Protokoll der Sitzung vom 05.11.2020

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir müssen stattdessen zuallererst die Betroffenen unterstützen und stärken. Wir dürfen nicht vergessen, dass der weit überwiegende Teil der Menschen, die dem Islamismus zum Opfer fallen, selbst Muslime sind. Diesen Menschen müssen wir zuhören und wir müssen sie ernst nehmen. Viele Geflüchtete, die beispielsweise während der iranischen Revolution 1979 nach Deutschland geflohen sind, fühlen sich bei heute von der deutschen Gesellschaft alleine gelassen. Immer noch, nach 41 Jahren, verschwinden täglich im Iran Frauen, die sich des Kopftuchs entledigen und gegen das patriarchale Herrschaftssystem aufbegehren. Das müssen wir ernst nehmen. Das tun wir nur, indem wir nicht schweigen, sprachlos bleiben

[Zuruf von Christian Gräff (CDU)]

und nach jedem Anschlag, sofern er denn in Europa verübt wird, Lippenbekenntnisse von uns geben.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir müssen uns klar und deutlich gegen Islamismus und gegen Rechtsextremismus stellen, das ist unsere Pflicht als Demokratinnen und Demokraten. Denn beide Ideologien haben ähnliche Mechanismen und Strukturen, sei es

der Antifeminismus, der Antisemitismus oder die Verschwörungsmythen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): Lassen Sie doch mal den Baustein raus!]

Auch wenn es schwerfällt, das zu hören: Es ist so, dass beide Ideologien sich gegenseitig befeuern.

[Christian Gräff (CDU): In der Tat! Absolut!]

Nach jedem islamistischen Anschlag sehen sich die Rechten im Aufwind.

[Marc Vallendar (AfD): Das ist eure größte Sorge!]

Gleichzeitig sorgt die rassistische Ausgrenzung

[Zuruf von Katina Schubert (LINKE)]

junger Muslime dafür, dass der Boden bereitet wird für die Radikalisierung durch Islamisten. In den Grauen Wölfen, die sowohl in Wien als auch in Berlin sehr stark sind, finden wir beide Ideologien in einer Verschmelzung: völkischer Nationalismus und radikaler Islamismus. Frankreich will sie nun verbieten. Ich finde, diese Initiative sollten wir auch zumindest prüfen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Wir kommen in einer pluralistischen Gesellschaft nicht umhin, diesen Diskurs zu führen. Denn tun wir das nicht, wäre das ein fatales Signal an säkulare Muslime, die nicht nur unter der Pauschalisierung von rechts leiden, sondern so auch unsichtbar gemacht werden in ihrem eigenen Kampf um Freiheit und darin allein gelassen werden. Denn wer alle Musliminnen und Muslime der Terrorunterstützung verdächtigt, der redet der islamistischen Ideologie das Wort.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Von Krisen wie der, die wir gerade zu bewältigen haben, profitieren auch diejenigen, die die Gesellschaft spalten und destabilisieren wollen. In Zeiten existenzieller Ängste haben sie leichteres Spiel. Aussichtslosigkeit, Konkurrenzdruck und die Suche nach Sündenböcken spielen ihnen in die Hände. Und auch deshalb liegt es in unserer Verantwortung, den Menschen sichere Perspektiven zu bieten, die Ausgegrenzten in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen und denjenigen zuzuhören, die nicht die Macht haben, sich Gehör zu verschaffen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Das schaffen wir, wenn wir den Kampf gegen vorherrschende Unterdrückungsmechanismen aufnehmen und auch die soziale Frage stellen, statt Identitäten gegeneinander auszuspielen. Es ist unsere Aufgabe, sichere Strukturen für Menschen zu schaffen, die vom Islamismus verfolgt und bedroht werden, Menschen etwa, die aufgrund ihrer Sexualität oder ihres Geschlechts Re

pressionen erfahren. Das ist auch durch das Attentat auf zwei homosexuelle Männer in Dresden im Oktober wieder schmerzhaft deutlich geworden.

Gestatten Sie mir, den österreichischen Bundeskanzler, Sebastian Kurz, zu zitieren, Herr Präsident:

Wir werden nicht in die Falle der Täter tappen. Dies ist kein Kampf zwischen Christen und Muslimen oder zwischen Österreichern und Migranten. Dies ist ein Kampf zwischen den vielen Menschen, die an den Frieden glauben, und den wenigen, die sich den Krieg wünschen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich finde, da kann man durchaus dem Bundeskanzler Kurz applaudieren. Ich hoffe, dass es uns gelingt, diese Worte auch trotz Wut und Fassungslosigkeit im Bewusstsein zu behalten. Am Ende muss gelten, dass wir mit aller Konsequenz gemeinsam gegen jeden Antisemitismus, jeden Rassismus und Islamismus für eine freie Gesellschaft kämpfen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die FDP hat nunmehr Herr Fresdorf das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Wir verneigen uns vor den Opfern von Dresden, Nizza, Paris und Wien. Unsere Gedanken sind bei denen, die bei diesen feigen, widerlichen Anschlägen ihr Leben verloren haben. Unsere Gedanken sind bei denen, die bei diesen feigen, widerlichen Anschlägen jemanden verloren haben, der ihnen wichtig und teuer war. Unsere Gedanken sind bei denen, die durch diese feigen und widerlichen Anschläge traumatisiert wurden und noch viele Jahre mit diesem Trauma zu kämpfen haben werden.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Wir Berlinerinnen und Berliner haben es selbst erlebt, als auf dem Breitscheidplatz unsere Nachbarn Opfer islamistischen Terrors wurden. Wir haben es selbst erlebt, welche Folgen ein solcher Anschlag hat. Wir haben erlebt, was es mit Menschen macht, die dies mit anschauen mussten, die anderen Menschen geholfen haben, denen andere Menschen in ihren Armen gestorben sind. Dies ist grausam und zu verurteilen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Antje Kapek (GRÜNE)]

