Protocol of the Session on October 1, 2020

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Außerdem wollen wir das gemeinsame Sorgerecht bei nicht verheirateten Eltern erleichtern. Dazu soll es künftig ausreichen, dass der Vater die Vaterschaft anerkennt und die Mutter dem zustimmt. Damit würde das derzeitige gestufte Verfahren entfallen.

Und so steht es auf Seite 11 des Referentenentwurfes auch. Also: Was soll jetzt dieser Antrag? Ich finde, er ist nicht nur hochgradig kurios, sondern auch überflüssig. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Torsten Schneider (SPD)]

Für die Linksfraktion hat das Wort Frau Abgeordnete Seidel. – Bitte schön!

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Eine Reform des Sorge- und Umgangsrechts ist seit Jahren in der Debatte, und nun gab es Ende des vergangenen Jahres die besagte Empfehlung einer Arbeitsgruppe des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, die unter anderem vorgeschlagen hatte, bei anerkannter Vaterschaft unverheirateten Vätern automatisch ein Sorgerecht einzuräumen. Das macht uns fassungslos. Zum Glück ist es aber so, dass die zuständige Justizministerin, Christine Lambrecht, SPD, nicht gedenkt, dieser Empfehlung zu folgen. Ich sage dazu: Respekt vor dieser Entscheidung für flexible und auf den Einzelfall passende Regelungen und gegen den Automatismus, und ich sage auch Danke!

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Frau Lambrecht befindet sich damit in Übereinstimmung mit verschiedenen gesellschaftlichen Kräften, wie dem Deutschen Juristinnenbund, dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter, dem Kinderschutzbund und anderen, die einen solchen Automatismus anzweifeln oder ablehnen und das aus guten Gründen.

Neben allen juristischen Argumenten dafür und dagegen – und da gab es in den letzten Jahren auch diverse richterliche Entscheidungen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – geht es doch eigentlich um das, was für das Kind das Beste ist, eben um das viel

bemühte Kindeswohl. Es gibt genügend Konstellationen, bei denen eine gemeinsame elterliche Sorge nicht dem Kindeswohl entspricht, beispielsweise – Herr Kohlmeier hat schon darauf hingewiesen –, wenn sich die Eltern nicht kennen, wenn es Gewalterfahrung gibt oder sogar eine Vergewaltigung vorliegt oder wenn in einer Beziehung schon vor der Geburt andauernde Streitigkeiten vorherrschen. Beim automatischen Vatersorgerecht würden vermutlich die Familiengerichte noch mehr zu tun bekommen, und der Alltag der betroffenen Familien würde noch schwieriger sein.

Dort, wo sich Eltern einig sind, wo sie gut miteinander kooperieren, wird die gemeinsame Sorge im Alltag gelebt. Eltern entscheiden in der Regel gemeinsam – ob mit oder ohne Trauschein. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter gibt an, dass über 91 Prozent der Eltern im Jahr der Kindesgeburt durch Heirat oder gemeinsame Sorgeerklärung die ganz bewusste Entscheidung treffen, gemeinsam für das Kind Sorge tragen zu wollen. Wo das nicht der Fall ist, hat das seine guten Gründe. Die gelebte Praxis ist also dieser rückwärtsgewandten Forderung der AfD weit voraus.

Was hingegen sehr viel häufiger der gesellschaftlichen Realität entspricht, sind Väter, die nach der Trennung nicht mehr greifbar sind. Wir sehen das regelmäßig auch bei den Haushaltsberatungen, wenn es um die Unsummen für den Unterhaltsvorschuss geht. Was ebenfalls der gesellschaftlichen Realität entspricht ist die Tatsache, dass es nach wie vor eine Sorgelücke zwischen den Geschlechtern gibt. Frauen wenden durchschnittlich täglich anderthalb Stunden mehr für die Sorgearbeit auf als Männer. Dieser Gender-Care-Gap beträgt damit

25 Prozent, in Paarhaushalten mit Kindern sogar 83 Prozent. Hier gilt es, Veränderungen voranzubringen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Was die Verfechter des automatischen Vätersorgerechts auch völlig außer Acht lassen, sind die Rechte der Kinder. Ich darf den Verband Evangelischer Frauen in Hessen und Nassau mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren: Gemeinsam verbrachte Zeit von Kindern und Eltern ist ein Recht des Kindes gegenüber seinen Eltern und nicht ein Recht der Eltern an ihrem Kind. Und worum es hier auch geht, ist doch die Frage, worauf Familie sich gründet, das Familienbild in der Gesellschaft. Und das, was Sie hier präsentiert haben – – Ich meine, eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Vater und Kind, zwischen Eltern und Kind ist die notwendige und unverzichtbare Voraussetzung für die gemeinsame Sorge nicht verheirateter Paare.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tabor?

