Protokoll der Sitzung vom 13.12.2000

Ich meine, dass wir uns im Zusammenhang mit der Entstehung und Ausbreitung dieser Seuche klarmachen müssen, dass auch dies die Folge eines europäischen Agrarsozialismus ist, bei dem es letzten Endes immer um Quantität und nicht um Qualität geht.

(Beifall bei den Republikanern)

Das, meine Damen und Herren, wird im Bereich des Rindfleischs ganz konkret deutlich.

(Abg. Göbel CDU: Wahlkampfthema! Anti Euro- pa!)

Bei Ihnen gibt es einen Reflex wie bei den drei indischen Affen: Augen zu, Ohren zu und nichts davon sagen. Die EU ist heilig, und für die Probleme ist irgendjemand anders verantwortlich.

(Beifall bei den Republikanern)

Das ist keine wirklich verantwortungsbewusste politische Wahrnehmung, Herr Kollege. Ich will Ihnen das auch gleich einmal konkretisieren, dann können Sie vielleicht einmal darüber nachdenken.

Das Problem bei der Agrarsubventionierung für Rindfleisch liegt doch darin, dass die EU seit Jahr und Tag Prämien für Viehzüchter und Viehmäster zahlt. Die Folge ist, dass es natürlich um quantitative Agrarproduktion geht; das wird durch diese Prämien ja gerade angeheizt. Jetzt frage ich mich: Wie wollen Sie denn nun in der Nachsteuerung einen vernünftigeren Weg gehen, wenn Sie zum Ausgleich von der Landwirtschaft jetzt drohenden Einkommenseinbußen nichts anderes im Kopf haben, als die Prämien zum Ausgleich anzuheben? An diesem ganz konkreten Punkt merken Sie, wie sehr Sie letzten Endes in diesem System gefangen sind.

(Beifall bei den Republikanern)

Deswegen, meine Damen und Herren, war ein Umsteuern bisher praktisch nicht möglich. Industrielle Agrarproduktion in der EU wird uns auch in den folgenden Jahren noch begleiten und erhebliche Probleme bescheren. In diesem Zusammenhang sage ich nur: Der Dioxinskandal bei den Geflügelmästern in Belgien liegt noch nicht so lange zurück, dass man das einfach beiseite schieben darf. Agrarfabriken, industrielle Agrarproduktion und deren Produkte machen in einem europäischen Binnenmarkt nicht vor unseren Grenzen Halt. Übrigens gibt es diese Produktionsformen auch in unseren benachbarten Bundesländern; tun Sie also bitte nicht so, als ob das weit weg wäre.

Daran, meine Damen und Herren, ändert weder das HQZ noch eine Verbraucherberatung etwas, so sinnvoll diese Maßnahmen auch sind. Die Konsequenz ist: Wir müssten die Erzeugung von Agrarprodukten und die Nahrungsmittelkette konsequent regionalisieren, wenn wir diese Fehlentwicklungen vermeiden wollten.

(Beifall bei den Republikanern)

Das geht aber leider nicht, meine Damen und Herren, weil es am Wettbewerbsrecht der EU scheitert.

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig! So ist es!)

Das ist das große Problem, vor dem wir stehen und vor dem Sie von der CDU sich hier drücken.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Dann noch eine Anmerkung zu der Frage, wie weit man mit Verbraucheraufklärung und Herkunftszeichen wirksam gegensteuern kann. Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor. Letzten Endes entscheiden die Preise im Supermarkt über das Verbraucherverhalten. Das ist nach wie vor das traurige Faktum – mit oder ohne Herkunftsetikett, Herr Kollege Salomon. Deswegen ist es auch bedrohlich, dass wegen der Importmöglichkeit trotz aller Aufklärung nicht verhindert werden kann, dass britisches Rindfleisch in den deutschen Pfannen landet.

Erlauben Sie mir bei dieser Gelegenheit noch einen Hinweis: Wir müssten uns an dieser Stelle einmal die Frage

stellen, wie wir künftig Vorgänge, wie sie bei der BSEAusbreitung geschehen sind, in der EU vermeiden wollen.

