Protokoll der Sitzung vom 12.01.2017

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Nach Freigabe der Stasi-Akte ist unstrittig, dass Dr. Holm sich seiner bevorstehenden und angestrebten StasiKarriere in vollem Umfang bewusst war. Darüber hinaus hat er in seinem Personalfragebogen an der Berliner Humboldt-Universität den Sachverhalt falsch dargestellt. Daraus hat der Senat und an der Spitze der Regierende Bürgermeister nun die Konsequenzen zu ziehen.

Es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, Herr Regierender Bürgermeister, dass 70 Jahre nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD und 55 Jahre nach dem Bau der Mauer ausgerechnet unter sozialdemokratischer Führung in Berlin ein ehemaliger hauptamtlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit Staatssekretär werden soll.

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Sie laufen wie ein Elefant durch den erinnerungspolitischen Porzellanladen dieser Stadt und zerschlagen mit Ihrer Unentschlossenheit und Ihrem Wankelmut immer neues Porzellan. Für Sie ist der Fall „noch nicht entschieden“, liest man, Sie „ringen noch mit sich“. Ja, was muss denn noch passieren, damit Sie sich entscheiden, Herr Müller? Es gibt neben Koalitionsraison auch so etwas wie eine historische Verantwortung für diese Stadt.

[Beifall bei der AfD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Hier zieht der Antrag der CDU-Fraktion unseres Erachtens die richtige Konsequenz aus der Staatssekretärsposse. Mehr noch als der eher ad personam gerichtete Antrag der FDP-Fraktion zielt der CDU-Antrag auf die grundsätzliche Frage des Umgangs mit dem DDR-Unrecht. Es kann in der Tat nicht sein, dass in Berlin ehemalige Mitarbeiter des DDR-Sicherheits- und Überwachungsapparates hohe Funktionen in der Landesverwaltung einnehmen, während dies in Thüringen selbst unter einem Minister

präsidenten der Linken oder in Brandenburg in einer rot-roten Regierung ausgeschlossen ist. Deswegen halten wir es für richtig, hier ganz klar – wie von der CDU eingebracht – eine Unvereinbarkeit durch Parlamentsbeschluss verbindlich zu regeln.

Mehr noch, als die Koalition vielleicht glauben mag, ist die Personalie Holm zu einem Lackmustest für die Aufrichtigkeit des Senats im Umgang mit dem Erbe des DDR-Unrechts geworden. Der Koalitionsvertrag glänzt hier neben ein paar unverbindlichen Lippenbekenntnissen durch beredtes Schweigen oder weichgespülte Allgemeinplätze. Im entsprechenden Absatz zur Erinnerungspolitik auf Seite 117 der Koalitionsvereinbarung heißt es unter anderem, ich zitiere:

Die Koalition will zum kritischen Nachdenken anregen und die Erinnerung aufrechterhalten an die Zeit des Nationalsozialismus, an die Geschichte des geteilten Berlins während des Kalten Krieges und auch an Berlins koloniale Vergangenheit als Hauptstadt des Deutschen Reiches.

Merken Sie etwas, meine Damen und Herren? Die Koalition will zum Nachdenken über die Zeit des Nationalsozialismus als Ganzes anregen, aber nicht etwa über die DDR-Diktatur oder das DDR-Unrecht als Ganzes, sondern über die Geschichte des geteilten Berlins während des Kalten Krieges. Das macht auch den unvoreingenommenen Beobachter stutzig. Wenn man dann liest, dass die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße zu einem so genannten Campus für Demokratie umgemodelt werden soll oder das ehemalige Polizeigefängnis in der Keibelstraße zu einem außerschulischen Lernort aufgebaut werden soll, statt unter das bewährte Dach der Gedenkstätte Hohenschönhausen gestellt zu werden, kommt man vollends ins Grübeln. Die Berliner können nur hoffen, dass mit Kultursenator Lederer neben dem Baustaatssekretär nicht auch in der Gedenkstättenpolitik der Bock zum Gärtner gemacht wurde.

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Aber es mag sein, vielleicht sehen wir hier auch zu schwarz, und Sie entwickeln gerade auf diesem Feld Fortüne, um uns das Gegenteil zu beweisen. Im Interesse der Opfer der DDR-Diktatur und der Erinnerung an sie wäre es zu hoffen.

Auch wenn das für die Koalition im ersten Augenblick abwegig erscheinen mag: Nutzen Sie die Affäre Holm, um Ihre geschichtspolitische Geisterfahrt in Sachen DDR-Unrecht zu korrigieren. Begreifen Sie die Debatte, die wir hier heute führen, auch als Chance, noch einmal einen zweiten Blick auf Ihre geschichtspolitischen Vorhaben im Koalitionsvertrag zu werfen und dann vielleicht zu sagen, hier haben wir uns nicht klar genug ausgedrückt oder hier müssen wir uns korrigieren. Die Rede von Frau Dr. West hat gezeigt, dass dies möglich ist. Dann, aber

nur dann, hätte die Affäre Holm auch ihr Gutes gehabt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Holger Krestel (FDP) und Kurt Wansner (CDU)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke Frau Schubert!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich mit dem Antrag der CDU auseinandersetzen. Er verlangt, dass keine Person, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet hat, in Positionen der Regierung entsandt werden dürfe. Das ist sehr weitreichend.