(Roman Simon)

Nein! – Elternschaft ist schon lange nicht mehr nur biologisch definiert. Familie ist nicht mehr nur ein biologisches Verwandtschaftsverhältnis, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft. Nach dem Kulturverständnis dieser Koalition lautet das wie folgt – ich darf aus dem Koalitionsvertrag zitieren –:

Familie ist da, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, unabhängig von Anzahl, Geschlecht und Alter. Die Koalition schafft für die rechtliche Anerkennung und Behandlung unterschiedlicher emanzipatorischer Familienmodelle die Rahmenbedingungen.

So herum wird ein Schuh draus.

Klar ist für uns: Eine Bundesratsinitiative im Sinne der AfD brauchen wir natürlich nicht. Wir sollten alles in unserer Stadt dafür tun, Mütter und Väter dabei zu unterstützen, gute Eltern zu sein, und im besonderen Fokus sollten wir dabei Mütter und Väter haben, die allein Sorge für ihre Kinder tragen. Die Koalition hat die Entwicklung eines Familienfördergesetzes auf den Weg gebracht, das genau das im Blick hat und das wir hoffentlich mit Unterstützung aller demokratischen Kräfte in diesem Hause noch in dieser Wahlperiode verabschieden werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der FDP hat das Wort Herr Abgeordneter Fresdorf.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Ein Tag im Jahr 2010 veränderte mein Leben grundlegend. Das war der Tag, an dem meine Tochter geboren wurde. Und einen zweiten Tag gab es im Jahr 2013: Da wurde mein Sohn geboren. – Es war mir immer schon klar, dass es etwas ganz Besonderes ist, Kinder zu haben, aber, ich glaube, so richtig klar wird es einem erst, wenn man diese kleinen Wesen das erste Mal im Arm hält

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU und der AfD – Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

und wenn man ihnen dann verspricht: Ich werde immer auf dich aufpassen, ich werde immer für dich sorgen und immer für dich da sein. – Und ich hatte das große Glück, dass ich zur Geburt meiner Kinder verheiratet war und dadurch automatisch das Sorgerecht für meine Kinder bekommen habe.

Nun gibt es verschiedene Situationen, wo es nicht so ist. Da muss es auch nicht immer der „böse“ Mann sein, es

gibt ja auch durchaus Frauen, die mal böse sind und einem Mann vielleicht etwas Böses tun wollen, indem sie ihm das Kind entziehen. Es gibt auf beiden Seiten in Beziehungen, denke ich, Gut und Böse. Das ist, glaube ich, geschlechtsunabhängig. Darum muss man auch für eine gewisse Rechtssicherheit sorgen, und es ist wichtig, dass ein Gesetzgeber so etwas tut.

Die Regelungskompetenz dafür liegt allerdings im Bund. Die sehe ich bei uns überhaupt nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern dafür ist der Deutsche Bundestag da, der ist dafür gewählt, und dort hat sogar die AfDFraktion Plätze. Also können Sie dort ja auch Gesetzesinitiativen starten und dann adressatengerecht Gesetze einbringen. Das müssen Sie dann hier nicht tun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD! Das ist ein bisschen Schaufensterantrag, was Sie gerade hier tun, denn wir alle bekommen E-Mails von Vätern. Das ist ja ein großes Netzwerk; das weiß ich auch. Auch ich bekomme diese E-Mails, und ich verweise die dann an die Bundesebene. Das wäre für Sie auch ein richtiger Schritt gewesen. Aber ich denke, wir müssen uns trotzdem mit dem Thema auseinandersetzen, denn – zwei Kollegen haben es schon gesagt – wir sehen immer, wie hoch die Haushaltsposten für Unterhaltsvorschüsse sind. Es gibt nämlich viele Väter, die den Unterhalt für ihre Kinder nicht zahlen, und das Land geht da in Vorleistung. Hier müssen wir gucken, wie wir besser werden und für die Kinder die Sorge besser ausüben können. Da haben wir im Land Berlin sicherlich noch das eine oder andere zu tun.

[Beifall von Sibylle Meister (FDP)]

Wir werden diesen Antrag im Ausschuss diskutieren. Das kann man sicherlich tun, denn da gibt es die eine oder andere Thematik, über die man mal sprechen kann und die sich sicherlich auf Berlin auswirkt. Sie erinnern sich wohl alle an eine prominente Trennung. Sarah und Pietro L. trennten sich, und es gab ein geflügeltes Wort, das durch Deutschland ging: Hauptsache, Alessio geht es gut! – Diese Eltern haben sich nur um das Wohl des Kindes gesorgt, und das ist leider nicht immer so. Wir müssen darüber sprechen, wie wir dafür sorgen können, dass wir immer das Wohl der Kinder im Blick haben und da dann auch die Eltern mal ein Stück zurücktreten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Torsten Schneider (SPD)]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Vandrey.