Interessant ist eine Tatsache, die in der Diskussion meistens untergeht: Die spongiforme Enzephalopathie beim Rind ist bereits 1853 beschrieben worden. Das ist nichts Neues; es ist auch keine Entwicklung der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts gewesen. Diese Krankheit hat es schon lange gegeben; sie trat in Einzelfällen immer wieder auf. Das eigentliche Problem, das wir heute haben, besteht darin, dass durch Tiermehlherstellungsverfahrensänderungen in England die Verbreitung gefördert wurde. Die Engländer haben bei der Herstellung des Tiermehls einen Fettlöser entfernt. Dadurch hat sich das Verfahren hinsichtlich der Sicherheit der Vernichtung von Prionen so verändert, dass sich pathologische Prionen im Tiermehl anreichern konnten und dadurch Eingang in die Fütterungskette gefunden haben.

Jetzt frage ich: Wie wollen wir in der Zukunft denn erreichen, dass so etwas bei Erkenntnissen dieser Art rechtzeitig verhindert wird, dass so etwas in anderen EU-Ländern unterbunden wird und dass solche Produkte nicht in die Nahrungsmittelkette eingeschleust werden, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, zu verhindern, dass britisches Rindfleisch de facto auf unserem Markt erscheint? Das ist doch die entscheidende Frage.

(Beifall bei den Republikanern)

Für mich gibt es daraus nur eine Schlussfolgerung: Es wird nach wie vor an den Symptomen herumkuriert, es werden Probleme beschrieben, aber es wird keine wirkungsvolle Beseitigung veranlasst oder Vorsorge getroffen.

Dazu gehört übrigens auch das Märchen, Herr Kollege Salomon, wenn man jetzt nur noch Ökofleisch erzeugen würde, hätte man die Probleme los. Ist Ihnen eigentlich nicht bekannt, dass der Viehmäster in Schleswig-Holstein, bei dem dieses eine BSE-erkrankte Tier jetzt gefunden wurde, klar und deutlich gesagt hat, dass er keine Futtermittel verwendet hat,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Na- türlich ist das bekannt!)

sondern nur Futterprodukte vom eigenen Hof? Also ist ja hier gerade der bisher beschriebene Mechanismus ausgeschaltet gewesen. Als Schlussfolgerung kann ich nur sagen – das ist ja auch der wissenschaftliche Erkenntnisstand über BSE –, dass eben keineswegs verhindert werden kann, wenn man Tiermehl nicht mehr verfüttert, dass diese Krankheit nicht doch bei Rindern auftaucht.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Das hat niemand behauptet!)

Meine Damen und Herren, die Frage ist, welche konkreten Maßnahmen jetzt sinnvoll sind, was gemacht werden muss und ob auch alles, was möglich ist, gemacht wird. Herr Ministerpräsident, Sie haben einige Maßnahmen angekündigt. Diesen Maßnahmen kann zugestimmt werden. Ihre Forderungen an die EU und an den Bund sind wohl richtig, dürfen aber nicht davon ablenken, dass wir auch selbst hier als Land in der Verantwortung gegenüber unserer Landwirtschaft stehen.

Es gibt noch eine ganze Reihe von Fragen, die offen sind. Ich frage Sie: Welche ganz konkreten Perspektiven haben die Rinderhalter, die Schweine- und Geflügelzüchter im Land angesichts des Verfalls der Fleischpreise einerseits und andererseits des Wegfalls von Tiermehl als Futtermittel gerade bei der Mast von Schweinen und Geflügel? Welche Hilfsprogramme sind vorgesehen? Was soll denn nun konkret auf diese Bauern bei uns zukommen? Die kann man doch nicht einfach damit vertrösten, dass man sagt: Da sind an sich der Bund und die EU zuständig.

(Beifall bei den Republikanern)

Eine weitere Frage zu den Tests. Sie haben angekündigt, dass weitere Stellen geschaffen werden, dass Untersuchungsämter in die Lage versetzt werden sollen, die Tests durchzuführen. Reicht das alles aus, was da angekündigt ist? Ich denke daran, dass beispielsweise in NordrheinWestfalen sofort 32 neue Stellen geschaffen wurden.

