Protokoll der Sitzung vom 21.11.2024

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat die Kollegin Dr. Wein das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Drucksachen 19/1796 und 19/1797, eingebracht von den Grünen und Linken, fordern eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung des sogenannten antimuslimischen Rassismus in Berlin. Vorneweg möchte ich klarstellen, dass der Begriff des sogenannten antimuslimischen Rassismus für Menschen außerhalb unseres Politikbetriebes vielfach unverständlich ist, denn Religionszugehörigkeit und ethnische Abstammung, an die sich der Begriff Rassismus üblicherweise richtet, berühren unterschiedliche menschliche Eigenschaften. Ihre Verknüpfung im Begriff des sogenannten antimuslimischen Rassismus kann daher zu Verwirrung führen. Diese hilft uns aber bei dem ernsten Problem – dass es Diskriminierung in Berlin gibt – nicht weiter.

[Vasili Franco (GRÜNE): Aha!]

Wir sollten eine allgemein nachvollziehbare Sprache und Begrifflichkeit wählen.

Nun zu den vorliegenden Anträgen: Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen sind zu weit gehend und nicht zielführend. Wir werden sie daher ablehnen. Ich lege im Folgenden gern dar, warum wir diesen Vorschlägen kritisch gegenüberstehen und welche Alternativen wir vorschlagen.

Punkt eins: übermäßige Bürokratie statt konkreter Lösungen. – Ein zentrales Anliegen der Drucksachen ist die Einführung von verpflichtenden Fortbildungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Diese Maßnahmen stehen in einer Reihe früherer Beschlüsse, jedoch müssen wir uns die Frage stellen: Werden sie tatsächlich zu einer besseren Integration und einem respektvollen Umgang miteinander führen, oder schaffen wir hier nur bürokratischen Aufwand ohne einen konkreten Mehrwert?

[Elif Eralp (LINKE): Sie stehen im Landesantidiskriminierungsgesetz!]

Es besteht die Gefahr, dass solche Programme in der Praxis zur Belastung für die Verwaltung werden, ohne das eigentliche Problem nachhaltig zu lösen – zumal gerade die öffentliche Verwaltung Berlins sich seit vielen Jahren mit Diskriminierungsprävention befasst. Unter anderem mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz AGG liegen auch die nötigen Rechtsvorschriften zum Schutz vor Diskriminierung vor.

(Elif Eralp)

Zweitens: Eine Ansprechperson beim LKA, also Landeskriminalamt, ist der falsche Weg. Die Forderung nach der Ernennung einer Ansprechperson für sogenannten antimuslimischen Rassismus beim Landeskriminalamt ist aus unserer Sicht problematisch. Dies könnte den Eindruck erwecken, dass sogenannter antimuslimischer Rassismus allein ein Kriminalitätsproblem darstellt, anstatt als gesellschaftliches Problem im Kontext von Diskriminierung und Vorurteilen behandelt zu werden.

[Anne Helm (LINKE): Was wäre denn der richtige Weg?]

Es ist aus CDU-Sicht der falsche Ansatz, auf staatliche Strafinstitutionen zu setzen, um tief verwurzelte gesellschaftliche Vorurteile zu bekämpfen. Der Dialog und die Prävention müssen vielmehr auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene stattfinden.

Drittens: Förderung von Programmen und Projekten, aber nicht auf Kosten anderer. – Die Förderung von Programmen für muslimisches Leben in Kunst- und Kultureinrichtungen sowie die Unterstützung muslimischer Kulturträger sind zweifellos wichtig, doch in der Umsetzung müssen wir darauf achten, dass diese Förderung nicht zu einer ungleichen Behandlung anderer religiöser und kultureller Gruppen führt. Integration kann nur erfolgreich sein, wenn wir allen Kulturen und Religionen den gleichen Raum bieten, ohne Diskriminierung oder Bevorzugung. Wir müssen eine Gesellschaft fördern, in der Vielfalt respektiert wird, aber niemand aufgrund seiner Herkunft oder Religion bevorzugt oder benachteiligt wird. Wir setzen auf eine langfristige Sensibilisierung in der Gesellschaft und eine klare Kommunikation gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung, ohne dabei den Fokus auf einzelne Gruppen zu verengen.

