Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz vom 8. August 2019 Drucksache 18/2086
zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1470
Entschuldigung! Vielleicht können wir, bevor die Kollegin das Wort bekommt, die Unruhe und die Grüppchen auflösen? Liebe Kollegen der Sozialdemokraten, die sich hier so mittig im Sichtfeld versammelt haben – vielleicht könnten Sie raus, rein oder auf die Plätze gehen?
Liebe Kollegen! Es herrscht eine Lautstärke in diesem Saal und eine Unruhe, bei der es nicht zumutbar ist, eine parlamentarische Rede zu halten! – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mobilität für alle – das ist ein zentrales Anliegen dieser Koalition. Im Koalitionsvertrag steht geschrieben: Die inklusive Gesellschaft ist die Leitlinie der Koalition. – Der § 3 des Mobilitätsgesetzes bestärkt diesen Grundsatz: Mobilität für alle.
Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Inklusion in allen Lebensbereichen zu stärken. Dazu gehört auch ein inklusiver Fußverkehr. Es ist für uns ein wichtiges Anliegen, dass alle Menschen sich auf den Straßen Berlins sicher fortbewegen können, unabhängig davon, ob es sich dabei um Personen mit eingeschränktem Sehvermögen handelt.
Dieser Antrag ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines inklusiven Fußverkehrs. Wir wissen natürlich, dass damit noch nicht alle Probleme gelöst und wir von einer barrierefreien Stadt noch weit entfernt sind. Aber wir machen uns auf den Weg, und dieser Antrag ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Wir kennen es alle: Die Ampeln in Berlin sind mit verschiedenen Unterstützungssystemen für Menschen mit Einschränkungen ausgestattet – mal in Grau, mal in Gelb, mal mit Vibration und mal mit Akustik; mal mit Knopf vorne, mal mit Knopf unten. Das verwirrt ehrlicherweise auch Menschen, die keine Einschränkung haben. Nicht
selten sehe ich Menschen auf den Anforderungstaster in der Hoffnung drücken, dass dann das grüne Signal schneller erscheint.
Für Menschen, die auf dieses System angewiesen sind, um sicher über die Straße zu kommen, ist jede Verwirrung an einer Ampel möglicherweise lebensbedrohlich. Es ist daher absolut notwendig, dass wir uns in Berlin auf ein Unterstützungssystem verständigen und Stück für Stück die alten Anforderungstaster in der Stadt durch neue ersetzen.
Es gibt 2 100 Ampeln in Berlin. Bisher sind rund zwei Drittel der Ampeln in Berlin mit unterstützenden Elementen für Blinde und sehbehinderte Menschen ausgestattet. Es muss unser Ziel sein, dass alle Ampelanlagen in Berlin mit einem Unterstützungssystem ausgestattet werden. Nicht zuletzt die UN-Behindertenrechtskonvention fordert diesen Anspruch auf individuelle Mobilität für alle.
Es ist dabei nicht zu unterschätzen, dass wirklich viele Menschen im Laufe ihres Lebens Einschränkungen ihrer Sehleistung erleiden. Die Unterstützungselemente unterstützen nicht nur blinde Menschen, sondern sind auch für viele Seniorinnen und Senioren zu einer wertvollen Unterstützung geworden.
Fußgängerinnen und Fußgänger spielen in der Verkehrsverwaltung leider die geringste Rolle – und das, obwohl sie die größte Gruppe im Straßenverkehr darstellen. Ich finde es daher sehr wichtig, dass der Fußverkehr einen eigenen Abschnitt im Mobilitätsgesetz bekommen wird.
Die Verkehrsverwaltung hat in den vergangenen Monaten einen sogenannten Fußverkehrsdialog durchgeführt, um die Bedürfnisse von Fußgängern und Fußgängerinnen in der Unterschiedlichkeit zu erfassen. Hierbei stand besonders das Thema Barrierefreiheit im Mittelpunkt. Eine zentrale Forderung des Fußverkehrsdialogs ist es, dass Fußwege sicherer werden. Wir haben die Vision Zero, und dazu zählt, dass wir die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Handicap mitdenken, um die Fußwege wirklich sicherer zu machen.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Setzen Sie sich einmal eine Simulationsbrille für eine Sehbehinderung auf und versuchen Sie, sich im Berliner Straßenverkehr zurechtzufinden! Ich verspreche Ihnen: Sie werden die Stadt aus einer ganz neuen Perspektive erleben. Sie werden merken, dass Barrierefreiheit an Ampeln für Sie absolut notwendig ist, um sicher über die Straße zu kommen.
