Protokoll der Sitzung vom 19.11.2020

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Christian Hochgrebe (SPD)]

Es geht auch um nichts weniger als die Frage: Was für eine Polizei wollen wir eigentlich? – Jetzt werden in der folgende Rederunde sicherlich einige sagen, das wäre ein Anti-Polizei-Gesetz. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, was Sie gleich sagen werden, Herr Dregger. Und da sage ich: Nein, wir wollen eine andere Fehlerkultur in der Polizei. Wir wollen keine Kultur des Wegschauens.

[Stefan Evers (CDU): Eine Kultur der Denunziation!]

Wir wollen nicht, dass man sich in der Polizei einigelt, wenn es mal Probleme gibt. Wir wollen, dass Probleme offen angesprochen werden können, auch außerhalb des Dienstwegs. Natürlich wird das nicht immer bequem sein für die Berliner Polizei, aber nur, wenn man bereit ist, sich auch den Problemen zu stellen, und sich den Blick von außen nicht verwehrt, wird die Polizei in der Lage sein, sich zu verbessern. Deshalb sage ich: Das ist ein Polizeiverbesserungsgesetz.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Was manche wahrscheinlich als Angriff auf die Berliner Polizei bezeichnen, ist in anderen Ländern wie in Großbritannien, in Dänemark und in Belgien selbstverständlich. Ist dort die Polizei handlungsunfähig? Regieren dort Polizeifeinde? – Ich glaube nicht.

[Karsten Woldeit (AfD): Aber hier?]

Es geht auch nicht nur um Straftaten und Skandale. Auch unterhalb dessen soll ja die Stelle zum Dialog, zur Vermittlung zwischen Bürgern und Bürgerinnen und der Polizei und auch mit anderen Behörden beitragen – durch Gespräche, durch Informationsaustausch und auch durch die Annahme von Petitionen. Dafür ist die Funktion des Bürgerbeauftragten da. Auch die ist neu in Berlin. Es ist

eine Art verlängerter Arm des Petitionsausschusses. Ich bin sehr gespannt, wie diese neue Stelle angenommen wird. Ich glaube, das kann zur Stärkung des Petitionsrechts beitragen.

Wir haben zu unserem Gesetzentwurf auch verschiedene Expertinnen und Experten im Innenausschuss angehört. Ich finde bemerkenswert, dass für diese uralte linke, bürgerrechtliche Forderung mittlerweile auch innerhalb der Polizei eine Offenheit besteht. Das war ja nicht immer so. Da gab es lange eine vehemente Abwehrhaltung, ein großes Misstrauen bei den Polizeigewerkschaften und im Polizeiapparat. In der Anhörung hat man gemerkt, dass keiner mehr bis auf Rainer Wendt – unseren lieben Freund Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft – diesen Polizeiabwehrkampf führt. Alle außer ihm haben erkannt, dass das einen Mehrwert für die Polizei bedeuten kann, und das ist wirklich eine gute Entwicklung.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

In der Anhörung kamen dankenswerterweise auch viele wertvolle Anregungen und Kritikpunkte, von denen wir viele aufgenommen haben. Ich möchte hier noch einmal einige nennen: Der Petitionsausschuss hier im Haus behält seine Entscheidungshoheit über die eingegangenen Petitionen. Er kann entscheiden, wann der oder die Bürgerbeauftragte hinzugezogen wird und wann nicht. Wir haben die Datenschutzregelungen präziser und strenger im gesamten Gesetz gefasst. Wir haben die Frist verlängert, nach der ein Vorgang eingereicht werden kann. Es kann ja Vorfälle geben, bei denen sich Betroffene aus verschiedenen Gründen erst spät mit ihrem Anliegen melden oder es sogar erst spät zur Kenntnis nehmen können – siehe Schießtrainer-, Schießständeproblematik. Und ganz wichtig: Wir haben die Möglichkeit geschaffen, auch anonyme Eingaben bei dem oder der Polizeibeauftragten zu machen. Das haben auch Vertreter und Vertreterinnen aus der Polizeigewerkschaft, aus der GdP beispielsweise, angeregt, weil es einfach besser ist, eine niedrige Hemmschwelle zu haben, falls jemand Angst vor beruflichen Folgen in so einem Fall hat. Also die Anhörung hat uns geholfen, das Gesetz noch besser zu machen. Vielen Dank dafür an alle Beteiligten!

