Winfried Kretschmann

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Frau Ministerin, ist Ihnen bekannt, dass die Verbände des ökologischen Landbaus auf der Pressekonferenz, die Sie mit diesen Verbänden vor etwa zehn Tagen durchgeführt haben, Zahlen verteilt haben, aus denen hervorgeht, dass der Anteil der Ökobetriebe 2,7 % und nicht 5 % beträgt und dass Ihre Angaben lediglich darauf beruhen, dass ein Drittel der Betriebe reine Streuobstbetriebe sind, die bei solchen Statistiken klassischerweise natürlich nicht unter den ökologischen Landbau fallen?
Zweitens: Entsprechen die statistischen Grundlagen, die Sie hier vorgetragen haben, den Vergleichen mit den anderen Ländern?
Herr Minister, welche Bedeutung haben denn die Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die der Realisierung des Projektes wohl noch vorausgehen? Sie haben jetzt Zahlen genannt, was das kostet. Aber in welchem Verhältnis stehen sie zur Wirtschaftlichkeit des ganzen Projekts Stuttgart 21 im engeren Sinn?
Bei der heutigen Strenge des Präsidenten darf ich ja nur eine ganz präzise Frage stellen: Sind von der Landesregierung jemals unter dem Gesichtspunkt, dass das Land sorgsam mit den Steuermitteln umzugehen hat
und auf das Preis-Leistungs-Verhältnis achten muss, überhaupt ernsthaft die Alternativen zu der jetzt geplanten Vergrabung des Bahnhofs, nämlich eine Sanierung des Kopfbahnhofs, geprüft worden?
War das korrekt?
In Artikel 3 c unserer Landesverfasssung heißt es:
Die Landschaft sowie die Denkmale der Kunst, der Geschichte und der Natur genießen öffentlichen Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden.
Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen verweigern diesen Verfassungsauftrag,
im Gegenteil: Dieser Gesetzentwurf – es ist ja nicht daran zu zweifeln, dass er heute eine Mehrheit findet –
wird diesen Auftrag, den uns die Verfassung gibt, weiter entscheidend schwächen.
Dies habe ich in der letzten Lesung schon für den Naturschutz dargestellt. Aber auch für den Denkmalschutz, der denselben Verfassungsrang hat, wird dieser Auftrag geschwächt, indem der Devolutiveffekt abgeschafft wird. Man muss sich einmal vor Augen halten: Wir bauen gerade ein Haus der Geschichte in der Größenordnung von 80 Millionen DM, aber der Erhalt unserer archäologischen und Kulturdenkmale wird durch diesen Gesetzentwurf entschieden geschwächt. Im Ausschuss waren Sie auch nicht in der Lage, darzulegen, inwiefern Ihr Gesetz eine Stärkung dieses Auftrages sein soll. Nur dies kann ja bei dieser Verfassungslage geboten sein.
Sie schwächen also die gesetzlichen ordnungspolitischen Grundlagen im Denkmal- und Naturschutz. Zugleich werden die Mittel zurückgefahren. Die Mittel im Denkmalschutz haben sich in den letzten zehn Jahren wie folgt entwickelt: In den Jahren 1990 bis 1993 waren es jährlich rund 50 Millionen DM, im Jahre 1994 rund 60 Millionen DM, ebenso 1995; dann gibt es in den Jahren 1996 und 1997 einen dramatischen Einbruch von 47 Millionen DM auf 30 Millionen DM; dann lagen wir bei 30 Millionen DM, 29 Millionen DM und 33 Millionen DM, und im letzten Haushalt sind 39 Millionen DM eingestellt.
Das heißt, Sie schwächen das Ordnungsrecht, und zugleich sind die Mittel zurückgefahren worden – und das bei den bekannten Preissteigerungen in der Baubranche. Man sieht
also ganz klar: Sie haben mit Denkmalpflege nichts im Sinn, und das, obwohl der Erhalt dieser Kulturdenkmale unsere Städte und Gemeinden attraktiver macht und damit – neben dem Erhalt unseres Kulturgutes – einen wichtigen so genannten weichen Wirtschaftsstandortfaktor darstellt und eine außerordentlich hohe Wertschöpfung für die kleinen und mittleren Betriebe beinhaltet; denn ausschließlich diese arbeiten im Denkmalschutz. Das, was Sie tun, geht im Naturschutz also voll gegen das Ehrenamt und im Denkmalschutz voll gegen den Mittelstand. Das ist Ihre Politik in diesem Bereich.
Die Bilanz im Naturschutz ist absolut negativ. Sie haben nichts Positives vorzuweisen.
Gerne.
Ganz genau so ist es, Herr Kollege. Der Devolutiveffekt ist genau deswegen unten angesiedelt, damit die Leute mit Kenntnissen vor Ort im Konfliktfall die höhere Behörde anrufen können.
Ich kann Ihnen nur zustimmen. Das ist genau der Sinn des Effekts, den Sie nun abschaffen. Das heißt, Sie schwächen genau die, die die Kenntnisse vor Ort haben und diese im Konfliktfall nach oben weitergeben könnten.
Es tut mir Leid – das ist genau der Punkt –, dass Sie zum Schluss noch ein solches Eigentor geschossen haben.
Die Bilanz im Naturschutz ist also absolut negativ. Sie haben noch nicht einmal Ihre selbst gesetzten Ziele erreicht. Ich habe schon bei der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs gesagt: Ihre eigenen Kabinettsbeschlüsse – sie liegen schwarz auf weiß vor –, bei denen Sie den Ansatz „mehr Schutz durch Nutzung“ propagiert haben, sind nicht in die Praxis umgesetzt worden. Die Koalitionsfraktionen haben dafür null Mark – ich betone: null Mark – im Haushalt ausgewiesen. Die Ministerin wollte zwischen 7 und 15 Millionen DM. Also, Geld für neue Projekte wird nicht ausgegeben, jedenfalls in keiner Weise im erforderlichen Maß. Aber die Verwaltung, die die vermehrten Aufgaben, die jetzt durch die Ausweisung der Natura-2000-Gebiete der EU kommen, lösen soll, wird halbiert und geschwächt. Im Prinzip sind die BNLs in dieser Stärke kaum noch funktionsfähig, wenn man weiß, dass schon bisher die roten Listen immer weiter gewachsen sind.
Wer ist dafür verantwortlich zu machen? In erster Linie ist der Ministerpräsident – das weiß jeder hier im Haus – persönlich für diese ganze Linie verantwortlich zu machen, weil er nicht begriffen hat, dass zum Beispiel bei der Wende in der Agrarpolitik – wo es darum geht, die Landwirtschaft naturnäher zu gestalten – genau die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Naturschutz notwendig ist.
Wir brauchen neue Konzepte der Kooperation und des integrativen Naturschutzes.
Davon hat er nichts verstanden. Er hat nichts davon verstanden, dass Ökologie bedeutet, kreative, gute Arbeitsplätze für unsere jungen Leute bereitzustellen, dass dies eine Perspektive für unsere ländlichen Räume bedeutet. Unsere Bevölkerung will – wir denken heute ja in diesen Fragen stärker vom Verbraucher her – schöne, artenreiche Naturund Kulturlandschaften. Dazu muss man die entsprechenden Konzepte haben, damit dies auch durchgesetzt werden kann.
Die Koalitionsfraktionen waren in diesem jahrelangen Gerangel nicht in der Lage, wenigstens die Schwächung der kleinsten Verwaltung – wohlgemerkt, der kleinsten Verwaltung –, die wir überhaupt im Lande haben, zu verhindern. Dies ist ein Armutszeugnis ersten Ranges.
Die ganze Art und Weise, wie Sie mit dem Naturschutz und jetzt auch mit dem Denkmalschutz in diesem Land umgegangen sind, ist einfach schlichtweg eine Schande für Baden-Württemberg.
Frau Ministerin Staiblin, Sie haben die geplante Verbrennung von 400 000 Rindern kritisiert. Haben Sie denn Alternativvorschläge?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, dass man in einer Debatte, in der es um die fundamentalsten Fragen menschlicher Existenz geht, in freier Rede in fünf Minuten dazu Darlegungen machen kann, ohne Missverständnisse zu erzeugen. Deswegen halte ich diese Debatte wirklich für verfehlt.