Gerade beim Überqueren von Straßenkreuzungen muss man sich auf die Technik verlassen können. Daher ist dieser Antrag ein wichtiger erster Schritt in Richtung Barrierefreiheit, auf den hoffentlich noch viele weitere folgen auf dem Weg zu einem sicheren Fußverkehr für alle Bürgerinnen und Bürger Berlins. – Danke schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Topaç! Zunächst ein paar lobende Worte der Unionsfraktion: Sie haben eigentlich in fast allem recht, was ich Ihnen noch hinterherrufen möchte. Das unterscheidet Sie dann doch von dem Vorredner: Sie haben nicht nur Probleme beschrieben, sondern auch Lösungen aufgezeigt. Das ist etwas Neues in dieser Koalition – herzlichen Dank!
Deswegen sagt Ihnen die CDU-Fraktion: Auch wenn in dem Antrag etwas Wesentliches fehlt – wie man z. B. rücksichtsvoll in Begegnungs- oder Shared-Space-Zonen miteinander umgeht –, ist es wichtig, dass Sicherheit und Barrierefreiheit auf den Straßen, Wegen und Plätzen unserer Stadt nicht nur vorhanden sind, sondern auch aufgebaut werden, dass das der richtige Weg ist. Ich darf Ihnen sagen, dass wir die jeweiligen Passagen des zweiten Teils des Mobilitätsgesetzes freudig erwarten – eigentlich ist ja ein Fahrradgesetz, aber dann wird es vielleicht ein Mobilitätsgesetz, auch wenn der Autoverkehr da fehlen soll – und dass das dann positiv aufgenommen auch von uns gern begleitet wird.
Denn schließlich hat die CDU ja bereits unter dem Bausenator Klaus Franke und dem Verkehrssenator Edmund Wronski mit der Absenkung von Gehwegen, mit der Einführung von Bedarfsampeln, „Zebrastreifen“ und auch mit den jeweils veränderten Straßenbaumaßnahmen, den sogenannten Gehwegnasen, begonnen. Dass Sie das jetzt zum Standard erheben, ehrt die CDU-Fraktion. Wir danken Ihnen dafür, und so schlecht kann das nicht gewesen sein, was wir seit 1984 in dieser Stadt eingeführt haben.
Baustelleneinrichtungen gehen leider allzu oft zulasten des Fuß- und Radverkehrs und derjenigen Verkehrsteilnehmer, die in der Fähigkeit, sich mobil zu bewegen, eingeschränkt sind. Von daher ist es wichtig, dass Sie sich darum kümmern.
Ich möchte aber auch noch darauf hinweisen, dass es in Ihrem Antrag – vielleicht bauen Sie das noch ein – daran fehlt, wie man sich künftig mit der Sicherheit von EScootern befasst. Man sollte für eine Abstellmöglichkeit von Fahrrädern sorgen, wie das in Amsterdam oder neuerdings in Utrecht gemacht wird. Vor allem sollte man es den Menschen nicht so schwer machen, die durch Bereiche der Stadt hindurchwollen, in denen sehr viele Fahr
räder und E-Scooter herumstehen. Dazu muss – und damit fangen Sie bereits an – an Sehenswürdigkeiten und besonderen Orten eine besondere Vorsicht obwalten. Hier haben wir alle die Verantwortung, auch jetzt in den Haushaltsberatungen, dafür zu sorgen, dass dieses Recht durchgesetzt wird, und zwar durch eine Erhöhung der Personalzahlen bei unseren Ordnungsämtern.
Ein kleiner Wermutstropfen bleibt noch: Sie als Koalition haben es abgelehnt – und deswegen verwundert es mich, dass Sie das nicht im Antrag zu stehen haben, nicht –, den Antrag der CDU-Fraktion, der den Aufkleber „Sicher über die Straße – geht nur bei Grün rüber!“ auf den Ampeln sehen wollte, sich zu eigen zu machen. Denken Sie doch noch einmal darüber nach, ob Sie nicht diesen probaten Vorschlag aus vielen Städten und Gemeinden in Deutschland übernehmen wollen! Denn das, was wir Ihnen da vorgeschlagen haben, ist relativ kostengünstig und an allen 2 100 Lichtsignalanlagen sehr schnell anzubringen und würde sicherlich einen Mehrwert an Verkehrssicherheit schaffen. Die CDU-Fraktion stimmt diesem Antrag zu.
Der Kollege ist so klein und hat auch kleine Hände. – Das nächste Mal lassen Sie doch bitte wieder Herrn Penn reden; das ist doch passender, oder?
Sehr geehrter Herr Präsident – ah! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Jetzt hätte ich beinahe den Fehler gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mich als Fußgänger durch die Stadt bewege, muss ich vieles im Blick behalten: andere Fußgänger, Radfahrer, abbiegende Lkw und Autos. Unser großer Vorteil: Wir alle können sehen. Wir sehen unsere Umwelt und können es gerade einmal erahnen, wie es sein muss, in einer so vollen und teils überlaufenden Stadt wie Berlin blind oder sehbehindert zu sein und ganz normal im Alltag teilhaben zu wollen.
