Protokoll der Sitzung vom 02.04.2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 57. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich darf Sie, unsere Zuhörerinnen und Zuhörer, unsere Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Bildschirmen sowie die Medienvertreter sehr herzlich begrüßen.

Ich darf Sie zunächst bitten, sich von den Plätzen zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich muss eine traurige Mitteilung machen. Der ehemalige CDU-Abgeordnete Ekkehard Schmidt ist am 11. März im Alter von 77 Jahren verstorben. Der Berliner wurde am 26. Mai im Jahr 1942 geboren. Nachdem er 1958 die Fachschulreife erlangte, folgte eine Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker. 1959 legte er die Gesellenprüfung ab. Drei Jahre später wurde er Ingenieur für allgemeinen Maschinenbau und arbeitete als Konstrukteur und Projektingenieur. 1973 erlangte er zusätzlich die Qualifikation des Betriebswirts. Der CDU trat er im Jahr 1970 bei und blieb ihr treu. In diesem Jahr kam Ekkehard Schmidt auf 50 Jahre Mitgliedschaft.

Ekkehard Schmidt zog im April 1979 ins Berliner Abgeordnetenhaus ein und gehörte dem Parlament bis ins Jahr 1995 an. 1990 gewann er das Direktmandat für den Wahlkreis Spandau 7. Er engagierte sich während seiner Zeit im Parlament vor allem im Petitionsausschuss, im Arbeits- und Wirtschaftsausschuss und später im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Seine Leidenschaft galt der Haushalts- und Finanzpolitik. Darüber hinaus wirkte Ekkehard Schmidt in unterschiedlichen Funktionen und Ämtern in der Spandauer CDU und der dortigen Bezirksverordnetenversammlung. Auch war er über die Landespolitik hinaus aktiv.

Ekkehard Schmidt war Vizepräsident des Kiwanis-Clubs in Berlin, Mitglied im Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und beim Union Hilfswerk. Er war Mitglied des Kuratoriums der Fachschule für Optik und Fototechnik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen von Ekkehard Schmidt.

[Gedenkminute]

Vielen Dank, dass Sie sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben haben.

Zum Organisatorischem darf ich Sie darauf hinweisen, dass die in der letzten Plenarsitzung praktizierten Vorkehrungen zum Infektionsschutz weiterhin gelten. Die Fraktionen haben sich für heute auf die Durchführung einer Aktuellen Stunde zum Thema: „Wirtschaftliche und sons

tige finanziellen Hilfen in der Coronakrise“ verständigt. Somit werde ich gleich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen.

Im Übrigen haben sich die Fraktionen erneut auf eine verkürzte Plenarsitzung verständigt. Nach der aktuellen Stunde und der Fragestunde erfolgt die Beratung der Prioritäten. Die übrigen Tagesordnungspunkte werden nur geschäftlich abgewickelt.

Sodann verweise ich auf die Ihnen zur Verfügung gestellte Dringlichkeitsliste. Die Fraktionen haben sich einvernehmlich darauf verständigt, die dort verzeichneten Vorgänge unter den Tagesordnungspunkten 4 bis 6, 14 und 24 bis 25 B in der heutigen Sitzung zu behandeln. Ich gehe davon aus, dass den zuvor genannten Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. – Widerspruch zur Dringlichkeitsliste höre ich nicht, dann sind diese Ergänzungen der Tagesordnung einvernehmlich beschlossen.

Auf die Ihnen zur Verfügung gestellte Konsensliste darf ich ebenfalls hinweisen und stelle fest, dass dazu kein Widerspruch erfolgt. – Auch die Konsensliste ist damit so angenommen.

