Protokoll der Sitzung vom 06.06.2019

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/1929

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung der Gesetzesvorlage. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Empfohlen wird die Überweisung der Gesetzesvorlage an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung sowie an den Hauptausschuss. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 7:

Berliner Ausführungsgesetz zum Pflegeberufegesetz (BlnAGPflBG)

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/1944

Erste Lesung

Auch hier eröffne ich die erste Lesung der Gesetzesvorlage. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Empfohlen wird die Überweisung der Gesetzesvorlage an den Ausschuss für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 8:

Gesetz zur Errichtung eines Landesamtes für Einwanderung und zur Anpassung betroffener Gesetze

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/1945

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung der Gesetzesvorlage. – In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Kollegin Jarasch, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jeder fünfte Berliner, jede fünfte Berlinerin hat – noch – keinen deutschen Pass, denn Berlin wächst, und zwar auch durch den Zuzug von Ausländern. Das ist so und das ist gut so, und zwar für die Zukunft Berlins. Denn: Wir brauchen Einwanderung und zwar längst nicht mehr nur von Akademikerinnen oder IT-Expertinnen. Der Fachkräftemangel ist mittlerweile die größte Sorge der deutschen Wirtschaft.

[Gunnar Lindemann (AfD): Das ist Ihre Regierung!]

(Präsident Ralf Wieland)

Es gibt ihn inzwischen in allen Branchen. 260 000 Zuwanderer und Zuwanderinnen braucht Deutschland nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung pro Jahr, damit die Wirtschaft nicht einbricht, und zwar ausdrücklich auch aus Drittstaaten außerhalb der EU. Das gilt erst recht für eine Stadt wie Berlin. Deshalb hat die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop auch den Business Immigration Service eröffnet, den die Berliner Ausländerbehörde in Kooperation mit der IHK im Ludwig Erhard Haus eingerichtet hat. Für Fachkräfte und Gründerinnen bietet Berlin mit dem Business Immigration Service einen OneStop-Shop, der bundesweit einmalig ist, mit mehrsprachigem Service, Online-Infos, rascher Terminvergabe, Klärung aller relevanten Fragen vom Visum bis zur Anerkennung der Abschlüsse. Tolle Sache, aber bislang nur für Spitzenkräfte.

Bei einem Grünen-Fachtag hier im Abgeordnetenhaus zur Arbeitsmarktintegration haben uns Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen und Betrieben von ihren guten Erfahrungen mit Geflüchteten als Azubis und Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erzählt,

[Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

aber auch von den Hürden und Barrieren, auf die sie stoßen. Die Barrieren sind immer dieselben: Aufenthaltsrecht, komplizierte Verfahren, langwierige Anerkennung von Abschlüssen. Ich frage mich: Müssen Betriebe wirklich Experten im Aufenthaltsrecht anstellen, damit sie Geflüchtete beschäftigen können? Unser Ziel ist, dass Menschen, die ankommen, möglichst rasch dazugehören, und zwar unabhängig davon, ob sie geflohen sind, auf der Suche nach Arbeit gekommen, zu ihrer Familie gezogen sind oder ob sie aus Großbritannien stammen und wegen des Brexits eines Tages dann doch einen Aufenthaltstitel beantragen müssen.

[Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Hier kann die zukünftige Einwanderungsbehörde eine Schlüsselstellung haben, im Dienste der Stadt, ihrer Humanität, Weltoffenheit und ihres Wohlstands.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Dabei geht es nicht nur um Geflüchtete, denn die meisten Zugewanderten sind – auch wenn die AfD das nicht glauben mag – keine Asylbewerber, sondern Erwerbsmigranten, Studierende und nachziehende Familienangehörige.

[Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD)]

In dieser Stadt leben aber auch Zehntausende Menschen, die seit vielen Jahren hier arbeiten, Steuern zahlen, Kinder großziehen und mittlerweile hier alt geworden sind. Auch für sie braucht es einen besseren Service der künftigen Einwanderungsbehörde, wenn es darum geht, Familienangehörige nachzuholen oder ihnen einen längeren Berlinbesuch zu ermöglichen

[Gunnar Lindemann (AfD): Fordern Sie lieber mehr Bürgerämter für die Berliner!]

oder um sicherzustellen, dass beispielsweise eine Berlinerin türkischer Herkunft ihre Mutter in der Türkei pflegen darf, ohne dadurch ihr Aufenthaltsrecht zu gefährden.

Derzeit ist die Ausländerbehörde nur eine Abteilung des LABO, auch wenn sie mit 430 Beschäftigten ungefähr so groß ist, wie die anderen drei Abteilungen des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten zusammen. Mit rund 400 000 Kundenterminen und 12 Prozent aller Aufenthaltstitel bundesweit pro Jahr ist die Berliner Ausländerbehörde mit Abstand die größte Deutschlands. Diese Behörde wollen wir weiterentwickeln und nach dem Vorbild des Business Immigration Service auch strukturell umbauen, damit die Zuwanderung zur Chance für Innovationen wird und die Ausländerbehörde zu einer Behörde im Dienste der Menschen in dieser Stadt.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Torsten Hofer (SPD) und Frank Zimmermann (SPD)]

Die Bundesregierung dagegen hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Sie hat zwar nach jahrelangem Zaudern ein Fachkräftegesetz auf den Weg gebracht und damit zumindest grundsätzlich versucht, Deutschland als modernes Einwanderungsland aufzustellen. Aber gleichzeitig peitscht Seehofer ein Gesetz nach dem anderen durch, die diese Fortschritte wieder rückgängig machen.

