Sehr geschätzter Herr Simon! Unter geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, unter geschlechtlicher und sexueller Orientierung verstehen wir ganz eindeutig nicht die Förderung von Pädophilie. Ich verwahre mich dagegen, für die Koalition, für unsere Initiative Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt hier im Haus, und ich möchte bitten, dass Sie das zurücknehmen und sich für den Vorwurf entschuldigen, dass wir als Koalition Pädophile fördern und ihnen Vorschub leisten. Das geht gar nicht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Kühnemann!
Kühnemann-Grunow! Völlig richtig. – Ich habe nicht von der Initiative Sexuelle Vielfalt gesprochen, ich habe vom Jugendfördergesetz gesprochen;
[Melanie Kühnemann-Grunow (SPD): Noch schlimmer! – Zurufe von Regina Kittler (LINKE) und Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE)]
vom Jugendfördergesetz, das Sie vor einigen Monaten hier im Haus abgestimmt haben, über das wir im Ausschuss ganz ausführlich gesprochen haben. Im Jugendfördergesetz steht wortwörtlich drin: Es sollen alle sexuellen Lebensweisen gefördert werden. Alle. Das ist eindeutig – alle umfasst alles. Das ist ein Sündenfall, den Sie begangen haben, und ich werde mich dafür, das zu kritisieren, nicht entschuldigen.
[Beifall bei der CDU und der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Kay Nerstheimer (fraktionslos) – Regina Kittler (LINKE): Mein Gott, sind Sie ahnungslos!]
Herr Simon! Sexueller Missbrauch ist keine Lebensweise, keine sexuelle Lebensweise, sondern ein Straftatbestand.
So steht es auch nicht im Jugendfördergesetz geschrieben. Ich wundere mich sehr, was Sie da alles herauslesen können. Das Jugendfördergesetz – da waren Sie als einer der Ersten vorne dabei – ist ein ganz großer Wurf, den wir alle gemeinsam geschafft haben. Auch Sie haben zugestimmt, das Gesetz so, wie es ist, zu verabschieden.
Ich bin der Kollegin Kühnemann-Grunow dankbar für die Klarstellung. Ich bin wirklich etwas verwirrt, Herr Simon, was Sie heute hier treibt!
Der vorliegende Antrag ist Anlass für die inzwischen dritte Plenardebatte zu einem Thema, das das schwärzeste Kapitel der Kinder- und Jugendhilfe darstellt.
Übergriffe und sexuelle Gewalt, die Kinder und Jugendliche durch Pflegeväter und Pflegeeltern erfahren haben, die ihnen eigentlich Schutz bieten sollten, im Auftrag bzw. in der Verantwortung der Berliner Jugendämter von den 1970er-Jahren bis – wie wir inzwischen wissen – in die 2000er-Jahre hinein, das ist natürlich unverzeihlich und muss aufgearbeitet werden. Dass dieser Prozess nicht einfach ist, dürfte allen klar sein, und er hat weit mehr als eine juristische Dimension, Herr Weiß!
Wir haben uns dazu hier im Plenum und auch im Fachausschuss mehrfach ausgetauscht, und wie in kaum einem anderen Fall waren wir uns von Anfang an einig in der Verurteilung des Vergangenen, im Willen um die Aufklärung und Wiedergutmachung, soweit Letzteres überhaupt möglich ist. In der Koalition bestand auch immer Konsens, dass erlittenes Unrecht und das Leid der Betroffenen nicht politisch zu instrumentalisieren sind.
Das kann ich im Sinne von Prozessqualität in der Aufarbeitung der antragstellenden Fraktion nur nahelegen. – Was Sie hier treiben, ist nicht hilfreich in der Sache.
Der Senat hat sich in dieser Legislaturperiode ernsthaft und mit großem Engagement der Aufklärung dieses Unrechts verschrieben. Nachdem eine erste Untersuchung mehr oder weniger unbefriedigend geblieben war, hat der Senat eine Expertengruppe der Universität Hildesheim
mit der Aufarbeitung beauftragt. Seit Juni dieses Jahres liegt der Abschlussbericht vor und kann handlungsleitend wirksam werden. Die Senatorin hat x-mal erklärt, dass das Land Berlin die Verantwortung für das erlittene Unrecht übernimmt. Mit diesem Antrag unterstellen Sie wieder, der Senat verschleiere, verhindere eine Aufklärung und entziehe sich der Verantwortung.