Entschuldigungen des Senats liegen nicht vor.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Wirtschaftliche und sonstige finanzielle Hilfen in der Coronakrise

(auf Antrag aller Fraktionen)

Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung. In der Runde der Fraktionen beginnt die Fraktion der SPD. Und Frau Dr. West hat das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohl nicht nur für mich war der gefühlte Wendepunkt in der Coronakrise wohl ausgerechnet ein Freitag der 13. An diesem 13. März wurde bekannt, dass es zu massiven Einschränkungen im öffentlichen Leben kommen würde und dass die Schulen bis auf Weiteres geschlossen werden. Ich bin nicht sehr abergläubisch, aber das passt schon. Seitdem ist nichts mehr so, wie es einmal war. Wir haben wesentliche Elemente unserer Freiheit in die Hände der Regierung gelegt. Wir können das nur deshalb guten Gewissens tun, weil diese Regierung frei gewählt ist und weil wir der Belastungsfähigkeit

unser Verfassung und der demokratischen Institutionen des Rechtsstaats vertrauen können, müssen und wollen. Aber das bleibt ein großer Schritt, der mir und wohl den meisten hier nicht leicht gefallen ist.

Wir haben ihn deshalb getan, damit die Kurve flach bleibt. Damit am Ende jeder, der ernsthaft erkrankt, eine gute medizinische Versorgung bekommt, damit uns Schreckensbilder von Ärztinnen und Ärzten erspart bleiben, die darüber entscheiden müssen, wer leben darf und wer nicht.

Mit dem wachsenden Vertrauen in die Regierung wächst aber auch die Verantwortung, die die Regierung trägt und der sie gerecht werden muss. Dieses Vertrauen ist ein kostbares Gut. Die letzten zwei Wochen haben gezeigt, dass wir nicht nur dem Senat, sondern vor allem uns untereinander vertrauen können. Der allergrößte Teil der Berlinerinnen und Berliner nimmt die Einschränkungen in Kauf und verhält sich solidarisch. Es ist deutlich geworden, dass der Berliner Senat alles Menschenmögliche tut, damit wir diese Krise gemeinsam überstehen. Es ist nicht die erste Krise dieser Stadt, und es wird nach menschlichem Ermessen auch nicht die letzte sein. Aber das hier ist eine Krise, der wir uns zu stellen haben und mit der wir fertig werden. Das ist keine kühne Prognose, das ist kein Zweckoptimismus, das ist begründete Zuversicht.

Nur zwei Tage nach jenem Freitag kündigte der Finanzsenator via Facebook das an, was unter anderem meine Kollegin Iris Spranger – die heute leider nicht hier sein kann – oder Tim Renner in den vorhergehenden Tagen unermüdlich gefordert hatten: dass man nämlich keine Zeit verlieren darf, Förderprogramme, gerade für Soloselbstständige und Kleinunternehmen, jetzt schnell anzuschieben. Vor ziemlich genau zwei Wochen waren wir also an dem Punkt, dass ein solches Programm zum ersten Mal angekündigt wurde. Hier kann man sehr gut beobachten, wie sich unser Zeitempfinden bereits in mehrfacher Hinsicht verschoben hat. Einerseits erscheint uns die Zeit, in der wir geliebte Menschen nicht mehr in den Arm schließen konnten, wie eine schier endlose Ewigkeit, andererseits sind wir heute politisch, zwei Wochen später, an einem ganz anderen Punkt. Das wirtschaftliche Hilfsprogramm ist nicht nur beschlossen, sondern seit sechs Tagen – wenn auch mit Anlaufschwierigkeiten – Wirklichkeit geworden. Wer hätte das vor zwei Wochen gedacht?

Am 27. März konnte man erstmals den Antrag auf Soforthilfe online bei der IBB einreichen. Ja, das System ist erst einmal aufgrund der unglaublich hohen Zahl von Anträgen kollabiert. Ich kann den Ärger derjenigen verstehen, die zum Teil viele Stunden lang erfolglos vor dem Rechner gesessen und gewartet haben und nicht mehr weiterkamen. Es ging um die Möglichkeit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter zu bezahlen, und es ging auch