Die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts wird von ihrem Erkenntniswert her sicher jeden faszinieren, der sich mit der Frage aller Fragen beschäftigt: „Was ist der Mensch?“ Jedenfalls zeigt sich – das haben Sie ja schon gesagt, Kollege Noll –, dass es bei den Individuen, zum Beispiel zwischen den menschlichen Rassen, keine relevanten genetischen Unterschiede gibt. Das heißt, das, was wir schon immer wussten, dass der Rassismus eine menschenfeindliche Ideologie ist, ist jetzt noch einmal mit großer naturwissenschaftlicher Genauigkeit bestätigt worden.
Wir wissen jetzt auch genauer, dass wir mit anderen Lebewesen wie mit den Schimpansen genetisch zu über 98 % verwandt sind.
Wir wissen neu – das hat sicher viele von uns überrascht –, dass selbst Bakterien ihre Spuren in unserem Erbgut hinterlassen haben. Die Frage „Wo kommen wir her?“, die dieser Erkenntnisgewinn bringt, kann also sicher auch vieles zu der Frage beitragen: „Wer sind wir?“
Wir dürfen uns also über das Erkenntnisvermögen freuen, das der Mensch besitzt. Die große Verwandtschaft mit den anderen Lebewesen soll uns aber auch bescheiden machen, uns zeigen, dass wir nicht Herrscher oder wenigstens nicht nur Herrscher über die Natur sind, sondern auch Hüter alles Lebendigen sein sollen.
Schließlich zeigen die Ergebnisse, finde ich, ganz deutlich, dass die Vielschichtigkeit der menschlichen Existenz, das Verhalten des Menschen, seine Handlungen, sein Lernen und sein Erinnern, wirklich sehr viel mehr ist als das, was in unseren Genen festgelegt ist. Ich finde, über den Erkenntnisgewinn dürfen wir uns sicher freuen. Ansonsten ist Skepsis angesagt.
Denn mit der Erkenntnis wird auch die Verführung größer, in das menschliche Erbgut einzugreifen, zum Beispiel aufgrund schwerer Erbkrankheiten, mit denen der Mensch geschlagen ist. Das heißt, es droht die Gefahr von Grenzüberschreitungen. Bisher ist da noch ein Damm, der hält, der uns davon abhält, dass wir in die menschliche Keimbahn eingreifen, weil wir uns der allerältesten Grundsätze unse
rer Zivilisation erinnern. Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Das heißt übersetzt: Erstens, er hat sich nicht selbst gemacht, und zweitens, in ihm gibt es etwas absolut Unverfügbares. Deswegen sagen wir Grünen seit eh und je: Der Mensch soll vom Innersten der Materie, also vom Atomkern, und vom Innersten des Lebendigen, vom Zellkern, jedenfalls aber vom Zellkern des Menschen, die Finger lassen. Ich glaube, das ist die fundamentale Grenze. Wenn wir diese Grenze überschreiten, werden Dinge kommen, die wir als ganze menschliche Gattung tief bereuen werden. Davon bin ich jedenfalls persönlich fest überzeugt.
Worin aber bestehen aktuelle Gefahren?
Es geht um die Unantastbarkeit des menschlichen Zellkerns in der Keimbahn. Ich habe nichts dagegen, dass man Mundschleimhautzellen untersucht. Die gehen schon beim Zähneputzen weg, da brauchen wir uns keine moralischen Bedenken zu machen.
Es ist aber so. Es geht um den Zellkern in unserer Keimbahn, darüber brauchen wir jetzt keine Missverständnisse zu produzieren.
Das ist mir bekannt, Herr Kollege. Ich habe wie Sie Naturwissenschaft studiert.
Worin besteht die aktuell größte Gefahr? Wir haben große Fortschritte in der Diagnose des menschlichen Erbguts gemacht, aber angesichts der Komplexität gehen die Therapiemöglichkeiten damit nicht parallel. Das heißt, wir wissen sehr viel mehr, auch über Krankheiten, können sie aber aufgrund dieser Erkenntnisse keineswegs einfach heilen. Wozu wird das führen?
Die größte aktuelle Gefahr wird darin bestehen, dass wir genetisch diskriminiert werden, zum Beispiel durch Versicherungsgesellschaften. Natürlich kann man da rechtliche Schranken aufbauen und sagen: Das ist eigentlich verboten. Wie aber will man, wenn es erst einmal ein allgemeiner Trend in der Gesellschaft ist, dass man das macht – es gibt darüber einen sehr interessanten Artikel in der „Zeit“ über Zypern –, einem Unternehmer nachweisen, dass er je
manden, der das nicht tut und stur bleibt, aus diesem Grund nicht eingestellt hat? Dieses Problem haben wir ja heute schon bei vielen Diskriminierungsfragen.
Ich glaube, diese genetischen Diskriminierungen sind das Hauptproblem. In Großbritannien deutet sich an, dass das unmittelbar bevorsteht, und es sind eigentlich unmittelbar rechtliche Schritte erforderlich, um das einzudämmen.
Ich höre auf.
Dass es einen Schutz der Intimsphäre gibt, das Recht, sein Erbgut für sich zu behalten, das gehört für mich zu den fundamentalen Rechten, die die Gesellschaft unmittelbar durchsetzen muss.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich versuche, diese schwierigen ethischen Debatten zu verfolgen. Ich kann Ihnen, Herr Kollege Müller, auf Ihre Frage selbstverständlich keine Antwort geben. Deswegen stört mich der zwanghafte Optimismus, der bei diesem Thema verbreitet wird.
Dafür, optimistisch zu sein, sehe ich gar keinen Anlass. Ich bin da pessimistisch. Ich sehe, dass da nicht nur die tradierten Grenzen, die ich jetzt hier vertrete, überschritten werden, sondern es werden auch die Grenzen der Grenzen überschritten. Der Kommentar von Nida-Rümelin zeigt, dass selbst in fundamentalen Fragen, was Menschenwürde ist und wo sie beginnt, keine Einigkeit mehr zu erzielen ist. Schon das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Abtreibung – das ist in der Replik von Reinhard Merkel auf den Spaemann-Artikel sehr deutlich dargelegt worden – zeigt – quasi im Vorspann des Urteils –, dass die funda
mentale Menschenwürde praktisch auf die Zeugung zurückverlagert wird. Mit den Konsequenzen, die das Bundesverfassungsgericht zulässt, hat dies alles natürlich nichts zu tun; denn bekanntlich darf man bei uns abtreiben.
Das heißt also: Wenn man bei der Diagnose weiter vorankommt, bei der Therapie aber nur sehr viel langsamer – ich nehme an, dass Sie mir da zustimmen werden –, dann wird dies schlichtweg zur Folge haben, dass mehr abgetrieben wird. Ich möchte darüber in keiner Weise irgendein Urteil fällen. Ich möchte auch kein Urteil fällen über genkranke Menschen, die fordern, man müsse in die Keimbahn eingreifen. Positionen werden wir alle haben, und Sie werden alle ihre guten ethischen Argumente finden. Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Letztlich sind wir bei diesen Fragen dann doch wieder auf unsere innersten Überzeugungen oder Glaubenshaltungen zurückverwiesen.
Woher aber nehmen Sie Ihren Optimismus? In einer Welt, in der es noch nicht einmal gelingt, die allerfundamentalsten Menschenrechte, die in der UNO-Charta dargelegt werden, wenigstens in 50 % der Länder der Welt durchzusetzen, wo die allerbanalsten Fragen von Mord und Totschlag, Krieg und Frieden nicht gelöst und die einfachsten Grundrechte immer noch nicht durchgesetzt sind, in der solche fundamentalen Fragen wie die jetzt etwa drohende Klimaänderung nicht angegangen werden, obwohl man das Problem kennt, frage ich Sie: Woher nehmen Sie denn den Optimismus, Fragen zu lösen, die in der Zukunft liegen? Bei den aktuellen Problemen, zum Beispiel die drohende Klimaänderung durch entschlossenes Handeln einzudämmen, kann ich zum Beispiel bei der Landesregierung wenig Entschlossenheit erkennen. Man überspringt das Problem in einer totalen Zukunftsbesoffenheit und glaubt, die Probleme, die man noch gar nicht kennt, in der Zukunft sehr wohl in den Griff zu bekommen.
