Protokoll der Sitzung vom 02.04.2020

(Benedikt Lux)

anfangen, sich nicht mehr an die Regeln zu halten. Dann wird man in die Schwarzarbeit gehen. Dann wird man hintenherum natürlich den Laden wieder öffnen. Dann wird man die Dienstleistung natürlich hintenherum wieder anbieten.

[Silke Gebel (GRÜNE): Natürlich!]

Was sollen denn die Menschen bei 60 Prozent ihrer Gehälter, keinen Umsätzen und keinen Einnahmen mehr machen? Das muss man sich einfach mal vorstellen! Das wird sie belasten. Ich sage Ihnen eines, und das ist wichtig, denn das dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren: Auch wirtschaftliche Not belastet die Menschen massiv, wenn sie nicht mehr wissen, wie es in ihrem Leben weitergeht. Das belastet sie massiv. Es führt zu Gewalt, es führt zu Depressionen zu Hause, es führt zu Ängsten, und es wird bei vielen Menschen dazu führen, dass man sagt: Und jetzt soll ich auch noch zum Arzt gehen? Das mache ich vielleicht lieber nicht.

Deswegen müssen wir abwägen. Deswegen sind wir gefordert, hier in unserer Verantwortung genau das miteinander abzuwägen und zu überlegen, wo wir Möglichkeiten bieten können, wo wir wirtschaftliches Betätigen wieder ganz langsam unter einem hohen Grad an Verantwortung ermöglichen können.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Roman Simon (CDU)]

Irgendwann möchten wir doch in Berlin wieder Gäste begrüßen dürfen. Wir möchten doch wieder die Stadt sein, die wir sind, eine weltoffene Stadt mit vielen Besuchern aus aller Herren Länder. Wir möchten, dass es uns wieder gut geht. Tourismus wird die Lebensader dieser Stadt bleiben. Nur dann werden wir auch die Einnahmen für den Haushalt erzielen können, die wichtig sind, um diese Krise zu meistern, um nachher auch mit der Binnennachfrage wieder die Konjunktur anzuwerfen.

Noch haben wir im Haushalt den einen oder anderen Posten, der geschont worden ist. Noch können wir das eine oder andere Speckröllchen im Haushalt abschmelzen. Aber trotzdem werden wir uns bei den zukünftigen Beratungen fragen müssen, was wir wirklich brauchen. Unser Blick auf den Haushalt wird sich wieder ändern. Es wird nicht mehr nur darum gehen, was wir wollen und was man mal machen könnte und was nice to have wäre, sondern es wird darum gehen, wie wir verantwortungsvoll mit dem wirklich schwer erarbeiteten Geld umgehen,

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD - Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

wenn wir aus alten Fehlern lernen wollen. Die Lösung kann nicht wieder sein, dass wir die Infrastruktur komplett verfallen lassen. Das wird nicht gehen. Wir werden auch Bereiche brauchen, in die wir investieren müssen. Natürlich geht es um die Digitalisierung, weil es sich jetzt rächt, dass wir zwar die Mittel im Haushalt immer wieder

freigegeben haben, wir aber überhaupt nicht vorangekommen sind, weil es sich jetzt rächt, dass wir eben nicht beschulen können, weil die Digitalisierung nicht funktioniert und die Schulen nicht angeschlossen sind. Es rächt sich jetzt, dass bei den Videokonferenzen die Netze noch nicht ausreichen und die Bürgerämter zum Teil noch auf einem Stand – ich sage es jetzt einmal so – des letzten Jahrhunderts sind.

Natürlich werden wir große Aufgaben vor uns haben, wenn wir an den ganzen Bereich der Landesbeteiligungen denken. Natürlich wird es die Messe und die Flughafengesellschaft treffen. Ich glaube auch, dort wird der Weg noch ein langer und ein bitterer sein. Da machen wir uns mal nichts vor, gerade wenn es um Großveranstaltungen gehen wird. Es wird aber auch viele andere Bereiche betreffen. Was ist mit dem Zoo, was ist mit dem Tierpark? Was wird aus den Bäder-Betrieben? Natürlich werden wir dort viele Fragen zu beantworten haben.