um wirtschaftliche Not und um die pure wirtschaftliche Existenz. Heute, sechs Tage später, haben mehr als 130 000 Kleinunternehmerinnen und -unternehmer die Soforthilfe ausbezahlt bekommen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Natürlich können weiter Anträge gestellt werden. Mittlerweile schafft es die IBB, 6 000 Anträge pro Stunde zu bearbeiten. Es werden noch viele weitere kommen, so viel ist sicher. Vielleicht wird es, und das ist eine Frage der Erfahrungen, noch mal zu technischen Problemen kommen. Ich will es nicht hoffen. Das Entscheidende ist aber, dass man hier sichtbar sein Bestes gibt, und dass dieses Programm kein falsches Versprechen aus einer Sonntagsrede ist, sondern dass die zugesagten Hilfen wirklich kommen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Auch für uns Haushälterinnen und Haushälter hat sich die Welt um 180 Grad gedreht. Auf einmal geht es darum, möglichst viel Geld auszugeben und unter die Leute zu bringen: für medizinische Ausrüstung, Zuschüsse, Darlehen, Bürgschaften, Kurzarbeitergeld, um nur einige besonders wichtige Maßnahmen zu nennen. Aktuell bereitet der Senat zwei Nachträge für den Haushalt vor, um die finanziellen Lasten der Krise abzufedern. Darüber werden wir voraussichtlich im Mai hier im Parlament zum ersten Mal beraten.

Die zweite Runde wird vermutlich nicht einfach werden, denn es ist davon auszugehen, dass es zu massiven Einbrüchen bei den Steuereinnahmen kommt, zumal das Entgegenkommen der Finanzämter, zum Beispiel über die Stundung der Vorauszahlung, ein nicht unwichtiges Hilfsinstrument ist. Bis zu 2,6 Milliarden Euro an neuen Krediten könnten notwendig werden, um Steuerausfälle auszugleichen. Vermutlich werden wir nach vielen Jahren ausgeglichener Haushalte erstmals wieder in die Neuverschuldung gehen müssen. Wir wissen das, wir verschweigen das nicht, und wir sind weder blöd noch verlogen. Wir sind zuversichtlich.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Es zeigt sich, dass wir mit unserem Investitionsfonds SIWANA ein flexibles Instrument geschaffen haben, das gerade in einer Notsituation wie dieser hilft, schnell und unkompliziert das Nötigste zu finanzieren, etwa das Coronavirus-Behandlungszentrum bei der Messe. Wer hätte noch vor ein paar Wochen gedacht, dass wir es dringend brauchen. Dabei sind und bleiben aber die wirtschaftlichen Soforthilfen mit Abstand der größte Brocken. Vor wenigen Tagen waren es noch 100 Millionen Euro aus der Landeskasse, die dafür vorgesehen waren. Es ist abzusehen, dass im ersten Nachtrag schon ein Vielfaches davon drinstehen wird. Die IBB hat in den ersten Tagen bereits 1,2 Millionen Euro an Zuschüssen aus

Landes- und Bundesmitteln ausgezahlt. Es kann sein, dass aufgrund der überwältigenden Nachfrage der Landesanteil am Ende bis auf 1 Milliarde Euro steigt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Kleinlichkeit wäre jetzt mehr als fehl am Platze.

[Beifall von Frank Jahnke (SPD)]

Es geht nicht um abstrakte Größen oder irgendwelche Institutionen, es geht um die vielen kreativen Köpfe, die als Soloselbstständige und Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmer die wirtschaftliche Dynamik unserer Stadt ausmachen. Wir stehen zu ihnen, ohne Wenn und Aber, und ich hoffe, dass das bei den Betroffenen angekommen ist. Es ist überhaupt nicht egal, ob jemand durch die Krise kommt oder nicht. In Berlin ist vielleicht nicht alles perfekt, aber wenn es darauf ankommt, dann kann man sich hier aufeinander verlassen. Wir werden möglicherweise nicht verhindern können, dass einzelne Unternehmen in die Schieflage geraten, aber wir können dafür sorgen, dass möglichst viele von ihnen wirtschaftlich überleben. Wir werden noch viel zu tun haben, um die Risiken auch nach der Krise fair zu verteilen.

