Lassen Sie mich die Ausführungen meines Kollegen Hansel an der einen oder anderen Stelle ergänzen, insbesondere im Bereich Kultur. Das Diktum der Kanzlerin bei ihrer Aufzählung der Lockdownmaßnahmen am Donnerstag im Bundestag, wo sie sagte: Kulturveranstaltungen wird es nicht geben, hat die Kultur in Deutschland und Berlin bis ins Mark getroffen. Das Entsetzen bei Künstlern, Kulturschaffenden, Mitarbeitern der Kultur- und Veranstaltungsbranche ist auch drei Tage danach noch mit Händen zu greifen. Der Bundesverband Schauspiel hat bereits erklärt, dass ein kultureller Kahlschlag ohne Beispiel die Folge sein werde. Gerade viele kleine und nicht öffentlich geförderte Häuser würden diesen erneuten und völlig unnötigen Schlag vor den Bug nicht überleben.
Theater nun zu schließen, obwohl sie kein Risiko darstellten, sei weder sinn- noch maßvoll. – Die Entscheidung
der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten zeugt von einer bislang nicht für möglich gehaltenen Geringschätzung unserer kulturellen Einrichtungen. Die Tatsache, dass Theater, Opern und Konzerthäuser allen Ernstes von den obersten Repräsentanten unseres Staates mit Spielhallen und Bordellen als Freizeitvergnügungen auf eine Stufe gestellt wurden, hätte eigentlich im Land Goethes und Schillers zu einem Schrei der Entrüstung führen müssen.
Dass viele Theater und Betriebe in Hygienekonzepte und Lüftungsanlagen investiert haben, hat ihnen ebenso wenig geholfen wie die Unterstützungserklärung führender Virologen wie zum Beispiel von Prof. Willich von der Charité, der gar von einem Affront gegen die Kulturschaffenden sprach. Dabei ist die Stilllegung des Kulturbetriebs bis heute durch kein vernünftiges Argument gedeckt. Keine medizinische Studie legt sie nahe. Im Gegenteil: Noch am Donnerstag hat ein Forschungsteam der Hallenser Universitätsmedizin gezeigt, wie auch größere Veranstaltungen problemlos möglich gemacht werden können. Die Schließung der Bühnen wird von den Betroffenen daher verständlicherweise als reine Willkürmaßnahme ohne wissenschaftliche Evidenz, ohne Sinn und Verstand betrachtet. Aber in Coronazeiten steht offenbar nicht nur im Bereich Kunst und Kultur die rationale Güterabwägung nicht sehr hoch im Kurs, das Spiel mit der Angst dagegen umso mehr. Dabei ist Angst ein denkbar schlechter Ratgeber, wie wir alle wissen. Angst kann Menschen dazu bringen, ihre Freiheit Stück für Stück gegen vermeintliche Sicherheit einzutauschen. Dabei kann es hundertprozentige Sicherheit niemals geben. So sehr der Wunsch nach Eindeutigkeit, nach Sicherheit, nach unbeeinträchtigter Gesundheit verständlich ist, so sehr gefährdet er unsere freiheitliche Gesellschaft, wenn er absolut gesetzt wird.
Nur der Rechtsstaat, das Grundgesetz und die Wahrung der demokratischen Institutionen schützen uns vor dem willkürlichen Maßnahmenstaat und der Hysterisierung von Politik. Deswegen dürfen wir uns nicht an Grundrechtseinschränkungen gewöhnen, so maßvoll sie auch auf den ersten Blick daherkommen mögen. Nur wenn wir es schaffen, eine nüchterne und ehrliche Güterabwägung vorzunehmen, statt mit Ängsten Politik zu machen, werden wir unserem Anspruch als Repräsentanten des Volkes gerecht.
Eine Gesellschaft, die eine vollständige Disziplinierung, eine vollständige Kontrolle über das Virus anstrebt, wird totalitär. Die vollständige Kontrolle des Coronavirus kann daher kein vernünftiges Ziel von Politik sein. Dort, wo sie dennoch angestrebt wird, führt der Weg weg von den freiheitlich-demokratischen Grundlagen unseres Staates. Man muss kein Hellseher sein, um zu sehen, dass
Corona bereits jetzt genutzt wird, um unter dem Deckmantel der Coronabekämpfung das Koordinatensystem der Bundesrepublik Deutschland immer weiter zu verschieben.
