Protokoll der Sitzung vom 13.12.2000

Fünftens: Zudem enthält das Gesetz – insoweit als Vorgriff – bereits die Umstellung auf den Euro zum 1. Januar 2002.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, die kommunalen Landesverbände haben sich zu einem vorherigen, allerdings noch nicht ganz so weit gehenden Anhörungsentwurf bereits positiv geäußert. Der Gemeinderat der Stadt Stuttgart und zum Teil die Wohnungswirtschaft haben sogar noch etwas weiter gehende Entlastungsmaßnahmen vorgeschlagen. Wir schlagen deshalb mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf einen ausgewogenen Mittelweg vor.

Um die Wirksamkeit des Instruments Fehlbelegungsabgabe zu erhalten, sollte eine noch weiter gehende Rückführung, als das jetzt im Gesetzentwurf vorgesehen ist, zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgenommen werden. Bereits durch den Gesetzentwurf wird das Aufkommen für die Gemeinden – ich habe das bereits ausgeführt – um etwa 50 % auf dann noch etwa 15 Millionen DM Jahresaufkommen absinken.

Die Gesetzesänderung soll bereits zum 1. Januar 2001 wirksam werden. Damit die Fehlbeleger möglichst bald in

dieser Höhe entlastet werden können, bitten wir um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort hat Herr Abg. Winckler.

Herr Präsident, verehrte Damen, meine Herren! Einer der Beweggründe für die Einführung der Fehlbelegungsabgabe zu Beginn der Neunzigerjahre war der Aspekt der sozialen Gerechtigkeit. Ebenso wie damals sehen wir es auch jetzt noch als sozial ungerecht an, wenn Nutzer von Sozialwohnungen, ohne hierauf angewiesen zu sein, begünstigt werden, indem sie durch Steuergelder verbilligte Mieten zahlen. Deshalb halten wir an der Abgabe grundsätzlich fest, wohl wissend, dass sie ab dem nächsten Jahr nur noch in 93 Kommunen erhoben wird.

Manchen Sozialdemokraten ist die Fehlbelegungsabgabe ein Dorn im parteipolitischen Auge.

(Abg. Schmiedel SPD: Im neutralen!)

So beantragte zum Beispiel die SPD-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat kürzlich die Abschaffung der Abgabe.

(Abg. Schmiedel SPD: Sehr gut!)

Dies ist ein weiterer Beweis dafür, wie das Verständnis von sozialer Gerechtigkeit mittlerweile bei Sozialdemokraten verkommen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Birzele SPD: Die zwei, die da geklatscht haben, Schäuble und Blank, muss man sich merken! – Gegenruf des Ministers Dr. Schäuble: Übrigens auch aus ande- ren Gründen!)

Offensichtlich macht die einschlägige Praxis der rot-grünen Bundesregierung und ihres Kanzlers bereits Schule. Davon abgesehen erfordert nach meiner Ansicht ein derartiges Ansinnen die Aufhebung des entsprechenden Bundesgesetzes, die jedoch mangels Einflusses der südwestdeutschen SPD in Berlin nicht in Sicht ist.

(Abg. Seimetz CDU zur SPD: Er kennt euch! – Abg. Brechtken SPD zur CDU: Klasse! Er probiert mal diese Grundformulierungen in den Reden! Euer Versuchskaninchen!)

Im Gegensatz zu dem sozialdemokratischen Bestreben wollen wir das Fehlbelegungsabgaberecht lediglich so geändert wissen, dass sich die Abgabe künftig nicht mehr schädlich auswirken kann.

Meine Damen und Herren, Schädliches hat die Fehlbelegungsabgabe bisher in Siedlungen mit überwiegendem Sozialwohnungsbestand bewirkt. Auch bedingt durch eine gewisse Entspannung auf dem allgemeinen Mietwohnungsmarkt ist dort ihre Akzeptanz in den letzten Jahren beträchtlich geschwunden.

(Abg. Birzele SPD: Was gilt jetzt eigentlich? – Abg. Schmiedel SPD: Was ist mit der sozialen Ge- rechtigkeit?)

Folglich wanderten bereits zahlreiche Abgabepflichtige aus solchen Siedlungen ab.

(Zurufe der Abg. Birzele und Schmiedel SPD)

Herr Birzele, Sie müssen lernen, bis zum Schluss zuzuhören. Dann können Sie einen Zwischenruf machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Bebber SPD: Alles Pflichtbeifall!)

Für sie rückten sozialwohnungsberechtigte Personen nach, die meistens in mehrfacher Hinsicht soziale Schwierigkeiten haben. Dadurch wurde die ohnehin schon ziemlich problematische Bewohnerstruktur noch ungünstiger.

Verehrte Damen, meine Herren, wenn die gegenwärtige Abwanderung Abgabepflichtiger unvermindert anhalten sollte, drohen manche der Siedlungen in absehbarer Zukunft zu sozialen Brennpunkten

(Abg. Birzele SPD: Sehr richtig! – Abg. Schmiedel SPD: Und die Folge?)

mit den allseits bekannten gravierenden Problemen zu werden. Im Interesse der dort lebenden Menschen ist es unerlässlich, dieser Gefahr zu begegnen,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Wie? Konkret!)

beispielsweise dadurch, dass für abwanderungsgeneigte Abgabepflichtige ein Anreiz geschaffen wird, in den besagten Siedlungen, in denen sie größtenteils schon Jahrzehnte wohnen, zu verbleiben. Denn Fehlbeleger sind in meinen Augen ein Glücksfall für derartige Siedlungen. Sie tragen nämlich wesentlich zu deren Stabilität bei, nicht zuletzt durch vielfältiges siedlungsbezogenes ehrenamtliches Engagement.

