Protokoll der Sitzung vom 04.06.2020

(Alexander Wieberneit)

von 60 Prozent bzw. 67 Prozent seines vorherigen Einkommens leben muss, hat vermutlich gerade andere Fragen zu regeln und andere Probleme, als sich um Weiterqualifizierung zu kümmern. Deshalb hätte ich mich gefreut, wenn die Bundesregierung hier eine sehr gute Investition gemacht hätte und bei Qualifizierung das Kurzarbeitergeld aufgestockt hätte. Die Aufstockung, die beschlossen wurde, kommt für ganz viele Menschen viel zu spät. Hier wurde tatsächlich eine Chance vertan.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Über die Berliner Wirtschaft und ihre Besonderheiten wurde hier auch schon berichtet. Deshalb muss ich jetzt sagen, ganz viele Sachen, die hier gesagt wurden in Richtung verschiedener Kaufhäuser: Die Kaufhäuser haben wie auch andere Bereiche in dieser Stadt ein besonderes Problem, und wir können hoffen, dass wir in Zukunft überhaupt noch Kaufhäuser in dieser Stadt haben, weil sie von der Krise massiv betroffen sind. Hier sind Hilfen notwendig, wie insgesamt in der Dienstleistungsbranche; Frau Schubert hat es schon gesagt. Deshalb waren die Landesprogramme von Berlin so zentral wichtig, weil diese Landesprogramme auf die Berliner Eigenheiten der Wirtschaft eingegangen sind, Menschen geholfen haben und auch Arbeit und Arbeitsplätze gerettet haben. Wir haben hier so viele Soloselbstständige in ganz vielen Branchen, z. B. Kultur. Klaus Lederer hat es immer wieder gesagt, und da bin ich sehr froh, und ich finde hier ist das Land Berlin mit sehr gutem Beispiel vorangegangen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir haben in Berlin weitere Schutzschirme aufgespannt für sehr viele Menschen, und auch das hätte ich mir vom Bund gewünscht. Wir haben für die Träger in allen Bereichen Schutzschirme aufgebaut. Wir haben dafür gesorgt, dass Beratungs- und Unterstützungsangebote, aber auch Qualifizierung und Coaching weitergeführt werden können. Wir haben diese Strukturen aufrechterhalten, und da hätte der Bund auch mal nach Berlin, also zu uns, gucken und schneller handeln können. Da haben sie ganz viel versäumt.

[Beifall bei der LINKEN]

Auch Träger stehen heute in einer Schieflage, weil hier nicht reagiert wurde. Wir können darauf aufbauen. Ich möchte mich bei all denjenigen bedanken, die in der letzten Woche diese Arbeit unter erschwerten Bedingungen anders erbracht haben als vorher und sehr kreative Lösungen gefunden haben.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Bettina Domer (SPD)]

Ich bin froh, dass in den Jobcentern und Arbeitsagenturen die Leistungen so schnell ausgereicht wurden. Diese Kritik finde ich nicht richtig, dass sie zu lange gebraucht hätten. Wir stehen jetzt vor einer neuen Situation. Es wurde alles zusammengezogen, um die Leistungen auszuzahlen und zu bearbeiten. Wir brauchen aber jetzt in

der Situation auch ein sehr schnelles und konsequentes Hochfahren der anderen Bereiche. Da geht es um Arbeitsvermittlung, da geht es aber auch um Berufsberatung oder um das Hochfahren der Jugendberufsagentur. Das sind jetzt Punkte, die zentral wichtig sind. Hier, Herr Wieberneit, teile ich Ihre Sorge, nur wollte ich Sie mal grundsätzlich darauf hinweisen, dass weder die Jobcenter noch die Arbeitsagenturen Landesbehörden sind. Von daher sind wir in Berlin nicht dafür zuständig, welches Personal und wie viel Personal da hinkommt, aber das Problem, das Sie angesprochen haben, teile ich. Die spannende Frage ist, ob jetzt die Regionaldirektion, die Jobcenter, die Berufsagentur insgesamt so gut aufgestellt sind, dass sie jetzt ihre Arbeit wahrnehmen können und ob sie ausreichendes Personal haben.

Wir stellen uns darauf ein, dass wir in Berlin eine lange Durststrecke vor uns haben. Deshalb überlegen wir jetzt gemeinsam mit den Sozialpartnern, aber auch mit Herrn Becking von der Regionaldirektion und vielen Akteurinnen und Akteuren in dieser Stadt, was wir jetzt brauchen. In dem Bereich Arbeitsmarkt brauchen wir flexible Unterstützungsleistungen, denn wir wissen eben nicht, was jetzt passiert. Wir brauchen Unterstützungsleistungen, die sehr gezielt auf die Situation in den jeweiligen Branchen eingehen. Da stimmen wir uns gerade ab. Ich freue mich, dass diese Abstimmung mit den Akteurinnen und Akteuren so gut klappt. Ich verweise darauf, dass wir schon im Mai eine gemeinsame Erklärung zur Ausbildungsmarktsituation veröffentlicht haben, die wir jetzt auch umsetzen.

