Protokoll der Sitzung vom 16.02.2017

Hierbei hat die derzeit geltende Proporzvergabe zu unnötigen Blockaden und Stillstand geführt.

Das ist bemerkenswert. Der FDP-Antrag verurteilt nicht etwa die Verursacher der unnötigen Blockaden und Stillstände, sondern er nutzt die Verletzung der Minderheitenrechte als Argument dafür, eben diese Minderheitenrechte abschaffen zu wollen.

[Beifall bei der AfD]

Das ist von der Logik in etwa so, als würde man nach einem Verkehrsunfall infolge Geschwindigkeitsübertretung nicht etwa den Raser verurteilen, sondern eine Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung fordern, mit dem Hinweis darauf, dass sich der Raser sowieso nicht daran hält.

[Beifall und Heiterkeit bei der AfD]

Nach diesem Motto fordert die FDP jetzt, die Verfassung zu ändern, damit die Verfassung nicht mehr verletzt werden kann, anstatt eben jene Verletzung der Verfassung anzuklagen.

Meine Damen und Herren von der Rechtsstaatspartei FDP! Ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich Ihr Ernst sein soll. Wenn dies Schule machen sollte, wäre die Verfassung von Berlin bald nicht mehr das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht. Es kann doch nicht angehen, dass die Berliner Verfassung geändert werden soll, nur weil einigen politischen Gegnern der AfD das nicht in den Kram passt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, liebe Kollegen: Gerade weil die geltenden Verfahrensregeln den etablierten Parteien ein Dorn im Auge sind, halten wir sie für richtig.

Und, liebe Kritiker der jetzigen Regelung, seien Sie doch einmal ehrlich! Sie treibt die Angst um, dass die AfD in

der politischen Verantwortung zeigen wird, dass sie die Bezirkspolitik positiv im Bürgersinne beeinflussen wird.

[Beifall bei der AfD]

In Wahrheit haben Sie Angst vor dem Wähler und fürchten sich vor den Zumutungen der Demokratie. Da liegt der Hund begraben. Sie wollen die Grundachse der Berliner Kommunalverfassung ohne Not verschieben. Es gibt keinen vernünftigen Grund, das bewährte Kollegialprinzip im Bezirksamt aufzukündigen und kommunalpolitische Sachfragen unnötig zu politisieren. Gerade die Bezirkspolitik ist im hohen Maße auf Kontinuität, Bürgernähe und Verlässlichkeit angelegt. Und gerade in der Kommunalpolitik sollten alle Kräfte sachorientiert zusammenwirken. Da leistet das Proporzbezirksamt aus unserer Sicht einen wichtigen Beitrag.

Natürlich geht es auch um die Gewährung des Minderheitenschutzes. Die Einbeziehung der jeweiligen Minderheit in die kommunalpolitische Sacharbeit wirkt der Verhärtung gesellschaftlicher Frontstellungen und der politischen Segmentierung der Gesellschaft entgegen. Warum sollte nicht auch einmal der politische Gegner zeigen können und zeigen müssen, dass er bezirkspolitische Verantwortung übernehmen kann? Das Proporzbezirksamt ist eine wichtige Chance für die Nichtmehrheitsparteien zu zeigen, dass sie über Kompetenzen verfügen und Lösungsangebote machen können. Die Angst, dass der politische Gegner vielleicht zeigen könnte, dass er auch in der Lage ist, Politik zu machen, ist eigentlich eine Angst vor der Demokratie selbst.

[Beifall bei der AfD]

Da kann ich Ihnen nur zurufen: Haben Sie Vertrauen in die Demokratie! Sie kann mehr leisten, als sie ihr vielleicht zutrauen.

Das Kollegialprinzip führt auch keineswegs zum Handlungsstau, wie immer wieder behauptet wird. Im Gegenteil! Das Kollegialprinzip kann auf bezirklicher Ebene zu effizienteren und vor allem repräsentativeren Entscheidungen führen, was für die Demokratie ein klarer Gewinn ist. Wenn Sie sagen, die Allparteien-Bezirksämter seien zerstritten, dann stimmt das so nicht und zeigt im Grunde Ihre ablehnende Haltung zu einem wesentlichen Element der Demokratie.