Meine Damen und Herren, die vorgesehenen Gesetzesänderungen erscheinen uns geeignet, die häufig zur Vertreibungsabgabe ausgeartete Fehlbelegungsabgabe zu entschärfen.

(Lachen des Abg. Birzele SPD)

Ausdrücklich begrüßen wir die Absicht, den Kommunen zukünftig das Recht zu geben,

(Abg. Schmiedel SPD: Ein Schlingerkurs!)

sowohl für ganze Gebiete als auch für einzelne Gebäude und Wohnungen teilweise oder gänzlich von der Erhebung der Abgabe absehen zu dürfen, wenn dies zum Erhalt oder zur Herstellung sozial gemischter Belegungsstrukturen geboten ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Birzele SPD: Nach welchen Kriterien bei einzelnen Woh- nungen?)

Inwieweit davon Gebrauch gemacht werden kann, hängt entscheidend davon ab, ob eine Gebiets-, Gebäude- und Wohnungsabgrenzung möglich ist, die dem Gleichheitsgrundsatz gerecht wird. Angesichts einschlägiger Rechtsprechung wird dies möglicherweise nicht ganz einfach sein.

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Deswegen sind zur Entschärfung der Fehlbelegungsabgabe auch die anderen beabsichtigten Korrekturen notwendig. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Eingriffsschwelle und der Erhebungsstufen. Es ist erfreulich, dass das Wirtschaftsministerium insoweit den weiter gehenden Vorstellungen der Koalitionsfraktionen gefolgt ist.

Verehrte Damen, meine Herren, momentan besteht eine Abgabepflicht dann, wenn das Haushaltseinkommen die für den Bezug einer Sozialwohnung maßgebende Einkommensgrenze um mehr als 20 % übersteigt. Eine Anhebung dieser Eingriffsschwelle auf 40 % ist unseres Erachtens erforderlich. In anderen Bundesländern ist sie zum Teil so hoch oder sogar höher. Sie beträgt zum Beispiel in Hamburg 40 %, in Berlin 50 % und in Bayern 55 %.

Ein triftiger Grund für die Erhöhung ist auch die Tatsache, dass viele Fehlbeleger nicht etwa wegen gestiegener Einkommen abgabepflichtig geworden sind, sondern allein deshalb, weil sich durch den Auszug von Kindern aus der elterlichen Wohnung die Zahl der Haushaltsangehörigen verringert hat und dadurch die für die Abgabe maßgebende Einkommensgrenze erheblich gesunken ist. Die Betroffenen empfinden dies als eine unzumutbare Härte.

Meine Damen und Herren, die Anhebung der Eingriffsschwelle wird die Zahl der Abgabepflichtigen verringern, während die Änderungen bei den Erhebungsstufen sowie die Begrenzung der Höchstbeträge auf den MietspiegelMittelwert zu spürbaren Entlastungen dann noch abgabepflichtiger Fehlbeleger führen werden. Die daraus resultierenden kommunalen Mindereinnahmen werden sich voraussichtlich – der Herr Minister hat dies ausgeführt – in einem vertretbaren Rahmen bewegen. Sie sind zumutbar, weil den Kommunen durch die positiven Wirkungen der Gesetzesänderungen sicherlich gewisse problemrelevante Ausgaben erspart bleiben.

(Abg. Bebber SPD zur CDU: Jetzt müsst ihr mal wieder klatschen! Das ist schon traurig! – Zuruf des Abg. Birzele SPD)

Verehrte Damen, meine Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist nach unserer Auffassung, Herr Birzele, ein Kompromiss zwischen dem Gebot der sozialen Gerechtigkeit und der Notwendigkeit, einen Landesbeitrag zur Verhinderung sich abzeichnender negativer Entwicklungen zu erbringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Bebber SPD: Jetzt! – Abg. Brechtken SPD: Man muss euch bloß helfen, dann klappts! – Minister Dr. Schäuble: Wir brauchen einen, der den Einsatz gibt! – Gegenruf des Abg. Brechtken SPD: Wir helfen gern!)

Er wird daher von uns akzeptiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Das Wort hat Herr Abg. Schmiedel.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung für die Wohnungspolitik und die Wohnungswirtschaft ist die Stabilisierung bedrohter und von Abwertung betroffener Wohnquartiere. Die Fehlbelegungsabgabe – darauf wurde jetzt schon mehrfach hingewiesen; ich muss das nicht noch einmal ausführen – hat dazu beigetragen, dass Familien weggezogen sind, die man eigentlich in diesen Quartieren wohnen lassen will. Der Begriff „Fehlbelegungsabgabe“ sagt ja schon aus: Du bist hier fehl am Platz, du bist in der falschen Wohnung; dich wollen wir nicht haben. Und die Politik im Zusammenhang mit der „Sozialen Stadt“ sagt genau umgekehrt: Wir brauchen dich, bleib in dem Quartier.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Ich hätte gern Familien mit Kindern darin!)

Jetzt kommt ein Versuch, beides unter einen Hut zu bringen. Ich glaube aber, Herr Winckler, das ist kein Kompromiss, sondern es ist – in Teilen jedenfalls – Murks. Zwar ist es richtig, die Einkommensgrenzen anzuheben und die Abgaben zu verringern. Aber dann ist die Frage konkret zu beantworten: Lohnt sich der bürokratische Aufwand noch, und lohnt die drohende Abschreckung? Denn wenn ich dann doch über diese Grenze komme, dann muss ich eben doch zahlen.