Der zweite große Bereich ist der Kulturbereich. Wir wissen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin der Motor der Wirtschaft gewesen ist, sozusagen unser Konjunkturanker, aus dem sich Tourismus und Wachstum heraus entwickelt hat. Natürlich werden wir dort eingreifen und nachsteuern müssen, damit die Kultur auch nach Corona weiterhin überleben kann und wir weiterhin in Berlin eine Chance haben, unser altes Leben, wenn auch vielleicht etwas schlauer um die ein oder andere Erfahrung, wieder zu haben.

[Beifall bei der FDP]

Insofern braucht es Hoffnung am Ende des Tages für alle Menschen. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was hilft?

[Der Abgeordnete hält eine Gesichtsmaske hoch.]

Wenn Sie eine solche Maske tragen, soll das helfen, sagen manche. Andere sagen, die Maske sei schnell durchfeuchtet, und dann würde der Luftstrom überwiegend an den Spalten zwischen Gesicht und Maske ausströmen. Da das Lumen verringert wird, erhöht sich die Geschwindigkeit des Luftstroms. Bei etwa 100 Liter pro Minute, das ist der Luftstrom eines Menschen, erhöht sich die Weite,

(Sibylle Meister)

mit der die Tröpfen weggeschleudert werden. Die Maske bringt also nicht so wahnsinnig viel. Was gegen die Verunsicherung der Bevölkerung hülfe, wären nicht nur finanzielle Hilfen, nein, ein Diskurs über die verschiedenen Wege. Es gibt Aussagen ernstzunehmender Ärzte wie Prof. Dr. Hockerts, der emeritierte Dr. Bhakdi oder Prof. Dr. Lohse, welche die derzeit angeordneten Maßnahmen sowohl in Zweifel ziehen als auch zu einer Rückkehr zur Besonnenheit mahnen. Ein Diskurs findet darüber in Deutschland aber nicht mehr statt.

[Regina Kittler (LINKE): Sowieso nicht!]

Warum gibt es keinen Diskurs, wenn das wirtschaftliche Überleben großer Bevölkerungsanteile auf dem Spiel steht? – Die Gefahr besteht, dass die Bevölkerung zu dem Ergebnis kommen könnte, die Maßnahmen seien überschießend und eher schädlich für das Land. Helfen würden seriöse Informationen der Bevölkerung durch die Presse und die Politik.

Deutschland ist ein großes Land und das Virus mit großer Wahrscheinlichkeit unbemerkt schon recht verbreitet. Täglich sterben durchschnittlich um die 2 500 Menschen in Deutschland, in der Grippesaison deutlich mehr. Wäre es nicht merkwürdig, wenn nicht immer mehr von den Verstorbenen positiv auf das Virus getestet werden können? Jeder kennt die Bilder der langen Sargreihen, welche die Krise von Bergamo illustrierten. Ein Teil der Bilder sind zwar aus Italien, aber nicht aus Bergamo. In den Särgen liegen im Mittelmeer ertrunkene Migranten, die Bilder stammen aus 2013.

[Silke Gebel (GRÜNE): Das kann ja wohl nicht wahr sein! – Zurufe von der LINKEN]

Abschließend möchte ich noch ein ganz besonders krasses Beispiel der Falschinformation nennen. Am 23.03. starb in Paris die erst sechzehnjährige Julie Alliot, am 27.03. wurde die Nachricht in Frankreich verbreitet, am 28. in Deutschland. Sie sei das erste jugendliche Todesopfer dort, das an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung starb. Was war geschehen? – Julie war eigentlich gesund, begab sich aber wegen eines mehrtägigen Hustens in medizinische Betreuung. Es wurden drei Coronatests gemacht, zwei waren negativ, ein dritter positiv. Aus einem bis jetzt nicht klarem Grunde entschloss man sich, Julie zu intubieren. Beim Intubieren starb das Mädchen. Am Intubieren starb das Mädchen, möglicherweise ein Kunstfehler.