Ich frage mich auch, Herr Ministerpräsident: Welche Maßnahmen sind denn eigentlich in den letzten Jahren von der Landesregierung gefördert worden, als es um die Forschung ging? Sie können doch nicht auf die Bundesforschungsanstalt in Tübingen verweisen. Es ist auch schön und gut, dass wir in Heidelberg Grundlagenforschung im Bereich der Prionen haben, die aber nicht allein den Bereich BSE betrifft. Die Frage ist: Was ist denn in der Zusammenarbeit beispielsweise mit der pharmazeutischen Forschung geschehen, um den Erkenntnisstand gerade bei den Tests zu beschleunigen? Da ist nichts gemacht worden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Ich sage Ihnen: Bessere Tests wären heute schon einführungsreif.

(Abg. Göbel CDU: Wo kennen Sie die?)

Deswegen muss man hier sagen: Da haben Bund und Land im Bereich der Forschungspolitik versagt.

Das können Sie übrigens sehr leicht daraus ersehen, dass jetzt in Kürze die Firma Boehringer einen Test bringen wird. Hätte man diese Forschungsarbeiten rechtzeitig richtig gefördert, wären wir heute schon einen Schritt weiter.

(Beifall bei den Republikanern)

Meine Damen und Herren, ich will noch etwas zu der Frage der Kennzeichnungspflicht sagen. So wichtig und so notwendig sie ist, sie reicht nicht aus. Es gibt noch eine andere offene Frage: Ist denn in der Vergangenheit im Bereich der Kontrollen wirklich immer alles gemacht worden, was möglich gewesen wäre?

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Ist eigentlich bei entsprechenden Erkenntnissen über Futtermittelverunreinigungen immer konsequent gehandelt worden? Frau Ministerin, da habe ich Zweifel, denn es gibt Vorgänge in der Vergangenheit, bei denen man eher fragen muss, ob nicht der Kontrolleur, der etwas entdeckt hat, bestraft wurde statt derjenige, der das verunreinigte Futtermittel auf den Markt gebracht hat.

(Beifall bei den Republikanern – Zuruf des Abg. Göbel CDU – Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit angezeigt.)

Ich komme gleich zum Schluss.

Eine letzte Frage, Herr Ministerpräsident: Wie steht es eigentlich mit der Entsorgung der noch vorhandenen Eiweißfuttermittel tierischer Herkunft im Land? Wer finanziert den Aufkauf? Wie erfolgt die Vernichtung?

Ich kann als Resümee nur festhalten, meine Damen und Herren: Nach dieser Regierungserklärung sind noch einige Fragen offen.

Wir müssen uns aber eines unabhängig von diesen aktuellen Problemen bewusst machen: BSE ist eine existenzielle Krise für unsere Landwirtschaft. BSE ist nach wie vor eine für Menschen und Tiere gefährliche Seuche, aber vor allem ein Menetekel im Hinblick auf die EU-Agrarindustrie, wie wir sie heute haben. Ich habe bislang nicht den Eindruck, dass hier mehr als kurzfristiger Aktionismus erkennbar ist. Damit, meine Damen und Herren, gewinnt man eben das notwendige Vertrauen draußen bei den Menschen nicht zurück. Deswegen kann ich nur sagen: Note „ungenügend“, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil die Landesregierung die Gefährdung der Menschen durch BSE für sehr groß ansieht und ich das persönlich auch tue, haben wir uns zu einer Regierungserklärung entschlossen, und wir haben uns zu d i e s e r Regierungserklärung entschlossen. Wie leicht hätte ich es gehabt, Schuld auf andere zu schieben, so wie Mitglieder der Koalition in Berlin den Rücktritt von Bundesministern dieser Koalitionsregierung gefordert haben, und auch Versäumnisse anderer aufzuzeigen. Ich habe mich in dieser Regierungserklärung für einen ganz anderen Weg entschieden. Sie ist der Sache angemessen und außerordentlich sachorientiert und ohne Polemik und Vorwürfe oder gar Rücktrittsforderungen gegenüber anderen. Sie haben das von mir auch in den letzten Wochen nicht gehört; denn ich halte den Satz für richtig, den ich gesagt habe und den Kollege Salomon ausdrücklich bestätigt hat: Die Bürger erwarten von uns nicht, dass wir uns jetzt herumstreiten und gegenseitige Schuldzuweisungen für die Vergangenheit aussprechen,

(Oh-Rufe von der SPD – Abg. Maurer SPD: Was haben Sie denn gemacht?)

sondern sie erwarten wirklich, dass nach dem Maß der Erkenntnisse konkret gehandelt wird. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger.