Protokoll der Sitzung vom 30.04.2020

[Beifall bei den GRÜNEN]

Werfen Sie das Gewicht der Hauptstadt-CDU parteiintern zu Gunsten der Erhöhung des Kurzarbeitergelds für kleine und mittlere Einkommensgruppen und des Regelsatzes beim ALG II in die Waagschale! Herr Dregger, damit wäre den Berlinerinnen und Berlinern wirklich geholfen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Der Senatsentwurf für ein erstes Nachtragshaushaltsgesetz im Jahr 2020 vollzieht nach, was politisch wie haushaltswirtschaftlich notwendig und sinnvoll war, seien es die Coronahilfe oder die medizinischen Anschaffungen. Dabei kommt der Haushaltsentwurf ohne strukturelle Kürzungen, ohne neue Schulden und noch – ich betone „noch“ – ohne neue Kredite aus. Auch dieser Umstand zeigt, dass Rot-Rot-Grün in den letzten Jahren gut gehaushaltet und gewirtschaftet hat. Über einige Aspekte dieses Senatsentwurfs wird allerdings zu reden sein.

Ein paar Schlaglichter: Erstens geht es um die Ausweitung der LHO-Grenze von 5 auf 100 Millionen Euro für außerplanmäßige Ausgaben im Haushalsgesetz. Ich formuliere es mal diplomatisch: Es mag ja sein, dass einige in der Exekutive in der Coronakrise ihre sprichwörtliche Stunde gekommen sehen. Das heißt aber noch lange nicht, dass dieses Virus die Legislative mit kompletter geistiger Umnachtung infiziert hat. Ich glaube, der Standpunkt meiner Fraktion ist damit klar.

Zweitens: Herr Finanzsenator, wir müssen über die Flughafengesellschaft reden. Von der haben uns am Dienstag eine Freuden- und eine Hiobsbotschaft gleichzeitig erreicht. Noch nie schien die Eröffnung des BER so sicher wie heute. Gleichzeitig zeigt die neue Wirtschaftlichkeitsstudie, dass die FBB wohl faktisch pleite ist und noch mehr öffentliches Geld verbrennen wird. Wir Grüne wollen nicht, dass im Schatten der Coronakrise klammheimlich ein Konjunkturpaket für einen Flughafen geschnürt wird, dessen strukturelles Finanzierungsdefizit mit dem Virus nun wirklich gar nichts zu tun hat.

[Beifall bei den GRÜNEN und der FDP]

Drittens: Die Kosten der Coronakrise verteilen sich keineswegs auf alle Geschäftsbereiche der öffentlichen Verwaltung und Unternehmen gleichermaßen. So prognostizieren viele Verantwortliche vermutlich zu Recht, dass der öffentliche ÖPNV in besonderer Weise zum Leidtragenden der Coronakrise werden könnte. Wer hier den Rotstift ansetzt, hat aus den letzten Jahren und dieser Krise nichts gelernt. Milliardenschwere Finanzspritzen für die Autoindustrie sind allenfalls ein Konjunkturprogramm für weitere Dieselskandale, Fahrverbote und die Klimakatastrophe. Wir müssen jetzt die Gelegenheit nutzen, das auf den Weg zu bringen, was ökonomisch wie

ökologisch sinnvoll ist, und das sind Investitionen in eine echte Verkehrswende, einschließlich eines guten öffentlichen Nahverkehrs.

[Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Fahrradstreifen!]

Wichtig ist meiner Fraktion auch, dass die Gegenfinanzierung letztlich nicht an denjenigen hängenbleibt, die am Ende der haushaltspolitischen Nahrungskette stehen. Ich habe großen Respekt vor dem, was in den Hauptverwaltungen geleistet wird. Aber ich habe mindestens genauso viel Respekt für die zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der bezirklichen Gesundheits- und Bürgerämter oder für ihre Kolleginnen und Kollegen, die in den Bereichen Grünflächen und Verkehr unterwegs sind. Die Bezirke dürfen deshalb in der Coronakrise nicht zum Sparschwein gemacht werden. Wir brauchen hier einen Schutzschirm. Genauso, wie es bundesweit Schutzschirme für Kommunen gibt, brauchen wir einen solchen für die Bezirke.