Was die Barrierefreiheit der Infrastruktur angeht, hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Da wird niemand hier widersprechen. Aber gerade der Straßenverkehr ist für blinde und sehbehinderte Menschen immer noch eine wirklich große Herausforderung. Außerdem kommen täglich zahlreiche neue Herausforderungen hinzu: Elektro- und Hybridautos, die kaum zu hören sind, sowie un
zählige Leihfahrräder und die überflüssigen E-Scooter. Die Räder und E-Scooter stehen dann auch noch auf den sowieso schon überfüllten Bürgersteigen herum.
Besonders heikel wird es an den Kreuzungen. Eigentlich ist es doch ein Witz, dass nur knapp 70 Prozent aller Ampelanlagen oder teilweise für blinde oder sehbehinderte Menschen ausgerüstet sind. Von den 2 100 Ampeln sind 1 400 mit akustischen oder mit taktilen Signalen ausgerüstet. Es gibt zwar sogenannte Mobilitätstrainer, die blinde und sehbehinderte Menschen auf die unterschiedlichen Herausforderungen vorbereiten. Es kann doch aber nicht die Devise sein, dass der Mensch mit Handicap sich auf seine Umwelt einstellen muss, um nicht behindert zu werden. Der Anspruch der UNBehindertenrechtskonvention ist es, dass die gesamte Gesellschaft so organisiert sein muss, dass Menschen mit einem Handicap gleichberechtigt teilhaben können.
Aber die Ampeln sind auch nicht das einzige Problem. Dort, wo es keine sogenannten Bodenindikatoren an den Kreuzungen oder Straßen gibt, erkennen blinde oder sehbehinderte Menschen mitunter nicht, dass sie bereits auf der Straße stehen.
Mit unserem heutigen Beschluss wollen wir den Druck auf die Senatsverwaltung deutlich erhöhen. Das Tempo der Umrüstung der Ampeln darf sich gern verzehnfachen. Denn wenn die Berliner Ampeln weiterhin so zügig und konsequent umgerüstet werden wie bisher, dürfen wir ungefähr im Jahr 2079 die letzte barrierefreie Ampel gemeinsam einweihen. Den Sekt hierfür stelle ich lieber heute noch nicht kalt, denn ich glaube, selbst der gute Rotkäppchen-Sekt ist bis dahin nicht mehr sehr schmackhaft. – Ich danke Ihnen!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag der Koalition ist beim ersten Überfliegen durchaus sinnvoll. Bei genauerem Hinsehen stelle ich allerdings fest, dass er zwar gut gemeint, jedoch inhaltlich nicht wirklich zu Ende gedacht ist. Er ist handwerklich schlecht gemacht, offenbar als gut gemeinter Schnellschuss mit der heißen Nadel gestrickt. – Wie komme ich zu dieser Einschätzung? – Nun, zunächst einmal soll nach dem Willen der einreichenden Fraktionen künftig alle Lichtsignalanlagen in Berlin mit Elementen ausgestattet werden, die blinden und sehbehinderten Menschen bei der Querung der Straße unterstützen. Wer
sich in Berlin ein wenig umschaut, wird jedoch feststellen, dass gar nicht an allen Ampelanlagen auch Fußgängerüberwege vorhanden sind.
Als Beispiel möchte ich hier die Kreuzung Köpenicker Straße/Brückenstraße in Kreuzberg nennen, an der der UBahnhof Heinrich-Heine-Straße liegt, oder die Kreuzung Bahnhofstraße/Riedlingerstraße in Lichtenrade. Zur letztgenannten Kreuzung gibt es sogar bei Youtube ein Video des Aktiven Zentrums Lichtenrade Bahnhofstraße bzw. des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg, in dem ausdrücklich kritisiert wird, wie absurd eine Kreuzung mit vier Straßen ist, an der es aber nur drei Überwege gibt. Das können Sie sich ja mal anschauen. Derartige Kreuzungen gibt es reichlich in Berlin. Es ist wenig sinnvoll, an Ampelanlagen die Einrichtung von akustischen oder taktilen Querungshilfen zu fordern, obwohl dort überhaupt kein Überweg ist.
Dieser Punkt zeigt ebenso wie ein oder zwei weitere Punkte im Antrag ganz klar, dass Sie sich inhaltlich und fachlich offenbar nicht wirklich mit der Thematik beschäftigt haben. Ebenso wenig sinnvoll ist die Forderung nach akustischen und taktilen Querungshilfen an jeder Ampelanlage. Sinnvoll wäre es gewesen, genauer zu differenzieren und bedarfsgerechte Querungshilfen zu fordern. Dort, wo es laut und verkehrsreich ist, ergeben taktile Querungshilfen einen Sinn; dort, wo es leiser und verkehrsärmer ist, sind akustische Signale hilfreich.