Protokoll der Sitzung vom 03.09.2020

Ich eröffne die zweite Lesung der Gesetzesvorlage. Ich rufe auf die Überschrift, die Einleitung, die §§ 1 und 2 der Gesetzesvorlage sowie den anliegenden Staatsvertrag und schlage vor, die Beratungen der Einzelbestimmungen miteinander zu verbinden. – Widerspruch hierzu höre ich nicht. – In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke und hier der Abgeordnete Schulze. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es hier in diesem Staatsvertrag? – Nach über 30 Jahren muss unsere Medien- und Rundfunkordnung vernünftig an das Internet angepasst werden. Dieser Staatsvertrag unternimmt darin einen Versuch, die Regelungen, die wir getroffen haben, um Konzentrationen im Medienbereich zu verhindern, um Meinungsvielfalt sicherzustellen, auf die digitale Welt zu übertragen. Dazu wird auch die Definition von Rundfunk im Staatsvertrag neu gefasst, und die Zulassungsverfahren, um Rundfunk betreiben zu können, die bisher vor allem auf Medienhäuser zugeschnitten sind, werden jetzt auf die digitale Welt orientiert, denn klar ist auch, es kann jeder Rundfunk machen heutzutage. Viele junge Menschen haben ihren eigenen Youtube-Kanal. Das zentrale Kennzeichen von Rundfunk, das immer noch im Staatsvertrag steht, ist, dass Rundfunk live zu passieren hat, also dass es ein lineares Angebot ist, das genau in der Zeit, in der es aufgenommen wird, auch ausgesendet wird.

Deswegen sind viele Youtuber, Gamer und ähnliche Medienproduzentinnen und -produzenten in den letzten Jahren unter die Rundfunkzulassungspflicht gefallen, und das hat doch unter vielen Menschen, die im Internet unterwegs sind, für Verwirrung gesorgt. Warum sollte ein 16-Jähriger, der jeden Tag ein Livevideo bei Youtube reinstellt und dafür viele Follower hat, eine Rundfunklizenz beantragen? – Das war aber bisher so. Jetzt ist es mit dem neuen Medienstaatsvertrag gelungen, diese Hürde deutlich zu senken. Jetzt muss nur noch jemand, der durchschnittlich mehr als 20 000 Nutzerinnen und Nutzer für seine Liveangebote hat, eine Rundfunklizenz beantragen.

Wo liegt jetzt das Problem bei diesem Medienstaatsvertrag? – Das Problem liegt darin, dass wir immer noch die alte Rundfunkdefinition haben, und die wird nicht mehr lange haltbar sein. Das heißt, lineare Angebote spielen zunehmend weniger eine Rolle, also Liveübertragungen und Liveangebote. Wer sich mal umguckt bei den Öffentlich-Rechtlichen und das vergleicht mit Videostreamingdiensten wie Netflix, wird feststellen, dass sich die Mediatheken und Netflix kaum noch unterscheiden, sowohl im Angebot als auch im ganzen Layout und in der Nutzung. Das heißt, wir werden in Zukunft dazu kommen müssen, dass wir ein integriertes Medienrecht bekommen, das tatsächlich der digitalen Wirklichkeit gerecht wird, und da müssen alle Angebote rein, denn klar ist auch, wir werden in Zukunft natürlich Medienkonzentrationen in

(Katrin Schmidberger)

verstärkter Form haben. Wir hatten im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien den Vorsitzenden der „Bild“-Chefredaktion, Herrn Reichelt, da, und er hat uns erzählt, wie die Strategien aussehen. „Bild“ will natürlich in Zukunft verstärkt Fernsehen machen und läuft derzeit aber unter Presseangebot. Die Frage, was Presse ist, was Rundfunk ist und was Internet ist, das wird sich in Zukunft gar nicht mehr so klar unterscheiden lassen. Das wird alles in eins übergehen. Wir müssen es natürlich trotzdem schaffen, dass wir dort keine Konzentration, sondern Transparenz reinbekommen. Ein Nutzer, eine Nutzerin sollte wissen, wer das ist, der das Angebot dort digital im Internet überträgt, denn wir haben zukünftig und auch jetzt schon Anbieter, die, zum Beispiel wie Russia Today, von Staaten finanziert werden und trotzdem im Prinzip Fernsehen machen, hier aber keine Rundfunklizenz haben, würden sie vermutlich auch nicht bekommen. Das ist das Problem, womit wir umgehen müssen.