[Henner Schmidt (FDP): Man merkt, dass Sie die Berliner Bezirke gar nicht kennen!]

Am liebsten würden Sie den Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner und mit den Bürgerinnen und Bürgern aus dem Weg gehen, um besser durchregieren zu können.

[Zuruf von der FDP: Buh!]

Glauben Sie wirklich, Bezirkspolitik wird besser, wenn statt der geforderten Kooperation die politische Konfrontation zwischen Mehrheit und Minderheit in den Vordergrund rückt?

Das Mehrheitsprinzip ist richtig und wichtig, aber man sollte es in der Kommunalpolitik nicht überstrapazieren. Bereits im jetzigen Bezirksamtssystem gibt es ja keineswegs einen Zwang zum Konsens, der eindeutige Entscheidungen verhindern würde. Mehrheitsentscheidungen sind jederzeit möglich, auch innerhalb des Bezirksamtskollegiums. Die Zählgemeinschaften sind ja schon jetzt so etwas wie eine Koalition light. Aber das Kollegialprinzip kann einer unnötigen Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft auf kommunalpolitischer Ebene ein Stück weit entgegenwirken. Das ist sein großer Vorteil. Es gibt keinen Zwang zum Kompromiss, aber es gibt einen begründeten, einen wohl begründeten Druck, miteinander zu reden und miteinander auszukommen. Das halten wir unverändert für richtig und wichtig.

[Beifall bei der AfD]

Und wenn das funktioniert, ist das keine Kleinigkeit. Das mag manchmal kompliziert sein und auch eine Zumutung für manchen Bezirksbürgermeister, es lohnt sich aber in jedem Fall.

Das Kollegialprinzip dient im Übrigen auch dem Zweck, Lernprozesse zu erleichtern und den Übergang der einen Mehrheit zu einer möglichen anderen Mehrheit weniger abrupt und damit auch weniger konfliktträchtig zu gestalten. Denn eines sollten wir nicht aus dem Auge verlieren: Demokratie heißt nicht nur, dass so entschieden wird, wie die Mehrheit es will, sondern Demokratie heißt eben auch, dass derjenige in einer Minderheitenposition vielleicht in der Sache recht haben könnte und dass immer auch die Chance bestehen muss, dass die Minderheitenposition einmal zur Mehrheitsposition und damit zu realisierter Politik werden kann.

[Beifall bei der AfD]

Zum Abschluss noch einmal die Frage an die Kollegen der FDP: Glauben Sie wirklich, dass Sie mit einer etwaigen Verfassungsänderung dann 2021 in den Bezirksämtern einziehen können? Wo denn eigentlich? Etwa in Ampelkoalitionen in Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf? – Geben Sie sich keinem falschen Wunschdenken hin! Sie werden nirgends gebraucht werden.

[Heiterkeit bei der AfD]

Umgekehrt wird ein Schuh draus, liebe Kollegen von der FDP. Hätten Sie in Ihrer Hochburg CharlottenburgWilmersdorf noch 0,6 Prozent mehr geholt, hätten Sie ein Anrecht auf einen Stadtratsposten gehabt; garantiert durch die Berliner Verfassung, aber garantiert nicht durch Rot-Grün. So einfach ist das. Kämpfen Sie für einen höheren Wählerstimmenanteil, nicht aber für die falsche Hoffnung, den Hilfsmotor in einer rot-grünen Konstellation spielen zu dürfen! Es wäre ein Armutszeugnis für die politische Kultur in dieser Stadt, wenn die Mehrheit im Hause versuchen sollte, die Verfassung so hinzubiegen, wie es ihren Machtinteressen dienlich ist. Ich appelliere an alle Fraktionen: Legen Sie nicht die Axt an die Grund

festen der Berliner Verfassung! Wir von der AfD jedenfalls werden dazu unsere Hand nicht reichen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Für eine Zwischenbemerkung hat der Kollege Swyter das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will nur zunächst mal klarstellen, dass die FDP für das politische Bezirksamt seit 2001 war, da gab es die AfD noch in ganz anderen Buchstabenkonstellationen.

