn Dr. Holm wenig erkennen kann. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den Folgen eigenen Handelns.
Wer bestimmt eigentlich, ab wann man mit der Vergangenheit entspannter umgehen kann? Was kann man generell oder nur individuell bewerten? Welche Kriterien setzen wir heute an? Wer bestimmt, dass niemand geschadet wurde oder dass etwas nicht so schlimm war? – Nun entscheidet also die Humboldt-Universität darüber, ob Andrej Holm im Amt bleibt oder nicht. Damit ist der Antrag der CDU eigentlich hinfällig. Es ist daher schlichtweg vernünftig, ihn heute nicht abzustimmen. Es kann uns als Parlament und als Gesellschaft ohnehin keine Entscheidung der Humboldt-Universität von der Pflicht entbinden, uns mit einer solchen Frage auseinanderzusetzen.
[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN, der AfD und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]
Ich hoffe sehr, dass wir – und damit meine ich auch die Koalition – uns in Zukunft diesen Fragen stellen und gute Lösungen finden. Selbst unter denjenigen, die unter dem DDR-Regime leiden mussten, gehen die Einschätzungen übrigens sehr weit auseinander. Es gibt viele, die für einen versöhnlichen Umgang plädieren, aber es gibt eben auch diejenigen, für die es unvorstellbar ist und die es als Hohn empfinden, wenn ehemaligen Stasi-Mitarbeitern der Weg in die öffentlichen Ämter geebnet wird. Es gibt keinen Weg und keine Lösung, die daran vorbeiführen, sich diesen Gegensätzen zu stellen. Der eine oder andere vereint sie sogar in sich selbst. – Herzlichen Dank!
[Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU, der AfD und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die AfD-Fraktion unterstützt den vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion. Der Eiertanz um Andrej Holm ist ein beschämendes Armutszeugnis für die Geschichtspolitik der neuen rot-rot-grünen Koalition, ihr Festhalten an seiner Ernennung zum Staatssekretär ein Schlag ins Gesicht der Opfer des DDR-Unrechts.