Protokoll der Sitzung vom 01.02.2001

Jetzt gebe ich zu, dass man sich da immer auf gefährlichem Terrain bewegt, und die Unsicherheit, ob das nicht missbraucht wird, ist sehr groß. Da gibt es leider ein prominentes Beispiel, wie sich solche Gedanken bei Leuten auswirken können, die man so gar nicht einordnen würde. Ein Beispiel dafür ist der Altbundeskanzler Kohl. Er stellt ein persönliches Versprechen, das er gegeben hat, über die Gesetze und die Verfassung dieses Gemeinwesens. Das darf man in der Tat nicht machen. Selbstverständlich kann das der gemeine Bürger machen. Aber wer sich an Versprechen, die illegal sind, halten möchte, der darf gewiss keine öffentlichen Ämter anstreben.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Kritisieren Sie Kohl ei- gentlich? – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Man muss nur in Kauf nehmen, dass sie verurteilt wer- den und öffentliche Ämter niederlegen müssen!)

Insofern möchte ich selbstkritisch sagen, dass so etwas wie zivilen Ungehorsam anzuwenden immer die Ultima Ratio ist und dass alle sehr skrupulös damit umgehen müssen, so etwas zu tun oder gar dazu aufzufordern. Das ist gar keine Frage. Ich glaube, auch da haben wir einiges zu lernen gehabt.

Ich möchte noch einmal betonen: Die Irrtümer der 68er – es ist völlig richtig, dass die natürlich nicht eine ganze Generation repräsentieren, sondern nur einen Teil von ihr – waren schwerwiegend. Sie haben an ihren Rändern zu schwersten Gewalttaten geführt, und natürlich haben alle, auch ich – das ist keine Frage –, der zwar persönlich keine Gewalt angewendet hat, was ich aber eher meinem Naturell verdanke,

(Abg. König REP: Fischer ist doch ein 70er und kein 68er!)

und die ganze Gewaltmystik und die Gewaltpropaganda des revolutionären Kampfes, dem ein Teil dieser Bewegung erlegen ist, überhaupt erst den Bodensatz dafür geschaffen, dass es ausgefranst ist. Das ist natürlich das, was die, die das getan haben, mit sich tragen und mit dem sie fertig werden müssen. Aber eine andere Buße, um mit Frau Merkel zu sprechen, als zu versuchen, ein überzeugter Demokrat zu sein, der am Aufbau und an der Gestaltung des Gemeinwesens teilhat, gibt es nicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Deuschle REP: Deswegen muss er noch lange nicht Minister sein!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind hier nicht in der Landessynode und auch nicht auf dem Konzil von Trient. Was mich etwas stört, ist, dass man sich hier gegenseitig Bibelzitate an den Kopf schmeißt. Wenn jemand ausrastet und Gewalt anwendet, ist

dafür er selber verantwortlich und ganz bestimmt nicht der Herrgott.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Brechtken SPD: Das ist auch wieder wahr!)

Da ist man ja geneigt, zu sagen: „Ihr Heuchler und Pharisäer.“ Das gilt dann für alle, außer den Liberalen hier.

(Beifall bei der FDP/DVP – Große Heiterkeit – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Fangen Sie jetzt auch an? – Abg. Seimetz CDU: Das war die größte Heuchelei!)

Ich will es noch einmal ganz klar sagen: Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung, und es gibt keine Situation in einem demokratischen Rechtsstaat, die dazu berechtigte, Gewalt gegen diesen demokratischen Rechtsstaat anzuwenden.

(Abg. Bebber SPD: So ist es!)

Ich will aber noch einmal klarstellen: Die FDP war schon immer für die Resozialisierung straffällig Gewordener. Das ist auch ein Grundsatz, den wir zu beherzigen haben. Überlegen Sie einmal, was wäre, wenn man jeden kleinen Nazi nach 1945 von der Teilhabe am Aufbau des demokratischen Staates ausgeschlossen hätte und wenn wir alle 150prozentigen Kommunisten nach 1990 von der Demokratisierung der Ex-DDR ausgeschlossen hätten. Das wäre sicherlich der falsche Weg gewesen.

Klar ist nur – das, Herr Kretschmann, können Sie mit Ihrem Weihrauch, den Sie hier verbreiten, nicht zudecken –: Wenn beispielsweise bei der Blockade gegen die Castortransporte in Neckarwestheim Ihre Parteifreunde Schlauch und Kuhn die dort ihre Pflicht tuenden Polizisten mit „Ihr Wichser“ beschimpfen und ähnliche Sprüche machen, ist das schon verbale Gewalt. Ich rufe Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass aus dieser verbalen Gewalt keine tatsächliche wird. Denn, wie gesagt, Gewalt gehört nicht in die Politik.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Innenminister Dr. Schäuble.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst ist es eine spannende Frage, warum diese Diskussion über die Vergangenheit von Fischer und am Rande auch von Trittin gerade jetzt entstanden ist. Auch Herr Kollege Kretschmann hat diese Frage aufgeworfen. Wenn ich es richtig sehe, ist diese Diskussion jetzt nicht von den demokratischen Parteien eingeführt worden, sondern sie kommt wohl eigentlich aus dem alten ehemaligen Umfeld – einschließlich der Nachfolger – Fischers selbst.

(Abg. Keitel CDU: So ist es!)