Herr Kollege Kiesswetter, wie, bitte schön, wollen Sie ein Recht praktisch durchsetzen, dass man genetisch nicht diskriminiert werden darf? Das Beispiel von Zypern, das der Kollege Müller vorgetragen hat, zeigt: Wenn sich die überwältigende Mehrheit einmal solchen freiwilligen genetischen Tests unterzieht, dann sind die anderen, die das nicht machen, faktisch diskriminiert. Selbst die orthodoxen Pfarrer trauen die Leute nicht mehr, wenn sie kein Screening bezüglich der Thalassämie haben vornehmen lassen. Da ist es dann mit dem formalen Recht auf den Datenschutz für das eigene Erbgut in der Praxis nicht mehr weit her. In den USA können Sie schon bei sehr vielen Firmen sehen, was mit Leuten passiert, die fundamentale Daten ihrer persönlichen Selbstbestimmung verweigern.
Ich will einfach nur sagen – damit habe ich ja meinen Redebeitrag eingeleitet –: Von meiner Warte aus – sicher hat jeder eine persönliche Sicht der Dinge – ist in erster Linie Skepsis angesagt, aber kein Optimismus.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Revolte der 68er mit den darauf folgenden Siebzigerjahren war eine wichtige Epoche der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Diese höchst widersprüchliche und sehr facettenreiche Phase unserer neuesten Zeitgeschichte mitten im Wahlkampf in fünf Minuten abhandeln zu wollen und sie für den tagespolitischen Kampf zu instrumentalisieren,
das kann ja außer Missverständnissen und Klischees wirklich keine positiven Ergebnisse zeitigen.
Die Frage, ob Aktivisten dieser Bewegung mit einer linksradikalen Vergangenheit, zu denen ich bekanntlich selbst auch gehöre, höchste Staatsämter bekleiden dürfen und ob sogar der Anführer der „Putztruppe“ des „Revolutionären Kampfes Frankfurt“ heute Außenminister sein kann,
ist im Detail schwer und im Prinzip leicht zu beantworten.
Man muss dabei die Zeitumstände und die Zeitströmungen, in denen das passiert ist, beachten. Sie werden mir zugestehen, dass es vollkommen unmöglich ist, das in fünf Minuten darzustellen.
Deswegen möchte ich das einfach lassen.
Eines ist allerdings klar: Derjenige von diesen Aktivisten, der sich heute als überzeugter Demokrat erweist, kann selbstverständlich solche Ämter bekleiden. Ein anderes Kriterium kann es in einer Demokratie überhaupt nicht geben. Relevante Einwände, dass sich diese Personen nicht glaubwürdig für die Demokratie und ihre Grundsätze einsetzen, sind bisher gar nicht vorgetragen worden.
Ich möchte Ihnen dies an einem Beispiel, das Sie vielleicht leichter akzeptieren können, verdeutlichen. Der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, hat bekanntlich den Ermächtigungsgesetzen zugestimmt und damit einem der größten Gewaltverbrecher der Menschheitsgeschichte in den Sattel verholfen. Theodor Heuss wurde der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Der Maßstab, den wir bei der Frage, ob er es werden durfte, anlegen, kann nur der sein, dass er sich als durch und durch überzeugter Demokrat aktiv am Aufbau dieser demokratischen Bundesrepublik beteiligt hat. Ich glaube, dass diese Republik ohne ihn schwer denkbar wäre.
Ich glaube, dass das hier im Prinzip überhaupt nicht anders ist. Ich glaube, dass all diese Leute, die heute solche Positionen bekleiden, sich in Wort und Tat und in ihrer ganzen Haltung aktiv für dieses Gemeinwesen einsetzen und versuchen, ihre politischen Ziele ausschließlich mit demokratischen Mitteln umzusetzen.
Anders ist es auch gar nicht erklärbar, dass Außenminister Fischer ein angesehener Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland in der ganzen Welt ist, angesehen und geachtet, und dass auch von Ihrer Seite, die Sie über dessen Vergangenheit wohl Bescheid wussten, dagegen gar keine prinzipiellen Einwände geltend gemacht wurden, als er dieses Amt angetreten hat. Wenn allerdings deutlich würde, dass in seinem Amt, das zu den sehr wichtigen Positionen gehört, und in seiner Außenpolitik noch irgendwelche Elemente seiner Vergangenheit zu finden wären,
dann wäre von der Opposition in Berlin zu erwarten, dass sie mit heftigen politischen Angriffen auf seine Außenpolitik agiert. Das können wir bisher, glaube ich, nicht feststellen.
Insofern, glaube ich, sollten wir uns davor hüten, einfach mit irgendwelchem oberflächlichem Schlagabtausch solch schwierige Fragen zu behandeln.
Wie leicht das ins Auge gehen kann, sehen Sie doch selber daran, dass es in einer ganz gewöhnlichen politischen Alltagssituation, in der es um die Frage geht, wie die Renten behandelt werden, auch Ihrer Parteiführung passiert ist, dass ihr die Maßstäbe in dieser Auseinandersetzung völlig
verrutscht sind und sie ein Fahndungsplakat mit dem Bundeskanzler veröffentlicht hat. Wenn schon in einer hundsgewöhnlichen Situation der tagespolitischen Auseinandersetzung der Führung einer demokratischen Volkspartei so etwas passiert und sie auf Druck – vor allem aus den eigenen Reihen – dieses Plakat zurücknehmen muss, dann können Sie sich doch vorstellen, dass man Vorgänge von vor 20 Jahren hier nicht einfach so locker bewerten kann, ohne die Umstände zu berücksichtigen, unter denen diese Menschen gehandelt haben. Dem stellen wir uns.
Wenn Sie irgendjemandem von uns hier, von den Grünen in diesem Landtag, auch nur andeutungsweise nachweisen können, dass er in irgendeiner wichtigen Frage die Grundsätze dieses demokratischen Rechtsstaats verletzt hat, dann müssen wir uns selbstverständlich dieser Debatte stellen und tun es auch.
Ich fordere Sie auf: Sehen Sie das Ganze positiv. Es ist dieser Demokratie gelungen, Leute, die sich – wie auch ich – den Staat zum Feind erklärt hatten, in dieses Gemeinwesen zu integrieren und sie doch zu einigermaßen anständigen Demokraten zu machen. Das ist mit ein Verdienst unserer Demokratie.
Man muss mit Eigenlob immer ein bisschen vorsichtig sein. – Ich glaube, dadurch hat die ganze Republik gewonnen.
Dass wir heute einen solchen Widerstand gegen die Polizei völlig anders beurteilen,
das hat – um das einmal an diesem Beispiel zu erläutern – damit zu tun,
dass die Polizei heute völlig anders agiert, als sie es damals gemacht hat. Das ist eigentlich das Schöne an der ganzen Geschichte:
dass wir in diesem ganzen Prozess eine Gesellschaft geworden sind, die sehr viel liberaler und freier mit den Widersprüchen in dieser Gesellschaft umgehen kann.
Darüber können wir alle wirklich nur froh sein, und wir sollten weiter daran arbeiten, die Alltagsprobleme in dieser Demokratie zu lösen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mich wundert ein bisschen, dass ausgerechnet die Christdemokraten
die Bibel nicht richtig darstellen.
In der wunderbaren Geschichte vom verlorenen Sohn wird dieser Sohn von seinem Vater mit festlichen Kleidern bekleidet und wird ihm ein Festmahl bereitet.
Genau dies ruft empörte Reaktionen seiner Brüder hervor, die ja immer gerecht gelebt haben.
Ob man diese Geschichte auf die Politik anwenden kann, ist eine ganz andere Frage. Das habe ich auch nicht getan. Jedenfalls besagt diese Geschichte: Das Verzeihen muss immer radikal sein, sonst ist es kein richtiges Verzeihen.
Ich möchte das nicht weiter vertiefen. Wir befinden uns hier ja nicht in einem Theologenseminar.
Sie verlangen von uns immer wieder eine Distanzierung von Gewalt. Dazu muss ich jetzt einmal etwas sagen.
Sich einfach nur von dem zu distanzieren, was man früher gemacht hat, ist in gewisser Weise doch wohlfeil. Das kann jeder machen. Was bedeutet das schon? Das sind nur Worte.