[Beifall von Katina Schubert (LINKE)]

Morgen soll im Bundestag das Gesetz mit dem irreführenden Titel Geordnete-Rückkehr-Gesetz beschlossen werden.

[Beifall und Zuruf von Kurt Wansner (CDU): Bravo! – Gunnar Lindemann (AfD): Bravo!]

Dieses Gesetz wird noch mehr Menschen, die arbeiten wollen, mit Erwerbsverboten belegen. Es schafft neue Formen einer staatsgewollten Rechtlosigkeit. Für mich der bisherige Tiefpunkt einer zukunftsblinden Politik dieses Innenministers.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Lars Düsterhöft (SPD) – Gunnar Lindemann (AfD): Rückführung!]

Umso mehr muss Berlin seine Möglichkeiten nutzen, um Bleibeperspektiven zu eröffnen und Integration zu ermöglichen. Arbeit und Bildungserfolge müssen Aufenthalt sichern! Schluss mit Erwerbsverboten! Wer sich bemüht, seine Identität zu klären, soll arbeiten und bleiben dürfen. Alles andere wäre schon wirtschaftspolitisch Irrsinn.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Bettina Jarasch)

Nein, vielen Dank! – Allerdings funktioniert das alles nur, wenn mit der Umwandlung zu einer eigenständigen Einwanderungsbehörde ein ernstgemeinter Kulturwandel verbunden wird. Alles andere wäre Etikettenschwindel, und den machen wir nicht mit. Deshalb erwarten wir mit Blick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen, Herr Geisel, dass dieser Kulturwandel auch mit Personal untersetzt wird. Konkret bedeutet das: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der künftigen Landesbehörde müssen geschult werden, rechtliche Spielräume im Sinne der Eingewanderten zu nutzen. Es muss Schluss damit sein, dass Kunden und Kundinnen vom Sicherheitspersonal am Eingang mangels Unterlagen oder Terminen weggeschickt werden. Es braucht ein eigens geschultes Fachpersonal für Rechts- und Titelberatung, und es braucht professionelle Dolmetscher und Dolmetscherinnen, zumindest für vulnerable Gruppen.

[Gunnar Lindemann (AfD): Warum soll der Steuerzahler das bezahlen?]

Zentral ist außerdem eine unabhängige Beschwerdestelle, die auch in die Behörde rückwirken kann. Sie soll vertraulich arbeiten, sie soll in Einzelfällen Fehlentscheidungen von Sachbearbeitern korrigieren können, aber auch auf Grundlage der Rückmeldungen und Erfahrungen Fortbildungen konzipieren und die Behörde systematisch weiterentwickeln helfen. Und wir wünschen uns natürlich eine Anlaufstelle für alle Berliner Betriebe nach dem Vorbild des Business Immigration Service, also BIS 2 für die Fachkräfteeinwanderung und Gewinnung von inländischen Azubis, von Fachkräften für Pflege und Handwerk, damit die Betriebe und Innungen sich um den Ausbildungserfolg ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kümmern können, statt sich um ihren Aufenthaltstitel kümmern zu müssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Kurt Wansner (CDU): Die Rede hat Frau Breitenbach geschrieben! – Anne Helm (LINKE): Nein, garantiert nicht!]

Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Dregger das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte und geschätzte Frau Kollegin Jarasch! Also, Sie kümmern sich um den Fachkräftezugang, und Sie wollen die Verfahren erleichtern. Nur das, was Sie uns gerade alles erzählt haben, regeln Sie gar nicht in Ihrem Gesetz. Sie regeln es gar nicht, weil Sie dafür gar nicht kompetent sind.

[Beifall bei der CDU]

Genau das ist Gegenstand der Gesetze, die morgen im Deutschen Bundestag zur Abstimmung stehen. Also, was machen Sie hier in Berlin? – Sie machen zwei Dinge: Sie machen aus einer Abteilung eine Behörde, und Sie hängen ein neues Türschild auf. Man kann das machen, aber man kann es auch lassen. Nur für das, was Sie eben vorgetragen haben, ist es völlig irrelevant. Wenn Sie eine neue Behörde gründen, müssen Sie auch neue, zusätzliche Leitungsstellen schaffen, weil Sie eine Doppelinfrastruktur finanzieren müssen. Wir sind aber der Auffassung, es kommt darauf an, die Anzahl der Sachbearbeiter zu erhöhen, damit die Verfahren beschleunigt werden können, damit das erreicht werden kann, worauf die Unternehmer in Berlin warten, nämlich schnellere Verfahren, damit eine Fachkräftezuwanderung auch möglich ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ob Sie das nun Ausländeramt oder – wie die Amerikaner – Einwanderungsbehörde nennen, ist völlig nachrangig. Ich will mal darauf hinweisen, wofür diese Behörde zuständig ist, was nämlich Landeskompetenz ist: Das ist die Durchsetzung der Ausreisepflicht. Und die Durchsetzung der Ausreisepflicht haben Sie nicht auf dem Schirm. Das zeigt Ihr Gesetzentwurf, und das zeigt auch Ihr praktisches Handeln. Seit dem Jahr 2016 – unserem letzten Regierungsjahr – ist die Zahl der durchgesetzten Ausreisen um 66 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Ausreispflichtigen ist aber um 20 Prozent gestiegen.