[Ronald Gläser (AfD): Darum geht es doch!]

Darum geht es doch. Das ist das Problem, womit wir umgehen müssen, dass diese ganzen Dinge in Zukunft ineinandergreifen und der etablierte Rundfunkbegriff uns da nicht mehr weiterhilft.

Das heißt, nach dem Staatsvertrag ist vor dem Staatsvertrag. Die Verhandlungen zu einem neuen Medienrecht in der digitalen Welt müssen jetzt starten. Wir werden den Staatsvertrag natürlich so verabschieden, wie es immer ist mit Staatsverträgen – die verhandeln die Landesregierungen miteinander –, aber wir werden weiterkommen müssen.

Es gibt natürlich genug Kritik aus der Internetszene, die sagen: Wir müssen eigentlich versuchen, jetzt schon weiterzugehen, denn die Entwicklung ist so rasend im digitalen Bereich, dass der Staatsvertrag, wenn er denn verabschiedet ist, schon veraltet ist. Deswegen müssen wir heute anfangen, neu darüber zu reden, wie wir das regulieren wollen, damit wir morgen nicht in einer Welt aufwachen, wo große Medienkonzerne unser Internet bestimmen. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Bernd Schlömer (FDP)]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Goiny das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben es in den letzten Jahren öfter, dass die Medienstaatsverträge, die hier zwischen den Ministerpräsidenten verhandelt und von uns dann beschlossen wer

den, der technischen Entwicklung im Medienbereich in vielerlei Hinsicht hinterherhinken. So ist es natürlich auch hier. Mein Kollege hat das gerade schon deutlich gemacht. Gleichwohl ist es natürlich richtig, diesen Staatsvertrag zu beschließen.

Wir erkennen immer wieder bei der Diskussion über die Neuordnung, die Ordnung des Medienrechts, dass sich die Situation dramatisch über die letzten Jahre verändert hat. Früher haben die einen ihre Print-Zeitungen gemacht, am Kiosk oder im Abo-Verkauf, die anderen haben lineare Rundfunk- und Fernsehangebote gemacht, und dann kam das Internet dazu, und alle sind jetzt in diesem Bereich unterwegs, treffen dort auf Leute, die erstmalig dort Angebote präsentieren. Die Frage, was da jetzt tatsächlich journalistische Qualität, was Unterhaltungsqualität hat, was eine private Präsentation von Inhalten ist, und wo am Ende auch journalistische Angebote sind, ist natürlich schwer zu fassen. Die Frage, wie man das regelt, kommt erschwerend dazu.

Da das Internet natürlich eine globale Angelegenheit ist, wofür wir uns auch immer wieder einsetzen und kämpfen – auch das ist unter Druck, aber eines der Vorteile –, muss man natürlich auch sehen, dass unsere nationalen Regelungsmöglichkeiten hier begrenzt sind. Deswegen ist es natürlich richtig, dass hier mit diesem Medienstaatsvertrag der Versuch gemacht wird, bestimmte Dinge zu greifen, zu fassen und zu strukturieren, denn es kann nicht sein, dass bestimmte Angebote nicht aufzufinden sind, dass bestimmte Anbieter diskriminiert werden. Wir diskutieren an anderer Stelle auch versuchte Beeinflussung, Russia Today ist eben schon genannt worden, aber auch Fake-News und bestimmte Gruppierungen aus dem Inland, die versuchen, Manipulation und Meinungsmache über das Internet zu verbreiten.

Wenn diese Entwicklung nun mal die Plattform ist, auf der sich immer mehr Menschen künftig auch im Bereich der Nachrichten informieren, dann ist es natürlich so, dass wir uns darüber unterhalten müssen, welche Regularien und Formalien wir hier beachten müssen.

Dabei gilt es für uns natürlich sicherzustellen, dass Meinungs- und Pressevielfalt gewährleistet werden, dass das Internet auch ein Ort des freien Austausches und des Diskurses bleibt, aber natürlich auch hier nicht alles möglich ist, was insbesondere in die Rechte Dritter eingreift, was zu Straftaten aufruft oder selbst schon Straftaten darstellt beziehungsweise Menschen diskriminiert. In diesem Spannungsfeld führen wir natürlich auch die Diskussion über diesen Medienstaatsvertrag.