[Beifall bei der LINKEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich möchte mich an dieser Stelle auch noch mal ganz herzlich bei den Kollegen Frank Zimmermann und Benedikt Lux bedanken und auch bei Herrn Senator Geisel und seiner Verwaltung, die uns dabei beraten haben. Das war eine gute, offene Zusammenarbeit, und es ist uns gelungen, unsere, ja, manchmal etwas auseinandergehenden Sichtweisen dann auch konstruktiv zusammenzubringen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wir werden heute nach dieser Rederunde die gesetzliche Grundlage für die oder den Berliner Bürger- und Polizeibeauftragten schaffen. Damit ist diese neue Institution sozusagen geboren. Aber damit unser Baby auch laufen lernt und groß und stark wird, müssen wir es auch gut füttern – mit Geld und Personalstellen.

[Heiterkeit bei der LINKEN]

Ja, ich kenne mich da aus. Diese Aufgabe steht noch vor uns, und wir wissen alle: Kinder großziehen, das ist Arbeit. Da muss man viel Arbeit und Stress hineinstecken, und das werden wir tun, aber dann werden wir auch eines Tages stolz darauf sein können. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der CDU hat das Wort der Abgeordnete Herr Dregger. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schrader! Eine Kultur des Wegschauens wäre in der Tat inakzeptabel, aber ich weise doch darauf hin, dass es bei der Diskussion über den Bürger- und Polizeibeauftragten auch um unser Selbstverständnis als Abgeordnete dieses Hauses geht.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Karsten Woldeit (AfD)]

Ich kann jedenfalls für meine Fraktion sagen, dass wir unseren parlamentarischen Überwachungspflichten gegenüber der Exekutive und damit auch der Polizei vollständig nachkommen, und ich betrachte jeden Einzelnen von uns hier – 160 Abgeordnete und die uns allen zur Verfügung stehenden Mittel mit Mitarbeitern und Budget – als die Bürgerbeauftragten des Landes Berlin, und diese Pflicht sollten wir erfüllen und nicht an irgendwelche Dritte delegieren.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Einmal mehr möchte die Koalition aus SPD, Linke und Grünen uns einreden, dass die Rechte und die Sicherheit unserer Bürger vor allen Dingen durch unsere eigenen Beamten gefährdet werden. Es war erschreckend zu sehen, dass derartige Vorstellungen von einigen Tausend Demonstranten gestern auf unseren Straßen durch die Gegner der derzeitigen Infektionsschutzpolitik verbreitet wurden, aber es ist wirklich erschütternd, dass derartige Vorstellungen die Wahrnehmung der rot-rot-grünen Koalition bestimmen.

Wie sehen denn die Fallzahlen aus? Haben wir es mit einer Flut staatlicher Gewalt- und Willkürakte zu tun, die das Beschwerdemanagement der Berliner Polizei

(Niklas Schrader)

überfordern und denen auch unsere sehr verdienten Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss nicht mehr gerecht werden können? Wie also sieht der Faktencheck aus?

Im letzten Jahr, 2019, hat die Zahl der eingereichten Beschwerden gegen unsere Polizei einen historischen Tiefststand erreicht: Es gab 1 820 Beschwerden, nicht mehr und nicht weniger. Knapp ein Drittel dieser Fälle betraf Beschwerden darüber, dass die Polizei untätig geblieben ist. Das waren also keine Fälle, in denen es um unverhältnismäßige polizeiliche Maßnahmen ging, sondern um das Gegenteil. Nur gut 200 Beschwerden überhaupt waren nach Prüfung berechtigt. 200 in einem ganzen Jahr.

Um diese Zahl nun richtig einordnen zu können, müssen wir uns vor Augen halten, dass unsere circa 17 000 Polizeivollzugsbeamte jedes Jahr circa 33 Millionen Dienststunden leisten, das heißt, wir müssen gegenüberstellen: 17 000 Polizeivollzugsbeamte, die 33 Millionen Stunden leisten – und denen stehen ganze rund 200 berechtigte Beschwerden über polizeiliches Verhalten gegenüber.