[Heiko Melzer (CDU): Wörtlich abgeschrieben! – Sven Rissmann (CDU):Thüringen!]

Das Sicherheitssystem der DDR war weit mehr als das Ministerium für Staatssicherheit. Dazu gehörten die Polizei, die Armee, die Betriebskampfgruppen. Der Gedanke repressiver Herrschaftssicherung zog sich durch den gesellschaftlichen Aufbau der DDR insgesamt, von der FDJ bis in jeden Betrieb. Und der Antrag ist einseitig. Schlussfolgerungen ziehen heißt nämlich auch, sich mit den Strukturen der DDR kritisch auseinanderzusetzen, zu ergründen, mit welchen Mechanismen die Staatssicherheit die Gesellschaft durchdrungen hat, mit welchen Methoden sie Menschen zur Mitarbeit gebracht hat.

[Mario Czaja (CDU): Ihre Dialektik ist unverschämt den Opfern gegenüber! – Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Gut, das nehme ich zur Kenntnis! Ich würde Sie trotzdem bitten, jetzt zuzuhören. Das habe ich nämlich bei Ihrem Beitrag auch getan – und zwar sehr genau!

[Sebastian Czaja (FDP): Macht er ja, sonst hätte er den Zwischenruf nicht machen können! – Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bisher, glaube ich, die Debatte sehr sauber geführt. Belassen wir es dabei!

Schlussfolgerungen zu ziehen heißt auch zu begreifen, dass die Herrschaftspraxis des real existierenden Sozialismus nach dem Freund-Feind-Schema, nach dem Prinzip von schwarz oder weiß funktionierte, ein Prinzip, das wir in einer parlamentarischen Demokratie nicht anwen

den sollten. Ein großes Verdienst der Bürgerkomitees in den Wendewochen 1989/1990 und den folgenden Jahren war es, die Vernichtung der Stasi-Akten verhindert zu haben und einen Prozess der Aufarbeitung von Unrecht, Repression und Bespitzelung durch das MfS gegenüber vielen DDR-Bürgerinnen und -Bürgern in Gang gesetzt zu haben. Das war damals nicht widerspruchslos. Das Stasi-Unterlagengesetz war bis in die Reihen der CDU zunächst umstritten. Der Prozess der Aufarbeitung war zutiefst schmerzhaft für die Opfer von Zersetzung und Bespitzelung. Viele mussten erfahren, dass sie von nahen Angehörigen oder Freunden verraten wurden. Es war auch für diejenigen schmerzhaft, die erkennen mussten, was für einem Apparat sie gedient haben. Ich kann nachvollziehen, dass es für diejenigen eine Zumutung ist, dass jetzt ein Mann mit Stasi-Vergangenheit in ein Regierungsamt gekommen ist, dennoch sage ich: Aufarbeitung funktioniert nicht nach dem Gut-Böse-Schema.

Heute wissen wir, dass es sehr unterschiedliche Formen von Stasi-Mitarbeit gab, freiwillige von Menschen, die glaubten, damit dem Sozialismus oder der Sicherheit des Staates zu dienen, erzwungene, erpresste Mitarbeit. Es gab inoffizielle Mitarbeiter, die selbst bespitzelt wurden und später zu Opfern wurden. Es gab unglaubliche Verdrängungsleistungen, sodass sich manche Menschen tatsächlich nicht mehr erinnerten, was sie einst als Verpflichtungserklärung unterschrieben haben.

[Lachen bei der CDU und der AfD]

Ich würde darüber nicht lachen! Fragen Sie einmal in Ihren eigenen Reihen nach! Niemand von den Parteien hier, der aus der DDR kommt, ist ganz sauber. Gucken Sie in die Vergangenheit, und dann seien Sie sehr vorsichtig mit Ihren Ausfällen!

[Oh! und Lachen bei der CDU und der AfD – Stefan Franz Kerker (AfD): Unglaublich!]

Natürlich gab es auch diejenigen, die es genossen haben, Macht auszuüben und andere zu unterdrücken, und es gab noch viele Zwischenformen. Schlussfolgerungen aus dem DDR-Unrecht zu ziehen heißt auch, nicht auf Pauschalverurteilungen abzuzielen, sondern den Einzelfall zu betrachten.

[Zuruf von Dr. Gottfried Ludewig (CDU)]

Und damit komme ich zu Andrej Holm. Er war 18 Jahre alt, als er zur Stasi kam. Er wollte die Laufbahn des MfS-Offiziers antreten. Daraus hat er nie einen Hehl gemacht und sich 2007, als er weit davon entfernt war, irgendetwas in Sachen Regierung machen zu wollen, in der „taz“ dazu öffentlich erklärt. Er hat sich gegenüber den Angehörigen der DDR-Opposition offenbart. Das hat die „telegraph“-Redaktion noch mal sehr deutlich klargemacht. Diverse Experten haben bezeugt, dass Andrej Holm persönlich keine Schuld auf sich geladen hat.

(Martin Trefzer)

[Lachen bei der AfD – Zurufe von Dr. Gottfried Ludewig (CDU) und Marcel Luthe (FDP)]

Heißt das für die CDU, dass er trotzdem einer Kollektivschuld unterworfen ist? Schlussfolgerungen ziehen heißt auch, die Aufarbeitung voranzutreiben. Den Campus der Demokratie in der Normannenstraße auf dem Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale weiter auszubauen, das ist doch nichts Lachhaftes, das ist doch eine gute Sache, wenn man daraus lernt, was alles schiefgegangen ist in der Stadt Berlin während der DDR-Zeit. Wichtige Institutionen wie die Robert-Havemann-Gesellschaft sollen weiter unterstützt werden. In zwei Jahren werden wir den 30. Jahrestag der friedlichen Revolution begehen. Auch das ein Anlass, den Stand, die Klippen von Aufarbeitung und Schlussfolgerungen für ein demokratisches Gemeinwesen zu überprüfen. Das will, das muss die Koalition leisten. Aber die Koalition kann nicht hingehen und Leute nach Schema F verurteilen und ihnen die Existenz nehmen. Das ist, glaube ich, kein sinnvoller Weg. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Förster das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Frau Schubert! Ich wollte eigentlich einen anderen Einstieg wählen, weil ich glaubte, wir hätten vorher, auch über die Fraktionsgrenzen hinweg, einen Konsens und eine ernsthafte Debatte gehabt, wie man mit dem Thema umgeht. Wenn ich aber jetzt höre, was Sie gesagt haben – tut mir leid, da zieht es einem die Schuhe aus! Wenn das ein SED-Opfer vor dem Fernseher hört, das kippt um. So geht es nicht!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir reden hier in dieser ganzen Debatte beileibe nicht von irgendwelchen Leuten, die mal peripher durch die Tür beim Ministerium für Staatssicherheit geguckt hätten und wieder rausgegangen wären. Wir reden von Leuten, die sich wissentlich und willentlich entschieden haben, für das Ministerium für Staatssicherheit zu arbeiten, hauptamtlich oder inoffiziell. Da kann man dann auch keine Erinnerungslücken geltend machen, wenn man einen so wichtigen Teil seiner Biografie vor Augen hat. Das geht nicht!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Das ist im Übrigen leider auch die Debatte, die uns bald wieder Jahrzehnte zurückführt, weil wir sie seit 1990 beständig führen, Ihretwegen leider auch beständig führen müssen. Wir sind immer wieder am Anfang, gerade

eben auch, weil die Linke es in weiten Teilen nicht für nötig hält, diese Debatten einmal abschließend zu führen.

Wir haben das Problem nicht nur in den Landesregierungen, bzw. in den Landesregierungen wurde es teilweise auch umschifft – auf Brandenburg und Thüringen wurde verwiesen. Aber in Brandenburg und Thüringen, auch das gehört zur Wahrheit, hat man dann eben die Stasibelasteten Abgeordneten gerade bei der Linken in den Landtagsfraktionen. Das geht genauso wenig, darauf möchte ich ganz klar hinweisen.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

In Thüringen sichern die Stasi-belasteten Abgeordneten die Mehrheit von Rot-Rot-Grün, die dort recht knapp ist. In Brandenburg saßen sie in der vorherigen Legislaturperiode sogar noch an den Schaltstellen der Macht. Sieben Fälle allein sind dort bei der Überprüfung auf Staatssicherheit herausgekommen. Es waren weiß Gott keine Hinterbänkler, sondern prominente Leute wie die Fraktionsvorsitzende Kerstin Kaiser, der Landesvorsitzende Thomas Nord, die Landtagsvizepräsidentin Gerlinde Stobrawa, Hans-Jürgen Scharfenberg, der seit 20 Jahren auch die Potsdamer Kommunalpolitik für seine Ideen in Geiselhaft nimmt, oder Heinz Vietze, der langjährige parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion der Linken, der noch im September 1989 auf einer Tagung der SED-Kreisleitung in Potsdam erklärte – ich zitiere:

Wenn der Gegner sich zum direkten Kampf in seinem Schützengraben gegen uns erhebt und scharf zielt und alles einsetzt, worüber er verfügt, dann muss in der Deutschen Demokratischen Republik in diesem Schützengraben die Diskussion über das letzte Flugblatt oder die letzte Schützengrabenzeitung aufhören, sondern wir müssen darüber reden, wer zielt auf diesen Gegner, und zwar mit Kampfkraft, mit klassenmäßiger Position.

Wer so etwas äußert, ist eine Schande für jedes Parlament, es tut mir leid.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]