Aber ich sage auch: Wir brauchen Klarheit, was die Bundesregierung plant. Mit den Hartz-Gesetzen sind die Maßnahmen zur Arbeits- und Beschäftigungspolitik zur Bundesregierung übergegangen. Wir müssen wissen: Gibt es jetzt neue Programme? Was plant die Bundesregierung? –, denn wir müssen unsere landeseigenen Maßnahmen darauf abstimmen oder mit der Bundesregierung abstimmen, denn ansonsten können wir gar nicht flankierend tätig werden. Ich warte darauf, dass wir da endlich Klarheit haben. Wir überlegen in der Zwischenzeit und sind auch schon bestimmte Punkte angegangen. Beispielsweise richten wir uns mit der Wirtschaftsverwaltung gemeinsam darauf ein, dass wir Transfergesellschaften unterstützen und Qualifikation auch in Zukunft weiterhin eine zentrale Rolle spielt.

Hier wurde das Solidarische Grundeinkommen genannt. Da finde ich: In einer solchen Situation kann man auch mal ein bisschen ideologiefrei gucken.

[Lachen von Karsten Woldeit (AfD)]

Wir müssen uns jetzt angucken, welche Erfahrungen wir machen, und wenn es gelingt, über das Solidarische Grundeinkommen tatsächlich Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, dann ist es natürlich vernünftig, darüber zu reden,

(Senatorin Elke Breitenbach)

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

ob man das zeitlich verlängert und ob es nicht Sinn macht, auch andere Beschäftigungsfelder anzugehen oder andere Personen noch mit einzubeziehen.

[Heiterkeit bei Anne Helm (LINKE)]

Denkverbote in dieser Situation sind ganz schlecht.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Ich will hier aber auch sagen: Viele Menschen in dieser Stadt sind jetzt in einer echten Notsituation. Das sind diejenigen, die jetzt in Kurzarbeit sind. Das sind aber auch diejenigen, die ihre Arbeitsplätze verloren haben. Die sind in einer finanziellen Not. Nicht nur, dass vieles teurer geworden ist, es sind auch ganz viele Unterstützungen in den letzten Wochen weggebrochen, beispielsweise das kostenlose Essen in der Schule, was jetzt zusätzlich finanziert wird. Deshalb hat es mich sehr geärgert, als ich mir angeguckt habe, was die Bundesregierung gestern beschlossen hat. Da sind viele Sachen dabei, aber dazu, wie eine direkte Hilfe bei den Menschen jetzt ankommt, die jetzt in finanzieller Not sind, die jetzt nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen, die jetzt echte Probleme haben, steht nichts drin.

[Beifall bei der LINKEN]

Ich bedaure es nach wie vor, dass unsere Bundesratsinitiative, dass Transferleistungsbeziehende 100 Euro mehr im Monat für die Zeit der Pandemie bekommen, in den Ausschuss, man muss sagen, versenkt wurde und keine Entscheidung getroffen wurde. Die Menschen sind jetzt in Armut. Die Menschen brauchen jetzt Unterstützung und Hilfe und nicht erst, wenn der Bundesrat die Sommerpause aufgehoben hat.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Sehr groß ist die Not bei denjenigen, die jetzt die Schule beenden und einen Ausbildungsplatz suchen. Schon in der Vergangenheit hat das Angebot an Ausbildungsplätzen nicht ausgereicht, und jetzt schon wissen wir, dass es fast 2 500 Ausbildungsplätze gar nicht mehr gibt. Wir stehen hier vor großen Herausforderungen, die wir als Senat und als R2G auch annehmen werden, und ich hoffe, Sie alle. Wir werden Unternehmen weiterhin unterstützen. Das haben wir schon in der Vergangenheit gemacht. Deshalb haben wir die Richtlinienförderung noch mal ausgebaut. In Richtung der Unternehmen kann ich nur sagen: Wir haben Verbundausbildung. Das könnte ihnen helfen. Da gibt es übrigens auch noch freie Beratungskapazitäten, die man nutzen könnte.

Wir werden auch das Berliner Ausbildungsplatzprogramm hochfahren, also gucken, wie die Situation jetzt ist. Wir haben 500 Plätze, 200 davon sind besetzt. Wir gehen davon aus, dass es auch Auszubildende aus Insolvenzbetrieben geben wird, die wir dort aufnehmen wer

den, aber wir brauchen eben auch weitere Ausbildungsplätze, ein Herauffahren auf bis zu 1 000 Plätze ist möglich. Ich sage, für die Träger, die jetzt bereit sind, das zu tun, ist es ein echter Kraftakt, weil weder die Ressourcen noch das Personal da die ganze Zeit gesessen und Däumchen gedreht haben. Die müssen sich da irgendwie auch noch viel überlegen und werden das machen. Auch dafür ein herzliches Dankeschön!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Es wird auch weiter außerbetriebliche Ausbildungsplätze geben. Auch die Kollegin Scheeres ist da dran. Allerdings warten wir auf eines: Die Unternehmerverbände und die Kammern haben zugesagt, uns noch mal genauere Informationen über die einzelnen Branchen zu geben. Diese Informationen brauchen wir, und ich hoffe, wir kriegen sie jetzt auch bald, weil wir nur dann gezielt reagieren können, was die Schaffung von Ausbildungsplätzen angeht. Alles, was wir jetzt im Bereich Ausbildung machen, kann aber nur vorübergehend sein. Die Verantwortung dafür tragen die Unternehmen.