Wissen Sie was, meine Damen und Herren der Koalition aus SPD, Linke und Grünen? Sie lösen hier mit Ihrem Polizeibeauftragten gar kein existierendes Problem, sondern Sie verschleudern für ein nicht existierendes Problem wertvolle Steuermittel, die Sie besser für die Stärkung von Polizei und Justiz investieren müssten.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Meine Damen und Herren von SPD, Linke und Grünen! Ich respektiere durchaus, dass Sie sich für die gut 200 berechtigten Beschwerden gegenüber der Polizei interessieren. Das tun wir alle. Aber ich muss die Dinge doch etwas zurechtrücken. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die steigende Zahl von Übergriffen gegen unsere Polizeibeamten in Berlin richten. Das sind nicht 200 Fälle im Jahr, sondern das sind rund 7 000 Fälle im Jahr. Ihre Aufgabe müsste es doch sein, sich mindestens mit dem gleichen Engagement, mit dem Sie sich mit diesen 200 Fällen berechtigter Beschwerden über polizeiliche Maßnahmen beschäftigen, in Bezug auf diese 7 000 Fälle, dieses Phänomen der steigenden Angriffe gegenüber unserer Polizei, zu aktivieren. Ich verstehe gar nicht, warum Sie das nicht tun.

[Beifall bei der CDU]

Mit Ihrem Polizeibeauftragten wiederholen Sie das, was Sie mit Ihrem sogenannten, angeblichen Landesantidiskriminierungsgesetz begonnen haben: Sie schaffen eine Paralleljustiz, die, anders als in anderen Bundesländern, mit weitgehenden Untersuchungsrechten ausgestattet wird und nur eine Wirkung haben wird: nämlich die Arbeit der Berliner Polizei zu behindern, zu bürokratisieren und einem Generalverdacht auszusetzen. Und das Ergebnis wird sein, dass unsere Polizei ineffektiver wird und

letztlich im Kampf gegen Terror, organisierte Kriminalität, aber auch bei der Durchsetzung von Sicherheit, Recht und Ordnung geschwächt wird, –

[Stephan Standfuß (CDU): Unerhört!]

und das wollen wir nicht.

Gestatten Sie Zwischenfragen der Abgeordneten Kohlmeier und Schlüsselburg?

Nein, danke, keine Zwischenfragen bitte! – Meine Damen und Herren von der Koalition aus SPD, Linke und Grünen! Verlassen Sie doch mal die Parallelwelt Ihrer lebensfremden Parteizirkel.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD und der FDP]

Fragen Sie doch einmal, wie die Bürger unseres Landes das sehen. Wissen Sie was? In einer Forsa-Studie im Juni dieses Jahres haben 82 Prozent der Befragten angegeben, dass sie unserer Polizei vertrauen. Das sind noch mehr als ein halbes Jahr zuvor, trotz der großen Demonstrationen auf unseren Straßen gegen Rassismus nach diesem fürchterlichen Vorfall in den Vereinigten Staaten, in Minneapolis, wo ein Schwarzer durch Polizeibeamte ermordet worden ist. 82 Prozent – das ist der zweitbeste Wert überhaupt, noch weit höher als das Vertrauen, das unserem Bundesverfassungsgericht entgegengebracht wird, das bei 75 Prozent lag.

Meine Damen und Herren von der Linkskoalition! Wir werden nicht zulassen, dass Sie dieses großartige Vertrauen in unsere verlässliche und professionelle Polizei zerstören. Und daher gebe ich hier und heute von dieser Stelle aus eine Ehrenerklärung für unsere Polizei ab.

[Lachen bei der LINKEN]

Ich vertraue unserer Berliner Polizei, ich danke unserer Berliner Polizei für das, was sie hier tagaus und tagein für unser Land leistet. Sie ist die beste Polizei in ganz Deutschland, –

[Unruhe bei und Zurufe von der LINKEN]

sie hat die härtesten Herausforderungen zu bewältigen, und ohne unsere Berliner Polizei könnte niemand in unserer Stadt sein Leben frei und sicher gestalten. Ich danke unserer Polizei! – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Für die Fraktion der SPD hat das Wort der Abgeordnete Kugler. – Bitte schön!

(Burkard Dregger)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!