Protokoll der Sitzung vom 30.04.2020

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 58. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Bildschirmen, Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien sehr herzlich. Ich bitte um Nachsicht, dass wir heute verspätet anfangen, wir hatten aber im Ältestenrat noch etwas zu klären. Das wird gleich noch im Rahmen der Debatte über die Tagesordnung aufgerufen werden.

Dem Kollegen Joschka Langenbrinck von der SPDFraktion darf ich zum heutigen Geburtstag gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege!

[Allgemeiner Beifall]

Zum Organisatorischen darf ich darauf hinweisen, dass die in den letzten Plenarsitzungen praktizierten Vorkehrungen zum Infektionsschutz weiterhin gelten. Die Fraktionen haben sich erneut auf eine verkürzte Plenarsitzung verständigt: Nach der Aktuellen Stunde und der Fragestunde erfolgt die Beratung der Prioritäten. Die übrigen Tagesordnungspunkte werden nur geschäftlich abgewickelt.

Die Fraktionen haben sich gemäß eines Antrages der Fraktion der CDU verständigt auf die Durchführung einer Aktuellen Stunde zum Thema: „Wie wir die Coronakrise meistern: Existenzängste und Gesundheitsschutz ernst nehmen, verantwortungsvoll handeln“. Somit werde ich gleich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen.

Sodann verweise ich auf die Ihnen zur Verfügung gestellte Dringlichkeitsliste. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die dort verzeichneten Vorgänge unter den Tagessordnungspunkten 11 und 37 A in der heutigen Sitzung zu behandeln. Ich gehe davon aus, dass diesen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. – Widerspruch höre ich nicht. Damit ist die dringliche Behandlung dieser Vorgänge beschlossen.

Keine Verständigung wurde erzielt zur Dringlichkeit des Ihnen zur Verfügung gestellten Antrages der AfDFraktion auf Drucksache 18/2642: „‘Erlöst und vernichtet zugleich‘ – 75. Jahrestag des Kriegsendes: Tag der Mahnung und der Erinnerung“. Gemäß § 59 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung kann vor der Beschlussfassung über die Aufnahme auf die Tagesordnung einmal für und einmal gegen die Dringlichkeit gesprochen werden. Wird die Erteilung des Worts gewünscht? – Ja. Herr Kollege Trefzer hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 8. Mai jährt sich zum 75. Mal der Tag des Kriegsendes. Dieses Haus hat im Januar 2019 mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen beschlossen, den 8. Mai im Jahr 2020 einmalig zum Feiertag zu machen. Was Sie vergessen haben und bis heute nicht nachgereicht haben, ist eine Erklärung für die Berliner, warum dieser Tag überhaupt Feiertag sein soll.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist ja absurd! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Das ist selbsterklärend! – Weitere Zurufe von der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN]

Das ist eben nicht selbsterklärend. – Jetzt steht der 8. Mai unmittelbar vor der Tür, und die Bürger fragen zu Recht: Worum geht es eigentlich, außer um einen arbeitsfreien Tag? –

[Zurufe von Joschka Langenbrinck (SPD) und Regina Kittler (LINKE)]

Für dieses Versäumnis der Koalitionsfraktionen ist auch die Coronakrise keine Entschuldigung. Meine Fraktion hat damals den Feiertagsbeschluss aus gutem Grund abgelehnt. Wir sind aber durchaus der Auffassung, dass dies ein wichtiger Jahrestag ist – nicht zuletzt für unser demokratisches Selbstverständnis –, zu dem das Abgeordnetenhaus auch in Zeiten von Corona nicht einfach schweigen kann. Die Berliner haben ein Recht darauf, zu erfahren, warum der 8. Mai ein so besonderer und so schwieriger Tag ist.

[Zuruf von Stefanie Fuchs (LINKE)]

Deswegen kommen wir als AfD-Fraktion unserer Aufgabe als Oppositionsfraktion nach und legen Ihnen einen Entschließungsantrag vor, der der besonderen Bedeutung und vor allem auch der schwierigen Ambivalenz des 8. Mai gerecht wird.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Die Berliner wissen das, das müssen Sie ihnen nicht erklären!]

Ich weiß gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind, Herr Albers.

Der Antrag bietet die Möglichkeit, eine historisch abgewogene Erklärung zu verabschieden, in der der antitotalitäre Konsens der Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck kommt und die allen Opfern des Zweiten Weltkriegs gerecht wird.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE) – Lachen von Torsten Schneider (SPD)]

Herr Schneider! Sie lachen. Sie hätten ja einfach selbst eine Erklärung einbringen können, statt über diesen Jahrestag hinwegzugehen. Sie haben den Feiertag doch

beschlossen, dann sollten Sie auch sagen, warum Sie das getan haben, Herr Schneider.

[Antje Kapek (GRÜNE): Weil das das Ende des Zweiten Weltkriegs ist! – Weitere Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN – Franz Kerker (AfD): Ruhe da drüben bei der SED!]

Ich darf jetzt einmal um Ruhe bitten.

Wir geben dem Haus die Möglichkeit, sich dazu zu äußern. Dies ist heute die letzte Plenarsitzung vor dem 8. Mai. Lassen Sie uns diese Chance nicht verstreichen! Wir glauben, dass das Abgeordnetenhaus zu diesem wichtigen Jahrestag nicht schweigen darf und nicht schweigen kann. Daher beantragen wir, dass der Entschließungsantrag „‘Erlöst und vernichtet zugleich‘ – 75. Jahrestag des Kriegsendes: Tag der Mahnung und der Erinnerung“ heute mit Dringlichkeit zur Abstimmung gestellt wird. – Ich danke Ihnen.