[Beifall bei der FDP, der LINKEN und den GRÜNEN]

Das hat mit Ihrem Erscheinen nun wahrlich nichts zu tun. Und es ist wirklich etwas vermessen, wenn Sie glauben, wir würden vor lauter Schreck, dass Sie hier aufgetaucht sind, auf einmal das politische Bezirksamt wollen. Machen Sie sich da keine Sorgen!

Zweitens:

[Zuruf von der AfD: Wo war denn Erstens?]

Es bleibt dabei, dass es uns um mehr Transparenz geht. Mit der Argumentation, die ich gerade vom Kollegen von der AfD gehört habe, müssten Sie eigentlich auch ein Proporzsystem im Abgeordnetenhaus und konsequenterweise dann auch noch auf der Bundesebene wollen. Gott sei Dank haben wir da klare politische Verhältnisse. Darüber brauchen wir nicht zu streiten.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich kann nur noch mal betonen: Wir haben diesen Vorschlag eben gerade am Anfang eingebracht und wollen, dass es auch am Anfang beraten und diskutiert wird, mit mehreren Aspekten, die wir auch gesagt haben; nicht nur das politische Bezirksamt, aber das jedenfalls als Ausgangspunkt dieser Beratung, und zwar gerade deshalb, um eben nicht politische Opportunitäten sozusagen im Hinblick auf einen Wahlkampf einfließen zu lassen. Deswegen wäre ich auch dankbar, wenn jetzt diese Unterstellungen unterbleiben, denn wir wissen nicht, was 2021 ist. Sie haben da Ihre Hoffnung, wir haben da unsere Hoffnung. Ich glaube, wir werden 2021 in einer ganz anderen Situation sein. – Besten Dank!

[Beifall bei der FDP]

(Martin Trefzer)

Vielen Dank! – Herr Kollege Trefzer! Wünschen Sie zu antworten? – Nein. Dann kommt Herr Lux von den Grünen dran. – Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Verfassungsdebatten haben ja auch etwas Gutes: dass man den Blick weiten, ein bisschen in die Geschichte zurückgehen kann. Ich finde es auch gut, denn einen aufgeklärten Staat zeichnet gerade aus, dass Politik und Verwaltung für die Menschen da sein müssen, dass es nicht so um sich selbst kreist wie bei meinem Vorvorredner und dass die Berlinerinnen und Berliner die Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen ohne zu viel Aufwand erledigen können, dass es funktioniert, dass die Akten laufen und nicht die Bürger.

Ich habe bei meiner Recherche gelesen, wie das so in Berlin und seinen heute zwölf Bezirken läuft. Ich zitiere:

seit 1920 ein ständiger Streitpunkt zwischen den Verwaltungsebenen ist.

So schreibt es Ulrich Zawatka-Gerlach in seinem Standardwerk „Parlament, Regierung und Verwaltung des Landes Berlin“. Man möchte hinzufügen: Es ist nicht erst seit 1920 ein Streit um die Kompetenzen, sondern man findet bereits nach den ersten urkundlichen Erwähnungen im 13. Jahrhundert Streitereien, was das Zeug hält. Im Jahr 1307 gab es einen gemeinsamen Magistrat der beiden Städte Cölln und Berlin. Sie wurden von einer gemeinsamen Stadtmauer umfasst, aber 1442 auch wieder getrennt, und zwar aus machtpolitischen Gründen, so schreiben die Historiker des Kurfürsten Friedrich II. Und diese liebenswürdige Dynamik, das Chaos und der Streit, lässt sich weiter fortsetzen. So gab es im Jahr 1710, als die königliche Haupt- und Residenzstadt Berlin gegründet worden ist und die damals selbständigen Städte Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt vereinigt worden sind, handfeste Verwaltungsprobleme. So war die Festungsanlage viel zu klein geplant worden. Die Vorstädte wuchsen und wurden immer größer. Man fühlt sich also auch an heute erinnert beim Stichwort funktionierende Stadt.

