Protokoll der Sitzung vom 05.11.2020

Drittens: Wir, die wir hier sitzen, aber auch unsere vielgerühmte Zivilgesellschaft, zeigen keine ernst zu nehmenden Reaktionen auf den radikalen Islamismus und die Gewalt, die er hervorbringt.

[Zuruf von Dr. Hans-Joachim Berg (AfD)]

Die Tötung eines schwarzen Polizisten in den USA im Mai hat in unserem Land Massenproteste gegen Rassismus ausgelöst. Wo aber waren die Proteste nach der tödlichen Messerattacke in Dresden durch einen Islamisten?

[Zurufe von der AfD]

Wo waren die Proteste, als der französische Lehrer Samuel Paty ermordet worden ist, nachdem er mit seinen Schülern über Mohammed-Karikaturen gesprochen hat?

[Anne Helm (LINKE): Vor der Botschaft! Vor der Botschaft waren die! – Ronald Gläser (AfD): Und wo war Merkel?]

Wo waren die Proteste, als ein Islamist in Nizza drei Menschen in einer Kirche ermordet hat, darunter eine 60jährige Frau, die enthauptet wurde?

[Anne Helm (LINKE): Vor der Botschaft, Herr Dregger! – Ronald Gläser (AfD): Wo war Merkel? – Georg Pazderski (AfD): Wo war denn Ihre Bundeskanzlerin?]

Befürchten diejenigen, die gegen Rassismus auf unsere Straßen gehen, dass Kritik am Islamismus als rassistisch missverstanden werden könnte? Dann ist es unsere Aufgabe, hier voranzugehen. Wir dürfen uns weder durch die Gewalttätigkeit des Islamismus noch durch die haltlosen Vorwürfe eines antimuslimischen Rassismus einschüchtern lassen und zu islamistischen Terrortaten schweigen.

[Marc Vallendar (AfD): Dann fangen Sie doch einmal an!]

Islamisten würden das als Schwäche und Ermutigung zum Weitermachen missverstehen, und das darf nicht geschehen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zur Aufrichtigkeit und zu politischer Führung gehört es auch, die Grundlage unbequemer Wahrheiten zu nennen und die notwendigen Entscheidungen anzumahnen. Wir müssen uns also fragen: Was ist zu tun? Was können wir tun? Was sind wir bereit zu tun? – Erstens, meine Damen und Herren von der Linkskoalition, ich möchte Ihnen hierzu einmal eine ganz einfache Frage stellen: Wer, glauben Sie, schützt unser Land und seine Menschen gegen terroristische Anschläge? Wer schützt das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit unserer Bürger?

[Marc Vallendar (AfD): Na, Frau Merkel nicht!]

Sind das Ihre Antidiskriminierungskohorten, die Sie jetzt auf Steuerzahlerkosten einstellen, damit sie sich mit einem von Ihnen fingierten, nicht existierenden Problem beschäftigen und unsere Sicherheitsbehörden mit sinnlosem Papierkram davon abhalten, ihren Job zu machen und die Terrordrohungen abzuwehren?

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Anne Helm (LINKE): Das eine gegen das andere auszuspielen, ist wirklich schäbig!]

Natürlich sind es nicht sie. Unser Land und unsere Bürger werden ausschließlich von unserer Polizei und unserem Verfassungsschutz geschützt. Anstatt unsere Polizei und unseren Verfassungsschutz zu stärken, entziehen Sie unserer Polizei und unserem Verfassungsschutz das notwendige Vertrauen und stellen sie auch noch unter einen gesetzlichen pauschalen Diskriminierungsverdacht. Das ist absurd.

[Beifall bei der CDU]

Das ist bei Weitem noch nicht alles. Immerhin haben Sie beschlossen – man höre und staune –, zum Zwecke der Abwehr terroristischer Gefahren die Telefonüberwachung gesetzlich zu ermöglichen. Aber wissen Sie was? Nur für die guten alten Festnetzanschlüsse, weil sie keine Quellen-TKÜ erfordern. Nun frage ich Sie: Welcher terroristische Gefährder organisiert seine Anschläge über Festnetzanschlüsse? Die wissen gar nicht mehr, was das ist. –

[Anne Helm (LINKE): Der versteht aber auch gar nichts!]

Sie wollen mit den Mitteln des letzten Jahrhunderts die Terrorgefahren des 21. Jahrhunderts bannen. Da lachen die Gefährder Sie doch aus. Die nehmen Sie gar nicht ernst. Daher fordere ich Sie auf: Geben Sie unserer Polizei die gesetzlichen Befugnisse, die digitale Kommuni

kation terroristischer Gefährder zu überwachen, um Gefahren zu erkennen und abzuwehren!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Marcel Luthe (fraktionslos)]

Erkennen Sie und benennen Sie den Islamismus als verfassungsfeindlichen Extremismus! Setzen Sie den Verfassungsschutz auf diese Feinde der Demokratie an!

[Benedikt Lux (GRÜNE): Machen wir doch!]

Das sind wir insbesondere den muslimischen Befürwortern von Freiheit und Demokratie schuldig, deren Religionsfreiheit wir gewährleisten wollen. Erlauben wir es dem politischen Islam nicht, unsere Gesellschaft zu spalten, so wie das der türkische Präsident versucht! Unterscheiden wir zwischen den Vertretern des Islamismus, die den deutschen Muslimen einzureden versuchen, dass freie Europa führe einen Kreuzzug gegen den Islam, und auf der anderen Seite den vielen, rechtschaffenen Muslimen, die unser Land lieben, denen unser Land zur Heimat geworden ist und die sich für unser Land engagieren. Wenn wir hier nicht differenzieren, dann erfüllen wir das Werk der Islamisten. Das dürfen wir nicht zulassen!