Jetzt habe ich nur noch 60 Sekunden Redezeit, weil Herr Simon hier Unsinn geredet hat. – Der Senat hat bereits Konsequenzen aus den Handlungsempfehlungen gezogen, die der Aufarbeitungsbericht uns nahelegt. – Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang Ihr lautes Gezeter und Anträge in Serie, die suggerieren, dass Senat und Koalition nur ein paar Punkte abarbeiten müssten, und dann sei alles wieder gut.
In der Erklärung der Betroffenenvertreter aus Anlass der Vorstellung des Abschlussberichts verweisen diese unter anderem darauf, dass sie dankbar seien für ein Angebot von Gesprächen mit Vertretern der Koalition. Ich will unser Angebot an dieser Stelle erneuern. Meine Kollegin Burkert-Eulitz hat einen guten Kontakt zu den Betroffenen. Wir denken, dass wir in diesem Sinne weitere gute Gespräche führen können. Dass der ganze Aufarbeitungsprozess für die Betroffenen ebenso schwer ist, wie Gespräche zu führen, das haben sie selbst erklärt, und das können wir nachvollziehen. Auch das sollten wir bei der Befassung mit dem Antrag im Ausschuss weiterhin berücksichtigen. Vielleicht offenbaren Sie uns dann auch, woher Sie Ihre Interna haben, damit wir alle mitreden können über das, was da angeblich mit der Finanzverwaltung läuft. Wir sind jetzt erst einmal im Bildungsausschuss aktiv. Es wird den Antragstellern weiterhin nicht gelingen, Unruhe zu stiften und die Koalition vom Wege der Empathie und der Sachlichkeit abzubringen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kentler-Experiment, bei dem schutzbefohlene kleine Kinder pädophilen Straftätern anvertraut und dort sexuell missbraucht wurden, ist für mich eines der widerlichsten Skandale im Nachkriegsdeutschland. Ich glaube, es gibt kaum etwas Schlimmeres, was man einem Kind antun
kann. So etwas zerstört Leben. Das muss man sich jedes Mal vor Augen führen, wenn man darüber spricht. Das zerstört Leben, und das werden diese Menschen ihr Leben lang nicht loswerden, egal wie hoch die Entschädigung ist, die wir ihnen zahlen. Egal wie wir uns verhalten – diese Leben sind nachhaltig zerstört, und die Opfer werden diese Eindrücke nie wieder loswerden. Sie brauchen Unterstützung von Psychologen und auch ein Zeichen des Landes Berlin, dass man diese Schuld eingesteht, dass man ihre Anliegen ernst nimmt und dass man sie dabei unterstützt, diese schlimmen Umstände, die sie im Namen des Landes Berlin erfahren haben, zu bewältigen.
[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Antje Kapek (GRÜNE)]
Sie wissen alle, dass ich mich mit großer Vorliebe mit Frau Senatorin Scheeres streite und sie schon fast hobbymäßig kritisiere. Aber in diesem Punkt ist es nicht richtig, so starke Kritik zu üben, wie die Kollegen der AfD das tun. Denn ich habe Frau Senatorin Scheeres in diesem Punkt so erlebt, dass es ihr persönlich ein Anliegen ist, Aufklärung zu betreiben
und auf die Opfer einzugehen. Ich glaube ihr das. Als wir in der Fraktion Ihren Antrag beraten haben, habe ich gesagt, dass das zum Teil richtige Punkte sind, die Sie dort anführen. Aber vieles ist schon geschehen, vieles passiert schon. Wir werden Ihren Antrag in der weiteren Debatte mit einem Änderungsantrag begleiten. – Ich möchte bei diesem Punkt bitte keine Zwischenfragen haben, die ich sonst immer gerne annehme. – Herr Kollatz! Ich habe gesehen, wie Sie das getroffen hat, was der Kollege Weiß gesagt hat. Ich würde Sie einladen, vielleicht zwei Worte dazu zu sagen. Es steht Ihnen frei, sich zu Wort zu melden. Wir würden auf eine zweite Runde verzichten, nachdem Sie sich melden, um das richtigzustellen.
Wir denken aber, dass wir hier nicht die Krämerseele siegen lassen sollten, wenn es um die Entschädigungen geht. Vielmehr sollten wir eine angemessene Entschädigung zahlen. Ich hoffe, dass wir in diesem Hause einen Konsens erzielen können und da nicht auf den Cent schauen, sondern diesen Menschen das geben, was ihnen zusteht, was eine angemessene Höhe darstellt, wenn es diese denn überhaupt geben kann – bei dem Leid, das diesen Menschen auch im Auftrag des Landes Berlin widerfahren ist. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]