Ich sehe es in der Tat auch so: Dieser Staatsvertrag sollte nicht zu lange Bestand haben. – Herr Regierender Bürgermeister, wir appellieren in diesem Sinne auch an Sie, im Kreise Ihrer Kollegen und Kolleginnen zügig dafür zu sorgen, dass die Entwicklung, der wir mit diesem

(Tobias Schulze)

Staatsvertrag ja schon hinterherhinken, auch tatsächlich in einem neuen Staatsvertrag zu greifen versucht wird. Dafür gibt es heute sicherlich noch keine Patentlösung, keine Antworten, wie man das im Einzelnen regeln muss; aber ich glaube, es ist gerade die Herausforderung der Medienpolitik in diesen Zeiten, zwischen der Nutzbarkeit von technischen Angeboten, von Onlineangeboten auf der einen Seite und der Sicherung von Presse- und Meinungsvielfalt auf der anderen Seite und der Wahrung der demokratischen Grundrechte einen entsprechenden Spannungsbogen zu bauen.

In diesem Sinne würden wir uns auch als CDU-Fraktion an der weiteren Diskussion hier beteiligen und diesem vorliegenden Staatsvertrag zustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Halsch das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Insbesondere in Krisenzeiten wie jetzt bei Corona ist die neutrale Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender gefragt. Weit mehr als 18 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer alleine bei der Tagesschau um 20 Uhr sprechen an dieser Stelle eine eindeutige Sprache. Auch bei der RBB-„Abendschau“ und „Brandenburg aktuell“ erzielten wir Rekordquoten.

Fernsehen und Radio sind also die verlässlichen Informationsquellen für die Bürgerinnen und Bürger. Dennoch ist eine Modernisierung der Medienordnung in Deutschland nötig. Dabei wurde der Mittelpunkt folgerichtig auf den Artikel 1 des Medienstaatsvertrages gelegt mit dem Ziel, den Regelungsrahmen der digitalen Entwicklung und den veränderten Geschäftsmodellen und Nutzergewohnheiten anzupassen, denn Onlineangebote wie soziale Netzwerke und Medienplattformen haben sich etabliert.

Schwerpunkte der Regelung sind, ich gehe auch etwas ausführlicher darauf ein, weil sie für die Berlinerinnen und Berliner eine große Relevanz haben, erstens der Rundfunkbegriff – bei der Zulassungspflicht für Rundfunkanbieter werden die Regelungen so angepasst, dass viele Anbieter aufgrund geringer Reichweite von der Verpflichtung ausgenommen werden –, zweitens die Regulierung der Intermediäre – neu ist, dass Intermediäre, das heißt Suchmaschinen, soziale Netzwerke und User-generated-Content-Portale erfasst werden, und auch hier gelten Transparenzpflicht und Diskriminierungsverbot –, drittens die Plattformregulierung – künftig sollen alle Anforderungen verstärkt werden, und es werden nichtinfrastrukturgebundene internetbasierte TV- und

Radioplattformen durch internetfähige Endgeräte als neue Gatekeeper erfasst –, und schließlich viertens die Umsetzung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. Vergleichbare Rechtsvorschriften werden mithilfe der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Sie betreffen neben den Fernsehsendern nun auch Streaminganbieter oder Videosharingdienste. Außerdem wurden die Regelungen zur Werbeliberalisierung in den Staatsvertrag aufgenommen.

Der Medienstaatsvertrag sorgt jetzt für gleiche Spielregeln, leistet damit einen Beitrag zur Medienvielfalt und ist ein medienpolitischer Meilenstein. Die Länderchefs aller Bundesländer haben den Medienstaatsvertrag unterzeichnet, und mit der Freigabe durch die EU-Kommission ist ein weiteres Etappenziel erreicht.

Doch der Reformprozess muss weitergehen. Zum Medienstaatsvertrag haben alle Bundesländer eine Protokollerklärung abgegeben, in der sie zum Ausdruck bringen, dass es noch weiteren Reformbedarf gibt. Das betrifft neben dem Jugendmedienschutz, regionaler Vielfalt, Rundfunkzulassung und Medienkonzentrationsrecht auch die Barrierefreiheit. Mit einer gemeinsamen Erklärung haben sich die Beauftragten für die Belange der Menschen mit Behinderung im Januar 2020 an die Länderregierungen und Parlamente gewandt. Sie kritisieren, dass der Medienstaatsvertrag nach wie vor erhebliche Lücken bei der Barrierefreiheit von Medienangeboten aufweist. Besonders bei den privaten Anbietern gibt es einen großen Handlungsbedarf.