[Beifall von Katina Schubert (LINKE)]

An dieser Stelle, finde ich, kann man sich auch, ich sage noch mal, ideologiefrei genauer angucken, was eigentlich eine Ausbildungsplatzumlage ist. In bestimmten Bereichen, nämlich im Bauhauptgewerbe – die CDU kann es sich vielleicht mal von Frau Schreiner erklären lassen –, gibt es seit Jahrzehnten solche Strukturen und ein solches Finanzierungsmodell. Es knutet eben nicht die Unternehmen, es führt auch nicht zur Einführung des Kommunismus, und es ist nicht das Ende des Abendlandes, sondern Unternehmen, die nicht ausbilden können, werden mit einer Ausbildungsplatzumlage unterstützt. Qualitativ gute Ausbildung wird gefördert und damit letztlich auch der Fachkräftebedarf, den wir haben und früher oder später haben werden.

Tatsächlich müssen wir über die schnellen Schritte zur Eindämmung der Krise hinaus auch in die Zukunft denken. Ich stimme dem zu, was Herr Ziller gesagt hat: Es wird kein Zurück mehr in den Alltag, wie er mal war, geben. Wir haben jetzt eine Erfahrung gemacht, aus der wir lernen sollten. Das bedeutet beispielsweise die Debatte: Wie bringen wir Menschen unter? – Da geht es nicht allein um Obdachlose oder Geflüchtete. Da geht es vermutlich auch um die Jugendhilfe. Da geht es um die Eingliederungshilfe. Da geht es auch um das eine oder andere Seniorenheim. Überall dort leben Menschen zu zweit in einem Zimmer, und der Abstand ist nicht immer einzuhalten.

[Zuruf von Carsten Ubbelohde (AfD)]

Diese Debatte müssen wir führen, nicht nur in Berlin, sondern bundesweit.

(Senatorin Elke Breitenbach)

Ein letzter Punkt zu guter Arbeit an all diejenigen, die immer gesagt haben, gute Arbeit ist Pillepalle: Diese Pandemie hat gezeigt, wie wichtig gute Arbeit ist.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Von guter Arbeit muss man leben können, denn nur dann ist das Armutsrisiko minimiert, und die Menschen geraten nicht in eine solche Situation, wie wir sie jetzt in dieser Stadt erleben. Deshalb ist eine Tarifbindung enorm wichtig. Dafür werden wir in ganz vielen Branchen weiter kämpfen, nicht lockerlassen und immer wieder versuchen, die Unternehmen dazu zu überreden. Gute Arbeit darf auch nicht krank machen. Es ist unglaublich dummes Zeug, hier zu sagen, dass sich die Menschen auf der Arbeit nicht mit Corona anstecken. Das ist einfach nicht wahr. Wenn man Tageszeitungen liest und Nachrichten sieht, weiß man eben auch, dass es nicht stimmt. Deshalb muss der Arbeitsschutz weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Er war in dieser Zeit der Pandemie enorm wichtig. Deshalb sage ich hier auch ein herzliches Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen vom LAGetSi, die an dieser Stelle ganz viel gemacht haben!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Henner Schmidt (FDP)]

Und gute Arbeit muss auf die persönliche Lebenssituation der Menschen Rücksicht nehmen. Im Übrigen funktioniert zumindest jetzt, dass die Menschen nicht arbeiten müssen, aber es ist natürlich nicht hinnehmbar, dass Frauen jetzt wieder zurück in diese Rolle gedrängt wurden, sich um die Kinder und zu pflegenden Angehörigen zu kümmern. Da brauchen wir andere Wege. Aber natürlich haben Menschen auch individuelle Lebenssituationen, die in Arbeit und Ausbildung hineinspielen. Insgesamt ist gute Arbeit wichtig, auch ein armutsfester Mindestlohn in Zeiten der Pandemie. Deshalb war es richtig, dass wir den Landes- und Vergabemindestlohn erhöht haben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Ich rufe nunmehr, wie eingangs beschlossen, vorgezogen auf

lfd. Nr. 17:

Wahl der Mitglieder des Medienrates der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb)

Wahl Drucksache 18/2267

hierzu:

Wahl des Vorsitzenden des Medienrates der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb)

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP Drucksache 18/2739