Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

Sie werden in allen Teilen dieser Stadt angegriffen. Ich erinnere an die Überfälle auf einen Rabbiner 2011 in Friedenau. Ich erinnere an die vielfältigen Übergriffe an anderen Stellen überall in der Stadt.

[Zuruf von der AfD: Refugees welcome!]

Mich hat sehr betroffen gemacht, dass in der Schule meines Sohnes ein junges Mädchen jüdischen Glaubens ist, das verheimlicht, dass es Jüdin ist, weil es dann von den anderen Kindern angegriffen wird, wohlgemerkt von vielen anderen Kindern und nicht bezogen auf irgendeine Ethnie. Das ist ein Riesenproblem, dass Kinder in dieser Stadt Angst haben müssen.

[Antje Kapek (GRÜNE): Ja!]

Frau Kapek! Wenn Sie sagen, das ist ein Problem, dann finde ich das wunderbar, dass es erkannt wird.

[Antje Kapek (GRÜNE): Natürlich!]

Der letzte Senat hat dieses Thema ganz offensichtlich nicht erkannt.

[Zuruf von den GRÜNEN: So war der!]

Dieser Vorgängersenat aus SPD und CDU hat der Jüdischen Gemeinde Berlin im Jahr 2013 und 2014 die Grundsicherung nicht gezahlt und sich erst verklagen lassen, bis er das gemacht hat. In der Zeit war es nicht möglich, ohne große Kraftanstrengung die Sicherheit der jüdischen Einrichtungen in dieser Stadt zu gewährleisten.

[Andreas Kugler (SPD): Das ist doch schlicht falsch!]

Daran ist nichts falsch. – Ich habe mich nach dem Anschlag am Breitscheidplatz danach erkundigt, ob denn die Senatsverwaltung für Inneres jetzt der Auffassung ist, dass jüdische Einrichtungen besser geschützt werden müssen, und ob das geschieht. Ich erinnere daran, dass bei jedem Anschlag – Nizza, Paris – merkwürdigerweise auch jüdische Bürger betroffen waren. Natürlich richtet sich viel auch dieses Hasses ganz gezielt gegen Juden in dieser Stadt und überhaupt. Die Antwort war, ja, das geschehe. Ich habe mich gerade noch mal – vor wenigen

Minuten – bei der Jüdischen Gemeinde erkundigt, nichts davon geschieht. Es steht kein einziger Polizist mehr an einem jüdischen Kindergarten, einer jüdischen Schule oder sonst irgendwo, bietet tatsächlich Schutz und sorgt für diese Sicherheit.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, dafür ist das Thema zu wichtig!

[Zuruf von den GRÜNEN: Er scheut die Wahrheit!]

Entgegen den Zusicherungen, dass diese Sicherheit gewährleistet würde, wird sie eben nicht gewährleistet. Gleichzeitig ist es so, dass die Kosten auch der privaten Sicherheit, die die Jüdische Gemeinde aus den ihr zugewiesenen Mitteln bezahlt, seit dem Jahr 2005 massiv gestiegen sind, natürlich, durch eine Vielzahl von Anpassungen bei Löhnen, Gehältern und sonstigen Kosten. Wenn Sie das Thema so ernst nehmen, wie Sie betonen, dann werden Sie das sicherlich bei den Haushaltsberatungen deutlich zeigen, dass Sie jetzt dazu bereit sind, aktiv und nicht in der rückblickenden Version von vor 70 oder 80 Jahren das jüdische Leben in dieser Stadt zu schützen, zu verteidigen und dafür auch ausreichende Mittel bereitzustellen.

Sie haben in diesem Antrag – wie ich vorhin sagte – eine Menge Punkte weggelassen. Weggelassen wurde merkwürdigerweise – wenn von allen möglichen Gräueltaten und Massenmorden die Rede ist – der Völkermord an den Armeniern. Ich verstehe nicht, warum Sie das gemacht haben. Weggelassen wird vor allem auch, dass die Übergriffe nicht allein rechtsextremen, wie es im Antrag steht, sondern eben auch linksextremen und radikal religiösen Ideologien geschuldet sind und dass wir auch gegen diese vorgehen müssen.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Um noch mal auf den viel beschriebenen Toleranzbegriff zurückzukommen: Alle Dinge sind Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist. – So schon vor fünfhundert Jahren Paracelsus.

Herr Kollege! Sie müssten zum Ende kommen.

Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz, denn wenn wir die unbeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesell

schaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet und die Toleranz mit ihnen.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Frank-Christian Hansel (AfD): Bravo!]