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Anders als diverse Herren vor mir, die vor allem aus

selbst erlebter Betroffenheit gesprochen haben, versuche ich das hier etwas sachlicher zu machen. Ich bin im Nebenjob ja noch Fachanwältin für Familienrecht und hoffe, Ihnen einen etwas vernünftigeren Überblick über dieses Thema geben zu können.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Die AfD redet in ihrem Antrag von vaterloser Kindheit. Vaterlose Kindheit – dieser Begriff ist schlicht polemisch und hat mit dem modernen Familienrecht aber auch gar nichts mehr zu tun. Alle Familienrichter und -richterinnen, ob progressiv oder konservativ, sind sich heute darüber einig, dass für ein gedeihliches Aufwachsen eines Kindes beide Elternteile erforderlich sind. Wichtig ist allerdings erst einmal, die Begriffe etwas zu sortieren, die in dem AfD-Antrag etwas durcheinandergeraten sind.

Das Sorgerecht besagt im Grunde vor allem, dass sich sorgeberechtigte Elternteile über sorgerechtsrelevante Fragen abstimmen müssen, beispielsweise über Kita- und Schulwahl oder wichtige medizinische Eingriffe. Viel wichtiger als das Sorgerecht als Ganzes, ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Teil des Sorgerechts ist, sowie vor allem das Betreuungsmodell, das Eltern mit den Kindern in der Praxis leben. Nicht umsonst geht die familiengerichtliche Rechtsprechung derzeit immer mehr Richtung Wechselmodell. Maßstab familiengerichtlicher Entscheidungen ist immer das Wohl des Kindes, nicht die vermeintlichen Elternrechte, weder Väterrechte noch Mütterrechte. Im Fokus stehen muss das Kind.

Familiengerichte betreiben heutzutage einen erheblichen Aufwand, um in jedem Einzelfall die beste Lösung für das Kind zu finden. Es werden Jugendämter angehört, Verfahrensbeistände bestellt, in vielen Fällen gibt es sogar Sachverständigengutachten – alles immer mit der Zielrichtung, für das Kind die möglichst beste Entscheidung zu haben und beide Elternteile so gut wie möglich zu erhalten. Wer da noch wie hier die AfD von einer „vaterlosen Kindheit“ redet, zeigt nur eines, nämlich dass er einem völlig veralteten Familienbegriff anhängt, der mit moderner Familienpolitik und dem Familienrecht heutzutage nichts mehr zu tun hat.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von Carsten Ubbelohde (AfD)]

Mit ihrem Antrag möchte die AfD nun ein gemeinsames Sorgerecht per Zwang ab Geburt des Kindes. Dies geht deshalb an der Realität von Familien vorbei, weil es heute schon ganz einfach ist, ein gemeinsames Sorgerecht zu haben. Die Eltern müssen nur einfach zusammen zum Jugendamt gehen und können völlig ohne Beteiligung des Gerichts eine Sorgeerklärung abgeben. Das machen heutzutage so gut wie alle unverheirateten Eltern, ungefähr 90 Prozent. Wir haben also in der Realität schon längst den Regelfall „gemeinsames Sorgerecht“.

Aber es gibt natürlich Ausnahmefälle, in denen ein zwangsweise verordnetes gemeinsames Sorgerecht gar nichts bringt. Bei hochstreitigen Elternverhältnissen oder von Gewalt geprägten Beziehungen bringt ein gemeinsames Sorgerecht gar nichts – nur eine zusätzliche Belastung des Kindes. Denn um sorgerechtsrelevante Fragen gemeinsam entscheiden zu können, muss man miteinander reden können. Eltern, die nicht reden können, sondern alles nutzen, um sich nur zu streiten, können kein gemeinsames Sorgerecht ausüben. Ergebnis ist dann nämlich, dass über jede sorgerechtsrelevante Frage vor den Gerichten über Jahre gestritten wird und das Kind zum Zankapfel wird.

Im Rechtsausschuss hatten wir als Koalition kürzlich einen Familienrichter eingeladen, der aus der Praxis berichtete. Ich habe ihn mal gefragt, ob er es nicht gut fände, vor Anrufung des Gerichts eine Elternberatung verpflichtend zu machen – ein Vorschlag, der zumindest diskutiert werden sollte. Auf der Hand liegt jedenfalls das Ergebnis: Das Angebot an Beratung ist auszubauen, auch das Angebot an Mediation. – Es heißt übrigens „Mediation“ und nicht, wie der Mensch von der AfD gesagt hat, „Meditation“. Das ist etwas anderes. –

[Heiterkeit bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der FDP]

Die Jugendämter, die seit Jahren an Personalmangel leiden, sind personell besser auszustatten. Eltern, die gut beraten werden, lernen nämlich, mit Konflikten besser umzugehen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tabor?

Gerne!

Bitte Herr Tabor, Sie haben das Wort!

Vielen Dank erst einmal, dass ich die Zwischenfrage stellen kann. – Ich bin der Mensch, der sich versprochen hat. Es ist schon interessant, dass Sie sich darüber lustig machen können, wenn man sich verspricht, aber okay.

[Anne Helm (LINKE): Sie können echt nicht einstecken!]

Ich will noch einmal Bezug nehmen auf Ihren Satz, dass unser Familienbild etwas veraltet sei und wir von Geburt an das Sorgerecht für die Väter haben möchten. Es wurde