Viertens: Wir wollen mehr über die Coronahilfen des Senats wissen. Die sind in ihrer Ausrichtung und Zielsetzung zu begrüßen, aber wenn 105 Millionen Euro zur Verfügung stehen, sollten die Fraktionen auch mehr darüber erfahren, unter welchen fachlichen Gesichtspunkten die Vergabe erfolgt.

[Joschka Langenbrinck (SPD): Obwohl die nicht kumulierbar sind!]

Wenn eine Fachverwaltung gestern dem Hauptausschuss ganz offiziell mitteilt, dass eine Berichtsbitte zum Nachtrag leider erst nach dessen Verabschiedung beantwortet werden kann, dann ist das einfach nicht akzeptabel. Zur Erinnerung, falls es einige zwischenzeitlich vergessen haben sollten: Wir reden hier über ein Gesetz, nicht über eine weitere Rechtsverordnung.

[Beifall bei den GRÜNEN und der FDP]

Dieser Entwurf eines ersten Nachtrags wird nur der Auftakt zu vielen Haushaltsdebatten noch in diesem Jahr sein. Spätestens mit den Zahlen der Steuerschätzung im Mai werden neue haushaltspolitische Maßnahmen unumgänglich sein. Für uns Grüne ist deshalb zentral – erstens –: Die Kosten der Coronakrise lassen sich nicht durch Kürzungsorgien aufbringen, zumal ein solches Sparen in der Krise deren mittel- und langfristige Kosten nur noch in die Höhe treiben dürfte. Eine Kreditfinanzierung – das wissen, glaube ich, zwischenzeitlich auch die letzten Neoliberalen in dieser Republik – ist genauso unumgänglich wie finanzpolitisch sinnvoll. Ein „Sparen bis es quietscht“ 2.0 wird es mit uns Grünen deshalb nicht geben. Wir wollen die Ausnahmeklausel in § 2 Landesschuldenbremsegesetz so rasch wie möglich aktivieren und Tilgungszeiträume von deutlich länger als zehn Jahren. Und wir wollen als Parlamentarierinnen und Parlamentarier natürlich mitreden, wenn es um zusätzliche Hilfen oder – zu einem späteren Zeitpunkt – um konjunkturelle Stimuli geht.

Zweitens: Berlin ist für die Coronakrise haushalts- und finanzpolitisch eigentlich gut aufgestellt. Aber ohne ein fortdauerndes Engagement des Bundes wird es weder hier noch in den anderen Ländern und Kommunen gehen. Es ist deshalb gut, wenn immer mehr Bundesministerien ihre Widerstände gegen weitere Hilfen für spezifische Betroffenengruppen aufgeben, denn diese Hilfe wird es brauchen. Die Kultur- und Kreativwirtschaft, die Gastronomie, die Hotellerie, das Veranstaltungswesen, die gemeinnützige Arbeit, all das sind nicht nur Sektoren, die am schwersten von der Coronakrise betroffen sind, sie machen hier in Berlin auch einen besonders großen Teil der städtischen Wertschöpfung und Wirtschaftskraft aus. Hier muss die Bundesregierung endlich über ihren Schatten springen, wie es zwischenzeitlich fast alle Fachministerinnen und Fachminister der Länder aller politischen Farben fordern. Herr Dregger, denken Sie an Ihren Auftrag!

Drittens und letztens: Der Debatte über weitere Coronahilfen wird eine Debatte über konjunkturelle Maßnahmen für das nächste Haushaltsjahr folgen. Diese Diskussion ist bereits entbrannt. Die Autoindustrie und die Fluggesellschaften haben schon ihre öligen Finger gehoben und fordern zweistellige Milliardensubventionen. Sie wollen sich die Coronakrise bezahlen lassen. Die Klimakrise bleibt ihnen herzlich egal. Andere wollen mal wieder die Steuern senken, natürlich vor allem zulasten der Besserverdienenden, oder willkürlich Prämien verteilen, natürlich ohne bestimmte Berufsgruppen, z. B. in der Pflege, grundsätzlich besserzustellen.

Wir wissen spätestens seit der Finanzkrise von 2011: Abwrackprämien, generelle Steuersenkungen und vergleichbare Instrumente sind weder in ökonomischer noch in ökologischer Hinsicht wirklich nachhaltig. Wir brauchen vielmehr eine Abwrackprämie für unser herkömmliches, klimafeindliches Wirtschaftssystem.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Herr Kollege! Sie müssten bitte zum Ende kommen!