Schlussfolgerung: Abschließend möchte ich betonen, dass der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung weiterhin eine zentrale Aufgabe für uns alle ist. Wir müssen aber sicherstellen, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen, effektiv und nachhaltig sind. Bürokratische Aufblähung, unklare Zuständigkeiten und eine ungleiche Förderung von Gruppen führen nicht zu einer besseren Gesellschaft, sondern zu neuen Problemen. Wir setzen daher auf einen pragmatischen und inklusiven Ansatz, der tatsächlich denjenigen zugutekommt, die Hilfe und Unterstützung benötigen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Bozkurt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Herbsttag. Die Sonne scheint. Meine Mutter und ich kommen am Supermarkt an. Ich sage ihr, sie solle schon einmal in den Markt laufen, ich würde uns einen Einkaufswagen besorgen und sie einholen. Auf dem Weg zurück sehe ich, wie sie am Supermarkteingang von einer adrett gekleideten, sorgfältig frisierten Frau – vielleicht 50, vielleicht 55 Jahre, Verwaltungsbeamtin oder Vorstandssekretärin – barsch zur Seite geschubst wird. So beiläufig wie selbstverständlich schubst sie meine verdutzte, 64-jährige, kopftuchtragende Mutter zur Seite. Es ist Platz für mindestens drei weitere Personen, um durch die Eingangstür zu kommen. Diese Frau findet aber, dass meine Mutter ihr unberechtigterweise im Weg steht. Als ich sie frage, wieso sie meine Mutter schubse, antwortet sie überzeugt: Bei uns in Deutschland macht man anderen Menschen Platz.

Es wird in der heutigen Zeit zunehmend schwieriger, über die rassistische Diskriminierung von Musliminnen, Muslimen und muslimisch gelesenen Menschen zu sprechen. Musliminnen und Muslime werden in der öffentlichen, medialen Rezeption viel zu häufig als die eigentlichen Aggressoren, als die Täter oder als Störenfriede dargestellt. Gewalt gegen muslimische oder als solche gelesene Menschen werden als Einzelfälle abgetan, während Fehlverhalten oder Straftaten von muslimischen Täterinnen und Tätern sich auf die Wahrnehmung aller Musliminnen und Muslime auswirkt.

Register und Anlaufstellen beklagen einen seit dem 7. Oktober 2023 massiv angestiegenen, gewaltvollen Antisemitismus. In der gleichen Zeit ist auch der antimuslimische Rassismus angestiegen, und da gibt es einen Zusammenhang:

[Harald Laatsch (AfD): Das stimmt!]

Musliminnen und Muslime werden mit dem antisemitischen Terror der Hamas gleichgesetzt. Sie allein werden für den gestiegenen Antisemitismus in Deutschland verantwortlich gemacht. Und selbstverständlich gibt es auch unter Musliminnen und Muslimen ein Antisemitismusproblem –

[Zuruf von der AfD: Ach was!]

genau so, wie es das in jeder anderen Bevölkerungsgruppe auch gibt, mal mehr, mal weniger.

Aber wie falsch ist es, den grassierenden Antisemitismus bekämpfen zu wollen, indem man Musliminnen und Muslime und sichtbares muslimisches Leben bekämpft?

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Orkan Özdemir (SPD)]

Sie alle wissen, dass Berlin vielfältig ist, und das meint eben auch: aufgebaut und geprägt auch von muslimischer Einwanderung.

(Dr. Claudia Wein)

Die Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus des Senats, über deren Handlungsempfehlungen wir heute sprechen, wurde unter dem Eindruck des Terroranschlags von Hanau gegründet. Zwei Tage nach diesem Anschlag fand der Bundeskongress der Neuen Deutschen Organisation statt: ein Raum voller Menschen, die in der Antirassismusarbeit engagiert sind, hielten gemeinsam inne, viele von ihnen mit eigenen Rassismuserfahrungen. Der Kampf gegen Rassismus, gegen antimuslimischen Rassismus, war zu einem Überlebenskampf geworden.

Damals haben wir uns als Gesellschaft geeinigt: Wir stehen gemeinsam, solidarisch und empathisch an der Seite der von Rassismus und Antisemitismus betroffenen Menschen. Damals sind wir enger zusammengerückt. Heute sollten Sie sich, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, fragen: Gelten die Werte Gemeinsamkeit, Solidarität und Empathie immer noch für alle?

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Hängen Bedingungen an ihnen, für alle oder für einige? – Heute sind Sie gefragt.