Entscheidend ist doch, wenn ich mich von Gewalt distanziere, dass ich das durch mein ganzes politisches Verhalten und meine Tat wirklich glaubwürdig untermauere.
Darauf kommt es an.
Selbstverständlich ist jedwede Gewalt in einer Demokratie von sich aus illegitim.
Sie ist es ohne Wenn und Aber, solange es die Demokratie gibt.
Erst wenn die Demokratie bedroht ist, sind nach der Verfassung andere Mittel erlaubt.
Ich denke, das muss zwischen den Demokraten ein grundlegender Konsens sein.
Zwischen unseren Auffassungen besteht eine ganz andere Differenz.
Die Differenz besteht hinsichtlich der Frage: Darf man in der Demokratie in bestimmten Situationen auch nicht legale Mittel anwenden?
Das ist eine ganz andere Frage. Das darf man natürlich zunächst einmal auch nicht.
Es ist eigentlich ganz klar, dass jeder Bürger die Gesetze in der Demokratie befolgen muss, egal, ob sie ihm passen oder nicht. Denn dass man sich an Gesetze hält, die einem passen, kann niemanden überraschen.
Das ist aus unserer Sicht ein positives Ergebnis dieser ganzen 68er- und der Nachfolgebewegung.
Selbstverständlich gibt es auch in einem demokratischen Rechtsstaat Situationen, in denen es um fundamentale Fragen von Gerechtigkeit geht, in denen man das Demonstrationsrecht bis an seine Grenzen auslotet
und in denen man selbstverständlich auch einmal Gesetze übertritt.
Das haben angesehenste Rechtsphilosophen wie John Rawls dezidiert dargelegt. Das ist heute Bestandteil unserer demokratischen Wirklichkeit, und ich finde, dass unsere
Gesellschaft damit sehr gut umgeht, dass nämlich eine einzelne Rechtsübertretung, die bestimmten Bedingungen unterliegen muss, niemals das Rechtssystem insgesamt infrage stellen darf. Das sind alles Kriterien des zivilen Ungehorsams.
Jetzt gebe ich zu, dass man sich da immer auf gefährlichem Terrain bewegt, und die Unsicherheit, ob das nicht missbraucht wird, ist sehr groß. Da gibt es leider ein prominentes Beispiel, wie sich solche Gedanken bei Leuten auswirken können, die man so gar nicht einordnen würde. Ein Beispiel dafür ist der Altbundeskanzler Kohl. Er stellt ein persönliches Versprechen, das er gegeben hat, über die Gesetze und die Verfassung dieses Gemeinwesens. Das darf man in der Tat nicht machen. Selbstverständlich kann das der gemeine Bürger machen. Aber wer sich an Versprechen, die illegal sind, halten möchte, der darf gewiss keine öffentlichen Ämter anstreben.
Insofern möchte ich selbstkritisch sagen, dass so etwas wie zivilen Ungehorsam anzuwenden immer die Ultima Ratio ist und dass alle sehr skrupulös damit umgehen müssen, so etwas zu tun oder gar dazu aufzufordern. Das ist gar keine Frage. Ich glaube, auch da haben wir einiges zu lernen gehabt.
Ich möchte noch einmal betonen: Die Irrtümer der 68er – es ist völlig richtig, dass die natürlich nicht eine ganze Generation repräsentieren, sondern nur einen Teil von ihr – waren schwerwiegend. Sie haben an ihren Rändern zu schwersten Gewalttaten geführt, und natürlich haben alle, auch ich – das ist keine Frage –, der zwar persönlich keine Gewalt angewendet hat, was ich aber eher meinem Naturell verdanke,
und die ganze Gewaltmystik und die Gewaltpropaganda des revolutionären Kampfes, dem ein Teil dieser Bewegung erlegen ist, überhaupt erst den Bodensatz dafür geschaffen, dass es ausgefranst ist. Das ist natürlich das, was die, die das getan haben, mit sich tragen und mit dem sie fertig werden müssen. Aber eine andere Buße, um mit Frau Merkel zu sprechen, als zu versuchen, ein überzeugter Demokrat zu sein, der am Aufbau und an der Gestaltung des Gemeinwesens teilhat, gibt es nicht.
Was geschieht mit dem Personal der Vogelschutzwarte? Wird es dorthin versetzt?
Was ist damit gewonnen?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf halbiert die Landesregierung die Zahl der Bezirksstellen für Naturschutz und Landschaftspflege.
Die mit ca. 50 Fachbeamten kleinste Fachbehörde des Landes soll halbiert werden. Zum Vergleich: In der Flurbereinigung arbeiten 1 300 Mitarbeiter, in der Landwirtschaftsverwaltung 1 000 und in der wichtigsten Eingriffsverwaltung des Landes, dem Straßenbau, 2 600 Fachbeamte. Obwohl wir schon jetzt enorme Defizite im Naturschutz haben, obwohl es für die Hälfte der Naturschutzgebiete keine Pflegepläne gibt oder sie nicht umgesetzt werden, wird die Mitarbeiterzahl der Behörde, die das realisieren soll, halbiert.
Man muss sich das noch einmal vor Augen halten: Pro Regierungsbezirk haben wir in den BNLs dann noch sieben bis acht Fachbeamte, einschließlich des Leiters dieser Behörde.
Was soll diese Behörde eigentlich alles tun? Das kann man in diesem Gesetzentwurf nachlesen. Sie soll das Ministerium und die anderen Naturschutzbehörden fachlich beraten. Sie soll Öffentlichkeitsarbeit machen. Sie soll in konzeptionellen Naturschutzfragen bei der Ausweisung von Naturschutzgebieten und Naturparken Schutzgebietskonzepte erarbeiten und den Vollzug der Verordnungen überwachen. Sie soll Raumordnungsverfahren oder Großvorhaben behandeln. Sie soll Regionalpläne und Landschaftsrahmenpläne kommentieren. Sie soll sich um das Vorkaufsrecht beim Landerwerb kümmern. Sie ist wichtig bei Fragen des Artenschutzes, bei der Befreiung nach § 62 und in Widerspruchsfragen.
Jetzt kommt das Entscheidende: Es kommen noch ganz enorme Aufgaben durch die Ausweisung der Natura-2000Gebiete, meistens unter dem Schlagwort FFH-Gebiete bekannt, hinzu. Sie soll sie betreuen, soll Pflege- und Entwicklungspläne sowie Managementpläne erarbeiten. Sie soll das auch organisieren, soll die Besucherlenkungsmaßnahmen durchführen. Sie soll Pflegemaßnahmen durchführen und sogar die Pflegetrupps organisieren. Sie soll das Artenschutzprogramm vollziehen und bei den Landschaftserhaltungsverbänden mitwirken. Sie soll bei den Naturschutzzentren mitwirken usw. Dann soll sie noch die ehrenamtlichen Naturschutzbeauftragten unterstützen und beraten.
Das muss man sich einmal vorstellen – und das bei den Natura-2000-Gebieten, bei denen zum Beispiel ein sechsjähriges Monitoring und eine Evaluierung stattfinden sollen. Das ist eine Riesenarbeit, der die Behörde schon bisher nicht gewachsen war. Das sieht man an dem ganzen Desaster, das diese Landesregierung bei der Anmeldung der FFH-Gebiete erlebt hat.
Dazu schaffen Sie noch das Devolutivrecht ab. Das heißt, das ehrenamtliche Engagement wird auch demotiviert und geschwächt, weil die Naturschutzbeauftragten schon jetzt gegen diese ganzen Eingriffsplanungen anrennen, fast nichts anderes mehr tun und das allermeiste von ihren Ein
wendungen überhaupt nicht berücksichtigt wird. Jetzt muss man sich vorstellen, was passiert, wenn ihnen auch noch das Devolutivrecht genommen wird.
Man muss sehen, was die BNLs als ganz winzige Behörden des Landes geleistet haben. Dies ist beachtlich und verdient unseren Respekt. Wenn Sie sie noch weiter schwächen und, was Sie selbst kritisiert haben, Herr Kollege Göbel, irgendwelche Spezialisten in die Landratsämter schicken, sodass der Krötenspezialist gegen allgemeine Eingriffspläne in irgendeinem Landratsamt Stellungnahmen abgeben soll, dann ist das ein absurder Vorgang. Wer in den Veröffentlichungen des Ministeriums liest, wie die Delegation dieser Beamten nach unten umgesetzt werden soll, der kann sich nur die Haare raufen. Das ist ein völlig undurchführbares Manöver.
Aber auch Ihre sonstigen Konzeptionen im Naturschutz geben nicht viel her. Bei der Ausweisung der PLENUM-Gebiete, die die Regierung vorletztes Jahr im November im Kabinett beschlossen hat, hat die Ministerin einen Finanzierungsbedarf von 7 bis 15 Millionen DM gesehen. Davon ist gerade einmal das PLENUM-Gebiet, das bei ihrem Antritt als Naturschutzministerin schon vorlag – das in Isny/ Leutkirch –, das einzige, das mit 850 000 DM überhaupt gesichert und auf den vorgesehenen Bereich von 32 Gemeinden ausgeweitet wurde. Ansonsten haben wir bei den restlichen geplanten PLENUM-Gebieten Fehlanzeige.
Jetzt sind Sie auf die grandiose Idee gekommen, Naturparke auszuweisen. Der Naturpark Südschwarzwald ist dreimal so groß wie alle schon existierenden Naturparke zusammen. Kommen die Schwäbische Alb und der Nordschwarzwald hinzu, sind 45 % des Landes Baden-Württemberg Naturparke. Dafür, glauben Sie, bekommen Sie dann ein paar Mark von der EU. Was weisen Sie dafür im Haushalt aus? 1 Million DM mehr. Das muss man sich einmal vorstellen.
Was kann man da ganz nüchtern resümieren? Es ist eine absolut negative Bilanz, die Sie im Naturschutz vorzuweisen haben. Wer ist dafür verantwortlich zu machen? Ministerpräsident Teufel ganz persönlich. Jedem hier im Hause sind seine Aversionen gegen den Naturschutz bekannt, woher sie auch immer kommen mögen.
Es ist den Koalitionsfraktionen leider nicht gelungen, wenigstens an einem Punkt zu zeigen, dass man auch als Regierungsfraktion die Regierung zu kontrollieren hat.
Als Teufel selbst noch Fraktionschef war, hat er durchaus ab und zu gezeigt, dass er auch etwas zu melden und zu sagen hat. Noch nicht einmal an dieser Stelle waren Sie als Regierungsfraktion in der Lage, zu sagen: Jetzt ist aber Schluss! Stopp!
Das Ganze wird in den beiden allerletzten Plenarsitzungen dieser Legislaturperiode durchgepaukt, und der zuständige
Ausschuss wird noch nicht einmal die Möglichkeit haben, eine Anhörung dazu durchzuführen. Dies ist ein Armutszeugnis ersten Ranges.
Ich glaube, das ist ganz unverantwortlich. Warum? Weil allein von den Wirbeltierarten in Baden-Württemberg 61 % gefährdet oder extrem gefährdet sind, von den Brutvögeln 50 %, von den Lurchen und Kriechtieren 71 %, von den Fischen 64 %, obwohl die Regierung verpflichtet ist, so viel Lebensräume zu schaffen, dass diese Tierarten überleben können. Das ist eine Verpflichtung des Naturschutzgesetzes. Es kann also keine Rede davon sein, dass dies erfolgreich geschehen ist.
Sie sollten endlich einmal aufwachen, wenn Ihr eigener Umweltminister in seinem Umweltplan eine Bilanz darlegt, die besagt: Der Flächenverbrauch in Baden-Württemberg ist dramatisch. Pro Tag werden 11 Hektar versiegelt. Das sind jeden Tag 22 Fußballfelder.
Die Eingriffsverwaltung verändern Sie um keinen einzigen Mann. Es bleibt bei 2 300 Beamten in der Straßenbauverwaltung. Aber die winzigen BNLs, die übrigens nur beratende Funktion haben, reduzieren Sie noch einmal auf die Hälfte.
Das ist eine Bankrotterklärung, und sie ist durch nichts zu rechtfertigen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Minister Döring schreibt an die 50 größten Unternehmen von Baden-Württemberg einen Brief mit der etwas verklausulierten Frage: Wollt ihr lieber einen internationalen Großflughafen, oder wollt ihr lieber eine Messe? Die Antwort ist natürlich: Wir wollen beides, aber wir geben nichts.
Das heißt, in diesen Briefen – das sagte dann Döring in einem Interview – war kein einziger Scheck. Er resümiert aus dieser Aktion: „Das hat mich doch sehr nachdenklich gemacht.“ Jetzt fragen wir mal: Wohin kann denn das Nachdenken eigentlich führen? Die Messe soll 1 Milliarde DM kosten, hieß es immer. Jetzt spricht man von den Kosten einer Kernmesse, weil klar ist, dass dieser Betrag in keiner Weise ausreichend ist. Diese geplante Messe kostet mindestens 1,3 Milliarden DM. Davon ist die Industrie von Baden-Württemberg gerade mal mit 8 %, also 80 Millionen DM, beteiligt.
Jetzt stellt Minister Döring fest: Von diesen gerade mal 8 % sind 15 %, also 12 Millionen DM, bisher von der Industrie geflossen.
Man muss sich also vorstellen: Da wird ein riesiges Großprojekt geplant, und diejenigen, die die eigentlichen Nutzer sind, sagen: „Macht das ruhig. Das ist schon nett. Aber ihr zahlt es. Wir haben daran gar kein Interesse“, und das sieht man am Geld. Also muss ich doch sagen: Es ist zwar logisch – das nennt man in der Subventionspolitik Mitnahmeeffekte –, dass die Industrie nicht gerade hinstehen wird und sagt: „Das wollen wir auf gar keinen Fall da oben.“ Das ist ja jedem irgendwie klar. Aber ein wirkliches Interesse, das überhaupt rechtfertigen kann, dass man in einem solchen Verfahren andere enteignet, was Sie ja offenkundig vorhaben – denn bisher haben Sie ja nur 20 Hektar für die neue Messe überhaupt erworben –, kann doch nur dann nachgewiesen werden, wenn der Hauptnutznießer, nämlich die Industrie selbst, ihr Interesse an einer Messe auch ernsthaft bekundet, indem sie da Geld liegen lässt.
Wenn das aber nicht der Fall ist – und bei den Antworten, die Herr Minister Döring bekommen hatte, dass das eigentlich irgendwie gar nicht so wichtig sei, ist das nicht der Fall –, ist es doch völlig ausgeschlossen, auf einer solchen Grundlage gegen den Widerstand der Kommunen und der Eigentümer dort einfach ein solches Projekt durchzuziehen. Das halte ich für völlig abwegig.
Jetzt könnte ich als Gegner dieses Projekts dem Minister dafür dankbar sein, dass er so klar gesagt hat,
es sei eigentlich gar nicht möglich, das nachher zu machen.
Das heißt, subventionspolitisch gesehen ist es natürlich nichts anderes als eine Verschleuderung öffentlicher Mittel für ein Projekt, das gar nicht benötigt wird.
Döring sagt dann, bei den großen Unternehmen bestehe zwar kein großes Interesse daran, aber vom Mittelstand wisse er, dass dort Interesse bestehe. Obwohl er den Mittelstand gar nicht angeschrieben hat, sondern nur die 50 größten Unternehmen, weiß er, was der Mittelstand davon hält.
Was ist jetzt mit dem zweiten Punkt, der Flughafenerweiterung? Ich glaube, schon im Planfeststellungsverfahren war klar: Das ist der definitive Endzustand dieses Flughafens. Die Bevölkerung dort oben ist, glaube ich, schon oft genug durch solche Versprechungen an der Nase herumgeführt worden. Döring hält das allerdings ganz klar offen.
Jetzt fragen wir: Was bedeuten solche unterschiedlichen Äußerungen des Ministerpräsidenten und seines Stellvertreters in einer so wichtigen Sache fünf Monate vor der Landtagswahl? Was muss man da eigentlich nach der Wahl erwarten? Wird da dann die eigentliche Katze aus dem Sack gelassen? Wie soll man das hinnehmen? Der stellvertretende Ministerpräsident sagt irgendwie das Gegenteil dessen, was der Ministerpräsident sagt. Ich glaube, ein klares Wort des Ministerpräsidenten wäre da einmal erforderlich, denn er bestimmt ja die Richtlinien der Politik.