Es gibt keinen Finger breit Platz in der Stadt der Freiheit, keinen Finger breit Platz für Extremismus jedweder Couleur. Der Extremismus ist der Feind der Freiheit. Er ist der Feind der Demokratie, und er gehört bekämpft, wo es nur geht und wie es nur geht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Die schrecklichen Anschläge, die wir in den letzten Wochen erleben mussten, waren ein Angriff auf uns alle. Sie waren ein Angriff auf uns, die wir in einer toleranten Gesellschaft leben wollen, in einer offenen Gesellschaft, in einer freien Gesellschaft, in einer Gesellschaft, wo ich leben darf, wie ich möchte, wo ich lieben darf, wen ich will. Diesen Anschlag nehmen wir nicht hin.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Jeder von uns, oder sagen wir mal, viele von uns, sicher nicht alle, haben Freundinnen und Freunde muslimischen Glaubens in dieser Stadt. Das sind – für mich kann ich es sagen – feine, aufrechte Leute, die ich da kenne, die ihren Traum vom Leben in dieser Stadt der Freiheit leben wollen, die diese Taten genauso verabscheuen, wie wir es tun, und die es verurteilen. Diese Menschen, die wir auch lieben und schätzen, mit denen wir gerne auch unsere Zeit verbringen, werden jedes Mal besudelt, jedes Mal in den Schmutz gezogen, wenn ein islamistischer Terrorist andere Menschen mordet oder Terroranschläge begeht. Das muss uns immer bewusst sein. Diese Menschen leider genauso darunter wie wir. Wir haben in Wien das Beispiel von zwei jungen, türkischstämmigen Männern gesehen, die einen verletzten Polizisten unter Gefahr ihres Lebens in Sicherheit gebracht haben. Das war eine große Tat, und wir danken ihnen dafür.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der AfD]

Aber gerade weil dies so ist, dass sie immer in Mithaft gezogen werden – das ist leider so, das ist in der Natur des Menschen tief verwurzelt, dass man Menschen, die anders sind, in Kohorten einteilt und diese dann als eine Einheit betrachtet, die sie aber gar nicht sind –, ist die große schweigende Mehrheit der Muslime in Deutschland aufgefordert, sich dagegen aufzustemmen.

Stehen Sie auf! Werden Sie laut! Sagen Sie, nein, das ist nicht mein Islam! Nein, das ist nicht das, woran ich glaube! Ein wahrer Moslem darf nicht morden! Das ist das, was Sie tun müssen. Werden Sie laut in dieser Stadt! Und kommt ein Hassprediger in Ihre Moschee, werden Sie laut, teilen Sie das mit der Mehrheitsgesellschaft. Zeigen Sie Sachen an, die gegen die Verfassung, unsere gemeinsame Vereinbarung, wie unser Staatswesen in der

(Anne Helm)

Bundesrepublik Deutschland aufgebaut ist, verstoßen. Teilen Sie dies mit! Sie sind kein Verräter.

[Marc Vallendar (AfD): Dann muss man den Koran ändern!]

Sie sind ein Verfassungspatriot. Das gestehe ich Ihnen allen zu.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir dürfen es nicht weiter zulassen, und da ist gerade die große Gemeinde der Muslime in dieser Stadt gefordert, dass in Moscheen über Hass gepredigt wird. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Gleichstellung von Mann und Frau in irgendeiner Form relativiert wird. Das hat in der Stadt der Freiheit nichts zu suchen, und da sind Sie gefordert, laut zu werden.

[Beifall bei der FDP]

Wir müssen genau hinschauen, was in dieser Stadt passiert. Wir müssen genau hinschauen, welche Form von Extremismus es ist. Wir dürfen auf keinem Auge blind sein, weder auf dem linken noch auf dem rechten noch oben noch unten. Wir müssen einen Rundumblick haben, weil der Extremismus uns alle gefährdet, egal, welche Form er annimmt. Darum müssen wir uns auch damit auseinandersetzen, was der islamistische Terrorismus für eine Gefahr für uns darstellt, der Extremismus aus der Glaubensrichtung des Islam. Deshalb müssen wir auch schauen: Woher kommen die Finanzströme in den Moscheen? Wo kommt das Geld her? Wer fördert denn das Einfliegen von Hasspredigern in diese Moscheen? Da müssen wir einen Riegel vorschieben. Wir brauchen endlich ein vernünftiges Programm, islamische Gottesgelehrte in Deutschland auszubilden, und zwar auf dem Boden des Grundgesetzes. Wir brauchen in Deutschland ausgebildete Imame, die mit beiden Füßen auf dem Grundgesetz stehen und dann Toleranz und Vielfalt auch in den Moscheen predigen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Burkard Dregger (CDU)]

Es ist ein langer Prozess, vor dem wir stehen. Ich habe, ehrlich gesagt, den Zweifel bei dieser Koalition, dass wir alles Notwendige tun, um Extremismus aus allen Richtungen zu bekämpfen. Wir haben ein gestörtes Verhältnis zum Verfassungsschutz in dieser Koalition. Wir haben die Jugendorganisation der Grünen, die lieber Sozialpädagogen haben möchten als Polizisten, und das wird uns nicht helfen.

[Burkard Dregger (CDU): Genau! – Lachen bei der AfD]