Wir wiederum freuen uns heute, dass unsere Anträge vom Senat zum Anlass genommen wurden, nun eine Stelle eines oder einer Beauftragten gegen antimuslimischen Rassismus einrichten zu wollen. Wer sagt, Opposition sei Mist, hat wirklich keine Ahnung.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Die Handlungsempfehlungen gegen antimuslimischen Rassismus der senatseigenen Expert*innenkommission hingegen liegen nun schon seit über zwei Jahren vor, und umgesetzt ist davon noch nichts. Es reicht nicht, sich nur darüber zu freuen, dass Musliminnen und Muslime Sie wählen. Sie müssen den mit den Stimmen verbundenen Erwartungen schon auch gerecht werden. Mit Symbolik oder Schaufenstern allein ist noch nichts erreicht.

Kürzlich kam meine Nachbarin freudestrahlend in mein Weddinger Kiezbüro. Sie erzählte, auf dem Weg zur Arbeit hätte sie eine ältere Frau im Bus am Arm gepackt und dann gesagt: Sie sind wirklich sehr elegant gekleidet. Ihr Rock und Ihr Kopftuch passen wirklich toll zusammen. – Sie hätten dieses Bild sehen müssen. Während meine Nachbarin lachend von dieser Begegnung erzählte, liefen ihr zeitgleich Tränen über die Wangen. Es könnte so einfach sein. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Dennis Buchner (SPD), Lars Düsterhöft (SPD) und Orkan Özdemir (SPD) – Zuruf von Harald Laatsch (AfD)]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Özdemir das Wort.

[Ronald Gläser (AfD): Der hat bestimmt auch eine Geschichte parat!]

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!

[Zurufe von der AfD: Hallo!]

Die aktuelle Statistik der Registerstelle CLAIM ist alarmierend. Gewalt und Diskriminierung gegen Muslime und muslimisch gelesene Menschen sind im letzten Jahr explodiert und um erschreckende 110 Prozent gestiegen. Doch wer glaubt, dass antimuslimischer Rassismus ein neues Phänomen ist, der irrt leider gewaltig. Der antimuslimische Rassismus begleitet die muslimische Community in Deutschland seit der Gastarbeitergeneration. Nach den furchtbaren Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 begann für Muslime weltweit und auch in Deutschland regelrecht eine neue Zeitrechnung. Die Ausgrenzung nahm zu, das Misstrauen wuchs, und seit dem Aufstieg der faschistischen AfD hat sich diese Hetze gesellschaftlich verfestigt

[Zurufe von der AfD: Boah! – Oh Mann!]

und leider auch die Mitte der Gesellschaft in Teilen erreicht.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Muslim zu sein, ist heute weit mehr als eine private oder persönliche Angelegenheit. Es ist eine gesellschaftliche Realität mit spürbaren Konsequenzen. Wissenschaftlich belegt ist: Muslimisch zu sein oder auch nur so wahrgenommen zu werden, führt zu massiven Nachteilen – ganz unabhängig davon, ob sich jemand selbst als Muslim definiert. Allein ein Name, das Aussehen oder vermeintliche kulturelle Marker genügen, um antimuslimische Diskriminierung zu erleben, keine Wohnung zu bekommen, beim Arzt schlechter behandelt zu werden, Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verlieren und im Alltag mit Benachteiligung, Beleidigung oder sogar Gewalt konfrontiert zu werden.

Die Wahrheit ist aber auch bitter: Das Land Berlin hat das Thema antimuslimischer Rassismus über Jahrzehnte hinweg ignoriert oder im besten Fall verschlafen. Umso erfreulicher ist es natürlich, dass Senatorin Cansel Kiziltepe diese Lücke erkannt hat. Die Prüfung zur Einsetzung einer Ansprechperson des Senats gegen antimuslimischen Rassismus ist ein Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus hat die Senatorin mit dem Forum der „Brückenbauer“ das Thema bereits prominent auf die poli

(Tuba Bozkurt)

tische Agenda gesetzt, um Maßnahmen gegen diesen Rassismus zu diskutieren.

Ein weiterer entscheidender Schritt ist die geplante Enquete-Kommission, die sich mit antimuslimischem Rassismus befassen wird. Hier werden wir gemeinsam das Wissen in der Stadt, Analysen und Empfehlungen auch von der Expert*innenkommission gegen antimuslimischen Rassismus bündeln, um konkrete Maßnahmen abzuleiten und einen abschließenden Bericht vorzulegen, der als Grundlage für das dann hoffentlich zukünftige Handeln dient. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Burkard Dregger (CDU) und Stefan Häntsch (CDU)]