[Beifall bei der AfD –

Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) –

Das ist die peinlichste

Rede, die ich hier je gehört habe! –

Wie schade,

dass der arme Adolf damals gestorben ist, nicht? –

Weitere Zurufe von der SPD,

der LINKEN und den GRÜNEN]

Zur Gegenrede hat Herr Abgeordneter Zillich das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht muss man es auch denen, die dieser Sitzung jetzt zuschauen, erläutern. Wir reden in dieser Debatte nicht über die Wichtigkeit eines Themas, sondern über die Dringlichkeit eines Antrags. Es geht also um die Frage, ob jenseits der normalen Fristen, mit denen Parlamentsanträge eingebracht werden müssen, zum Schutze der Debatte hier, damit sich alle auf eine Debatte vorbereiten können, ein Antrag behandelt werden kann. In welchen Fällen dürfte er behandelt werden? Nicht nach Wichtigkeit, sondern, wenn in der letzten Woche – das ist ungefähr die Antragsfrist – Dinge aufgetreten wären, die neue Erkenntnisse über dieses Thema hätten bringen können, wenn Ereignisse aufgetreten wären, die eine politische Aktion hätten motivieren können. Das können wir nicht erkennen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das Ereignis ist, dass Sie dazu nichts sagen!]

Und das ist der Grund, weshalb wir der Dinglichkeit hier entschieden widersprechen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Aber, dass Sie dazu nichts sagen wollen!]

Dass der 8. Mai der Jahrestag der Befreiung ist, das wissen wir nicht erst seit dieser Woche, sondern seit 75 Jahren.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Dass er glücklicherweise auch so bezeichnet wird, wissen wir seit der Rede von Richard von Weizsäcker. Ich verstehe Ihren Antrag vollkommen richtig, diesen Konsens hier zurückdrehen zu wollen, und weise das zurück.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Dass im Land Berlin der 8. Mai in diesem Jahr ein Feiertag ist, wissen wir auch nicht erst seit dieser Woche, sondern das ist hier wohlbegründet besprochen und so entschieden worden. Deswegen ist es auch Quatsch zu sagen, dass niemand das begründet hätte.

Insofern gibt es für eine Dringlichkeit keinen Grund, sondern es gibt in diesem Haus einen Konsens, was den Umgang mit diesem Tag betrifft. Und es gibt eine weitgetragene Einschätzung, dass es einen Feiertag geben soll. Das ist keine Neuigkeit. Deswegen gibt es keinen Grund für eine Dringlichkeit, die Sie im Übrigen mit keinem Wort in Ihrer Begründung begründet oder auch nur erwähnt haben. Deswegen haben Sie, aus meiner Sicht, diese Dringlichkeitsbegründung auch, was die Geschäftsordnung betrifft, missbraucht.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Ich lasse über die Dringlichkeit jetzt abstimmen. Wer der Dringlichkeit seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die AfD-Fraktion und zwei fraktionslose Abgeordnete. Gegenstimmen? – Das sind alle anderen Fraktionen. Ich darf vorsichtshalber fragen: Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Dringlichkeit widersprochen worden, und es kommt nicht auf die Tagesordnung.

Dann hat sich jetzt die FDP-Fraktion gemeldet. – Herr Abgeordnete Fresdorf hat das Wort. Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen und Auftrag meiner Fraktion stelle ich folgenden Antrag zur Geschäftsordnung:

(Martin Trefzer)

Es wird die Tagesordnung um den Tagesordnungspunkt Vorlage der vom Senat vorgelegten Rechtsverordnungen ergänzt. Die Vorlage zur Kenntnisnahme: 5. Verordnung zur Änderung des SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung wird unter diesem Punkt mit Dringlichkeit aufgerufen und an den Hauptausschuss überwiesen, und dies aus folgenden Gründen: § 32 Abs. 5 der Geschäftsordnung sieht vor, dass Rechtsverordnungen diesem Haus vorzulegen sind. Dies, auf Grundlage unserer Verfassung von Berlin Artikel 64 Abs. 3, beschreibt klar, dass Rechtsverordnungen unverzüglich vorzulegen sind.

Wir erleben momentan in unserem Land die Situation, dass die Exekutive Rechtsverordnungen erlässt, und diese hauptsächlich durch die Judikative korrigiert werden. Das ist ein Zustand, den es so nicht geben kann, ein Zustand, dass Rechtsverordnungen an Parlamenten vorbei erlassen werden und Gültigkeit haben, ohne dass die Parlamente einbezogen werden sollen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Darüber hinaus reden wir von so breiten und tiefen Eingriffen in die Grundrechte der einzelnen Berlinerinnen und Berliner, die es in der Zeit unserer Demokratie so noch nicht gegeben hat. Das Grundrecht auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit wird extrem eingeschränkt: Ich kann meinen Laden nicht mehr öffnen, meine Kneipe nicht mehr aufmachen, meine Außengastronomie nicht mehr betreiben. Das sind tiefe Eingriffe, die aus unserer Sicht, nicht ohne Beteiligung des Parlaments so stattfinden können, denn Artikel 50 unserer Verfassung sieht im Abs. 1 Satz 1 vor, dass wir bei „Vorhaben grundsätzlicher Bedeutung“ „frühzeitig und vollständig“ im Vorfeld zu unterrichten sind, „frühzeitig und vollständig“!