Die soziale Marktwirtschaft ist schon jetzt kaum wiederzuerkennen. In rasendem Tempo geht die Schussfahrt Richtung Staatsfetischismus, Überregulierung und Umverteilung.
So wurde die Coronakrise zum Einfallstor für die Ausweitung der unverantwortlichen und unsozialen Geldpolitik der EZB und für neue Formen vertragswidriger Umverteilung innerhalb der EU.
Auch bei der Verschuldung von Bund und Ländern sind die letzten Hemmschwellen gefallen. Die wachsenden Schuldenberge beschneiden schon jetzt massiv die Zukunftschancen zukünftiger Generationen. Dabei geht es längst nicht mehr um vorübergehende Hilfestellungen, sondern um einen Umbau unserer sozialen Marktwirtschaft zu einer im besten Fall staatskapitalistischen, im schlimmsten Fall protosozialistischen Form der Wirtschaftslenkung.
Das sind selbstverschuldete Auswirkungen von Corona, die uns nicht weniger besorgen müssten als das Virus selbst. Wir müssen langsam aufpassen, dass wir nach Corona nicht in einer anderen Republik aufwachen.
Deswegen brauchen wir jetzt umso mehr eine Coronastrategie, die mit den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Einklang steht, und keinen Vierwochenaktionismus, mit dem wir unsere Freiheit, unseren Wohlstand und unsere Kultureinrichtungen aufs Spiel setzen.
Die Vorstellung allein: Jetzt noch vier Wochen Lockdown, und dann wird alles gut! – ist an Einfältigkeit nicht zu überbieten.
Was machen Sie denn, Herr Regierender Bürgermeister, wenn Weihnachten vor der Tür steht und sich die Lage nicht wesentlich entspannt hat? Ein Lockdown kann immer nur die Ultima Ratio sein, und Corona wird uns mit Sicherheit auch noch im Dezember und im kommenden Jahr beschäftigen. Deswegen ist es unverantwortlich, dass Sie jetzt Weihnachten als neues Framing ausgemacht
haben und mit Weihnachten wedeln, um den Lockdown durchzusetzen. Umso größer werden die Ernüchterung und die Enttäuschung der Berliner sein, wenn die Fallzahlen im Dezember hoch bleiben.
Nein, ich möchte im Zusammenhang ausführen. – So tragen Sie schon jetzt, Herr Regierender Bürgermeister, absehbar zur Demoralisierung der Bürger in dieser Stadt bei.
Was Berlin braucht, ist kein kurzfristiger Aktionismus, sondern es sind mittel- bis langfristig tragfähige Lösungen, die die Menschen nachvollziehen können. Nur so können wir die Berliner auch von einzelnen Einschränkungen überzeugen. Aber wir können unsere Stadt nicht auf Dauer lahmlegen. Deswegen appelliere ich an Ihre Vernunft: Stellen Sie die angekündigten Maßnahmen noch einmal auf den Prüfstand! Alle Anstrengungen müssen jetzt auf die Risikogruppen konzentriert werden. Die von Ihnen vorgeschlagenen darüber hinausgehenden Maßnahmen sind zum Großteil nicht nur nicht notwendig, sie sind auch nicht sinnvoll, da sie unverhältnismäßig und zum Teil sogar kontraproduktiv sind. Hören Sie endlich auf, wie schon in der Euro-Rettungspolitik und der Klimapolitik den Menschen Angst zu machen und ihnen einzureden, es gebe keine sinnvolle Alternative zu Ihrer Politik,
denn es gibt vernünftige Alternativen zur Schließung von Theatern, Opern und Konzerthäusern, Gaststätten, Restaurants, Sportplätzen und vielen anderen Einrichtungen!
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin! – Es gibt eine Alternative zum Auszehren der Kultur und dem massenhaften Sterben unzähliger Betriebe in dieser Stadt. Es gibt eine Alternative zum Lockdown. Diese Alternative liegt Ihnen in Form unseres wohlabgewogenen Änderungsantrags zu den aktuellen Verordnungen vor. Es ist eine Alternative für Deutschland.