Dazu ist zu sagen: Die Flughafengesellschaft will eine Erweiterung der Fluggastzahlen von 7,7 Millionen auf 14 Millionen Fluggäste und rechnet damit. Man muss sich einmal vorstellen, was das nicht nur an Lärmbelästigung für die 100 000 Menschen bedeutet, die auf den Fildern wohnen. Das ganze Projekt Messe und Flughafenerweiterung mit den prognostizierten Fluggastzahlen ist verkehrspolitisch auf den Fildern auch überhaupt nicht darstellbar. Wer die jetzige Verkehrssituation bei 7,7 Millionen Fluggästen und ohne eine Messe auf den Fildern anschaut, der kann sich vorstellen, was los wäre, wenn diese Prognosen wirklich in Erfüllung gingen. Das wäre das Verkehrschaos von morgens bis abends, das wir dort jetzt im Grunde genommen eigentlich schon haben.
Jetzt wird auf einmal über Söllingen herumschwadroniert.
Der Minister selbst hat ausdrücklich gesagt, Söllingen sei ein Projekt, das auf Jahre hinaus rote Zahlen schreiben werde. Mit weniger als 200 Millionen DM sei das gar nicht zu machen.
Bei Stuttgart 21, dem dritten Großprojekt, sind die finanziellen Usancen, glaube ich, allmählich bekannt.
Ich komme zum Schluss.
Der ganze Wurm bei Ihren Großprojekten liegt im Kern darin: Sie sind gar nicht finanzierbar. Die Leute, die rechnen müssen, nämlich die von der Industrie, beteiligen sich deswegen auch nur marginal an deren Finanzierung. Solange Sie solche Infrastrukturgroßprojekte nur auf der Grundlage „Geld spielt keine Rolle, wir können weiter Schulden machen, auch wenn das Land bis an die Halskrause verschuldet ist“ machen, werden Sie mit den Projekten in die Irre gehen. Sie werden keinen Nutzen haben. Sie stoßen auf erheblichen Widerstand der Bevölkerung, und Sie ruinieren damit die Staatsfinanzen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen wir einfach noch einmal die Fakten Revue passieren. 1995 setzt die dafür zuständige achtköpfige Kommission des Kultusministeriums Rolf Hochhuths „Eine Liebe in Deutschland“ auf die
Literaturliste für das Abitur 2002 der beruflichen Gymnasien.
Bekannt ist die Rolle Hans Filbingers als Marinerichter im Dritten Reich. Das ist ja noch einmal vom Kollegen Reinelt dargelegt worden. Dieses Buch hat maßgeblich zum Sturz Filbingers beigetragen. Filbinger selbst fühlt sich bis heute zu Unrecht verfolgt.
1996 bestätigt das Kultusministerium die Literaturempfehlung dieser Kommission für das Abitur 2002. Zwei Wochen nach Schuljahresbeginn für die relevanten Jahrgänge wird das Buch als Pflichtlektüre zurückgezogen. Begründung: Es sei zu wenig Sekundärliteratur vorhanden. Diese Behauptung muss korrigiert werden. Es ist genügend Sekundärliteratur vorhanden. Die nachgeschobene Begründung heißt jetzt: Es ist zu wenig didaktisch aufbereitete Sekundärliteratur vorhanden. Das heißt, es fehlt so etwas wie der übliche Standardkommentar für die Schüler zu einem solchen Werk.
Als Schlenker muss ich dazu sagen: Es ist eigentlich nicht das Bild, Frau Ministerin, das Sie sonst von unseren Lehrern zeichnen, nämlich dass sie Stücke nur behandeln können, wenn dazu Standardkommentare vorliegen, mit denen sich dann die Schüler und Lehrer vorbereiten können.
Wenn Standardkommentare nicht vorhanden sind, ist es offensichtlich nicht möglich, ein vernünftiges Abitur zu machen. Ich habe Sie nicht so verstanden, dass das bisher Ihr Bild der Lehrerschaft ist.
Jetzt gibt es Proteste des Schriftstellers. Diese Proteste gipfeln in dem Vorwurf rechtsradikaler Umtriebe der Ministeriumsspitze. Diese Vorwürfe sind nicht nur maßlos, sie sind natürlich ungeheuerlich.
Sie müssen auch entschieden zurückgewiesen werden,
in erster Linie deshalb, weil es nicht geht, dass man mit der Kritik an der Regierung jede Grenze überschreitet; aber wenn man schon solche Vorgänge als rechtsradikale Umtriebe bezeichnet, muss für die Leute eine völlige Verwirrung herrschen, was überhaupt noch Rechtsradikalismus ist.
Jedenfalls macht das natürlich die ganze Auseinandersetzung nicht einfacher.
Jetzt kommt der nächste Schritt. Die Kommissionsmitglieder treten – die Informationen sind nicht einheitlich, jedenfalls meine ist so – mehrheitlich zurück. Jetzt muss man doch bei dem Bemühen, die Angelegenheit fair zu beurteilen, fragen: Wie soll die Öffentlichkeit das angesichts die
ser Vorgänge eigentlich anders werten, als dass da eine politische Intervention erfolgt ist? Wie soll das denn nach der Faktenlage anders bewertet werden? Ich weiß es nicht. Jedenfalls können und müssen Sie, Frau Ministerin, hier heute darlegen, dass das nicht der Fall ist. Das ist unser Wunsch und unsere dringliche Bitte. Sonst bleibt ja an unserem Land hängen, dass Literatur, die politisch nicht opportun ist, aus den Lektürelisten gestrichen wird. Man muss schon sagen: Der Umgang der Union mit Schriftstellern war ja bekanntlich nicht immer sehr glücklich, von den „Pinschern“ Erhards über die „Ratten und Schmeißfliegen“ Franz Josef Strauß’ usw.
Das gehört ja zu der Melange alles dazu.
Jetzt müssen Sie darlegen, dass das nicht der Fall ist, und zwar in einer überzeugenden Weise, und warum Sie den Vorschlag einer Kommission erst genehmigen und dann wieder zurückziehen und dann gestufte Erklärungen nachschieben. Sie sind da sicher in einer schwierigen Situation. Ich kann mir da eigentlich gar nichts anderes vorstellen, als dass Sie erklären – es ist ja nicht die erste Panne, die wir zum Abitur erleben, wir erleben ja fast jedes Jahr, dass die Zentralprüfung eigentlich nie glatt über die Bühne geht –, dass in Ihrem Haus in solch wichtigen Fragen Vorgänge ablaufen, die Sie offensichtlich nicht richtig in der Hand haben, und dass Sie Selbstkritik üben müssen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben natürlich, wie wir das von Ihnen gewohnt sind, in einer rhetorisch sehr brillanten Weise hier geredet
und haben Ihre Fraktion mitgezogen und einen großen Applaus eingeheimst. Mich konnten Sie allerdings in der Sache nicht ganz überzeugen.
Literatur ist nicht dazu da, wenn sie sich als politische Literatur versteht, der Politik zu gefallen. Zwischen Literatur, sofern sie sich politisch und gesellschaftlich versteht, und der Politik muss zwangsläufig immer ein Spannungsverhältnis bestehen.
Was hat das zur Konsequenz? Es ist gar nicht Aufgabe der Politik – dafür hat sie gar kein Mandat –, Literatur zu beurteilen. Das kann natürlich jeder privat tun, wenn er Literatur liest. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wir haben als Politiker dafür überhaupt kein Mandat. Das ist auch völlig richtig; denn die Gefahr, dass wir dann die Literaten, je nachdem, ob sie uns politisch nahe stehen oder nicht, ablehnen oder befürworten, wäre viel zu groß.
Was ist die Konsequenz daraus? Dass man die Auswahl und Beurteilung von Literatur Fachleuten überlässt, die davon etwas verstehen. Deswegen gibt es in Ihrem Ministerium eine Kommission, die dafür zuständig ist und die die entsprechenden Vorschläge macht. Die Aufgabe des Hauses ist es, formale Kriterien zu überprüfen, ob die denn stimmen oder nicht. Schon der Kollege Rau hat sich dabei nun in erhebliche Widersprüche verwickelt. Entweder ist der Grund für die Ablehnung des Buches, dass Sekundärliteratur nicht vorhanden ist, oder der Grund ist, dass das eigentlich ein für Demokraten inakzeptables Werk ist, das Hochhuth da geschrieben hat. Beide Argumente können jedenfalls nicht gleichzeitig stimmen.