Zwei Gedanken zum Schluss: Wir leben auch und gerade in dieser Krise nicht unter einer Käseglocke. Alles, worüber wir heute debattieren, ist kein Berliner Problem; es ist ein europäisches Problem. Wir Demokraten in Europa müssen uns noch besser als bisher zusammenraufen, um die Krise gemeinsam zu meistern. Wir müssen solidarisch sein, auch gegenüber Ländern wie Italien, die es besonders hart trifft. Wir sollten zeigen, dass wir nicht nur unter uns bereit sind, jetzt unbürokratisch und ohne Kleinlichkeit zu helfen. Eurobonds könnten hier ein wichtiges Signal sein.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Jeder für sich und Gott gegen alle – damit kommen wir nicht weit.

Ein paar Worte noch an diejenigen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, das berühmte Haar in der Suppe zu suchen und zu finden: Liebe Miesmacher! Ihr werdet garantiert sichere Beweise dafür finden, dass Berlin sowieso nichts hinkriegt. Ihr müsst einfach nur die Fakten konsequent ignorieren. In keinem Bundesland wurde ein Programm für Klein- und Kleinstunternehmer schneller umgesetzt als in Berlin. Kein Bundesland bietet ihnen bislang bessere Bedingungen. Im Unterschied zu vielen anderen Bundesländern setzt das Land Berlin hier eigene Mittel ein. Deshalb konnten wir das Förderprogramm früher und breiter umsetzen. Ich glaube, dass wir hier neue Maßstäbe gesetzt haben, deren Halbwertszeit nicht mit der Krise endet. Ich glaube, dass wir diesen Mut und diesen Tatendrang auch in die Zeit danach mitnehmen werden. Und ich glaube, dass wir die Kraft haben, die Pandemie gemeinsam zu überstehen. – Danke!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dregger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Coronakrise ist in der Tat eine Herausforderung besonderen Ausmaßes für jeden Berliner und auch für jedes Berliner Unternehmen. Die Kontaktbeschränkungen reduzieren unsere menschlichen Kontakte. Ich erlebe das gerade selbst. Morgen wird meine Mutter 93 Jahre alt. Sie trägt die Bürde ihres Alters mit Kraft und Würde, und ich würde sie natürlich gern morgen in den Arm schließen, aber das werde ich nicht tun, denn ich will sie schützen. – Je besser wir uns an diese Abstandsregeln halten, desto schneller brechen wir die Infektionskurve und desto früher können wir die einschneidenden Maßnahmen lockern. Daher vielen Dank und höchsten Respekt den vielen Berlinern, die jetzt Disziplin wahren aus Rücksichtnahme auf ihre Mitmenschen. Sie tun das Richtige.

[Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Was den Berlinern derzeit abverlangt wird, wird auch unseren Unternehmen abverlangt. Unsere Berliner Wirtschaft ist von der Coronakrise besonders stark betroffen, denn sie ist geprägt von besonders vielen Kleinunternehmern, und der Stillstand des Messe-, Kongress- und Tourismusgeschäfts trifft uns alle. Das gilt auch für unsere Berliner Alleinstellungsmerkmale: die Kreativ-, Kultur- und Digitalwirtschaft sowie die Medien-, Film- und Musikwirtschaft, von der auch alle anderen Dienstleister profitieren. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer fürchten fast 50 Prozent unserer Unternehmen eine Umsatzhalbierung. In der Tourismusbranche könnten es sogar 80 Prozent werden. Die Sorge vor der Insolvenz des eigenen Betriebes geht in allen Branchen um. 81 Prozent unserer Unternehmen beantragen die Soforthilfen des Bundes und des Landes, 61 Prozent Kurzarbeitergeld. Das hat es in diesem Ausmaß noch nie gegeben.

Machen wir uns klar, dass unsere Berliner Wirtschaft unsere Lebensgrundlage ist für alle Berliner. Unsere Berliner Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, die unsere Familien ernähren. Unsere Berliner Unternehmen ermöglichen die Steuereinnahmen, mit denen wir unsere staatlichen Leistungen finanzieren, und dieser Ast, auf dem unser Land sitzt, darf nicht abbrechen. Er muss gestützt und gestärkt werden.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der FDP]

(Dr. Clara West)