Stimmen Sie unserem Antrag zu, und geben Sie den Berlinern die Hoffnung zurück! – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beginnt Herr Abgeordneter Wesener. – Sie haben das Wort, bitte!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Trefzer! Wenn man Ihnen zuhört, dann fragt man sich, wo die AfD-Fraktion in den letzten Monaten eigentlich war.
Ich will wie der Kollege Schneider an die Plenarsitzung vom 14. Mai erinnern. Da habe ich mich wie folgt eingelassen:
Ich finde, in einer parlamentarischen … Parteiendemokratie muss es ein Störgefühl auslösen, wenn eine Bundeskanzlerin und 16 Ministerpräsidentinnen Woche für Woche Entscheidungen treffen, die weitreichende Konsequenzen für jeden von uns haben, einschließlich der temporären Einschränkung von Grundrechten.
Dieses Störgefühl ist geblieben und seitdem bei vielen Menschen größer geworden. Sie fragen immer lauter nach der demokratischen Debatte und der parlamentarischen Kontrolle. Es ist deshalb gut, dass wir heute zusammenkommen, denn es zeigt, dass das Abgeordnetenhaus von Berlin weiß, was seine Aufgabe ist, und das ist an allererster Stelle, als Haus der demokratisch gewählten Repräsentanten der Menschen in dieser Stadt Ort der gesellschaftlichen Debatte und der demokratischen Meinungsbildung zu sein.
Herr Pazderski – Sie sind jetzt leider draußen –, wenn Sie heute einerseits behaupten, die Kanzlerin habe den Lockdown quasi im Alleingang durchgedrückt, und andererseits sagen, dass das alles hier, die Sitzung eines frei gewählten Parlaments, eine reine Showveranstaltung ist, dann zeigt das, wie doppelzüngig Sie unterwegs sind.
Aber es gibt noch eine zweite Aufgabe dieses Parlaments, nämlich die der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive einschließlich der Möglichkeit, dieser klare Vorgaben für ihr Handeln zu machen und damit auch unmittelbar Verantwortung zu übernehmen. Eben diese Erwartung steckt in der Forderung vieler in unserer Gesellschaft, das Parlament möge bei der Pandemiebewältigung stärker beteiligt werden.
Grundsätzlich, so scheint mir, reden wir über mindestens drei Möglichkeiten und Wege einer besseren Beteiligung des Parlaments an den Infektionsschutzmaßnahmen, wie sie in den vergangenen Monaten durch Verordnungen der
Da sind erstens die Rechte und Instrumente, die uns als Mitgliedern und Fraktionen im Abgeordnetenhaus bereits heute, Herr Pazderski, zur Verfügung stehen. Anders als in manch anderen Bundesländern muss der Senat nach Artikel 64 der Berliner Verfassung über von ihm erlassene Rechtsverordnungen in Form einer Mitteilung – zur Kenntnisnahme – unterrichten, sprich: diese den Abgeordneten vorlegen, und das, wie es in unserer Landesverfassung heißt, „unverzüglich“. Jede Fraktion oder eine Gruppe von mindestens zehn Abgeordneten kann diese Mitteilung an den zuständigen Ausschuss überweisen. Nach unserer Geschäftsordnung steht es übrigens auch jeder und jedem einzelnen Abgeordneten frei, zu einer solchen Vorlage den Senat schriftlich zu befragen – einschließlich einer verbindlichen Antwortfrist von zwei Wochen.
Von viel entscheidenderer Bedeutung dürfte in unserem Zusammenhang aber die parlamentarische Möglichkeit sein, auf die exekutiven Verordnungen in der Sache Einfluss zu nehmen. Die ist ebenfalls in unserer Geschäftsordnung festgeschrieben, und zwar in § 32 Abs. 5. Demzufolge kann ein Ausschuss empfehlen, Rechtsverordnungen aufzuheben oder zu ändern. Das Abgeordnetenhaus kann sich dem als Ganzes anschließen und damit ein entsprechendes Ersuchen an den Senat richten. Was kompliziert klingt und etwas umständlich wirken mag, hat dieses Haus unlängst schon einmal erfolgreich praktiziert. Ich erinnere hier an die Beschlussfassung des Rechtsausschusses vom 18. Mai anlässlich der Debatte um die pandemiebedingte Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Und ich erinnere an das Ergebnis dieser parlamentarischen Intervention. Der Senat hat seine Verordnung entsprechend angepasst und das stante pede,