Deshalb bitte ich Sie dringend, diesen Antrag und dieses Thema nicht als politisches Feigenblatt zu betrachten, sondern an jeder Stelle Taten folgen zu lassen. Die Unterstützung der Freien Demokraten haben Sie dabei. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Zurufe von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Dann hat der Kollege Zillich das Wort für eine Zwischenbemerkung.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege! Ich teile manches von dem, was Sie gesagt haben, nicht. Ich teile vieles von dem, was Sie zum Thema jüdisches Leben in Berlin und zum Schutz jüdischer Einrichtungen gesagt haben. Ich teile vieles von dem, was Sie gesagt haben, dass Gedenken nicht allein hohl und ritualisiert sein darf, sondern dass daraus Taten folgen müssen. Ich teile insbesondere Ihren Satz, den Sie sinngemäß gesagt haben, dass es nicht nur um Rituale geht. Gerade weil es so ist, dass ein solches Gedenken immer auch eine politische Auseinandersetzung ist und sein muss, weil es nämlich darum geht, in welcher Art und Weise auf ein bestimmtes historisches Datum geblickt wird, weil es darum geht, wie ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in der öffentlichen Debatte bewertet wird, weil es um die öffentliche Auseinandersetzung über genau dieses Gedenken geht – bitte verstehen Sie uns, dass wir deswegen einen solchen Antrag nicht gemeinsam mit einer Partei stellen wollen, die genau diese Debatte in ihrer Partei mit führt, wo genau solche Äußerungen der Relativierung und der Infragestellung des Gedenkens stattfinden. Nein, das wollen wir mit einem solchen gemeinsamen Antrag nicht zerkleistern. Diese Debatte wollen wir führen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Vielen Dank! – Der Kollege Luthe hat das Wort zur Erwiderung.

Herr Kollege! Ich danke Ihnen ausdrücklich für die Betonung der Bereitschaft, sich mit dieser stets aktuellen und eben nicht nur historischen Frage auseinanderzusetzen. Was das ursprünglich von mir angesprochene Thema der Stellung dieses Antrags angeht, erwarte ich von diesem Parlament, dass wir uns in diesen Fragen stets um größtmögliche Geschlossenheit bemühen und nicht bewerten, was jemand außerhalb dieses Hauses, der in irgendeiner Weise über Partei, Verband, was auch immer, mit jemandem verbunden ist, macht. Sie wägen gerade ab, sehe ich.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Zuruf von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

In Bremen rief vor einiger Zeit das Friedensforum zu Boykotten von Supermärkten mit Waren aus Israel auf. Mitglieder Ihrer Partei waren es, die erklärt haben, dass man keine Waren aus Israel kaufen solle. Das ist doch nichts anderes als die Aufforderung: Kauft nicht bei Juden!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der AfD – Udo Wolf (LINKE): Davon haben wir uns eindeutig distanziert!]

Dafür müssen Sie dann genauso Verantwortung übernehmen!

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Antragsteller haben die sofortige Abstimmung beantragt. Wer dem Antrag auf Annahme einer Entschließung, Drucksache 18/0109, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das sind alle Fraktionen und der fraktionslose Abgeordnete. Damit ist der Antrag angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.2:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Tagesordnungspunkt 24

Einsetzung eines parlamentarischen Ehrenrates

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0091

in Verbindung mit

(Marcel Luthe)

lfd. Nr. 25:

Überprüfung von Mitgliedern der Landesregierung und des Abgeordnetenhauses von Berlin auf eine Mitarbeit im ehemaligen Ministerium für Staatsicherheit der DDR (MfS)

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/0098

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und hier der Kollege Otto. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer die Zukunft will, muss sich seiner Vergangenheit stellen. Dieser Grundsatz gilt für jeden einzelnen von uns wie auch für die Gesellschaft insgesamt. Unsere Gesellschaft hat viele Vergangenheiten. Über eine davon – die schreckliche Nazi-Zeit und den Holocaust – haben wir gerade gesprochen, und das zu Recht und ganz aktuell.

Jetzt geht es um die Zeit der SED-Diktatur als Teil der deutschen und insbesondere der Berliner Geschichte. Wir als Koalition sind in den letzten Wochen sehr schmerzhaft darauf gestoßen worden, dass gerade diese Geschichte in unsere Gegenwart hineinreicht. Die Bestellung des Baustaatssekretärs Holm war nicht genug vorbereitet und geprüft worden. Er ist wegen seiner zweifellos vorhandenen Fachkenntnisse als Wohnungspolitiker berufen worden. Die geschichtliche Dimension der Personalie und den Umgang damit haben wir nicht genügend analysiert und waren als Koalition insofern unvorbereitet. Das Ende kennen Sie.

Diese Koalition stellt sich der Debatte um die Diktatur –