Die Medien sind zum größten Teil mit einer Wucht und einer Vehemenz auf dieses Thema gesprungen, die ihrerseits auch wieder außerordentlich bemerkenswert sind. Ein Beispiel unter vielen: Die Zeitschrift „Die Woche“ titelt in ih

(Minister Dr. Schäuble)

rer letzten Ausgabe: „Die Debatte über die verdrängte Vergangenheit ist unumgänglich.“

Ich muss Ihnen ganz offen sagen, was meine erste Reaktion war. Noch einmal, Herr Kollege Kretschmann: Es ist ein ganz wichtiger Punkt, den Sie angesprochen haben. Eigentlich ist ja alles bekannt. Warum nicht früher? Ich habe meine Meinung etwas geändert, als ich zum ersten Mal dieses Foto gesehen habe, auf dem die Meute um Fischer auf einen Menschen, einen Polizeibeamten,

(Abg. Keitel CDU: Der seinen Dienst tut!)

der am Boden liegt, einschlägt und keine Ruhe gibt, obwohl der Mann ersichtlich um Gnade winselt. Jeder Mensch, wenn er nicht eine große innere Verrohung hat, hat dann eine innere Hemmschwelle. Tiere, Hunde haben in einer solchen Situation eine Beißhemmung.

(Abg. Keitel CDU: Das stimmt!)

Dieses Bild macht auf bestürzende Weise die Verrohung der Menschen um Fischer deutlich.

(Abg. Keitel CDU: So ist es!)

Es erinnert natürlich in schrecklicher Weise an Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit, etwa wie Hooligans auf den Polizeibeamten Nivel einschlagen oder wie Skinheads auf Ausländer, die ebenfalls am Boden liegen und keine Gnade finden, einschlagen. Es wird sehr schwer sein, gerade unseren Kindern und jungen Menschen den Unterschied zu erklären. Das ist eigentlich unmöglich.

(Beifall bei der CDU, bei Abgeordneten der Repu- blikaner und des Abg. Pfister FDP/DVP – Abg. Keitel CDU: Sehr richtig!)

Natürlich wird als eine Art Erklärung, manchmal bis hin zum Versuch der Rechtfertigung, gesagt, das sei ein Kampf gegen den repressiven Staat, gegen die Polizei als den Büttel dieses Staates gewesen. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, das sollte eigentlich wirklich zum Grundbestand unseres Konsenses gehören: Der angeblich gute Zweck heiligt eben nicht die bösen Mittel.

(Abg. Bebber SPD: Das hat Oettinger noch anders formuliert!)

Die große Gefahr besteht immer darin, dass diejenigen, die sich zum Beispiel als Kämpfer für eine sozialistische Revolution einsetzen, sagen: Weil ich das Gute will, denke ich über alle anderen, die eine andere Meinung haben, schlecht. Das sind die Rückständigen, die Bösen, die Ewiggestrigen, die Verbohrten. Genau diese Haltung – das ist die furchtbare Konsequenz – führt zwangsläufig in den Terror. Das ist der Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wenn es aus dieser Diskussion, die über uns hereingebrochen, aber nicht von uns provoziert worden ist, ein Lehre zu ziehen gibt, dann ist es die – wie vorhin auch vom Kollegen Reinhart hervorgehoben worden ist –: Es muss jetzt

endlich klar sein, dass jede Art von Extremismus, jede Art von Gewalt, Linksextremismus genauso wie Rechtsextremismus, auf das Schärfste verurteilt und bekämpft werden muss.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich füge nicht ohne eine kleine Genugtuung hinzu: Bei allen Problemen, die wir aktuell mit dem Rechtsextremismus haben, Herr Kollege Bebber – wir haben darüber auch in zahlreichen Landtagsdebatten heftig diskutiert –, behaupte ich, gerade weil wir in Baden-Württemberg in der Landesregierung auf keinem Auge blind sind, dass wir auch in der Bekämpfung des Rechtsextremismus besser dastehen als die meisten anderen Bundesländer. Auch dies stimmt und sollte uns dann zu entsprechenden Konsequenzen führen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Es kommt noch etwas anderes hinzu: Es muss klar sein, und es sollte darüber bei allen, auch bei den Grünen – da machen Sie es sich noch ein bisschen zu einfach –, jetzt endlich Konsens darüber bestehen: Das Gewaltmonopol liegt ausschließlich beim Staat. Sie haben damit Ihre Probleme.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Wer hat Ihnen denn das erzählt?)

Umwelt- und Verkehrsminister Müller hat eindeutig dargelegt, dass Trittin eine rechtswidrige Weisung erteilt hat, mit der er jetzt den Castortransport im März untersagt.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Was? – Lachen des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/ Die Grünen)

Eines der Motive – deshalb würde ich nicht so sehr lachen, Herr Kollege Salomon – von Trittin war natürlich, dass Rot-Grün die Sorge hat: Würde ein solcher Transport stattfinden, würden die Menschen in unserer Republik natürlich sehr wohl Gewalt aus dem linken Lager, aus dem rot-grünen Lager in hohem Maß erleben. Unter anderem deshalb ist der Transport untersagt worden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Aus keinem anderen Grund! – Abg. Bebber SPD: Wollen Sie den Transport, weil es Randale gibt?)

Ein anderer Gesichtspunkt ist mir wichtig: Ich bin wie Sie auch dafür, dass wir Menschen, wenn wir etwas falsch gemacht haben, eine zweite Chance erhalten. Ob dies in Fällen wie bei Fischer gleich zu höchsten Staatsämtern führen muss, steht auf einem anderen Blatt.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Abg. Bebber SPD: Die Leute wussten das alles!)

Aber ich will auf einen anderen Punkt hinaus – das ist im Grunde das Unerträgliche in unserer derzeitigen Diskussion, in unserer politischen Landschaft –: Eine solche zweite Chance, wie sie Fischer, Trittin und wie sie alle heißen

(Minister Dr. Schäuble)