[Zuruf von Stefan Evers (CDU)]

Aber sicher ist Julie nicht das erste gesunde, junge Opfer von Corona. Julie ist das Opfer einer missglückten Intubation.

Geht es angesichts der Panik im Land um Aufklärung oder um Schlagzeilen? – Danke schön!

[Maik Penn (CDU): Ihre Rede war keine Schlagzeile wert!]

Für den Senat spricht nun Frau Senatorin Pop. – Bitte schön!

Vielen Dank für das Desinfizieren!

[Heiterkeit – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit mehr als zwei Wochen leben wir nun in einer veränderten Stadt, in einem veränderten Land. Um das Coronavirus einzudämmen und die Berlinerinnen und Berliner am besten zu schützen, hat der Senat, haben wir gemeinsam, weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Und das waren keine einfachen Entscheidungen.

Die Kinder zur Kita oder zur Schule zu bringen, die Freizeit im Park zu genießen, jetzt wo der Frühling kommt, Freunde im Restaurant zu treffen, gemeinsam zum Fußball am Wochenende oder ins Theater zu gehen, all diese alltäglichen Dinge sind bis auf Weiteres nicht mehr möglich.

„Charakter zeigt sich in der Krise“, hat Helmut Schmidt einmal gesagt. Das gilt hier auch wieder. Es gilt für die Berlinerinnen und Berliner, die schon so häufig aus tiefen Krisen und Herausforderungen herausgefunden und ihr Leben nach harten Rückschlägen wieder aufgebaut haben. Dieser Charakter der Berlinerinnen und Berliner zeigt sich auch wieder in dieser Krise, und das ist auch gut so.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Aber dieser Satz gilt insbesondere für die zahllosen Menschen, die jetzt gerade in Krankenhäusern, in Apotheken, in Supermärkten, im öffentlichen Dienst, in der Wissenschaft, in Laboren ihren Dienst tun, um uns allen zu helfen und uns durch diese schwere Zeit zu bringen. Ihr Charakter zeigt sich in dieser Krise, und ihnen gilt unser Dank.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN und der FDP]

Und schließlich zeigt sich in der Krise auch der Charakter unserer politischen Gemeinschaft. Einander zuhören, zusammenstehen, und auch argumentieren gehört dazu. Auch das Überwinden von Gräben und auch das Überwinden von manchen Bedenken, um schnell und unbürokratisch gemeinsam handeln zu können. Und vielleicht der wichtigste Aspekt, gerade in der Krise: Entscheidungen werden demokratisch getroffen. Sie werden hier, öffentlich, in aller Transparenz im Parlament diskutiert

(Andreas Wild)

und miteinander auch abgewogen. Wir beraten sie auch unter Zeitdruck mit den demokratisch gewählten Volksvertretern und -vertreterinnen, und das macht unserer Demokratie hier in Deutschland und in Berlin so lernfähig, so einzigartig und auch so krisenfest im Übrigen. Denn nur in einer offenen Gesellschaft, in einer liberalen Demokratie, können Menschen dem Staat das Vertrauen entgegenbringen, das zur Bekämpfung der Krise so wichtig ist, und um dieses Vertrauen werben wir auch tagtäglich mit dem, was wir tun, und mit dem, was wir erklären.

Natürlich liegt unser Fokus seit Wochen inzwischen auf dem Gesundheitsschutz in Berlin. Die Gesundheitssenatorin erhöht die Zahl der Intensivbetten in der Stadt und beschafft Schutzkleidung. Dabei helfen wir als Senatsverwaltung für Wirtschaft, und hilft die Berliner Wirtschaft mit Angeboten, denn Gesundheit ist unsere erste Priorität in diesen Zeiten. Aber die Menschen in Berlin haben und sie brauchen auch das Vertrauen, dass wir ihren Arbeitsplatz, ihren Betrieb, ihre berufliche Existenz, auch über den Tag hinaus, schützen werden.