Auch bei den preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Sie alle kennen sollten, hat man versucht, diesen Ausgleich zwischen was läuft zentral und was läuft vor Ort zu finden. Sie laufen ja jeden Morgen an den beiden Herren, Freiherr vom und zum Stein und seit ein paar Jahren auch an Karl August von Hardenberg, vorbei. Die haben sich in ihrer Städtereform von 1808 eine Ordnung überlegt, und die hat bis heute ganz gut gehalten. Es war der Grundsatz der Selbstverwaltung, denn die Städte sollten nunmehr nicht ausschließlich dem Staat untergeordnet sein – aha, Aufklä

rung –, sondern die Bürger sollten über ihre Angelegenheiten bestimmen können. Die Selbstverwaltung sollte das Interesse an öffentlichen Angelegenheiten wecken, was letztendlich auch dem Gesamtstaat zugutekommen sollte. So schrieb Johann Gottfried Frey, auf den ein wesentlicher Teil der Reformen zurückging:

Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen.

Ich finde also, wir sind heute in einer ganz guten Tradition, uns zu überlegen, wie in Berlin der Hase läuft. Und auch 1920, als das Berlin in seinen heutigen Grenzen im Gesetz über die Bildung einer Stadtgemeinde Berlin entstanden ist, hat man festgestellt, der Streit, was läuft zentral, was läuft dezentral, gehört wohl zu Berlin dazu. Damals war es das Wort „Mög schützen uns des Kaisers Hand vor Groß-Berlin und dem Zweckverband“. Richtig! Und nur die Nazis haben es geschafft, dass es keinen Ausgleich mehr gab, da wurde straff durchregiert. Und, ehrlich gesagt, wenn man der AfD so gut zugehört hat wie ich, dann wird man das an deren Argumentationslinie an meinen Stellen auch rausgehört haben, dass es hier keine Selbstverwaltung von unten geben soll.

Der gefundene Kompromiss gemäß Art. 66 Abs. 2 unserer Verfassung regelt diesen Kompromiss zwischen Einheitsgemeinde und Bezirken ohne eigene Gebietskörperschaften, die keine eigene Rechtspersönlichkeit haben, nicht mal den Status einer Kommune, die aber Aufgaben haben, die ihnen zugewiesen werden. Nach der Teilung wurden es dann 23 Bezirke und 96 Ortsteile, die vergisst man leider immer wieder. Es wurde dann auch noch die Gebietsreform Ende der Neunzigerjahre geschafft. Die hat ein politisches Bezirksamt vorgesehen. Insofern ist 2009 aber eine Entscheidung getroffen worden, das politische Bezirksamt doch nicht einzuführen. Und man muss rückblickend doch sagen, dass in den Zeiten der Schuldenkrise, aber auch in den Zeiten der Wiedervereinigung aus zwei überversorgten Frontstädten der Personalabbau und die Schwächung der Bezirke massiv voranschritten und deswegen Gebietsreform und Berliner Reformen, in denen auch die Fachaufsicht des Landes Berlin abgeschafft wurde und es dafür ein Eingriffsrecht gab, unter dem Zeichen standen: Man muss sparen, zusammenkürzen usw. Ich denke, man darf heute feststellen: Das haben die Bezirke mehr als genug getan.

Nun kommen wir zu den Vorteilen, weshalb auch wir Grüne für ein politisches Bezirksamt waren: Die Legitimität ist immer einer Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung verantwortlich. Sie müssen – hier möchte ich dem Kollegen Zimmermann nur einen Gedanken entgegenhalten –, sie sind ja schon gewählt. Es ist ja schon parlamentsähnlich. Es sind ja schon die Leute, die sich tagtäglich einsetzen, die Leute von vor Ort, aus den Ortsteilen, aus den Kiezen im Bezirk vertreten zu können. Das sind die Leute, die sich kümmern, die sich überhaupt sehen lassen, die sich um die Probleme, Sorgen, Nöte und Ängste kümmern. Und ich finde schon, wenn die sich zu