Jetzt sage ich Ihnen, warum das, was Sie dargelegt haben, Frau Ministerin, nicht überzeugen konnte. Sie hätten doch darlegen müssen, warum die Kommission, die Sie benannt haben und in der neun erfahrene Pädagogen sitzen, wie Sie wörtlich erklärt haben, zurücktritt. Darüber haben Sie kein Wort verloren. Man muss doch in einer solchen Situation, in der Ihr Haus eine Entscheidung fällt und eine Kommission aufgrund dieser ganzen Vorgänge zurücktritt, erklären können, warum sie das eigentlich getan hat. Schließlich sind es doch nach Ihrer Aussage erfahrene Pädagogen. Keine Äußerung von Ihnen dazu. Das heißt, wenn die Fachleute in der Angelegenheit aufgrund des ganzen Vorgangs, der ja für einen Außenstehenden schwer nachvollziehbar ist, zurücktreten, ist das doch von Ihrer Seite aus erklärungsbedürftig. Das können Sie doch nicht einfach nur konstatieren.
Zu Ihrer Hauptbegründung, es liege zu „Eine Liebe in Deutschland“ nicht die Sekundärliteratur vor wie zu „Faust“ – was soll man dazu sagen?
Welches Werk seit „Faust“ kann die Menge an Beurteilung aufweisen wie der „Faust“? Es ist doch vollkommen ausgeschlossen, ein zeitgenössisches Werk zu finden, das die gleiche Aufmerksamkeit hat wie dieses großartige Werk von Herrn Goethe, das nun Myriaden von Leuten gelesen und sich darüber ausgelassen haben. Da eine Gleichwertigkeit der Sekundärliteratur herzubringen ist doch vollkommen ausgeschlossen. So argumentierend, finden Sie nie ein Werk, das Sie zusammen mit „Faust“ in die Literaturliste stellen können. Das ist vollkommen unmöglich.
Sie müssen einfach erklären können, sonst bleibt doch an der Geschichte etwas hängen, warum die Kommission nach diesen Vorgängen zurücktritt. Was ist der Grund? Den Grund, den Sie angegeben haben, habe ich zu widerlegen versucht. Der kann es doch irgendwie nicht gewesen sein. Jetzt erfahren wir – das ist quasi die beamtenmäßige Lösung des Problems –, dass es eine ganz neue Kommission gibt, eine Kommission, die sozusagen ein ganz neues Projekt macht, nämlich Abitur für berufliche und allgemein bildende Schulen. Das ist natürlich die elegante Lösung, um die Frage zu umschiffen, ob die Kommission jetzt eigentlich wirklich zurückgetreten ist oder ob sie sich quasi von alleine auflöst und in etwas Neues übergeht.
Frau Ministerin, Sie werden verstehen, dass wir uns damit nicht zufrieden geben können, dass Sie uns noch schuldig geblieben sind, zu erklären, was in Ihrem Ministerium abläuft. Ich glaube, das Problem, das Sie haben, ist, dass Sie einfach nicht zugeben wollen, dass dort gravierende Pannen passiert sind. Ich glaube, wenn Sie das hier einfach ganz schlicht gesagt hätten, hätten wir das bei Wohlwollen akzeptieren können, bei Nichtwohlwollen nicht, dass das keine politische Intervention ist. Aber solange Sie diese Vorgänge nicht glaubwürdig und überzeugend darlegen können, kann ich nicht sehen, dass diese ganze Geschichte geklärt ist.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Käs, Sie haben wieder einmal mit der Maßlosigkeit in Ihrer Sprache und der Art, wie Sie hier argumentierten, gezeigt, dass Sie das
Zeug zum Demokraten in keiner Weise haben, weil Ihnen die richtigen Maßstäbe fehlen.
Wie leiteten Sie diese Debatte ein? Sie leiteten sie mit Rekurs auf die Historie ein und sagten: Früher im Mittelalter gab es mal Kirchenasyl, wo sich Ganoven verkrochen haben. Damit leiteten Sie die Diskussion ein und wollten suggerieren, wir hätten heute ähnliche Verhältnisse, wo sich irgendwelche Ganoven bei den Kirchen verkröchen.
Zweitens redeten Sie in diesem Zusammenhang, wo es darum geht, Menschen in großer Bedrängnis und Not beizustehen, davon, dass irgendwelche – wörtlich – selbst ernannten Moralapostel sich irgendetwas anmaßen.
Unsere Kirchen in Baden-Württemberg repräsentieren immerhin noch weit über 80 % der Bevölkerung. So viel Mitglieder haben sie noch. Immerhin ist es, wie ich meine, noch Konsens unter den demokratischen Parteien, dass die Kirchen eine berechtigte moralische Instanz in dieser Gesellschaft sind. Das sind keine „irgendwelche selbst ernannten Moralapostel“, sondern in der ersten These sagt die EKD:
Beistand für Bedrängte ist Christenpflicht. Daran lässt die Bibel keinen Zweifel.
Solche Pflicht gilt auch gegenüber Menschen, die sich durch die Ablehnung ihres Asylgesuchs und die danach anstehende Abschiebung an Leib und Leben bedroht sehen und sich deswegen um Hilfestellung an einzelne Christen und Bürger, ein Pfarramt, eine Kirchengemeinde oder die Kirche wenden.
Wenn man sich einmal vor Augen hält, um was es aktuell geht,
nämlich um sieben Familien in Baden-Württemberg, die im Moment Kirchenasyl haben, kann man sich eine von diesen sieben Familien anschauen, nämlich eine Familie in Tübingen. Das ist eine Familie, von der ein Sohn anerkannter Asylbewerber ist. Alle anderen sollen abgeschoben werden – zwei Töchter und die Eltern. Alle anderen Angehörigen und Verwandten haben in Frankreich, in der Schweiz und in anderen Bundesländern Asyl. Die Mutter ist ein traumatisiertes Folteropfer.
Und worum geht es jetzt? Darum, dass noch einmal ein Gutachten für einen Asylfolgeantrag erstellt wird. Die Forderung geht nicht weiter, als dass diese Familie so lange bleiben kann. Damit wird schon ganz klar gezeigt, um was
es beim Beistand von Kirchen geht: in ganz begrenzten, schwerwiegenden Einzelfällen für eine gewisse Zeit solchen Familien Schutz und Beistand zu gewähren. Um mehr geht es nicht. Da solche Töne anzuschlagen, wie Sie das tun, Herr Käs, zeigt, dass Ihnen jegliche Maßstäbe abhanden gekommen sind, sofern Sie überhaupt jemals welche hatten.
Die Kirchen haben sehr deutlich dazu Stellung genommen – ich zitiere die dritte These der EKD –:
Kirchenasyl als eine eigene Rechtsinstitution gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Die Kirche nimmt ein solches Recht auch nicht in Anspruch. Sie darf auch nicht den Anschein eines solchen Rechts erzeugen durch ein Verhalten, mit dem die Scheu staatlicher Organe vor dem Vollzug rechtmäßiger Maßnahmen in kirchlichen Räumen ausgenutzt werden soll. Ziel des Beistandes ist es vielmehr, für Zuflucht suchende Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, nicht in der Kirche, die Gewährung des Asyls oder eines anderen Aufenthaltsrechts zum Schutz vor besonderer Bedrohung doch noch zu erwirken. Nur der Staat kann solchen ein Recht gewähren.
Ich glaube, dass die Kirchen damit ganz deutlich und unmissverständlich gesagt haben, dass es keine rechtsfreien Räume gibt, auch nicht in Kirchen, sondern dass sie in ganz ausgewählten Fällen Menschen helfen wollen. Es ist schon gesagt worden, dass das in 70 % der Fälle von so genanntem Kirchenasyl auch erfolgreich war. Kollege Schmid hat zu Recht noch einmal darauf hingewiesen, dass es wohl unvorstellbar ist, dass in unserem Gemeinwesen der Staat einfach Kirchen aufbricht und die Leute rausholt. Da kommt ein wichtiger Grundsatz zum Tragen, nämlich die Verhältnismäßigkeit der Mittel.