Aber es wurde ja bereits gesagt: Nach dem Staatsvertrag ist bekanntlich vor dem Staatsvertrag. Es wird weitere Verbesserungen geben müssen. Lassen Sie uns weiterhin konstruktiv und zielgerichtet daran arbeiten und heute zustimmen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Gläser das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zwangsbeitragszahler! Einige Aspekte wie die Gegendarstellung oder das Recht auf Kurzberichterstattung müssen in der Tat vom Staat geregelt werden und sind hier auch richtig geregelt.

Ich würde allerdings meinem Vorredner von der Linkspartei nur sofern zustimmen, als dass viele der Dinge, über die wir hier sprechen, bereits veraltet sind, wenn sie beschlossen werden. Wir sind alle gegen Monopole und

(Christian Goiny)

müssen etwas dagegen tun, aber das kann nur die Ultima Ratio sein, wenn es so etwas gibt. Ansonsten sollte sich der Staat aus dem Internet möglichst raushalten und diese Unternehmen machen lassen.

Aber genau das tun Sie nicht. Dieser Rundfunkstaatsvertrag wird jetzt ein Medienstaatsvertrag. Das hat Gründe; auch die Begrifflichkeit ist ja schon so. Sie wollen in Zukunft nicht mehr nur den Rundfunk kontrollieren – Sie wollen alle Medien kontrollieren. Darum geht es Ihnen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Deswegen halte ich diesen Medienstaatsvertrag für einen Anschlag auf die Pressefreiheit in unserer Stadt. Im Kern haben wir die Neudefinition des Begriffes „Rundfunk“, das haben wir eben gehört. Ich zitiere kurz aus dem 180Seitenkonvolut von Ihnen – mit Ihrer geschätzten Erlaubnis, Frau Präsidentin! – Da heißt es:

Rundfunk ist ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit … bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans mittels Telekommunikation.

Zitat Ende. – Das ist natürlich Unfug. Rundfunk heißt Rundfunk weil er über Funk übermittelt wird, ersatzweise über Satellit oder Kabel. Es musste natürlich in der Vergangenheit eine Regelung gefunden werden, mit der der Staat die begrenzte Zahl von Frequenzen irgendwie gerecht aufteilt. Aber im Internet brauchen wir das nicht. Deswegen brauchen wir auch keine Neudefinition des Rundfunkbegriffs, und wir brauchen keine staatliche Stelle, die Lizenzen vergibt. Im Internet kann jeder so viel streamen, wie er will, und so soll es auch bleiben.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Ein neunzehnjähriger Youtuber, der aus seinem Kinderzimmer heraus ein erfolgreiches Programm entlang eines Sendeschemas macht, wird genauso behandelt wie ProSieben oder der RBB. Das ist nicht gerecht.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Wir wollen die ganze Pressefreiheit für das ganze deutsche Volk. Das beinhaltet auch Verleger. Die müssen die Möglichkeit haben, ihren Geschäften nachzugehen. Natürlich können Sie jetzt sagen: Klar, jeder kann seine kleine Klitsche haben, seine Schülerzeitung herausgeben oder sein Stadtmagazin, wenn er keine Internetseite hat. – Aber der Punkt ist doch der: Jeder, der im Jahr 2020 als Verleger erfolgreich mit am Markt operieren will, der muss eine Internetseite haben, der muss Bewegtbilder haben, der muss auch irgendwelche Livebilder machen. Und dann tappte er in die Falle und muss um eine Lizenz betteln bei einer staatlichen Behörde. Das lehnen wir ab.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Ich zitiere aus dem Berliner Pressegesetz von 1965 – abermals mit Ihrer geschätzten Erlaubnis, Frau Präsidentin! –:

Die Pressetätigkeit einschließlich der Errichtung eines Verlagsunternehmens oder eines sonstigen Betriebes des Pressegewerbes darf nicht von irgendeiner Zulassung abhängig gemacht werden.

Ende des Zitats.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) – Bravo! von der AfD]