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Das wäre mal ein Konjunkturprogramm, das diesen Namen auch wirklich verdient: mit massiven Investitionen in die Energie- und Verkehrswende, mit Zuschüssen und der Förderung der Nachfrage gerade auch für den örtlichen Einzelhandel, für die Kreativwirtschaft und innovative Branchen.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, –

Doch, Herr Kollege! Sie müssen wirklich zum Schluss kommen, weil Sie schon über zehn Minuten reden.

der Virus ist keine Chance für irgendjemanden in dieser Gesellschaft, aber die Krise verdeutlicht uns einmal mehr, dass wir es nach ihrer Überwindung besser machen können, wenn wir es denn nur wollen. In diesem Sinne: Vielen Dank und auf gute Beratungen!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Joschka Langenbrinck (SPD): Die Rede war gut, da kann es auch mal zehn Minuten dauern!]

Steht leider nicht in der Geschäftsordnung. – Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Meister jetzt das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Langenbrinck, der eine sagt so und der andere sagt so. Ich hatte das Gefühl, dass ich durchaus schon Besseres gehört habe, auch aus der Grünenfraktion.

[Beifall bei der FDP]

Ich würde jetzt einfach mal zum Thema Nachtragshaushalt zurückkommen. Am Anfang weise ich auf die Dinge hin, die mit diesem ersten Gesetz – ich glaube, darüber besteht Einigkeit, es ist ein erstes, es werden weitere folgen, das ist ganz klar – verbunden sind. Da sind im Besonderen die Soforthilfen I und II zu nennen. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich glaube, dass mit der Soforthilfe II war a gut, b sehr schnell und c wirkungsvoll. Das muss man einfach einmal so sagen.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

In einer Stadt mit extrem viel Soloselbstständigen, in einer Stadt, in der die größte Anzahl der Unternehmen im Bereich mit bis zu zehn Mitarbeitern angesiedelt ist, war das erst einmal richtig so.

Dass wir für Geld Schutzkleidung und Atemmasken kaufen, besonders wenn wir keine haben, ist irgendwie naheliegend und somit auch logisch. Dass es dann auch geklappt hat, kann einen auch mal ein Stück freuen.

[Beifall bei der FDP]

Genauso wie das Krankenhaus in der Jafféstraße, was – wie soll ich sagen – beeindruckend ist, mit der Schnelligkeit, mit der es fertig geworden ist und deutlich macht, was man bewirken kann, wenn Menschen gemeinsam an einem Ziel arbeiten dürfen, und wir nicht permanent diskutieren, was eigentlich alles gar nicht geht und was wir noch nie gemacht haben in diesem Land.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Stephan Lenz (CDU)]

(Daniel Wesener)

Ich glaube, auch hier sind wir uns einig darüber, dass wir uns alle nicht vorstellen wollen, wie das wäre, wenn sich in der Jafféstraße Angehörige stauen, weil sie wissen wollen, wie es ihren Liebsten geht und weil wir dieses Krankenhaus wirklich benötigen. Ich glaube, das ist eine Vorstellung, die wir alle nicht erleben wollen.

Ich erlaube mir an dieser Stelle den Hinweis, dass man auch einmal ein Stück weit dankbar sein darf, dass wir in einer Stadt, in einem Land leben, in dem es möglich ist, 50 Millionen Euro in die Hand zu nehmen, Know-how zu haben, Menschen zu haben, die sich darum kümmern, ein Messegelände zu haben, wo so etwas möglich ist, und ich glaube, das ist insofern eine gute Ausgabe gewesen, weil man hieran vieles hat lernen können und es eventuell hilft, am Ende Nachbarländern zu helfen. Aber auch das möge am besten nicht Wahrheit werden.