So etwas macht überhaupt eine lebendige Demokratie aus.
Durch das, was wir hier haben, wird nach unserer Ansicht nicht das staatliche Gewaltmonopol oder das alleinige Recht des Gesetzgebers, zu entscheiden, welche gesetzlichen Grundlagen wir hier haben, auch bei der Behandlung von Asylsuchenden, infrage gestellt, sondern es geht letztlich darum, dass dies „subsidiäre Handlungen von Gemeinden sind, durch die ein Versagen unseres Gemeinwesens gegenüber elementaren Menschenrechten im Einzelfall notdürftig und zeitlich befristet ausgeglichen werden soll“, wie es Landesbischof Huber gesagt hat.
Dass auch ein demokratisches Gemeinwesen im Einzelfall versagen kann, kann niemand bestreiten. In der Regel muss das eine Bürgerin und ein Bürger hinnehmen.
Aber dort, wo es um Leib und Leben geht, sind doch wohl noch einmal andere Maßstäbe angebracht als sonst im Allgemeinen.
Das heißt, in diesen Fällen geht es lediglich um eine humanitäre Vertiefung unserer Rechtsgrundsätze und nicht darum, sie infrage zu stellen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Schlierer, Sie haben hier den Versuch gemacht, als Gegenentlarver aufzutreten, aber ich finde, Sie haben sich mit Ihrer Rede durchaus selbst entlarvt. In einer Situation, in der ein Ruck durch Deutschland geht, weil Brandanschläge auf Synagogen verübt werden, weil Brandanschläge auf Asylantenheime verübt werden, in der Leute gejagt und totgeschlagen werden, in solch einer Situation sprechen Sie von einer hysterischen Diskussion. Dies sagt, finde ich, schon alles. Andere sind aufgerüttelt; Sie nennen es eine hysterische Diskussion und finden zur Sache kein einziges Wort.
Dann fahren Sie fort, und das ist nun wirklich die Schule der Nazis:
Sie nennen die Auseinandersetzung, die dadurch zustande gekommen ist, eine Pogromstimmung gegen rechts.
Man muss sich einmal vorstellen, was das heißt. Pogrome sind gewalttätige Auseinandersetzungen des Mobs und des Pöbels mit Minderheiten, die zusammengeschlagen oder totgeschlagen werden.
Jetzt machen Sie das, was genau die Schule der Nazis ist: Man nimmt solche Begriffe und deutet sie auf sich selber um. Sie behaupten also allen Ernstes, gegen rechts finde jetzt eine Pogromstimmung statt, so als riefen wir dazu auf, das Volk solle die Rechten totschlagen. Ganz im Gegenteil, obwohl das eine schwierige Herausforderung für den Rechtsstaat ist, tun wir gerade eines: Auch diese Menschen haben ein Recht auf Anerkennung ihrer Menschenwürde und werden eben nur mit rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt. Das unterscheidet eine Demokratie von einer Diktatur. Und eine solche Umdeutung, die Sie vornehmen, zeigt, welcher Gesinnung Sie sind.
Ich komme zu einer weiteren Formulierung, die Sie gebraucht haben. Einer der wichtigsten Begriffe in dieser Diskussion ist die Gleichheit aller Menschen, ein Begriff, der tief in die Tradition unserer Zivilisation zurückreicht, der aber Jahrhunderte gebraucht hat, um durchgesetzt zu werden, um dessentwillen Revolutionen stattgefunden haben und viele Menschen Opfer gebracht haben bis zum eigenen Leben, damit dieser Begriff endlich Wirklichkeit in unserer Gesellschaft, Verfassungswirklichkeit wird. Einen der wichtigsten und erhabensten Begriffe unserer Zivilisation kommentieren Sie: Ja, wir sehen doch alle verschieden aus. Und Ihre ganze Truppe feixt darüber.
Auch das zeigt ganz deutlich, wes Geistes Kind Sie sind. Einen der wichtigsten Begriffe unserer ganzen Verfassungstradition und Verfassungswirklichkeit ziehen Sie einfach in einer solchen Situation, wo es um Mord und Totschlag geht, ins Lächerliche. Auch das zeigt, glaube ich, wes Geistes Kind Sie wirklich sind.
Jetzt ist es natürlich so: So weit wir hier auch in Einzelfragen auseinander sind und sicher auch scharfe Differenzen austragen, wird aber so etwas niemals jemand aus den demokratischen Parteien sagen. Jedenfalls habe ich das in diesem Landtag noch niemals gehört. Darum reden wir, denke ich, mit Recht von demokratischen Parteien und grenzen Sie aus.
Was machen Sie nun aber wieder? Sie drehen wieder einen Vorwurf um, der auf Sie gemünzt ist, nämlich den des totalitären Denkens, und sagen, wir, die vier anderen Fraktionen, würden Sie in totalitärer Weise behandeln.
Gerade das ist nicht der Fall. Solange Sie in diesem Parlament sind, sind Sie in allen formalen Fragen – das macht immerhin eine Demokratie und ihren Gleichheitsgrundsatz aus – absolut gleich und korrekt behandelt worden wie jeder andere vom Volk gewählte Abgeordnete und jede an
dere Fraktion auch. Ich glaube, es macht gerade Demokratie aus, dass eine Mehrheit eine Minderheit, die sie zu Recht politisch ablehnt, trotzdem in ihren Rechten achtet, da sie vom Volk gewählt ist,
und in allen Fragen völlig korrekt behandelt, wie es die Gesetze und die Vorschriften dieses Landtags beinhalten. Daran sieht man wieder Ihre Geisteshaltung, wenn Sie Begriffe wie Totalitarismus, die dieses gerade verneinen, wieder auf eine demokratische Mehrheit ummünzen.
Weiter: Einer Ihrer Lieblingsbegriffe ist ja „Heuchelei“. Damit komme ich zu Ihrer praktischen Oppositionsarbeit. Jeder Demokrat, der eine Vorstellung von einem Gemeinwesen hat, weiß, dass es schwierig ist, in einer Demokratie Politik zu machen, die auch Wirkung zeigt, die Konsense herstellt, die Differenzen klärt und in einer pluralistischen Gesellschaft versucht, die Schwierigkeiten so zu lösen, dass die Gesellschaft einerseits nicht auseinander fliegt, andererseits aber trotzdem Pluralismus und Freiheit erhalten werden. Davon hat hier jede der vier demokratischen Parteien eine Vorstellung. Sie haben sie eben nicht. Darum ist Ihr Lieblingsvorwurf der der Heuchelei. Natürlich verwickelt sich jede demokratische Fraktion im politischen Alltagskampf auch in Widersprüche. Das ist unsere alltägliche Praxis. Aber statt selber zu sagen, wie man die Probleme lösen will und vor allem lösen kann, zeigt Ihre praktische Oppositionsarbeit nichts als ein allgemeines Gemäkel. Sie kritisieren das, was jeder Mensch, der die Zeitung liest, auch kritisieren kann. Aber Lösungsvorschläge zu bringen, wie man in einem solch komplexen Gemeinwesen tatsächliche Politik praktisch betreibt, lassen Sie völlig vermissen.
Ihre Äußerungen zeigen also, dass Sie von den Grundlagen der Demokratie geistig meilenweit entfernt sind, und da muss es auch nicht wundern, dass Sie in der praktischen Oppositionsarbeit überhaupt nichts zustande bringen, weil Sie gar keine Vorstellung davon haben, wie eine moderne Gesellschaft funktioniert.
Andere Kollegen haben Ihre Verbindungen zur wirklich rechtsextremen Szene in ganz Europa nachgewiesen, aber ich glaube, es ist durchaus auch möglich, an Ihrer widerwärtigen Demagogie, die Sie heute hier vorgeführt haben, zu zeigen, dass Sie tatsächlich geistige Brandstifter sind.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Weil wir bekanntlich nicht so schreiben wie wir sprechen, ist Rechtschreibung eine schwierige Angelegenheit, besonders die deutsche. Deshalb ändert man die Rechtschreibregeln nur selten; das letzte Mal geschah dies vor 100 Jahren.