[Marc Vallendar (AfD): Wie viele Berliner Türken haben noch mal Erdoğan gewählt?]

Fünftens: Ermöglichen Sie die wissenschaftliche Erforschung der personellen, finanziellen und strukturellen Verflechtungen des politischen Islams in Deutschland und im Ausland und machen Sie diese transparent. Stärken Sie die Präventionsarbeit gegen islamistischen Extremismus, insbesondere an unseren Schulen. Lassen Sie uns entschieden dagegen vorgehen, dass junge Menschen von Rattenfängern angeworben werden können.

Abschließend: Es geht um viel. Es geht auch darum, dass wir das schwindende Vertrauen in die Durchsetzungsfähigkeit unseres demokratischen Rechtsstaates zurückgewinnen, gerade hier in Berlin.

[Zuruf von Katalin Gennburg (LINKE)]

Gelingt das nicht, werden wir über kurz oder lang Menschen an die politischen Ränder verlieren. Mit immer gleichen Worthülsen allein werden wir das nicht verhindern,

[Karsten Woldeit (AfD): Die schon gar nicht!]

sondern das erfordert einen klaren politischen Willen, das Problem des politischen Islamismus anzuerkennen, zu benennen und mit den von mir aufgezeigten Maßnahmen zu lösen. Solange Sie dazu nicht bereit sind, solange möchte ich von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, keine Sonntagsreden mehr hören,

[Zuruf von Anne Helm (LINKE)]

denn dann bleiben Ihre Worte unglaubwürdig.

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Wenn Sie aber bereit sind, die Wirklichkeit zu erkennen, zu benennen und den Islamismus mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen, dann haben Sie uns an Ihrer Seite. – Herzlichen Dank!

[Anhaltender Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion Die Linke folgt jetzt Frau Kollegin Helm. – Bitte schön! – Die Kollegin hat angesagt, keine Zwischenfragen.

[Kurt Wansner (CDU): Wir werden ja sehen, was nachher Herr Geisel sagt!]

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren! Ich nehme an, wir sind alle immer noch erschüttert von dem schrecklichen Anschlag in Wien, und besonders beunruhigend ist, dass er sich in eine Welle islamistischer Gewalttaten im Namen des IS einreiht: in Paris, in Nizza, in Dresden und in Kabul, lassen Sie uns das nicht vergessen. Sie alle eint das verstörende Zurschaustellen abscheulicher Gewalt. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer, den Verletzten, die zum Teil immer noch um ihr Leben ringen, all den Traumatisierten. Wir trauern gemeinsam um die Opfer.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Solidarität ist in diesen schweren Stunden wichtig. Sie hilft den Betroffenen von Terror und Gewalt bei der Aufarbeitung des Geschehenen und kann auch oft ein bisschen von dem verlorengegangenen Sicherheitsgefühl zurückgeben.

Aber wir sind in der Verantwortung, es nicht bei bloßen Bekenntnissen und symbolischen Akten zu belassen, sondern den Terror und vor allem die ihm zugrunde liegende Ideologie entschlossen zu bekämpfen. Dazu gehört, dass wir jetzt natürlich religiöse Einrichtungen noch besser schützen müssen. Wir haben einen Schwerpunkt gesetzt bei der besseren Ausstattung der Polizei, bei Terrorabwehrtrainings und der Vorbereitung darauf – meine Kollege Zimmermann hat dazu schon ausgeführt. Es gehört aber auch dazu, dass wir dort intervenieren, wo Radikalisierung und Rekrutierung durch Islamisten stattfindet, auch im Netz. Dafür müssen wir diesen potenziellen Zielgruppen, die von denen angesprochen werden – auch dazu hat Herr Kollege Zimmermann schon ausgeführt, wer dafür potenziell empfänglich ist –, das Rüstzeug in die Hand geben, diese Strategien zu erkennen und sich dagegen zu wehren.

Aber wir können natürlich aus Berlin heraus diese Probleme nicht alleine lösen. Gegen internationalen Terror helfen nur globale Ansätze. Dementsprechend wären die

(Burkard Dregger)

Bundesregierung und unsere europäischen Partnerinnen und Partner gut beraten, die Ursachen von Terror weltweit zu bekämpfen. Davon gibt es leider sehr, sehr viele. Nehmen wir den Krieg in Syrien, der immer noch andauert, auch wenn das in Deutschland mittlerweile weitestgehend unbeachtet bleibt oder sogar geleugnet wird. Man kann inzwischen nur noch unter Schwierigkeiten alle Autokraten aufzählen, die dort um der eigenen Machtinteressen willen tagtäglich Menschen ermorden lassen. Assad jagt unter beträchtlicher Mithilfe Putins die letzten Reste der Opposition, während auf der anderen Seite Erdoğan einen Krieg führt, zu dem sich die NATO beispielsweise überhaupt nicht verhält. Unser Außenminister könnte sich gegen den Krieg in der Region um Bergkarabach stellen und Verhandlungen anführen oder er könnte die Verkäufe von Waffen an Saudi-Arabien verhindern, an denen dann islamistische Terrorkämpfer ausgebildet werden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Er hätte sich auch dafür einsetzen können, die kurdische YPG im Kampf gegen die islamistischen Banden Erdoğans zu unterstützen. Aber all das ist nicht geschehen.

Stattdessen wird wieder einmal der Ruf nach ausufernden Befugnissen für die Geheimdienste und dem Aufblähen ihrer Apparate laut. Wem das als einzige Antwort auf die islamistische Bedrohung einfällt, der hat aus der jüngeren Geschichte des internationalen Terrors und der Geheimdienste nichts gelernt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]