Bleiben wir noch einmal bei der Messe. Ich glaube, es ist klar, dass eine Messegesellschaft ohne Großveranstaltungen keine Messe mehr ist. Dass die Messe hier eine finanzielle Unterstützung von uns braucht, ist auch völlig logisch. Wir haben aber auch schon mehrfach nachgefragt, wie es mit den anderen Landesbeteiligungen aussieht, und wie wir mit der Frage umgehen, wie die anderen Landesbeteiligungen eigentlich aufgestellt sind und ob wir denn in diesem Bereich ein Frühwarnsystem haben. Ich sage mal so: Im Kulturbereich gucken wir zumindest jedes halbe Jahr nach, ob sie noch da sind und wie die Entwicklung ist. Bei den Landesbeteiligungen tagt jetzt der Beteiligungsausschuss nicht. Wir glauben doch nicht ernsthaft, dass wir uns im Herbst nur Gedanken über die BVG machen werden. Wir können doch davon ausgehen, dass natürlich auch andere Landesbeteiligungen unsere Unterstützung brauchen. Ich denke da nicht nur an die Bäder-Betriebe, sondern auch an die Wohnungsbaugesellschaften, die nun mit coronabedingten Mietausfällen irgendwie zurechtkommen müssen.

Wir haben aber auch gelernt, zumindest aufgrund der bisherigen Erfahrungen, dass wir in vielen Bereichen nachjustieren müssen. Das ist der gesamte Bereich der Digitalisierung, bei dem wir festgestellt haben, dass vielfach Chaos herrschte, Mitarbeiter sofort nach Haus geschickt worden sind und dort mit einem nicht vorhandenen Gerät versucht haben, im Homeoffice zu arbeiten, mit einem nicht vorhandenen Anschluss und mit nicht vorhandenen elektronischen Akten. Ich sage einmal so: Auch ein Laptop zu Hause, den mir mein Arbeitgeber stellt, samt einem VPN-Anschluss, macht nur dann Sinn, wenn die Dinge, die ich bearbeiten soll, auch elektronisch zu erreichen sind. Sonst heißt es, dass ich erst ins Amt fahre und meine Unterlagen hole, um sie zu Hause zu bearbeiten. Das scheint mir nicht so schlau zu sein.

[Beifall bei der FDP]

Auch hier glaube ich, dürfen wir in dem einen oder anderen Bereich einmal daran erinnern, dass Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger da ist und kein Selbstzweck

ist. Wenn es denn heißt, dass das Elterngeld leider nicht ausgezahlt werden kann, man aber bitte auf gar keinen Fall anrufen soll, dann wundere ich mich ein bisschen über das Grundverständnis, das wir in diesem Bereich an den Tag legen

[Beifall bei der FDP]

und glaube, dass auch dort eine gewisse Nachjustierung vonnöten ist.

Die CDU-Fraktion hat einen Antrag vorgelegt, dass wir im ganz Großen ein besonderes Landesprogramm brauchen. Ganz ehrlich, ich glaube, dass sehr deutlich ausgeführt worden ist, dass im Bereich der Kultur und Kreativwirtschaft die Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern unterstützt worden sind. Man darf sich am Ende des Tages trefflich fragen, warum wir hier zwischen Zuschuss und Kredit unterscheiden, warum den einen der Zuschuss gegönnt wird und dem anderen, dem normalen Gastronomiebetrieb, nur der Kredit zur Verfügung steht. Wir werden in diesem Bereich noch einen Antrag zu dem Thema Umsatzausfallerstattung vorlegen. Ich glaube, das ist insgesamt einfacher und hilft am Ende, dass das losgelöst von jeder Branche nicht immer neu diskutiert werden muss.

[Beifall bei der FDP]

Lassen Sie aber auch mich noch einen Blick in die Zukunft werfen. Ja, auch ich glaube, dass wir neue Schulden werden aufnehmen müssen. Es wird nicht ohne Schulden gehen. Es wird aber auch nicht ohne Sparen gehen, besonders im konsumtiven Bereich. Denn wieder bei der Infrastruktur, wieder bei den investiven Ausgaben zu sparen, macht nicht wirklich viel Sinn, denn das war in den Sparjahren eben nicht so schlau. Uns würde dann wieder die Infrastruktur verfallen und wäre wieder nicht zu gebrauchen. Wir brauchen sie aber, wenn wir alles und wirklich alles versuchen müssen, damit die Wirtschaft wieder ins Laufen kommt, damit wir genau die Bereiche, die jetzt so wichtig sind, Gesundheit vorneweg, entsprechend unterstützen können. Dann brauchen wir eine starke Wirtschaft vor Ort. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zu den Überweisungen. Die Gesetzesvorlage auf Drucksache 18/2609 mit dem Nachtragshaushaltsgesetz habe ich vorab an den Hauptausschuss überwiesen – und darf hierzu Ihre nachträgliche Zustimmung feststellen.