Noch vor wenigen Wochen befand sich die Berliner Wirtschaft auf einem beispiellosen Höhenflug, Rekordbeschäftigung und Lohnwachstum gingen Hand in Hand. Erst vor wenigen Tagen wurde uns für das Jahr 2019 3 Prozent Wachstum bescheinigt. Im Bundesländervergleich ist das sagenhaft. Wir standen damit wieder an der Spitze im Bund-Länder-Vergleich, und nichtsdestotrotz klingt diese Zahl wie eine Zahl aus einer anderen Zeit. Die Freude währte nämlich nur kurz, denn die Krise hat auch Berlin erfasst in den letzten Wochen.

Schon Ende Februar, als wir als erste Landesregierung bundesweit mit der ITB eine Großveranstaltung abgesagt haben, war vielen klar, dass sich hier tatsächlich etwas verändern wird. Das war eine schwerwiegende Entscheidung, und sie zeigte Folgen.

Die Auswirkungen dieser Pandemie treffen unsere Wirtschaft, die Menschen, die Selbstständigen, die Unternehmen – alle in dieser Stadt, mit aller Härte. Aus vielen Gesprächen, aus vielen Runden, die wir seitdem einberufen haben, wissen wir es: Im Messe- und Tourismusbereich, Veranstaltungsbereich, für Hoteliers, für Gastronomen zerplatzen die Buchungen und die Umsätze, und das bis in den Hochsommer hinein. Im Kultur- und Kreativbereich geht es bei vielen um die nackte Existenz, weil dort die Polster gar nicht mehr da sind, zum Beispiel wenn man als Guide im Museum unterwegs ist, aber auch für die kleinen, privaten Veranstalter und Theater beispielsweise. Und gerade dieser Bereich, der den Ruf Berlins als Kulturhauptstadt in den letzten Jahren getragen hat, das ist und war der erste von der Krise betroffene.

Bei Start-ups wird die Finanzierung knapp, und auch in der Industrie, wo die globalen Lieferketten in den letzten

Wochen zunehmend ausgedünnt worden sind und die weltweite Nachfrage jetzt entscheidend zurückgeht, kommt die Krise an.

Aber eines muss man hier sagen: Der Blick über den Tellerrand, den muss man schon weiten. Das ist ja keine Krise, die in Deutschland oder in Berlin allein stattfindet, das ist eine globale Krise, eine globale Wirtschaftskrise, der sich Berlin und Deutschland nicht entziehen können. Ohne gesundheitliche und auch wirtschaftliche Erholung in Italien und in Frankreich, in den USA und in China wird das auch in Deutschland, auch in Berlin, schwierig mit der Weiterentwicklung werden. Auch das ist, um mal Wolfgang Schäuble an dieser Stelle zu zitieren, „unser Rendezvous mit der Globalisierung“, was hier stattfindet.

Aber ja, es gilt auch auf unserer Ebene das alles zu tun, wirklich alles zu tun, damit Wirtschaft und Arbeitsplätze aus dieser Talfahrt mit möglichst geringen Schäden wieder herauskommen. Es gibt die kurze Frist, in der wir Soforthilfen und Nothilfen auf den Weg gebracht haben, um Unternehmen, Freiberufler und Arbeitsplätze möglichst zu stabilisieren in dieser Krise, während die Kontaktbeschränkungen noch in Kraft sind. Und ja, wir müssen mittel- und langfristig auch darüber nachdenken, Konjunkturprogramme aufzulegen, vom Bund und von den Ländern, um dann, wenn der Aufschwung wieder kommt, dem auch einen richtigen Schwung zu geben.