Protokoll der Sitzung vom 06.04.2017

Debatten, bei denen es allen Beteiligten spürbar darum ging, gemeinsam beste Lösungen zu finden und darum zu ringen. Das gilt ausdrücklich auch für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion. Leider lässt sich das aber für das Motto, unter das Sie die Aktuelle Stunde gestellt haben, nicht sagen.

Worum es hier wirklich gehen sollte, ist eine ernsthafte Debatte um ernsthafte Lösungen für alle Berlinerinnen und Berliner.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Lebenswerte Städte für alle können wir nämlich nur mit moderner Mobilität, mit intelligenten Verkehrskonzepten bewahren. Metropolen wie Paris, London, Kopenhagen oder New York machen es doch längst vor – übrigens unter Beteiligung Ihrer konservativen Kolleginnen und Kollegen. Für die sind intelligente, zukunftsweisende

Verkehrskonzepte schon länger Ausweis von Modernität. Über Konzepte wie City-Tax, Parkraumbewirtschaftung, Fahrradstraßen oder Tempobeschränkungen können wir uns gern in allen Facetten austauschen. Ich warne aber davor, in alte Beißreflexe zu verfallen. Es geht nämlich genau nicht darum, einzelne Gruppen unserer Stadt gegeneinander auszuspielen.

[Sebastian Czaja (FDP): Das machen Sie aber! – Georg Pazderski (AfD): Sie machen das doch!]

Sie haben es jetzt gemacht – Autofahrer gegen Fußgänger und Radfahrer oder Außenbezirke gegen Innenbezirke. Das ist und bleibt falsch,

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

und das machen wir als Senat nicht mit. Wir wollen eine Verkehrspolitik, die allen dient, egal, ob sie sich auf zwei oder auf vier Rädern durch die Stadt bewegen, im Auto, zu Fuß, mit dem Roller, der Bahn oder dem Kinderwagen unterwegs sind, egal, ob in der Innenstadt oder in den Außenbezirken. Wir machen Politik für die gesamte Stadtgesellschaft. Dafür stehe ich, dafür steht dieser Senat, dafür steht diese Koalition!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Worum es mir geht, ist die Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer. Ich will, dass wir die Verkehrsprobleme, die für alle in unserer Stadt täglich erfahrbar sind, lösen. So, wie es bisher ist, kann es nicht weitergehen, vor allem nicht in einer wachsenden Stadt.

Ich gebe Ihnen einige Schlaglichter: 17 Fahrradfahrer sind letztes Jahr im Straßenverkehr umgekommen. Das sind 70 Prozent mehr als im Vorjahr. Radfahrer sind überdurchschnittlich oft von schweren Verkehrsunfällen betroffen. Mehr als 20 000 Menschen sind dem gesundheitsschädlichen Reizgas NO2 ausgesetzt. Die Straßen und Brücken – das wurde erwähnt – sind in einem teilweise erbarmungswürdigen Zustand. Und auch von diesem Faktum möchte ich, dass Sie es zur Kenntnis nehmen: Der durchschnittliche Autofahrer steht in Berlin pro Jahr 107 Stunden im Stau.

[Sebastian Czaja (FDP): Daran sind Sie doch schuld! Das ist kostbare Lebenszeit! – Georg Pazderski (AfD): Wenn Sie auf Tempo 30 reduzieren, sind es 107 mehr!]

Das sind fünf ganze Tage, das sind 15 Arbeitstage. Genau das müssen wir ändern.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Berlin soll sicherer, mobiler, gesünder und klimafreundlicher werden. Aber wer sich gegen jede Veränderung stellt, gegen jede Innovation, der zementiert genau diesen Status quo. Verbesserungen gibt es nicht ohne Verän

(Stefan Gelbhaar)

derungen, und dieser Senat hat auch den Mut, Veränderungen in Angriff zu nehmen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Was tun wir also? – Wir setzen erst einmal den übergreifenden Rahmen – das wurde heute schon angesprochen. Wir machen ein Mobilitätsgesetz, und die planerische Grundlage wird der Stadtentwicklungsplan Verkehr. Sie sind daran auch beteiligt.

[Sven Rissmann (CDU): Machen Sie wenigstens ein Konzept!]

Wir kümmern uns, und das ist wichtig, intensiv um die Sanierung und Modernisierung der Infrastruktur. Wir setzen ein neues Erhaltungsmanagementsystem auf, dass marode Brücken und Straßen schneller und effektiver saniert werden können. Und wir bauen sehr schnell die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge aus. Das ist eine sehr gute Nachricht für Autofahrer.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Daniel Buchholz (SPD)]

Natürlich investieren wir massiv in den ÖPNV, denn wir wollen, dass sich mehr Menschen für Bus und Bahn entscheiden. Wir wollen Sie nicht zwingen, logischerweise.

[Heiko Melzer (CDU): Sie machen es trotzdem!]

Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir 14 neue Tramstrecken im Blick haben. Das werden wir umsetzen. Davon profitieren alle, auch die Autofahrer.

[Zuruf von der CDU: Quatsch!]

Es wurde heute schon vielfach angesprochen: Wir schaffen sichere Radwege und eine moderne Fahrradinfrastruktur. Wie sehr die Berlinerinnen und Berliner ein Umsteuern in der Radverkehrspolitik wollen, haben sie mit ihrer Unterschrift unter den Volksentscheid Fahrrad deutlich gemacht. Sie wollen sicheres Radfahren, auch für ihre Kinder. Deshalb entwickeln wir dieses Radgesetz, mit dem wir die Grundlage für die Radinfrastruktur schaffen. Heute früh konnten wir den ersten gemeinsamen Erfolg vorstellen. Ich möchte hier im Haus allen Beteiligten, die daran mitgewirkt haben, danken.

Jetzt kommen wir zum letzten Punkt, der Ihnen anscheinend auch am Herzen liegt: Wir wollen eine gesündere Luft. Wenn man unbedingt über Verlierer im Verkehr sprechen will, dann ist doch eines unverkennbar: Die wahren Verlierer im Berliner Verkehr sind momentan jene Menschen, die Tag für Tag unter einer massiven Belastung durch Stickoxide leiden, 20 000 bis 25 000 Anwohner und Anwohnerinnen. Im Jahr 2012 waren es nach Angaben der Europäischen Umweltagentur 10 400 Todesfälle in Deutschland, die auf Stickoxide zurückzuführen sind. Verantwortlich, ob es Ihnen passt oder nicht, sind zu 50 Prozent alte schmutzige Dieselfahrzeuge. Es sind gerade jene Menschen, die darunter

am meisten leiden, die eben nicht zu den Privilegierten unserer Gesellschaft gehören. Genau das wollen wir nicht weiter hinnehmen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Und dürfen es auch gar nicht hinnehmen, denn Berlin muss sich derzeit wegen Überschreitung der Grenzwerte sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch der EUKommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens verantworten. Wir müssen schnell handeln, sonst wird sich das Problem massiv verschärfen. Eine Maßnahme hierbei ist die Nachrüstung von Bussen. Das machen wir. Es haben aber alle Studien gezeigt, dass eine sinnvolle Maßnahme auch Tempo 30 an Brennpunkten ist, um den Verkehr zu verstetigen. Um effektiver handeln zu können, brauchen wir die Blaue Plakette. Der Berliner Senat wird sich dafür starkmachen.

Wenn man nun wie Sie sagt, wir sind gegen Tempo 30 in belasteten Straßen und auch gegen die Blaue Plakette und eigentlich auch gegen alles, was sonst im Instrumentenkasten ist, dann stellt sich die Frage: Will man die Gesundheitsschädigung der Bevölkerung einfach hinnehmen? Sollen die Berlinerinnen und Berliner noch länger im Stau stehen? Wir finden, das ist keine verantwortungsvolle Politik.

[Georg Pazderski (AfD): Angst- und Panikmache ist das!]

Sie haben heute meinen Staatssekretär Kirchner mehrfach erwähnt. Lassen Sie mich deshalb noch ein paar Sätze zur Parkraumbewirtschaftung sagen, die Ihnen anscheinend stark unter den Nägeln brennt. In den Richtlinien der Regierungspolitik heißt es:

Nach Maßgabe der rechtlichen Möglichkeiten soll die Parkraumbewirtschaftung bis 2021 schrittweise innerhalb des S-Bahn-Rings flächendeckend ausgeweitet werden.

Das nehmen wir selbstverständlich sehr ernst, und in diesem Zusammenhang hat mein Staatssekretär auf drei richtige Dinge hingewiesen,

[Heiko Melzer (CDU): Und auf wie viele falsche?]

Nummer 1, dass gute Parkraumbewirtschaftung ein wichtiger Beitrag gegen den Verkehrsinfarkt in den Metropolen sein kann – sonst wäre es in anderen Städten nicht schon längst gang und gäbe –, Nummer 2, dass der jährliche Obolus von 10,20 Euro für die Berlinerinnen und Berliner im deutschen und europäischen Vergleich doch sehr gering ist, und drittens, dass wir von der Senatsverwaltung uns augenblicklich mit dieser Thematik in keiner Weise beschäftigen.

Deshalb kann ich nur empfehlen: Hören Sie auf, sich an Phantomdebatten zu beteiligen, sondern beteiligen Sie sich an der Lösung der realen Probleme!

(Senatorin Regine Günther)

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wenn Sie an einer intelligenten und zukunftssicheren Verkehrspolitik mitwirken wollen, einer Politik, die alle Verkehrsteilnehmer in den Blick nimmt und von der am Ende gerade die Autofahrer profitieren werden, meine Damen und Herren von der Opposition, sind Sie dazu sehr herzlich eingeladen. Mit dem Status quo finden wir uns jedenfalls nicht ab. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Heiko Melzer (CDU): Wir auch nicht!]

Vielen Dank, Frau Senatorin! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden, und wir kommen nun zu den Abstimmungen.

Zu dem Antrag Drucksache 18/0141 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich – gegen die Opposition – die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, FDP, AfD und der fraktionslose Kollege. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen sehe ich keine. Dann ist der Antrag abgelehnt.

Zu den Anträgen der Fraktion der FDP, Drucksachen 18/0236 und 18/0250, wird die Überweisung an den Ausschuss für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz empfohlen. Widerspruch höre ich nicht – dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin