Herr Abg. Kretschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Noll? – Herr Dr. Noll, bitte.
Herr Kollege Kretschmann, ist Ihnen, wenn Sie die Unantastbarkeit des menschlichen Zellkerns hier reklamieren, klar, dass Genomforschung, deren Erkenntnisse Sie gerade gelobt haben, ohne die Untersuchungen am Zellkern schlicht und einfach nicht möglich gewesen wäre?
Es geht um die Unantastbarkeit des menschlichen Zellkerns in der Keimbahn. Ich habe nichts dagegen, dass man Mundschleimhautzellen untersucht. Die gehen schon beim Zähneputzen weg, da brauchen wir uns keine moralischen Bedenken zu machen.
(Zuruf von der SPD: Blattschuss! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das war schwach! – Abg. Dr. Schlierer REP: Das war jetzt eindeutig neben dem Thema!)
Es ist aber so. Es geht um den Zellkern in unserer Keimbahn, darüber brauchen wir jetzt keine Missverständnisse zu produzieren.
Worin besteht die aktuell größte Gefahr? Wir haben große Fortschritte in der Diagnose des menschlichen Erbguts gemacht, aber angesichts der Komplexität gehen die Therapiemöglichkeiten damit nicht parallel. Das heißt, wir wissen sehr viel mehr, auch über Krankheiten, können sie aber aufgrund dieser Erkenntnisse keineswegs einfach heilen. Wozu wird das führen?
Die größte aktuelle Gefahr wird darin bestehen, dass wir genetisch diskriminiert werden, zum Beispiel durch Versicherungsgesellschaften. Natürlich kann man da rechtliche Schranken aufbauen und sagen: Das ist eigentlich verboten. Wie aber will man, wenn es erst einmal ein allgemeiner Trend in der Gesellschaft ist, dass man das macht – es gibt darüber einen sehr interessanten Artikel in der „Zeit“ über Zypern –, einem Unternehmer nachweisen, dass er je
manden, der das nicht tut und stur bleibt, aus diesem Grund nicht eingestellt hat? Dieses Problem haben wir ja heute schon bei vielen Diskriminierungsfragen.
Ich glaube, diese genetischen Diskriminierungen sind das Hauptproblem. In Großbritannien deutet sich an, dass das unmittelbar bevorsteht, und es sind eigentlich unmittelbar rechtliche Schritte erforderlich, um das einzudämmen.
Dass es einen Schutz der Intimsphäre gibt, das Recht, sein Erbgut für sich zu behalten, das gehört für mich zu den fundamentalen Rechten, die die Gesellschaft unmittelbar durchsetzen muss.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute anlässlich der überraschenden Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Genomanalyse über die rechtlichen Konsequenzen, die aus diesen Forschungsergebnissen zu ziehen sind.
Zu Beginn möchte ich noch einmal festhalten: Es war in der Tat überraschend, dass die Zahl der Gene des Menschen wesentlich geringer ist, als man ursprünglich angenommen hatte. Es ist überraschend, dass 99,9 % aller Menschen im Genom übereinstimmen. Es war aber genauso überraschend, dass wir in 98 % etwa mit Primaten wie dem Schimpansen übereinstimmen und dass wir immerhin einige Hundert Gene von Bakterien übernommen haben.
Aber das Problem, vor dem wir stehen, ist nicht ganz neu, Herr Kollege Noll. Denn das Hall’sche Experiment von 1993 in Washington hat uns damals schon zwei wesentliche Probleme vor Augen geführt: zum einen die Tendenz, dass in der Medizin offensichtlich doch das gemacht wird, was gemacht werden kann, und zum anderen die damals von Hall schon im Ansatz herausgehobene Differenzierung von Embryonen nach Qualitätsstandards.
Seitdem gibt es eine durchaus kontroverse Diskussion. Es ergibt sich allerdings aus diesem Problem die Frage, ob wir mit rechtlichen Mitteln, mit rechtlichen Rahmen Gentechnik lenken können oder nicht. Das gilt sowohl für die Genomanalyse und das Screening als auch für die Gentherapie, das heißt für die Versuche eines Eingriffs in die menschliche Keimbahn.
Diese Debatte, meine Damen und Herren, hat sicherlich viel an Emotionalität gewonnen, weil die Chancen sehr verlockend erscheinen, wenn ich allein an die Möglichkeit
denke, auf diese Art und Weise eine Vielzahl heute nicht beherrschbarer Erkrankungen in den Griff zu bekommen. Aber es gibt natürlich auch eine Emotionalisierung durch die vielfältigen Risiken, die mit diesen Eingriffen in Verbindung gebracht werden.
Wenn ich einmal den Bereich der Genomanalyse betrachte, so stelle ich fest, dass wir dort in der Tat vor einem Grundproblem stehen. So haben wir sicherlich ein Interesse daran, Krankheitsursachen und -dispositionen erkennen zu können. Auf der anderen Seite aber müssen wir klar und deutlich sagen, dass die derart gewonnenen Daten geschützt werden müssen und dass im Bereich des Datenschutzes ein ganz besonderes Augenmerk darauf zu lenken ist, die Verwertung dieser gewonnenen Daten durch Dritte zu verhindern. Das betrifft den angesprochenen Bereich des Versicherungsrisikos und die in diesem Bereich erkennbare Gefahr einer Diskriminierung jener, die sich einer Genomanalyse unterzogen haben.
Im Bereich der Gentherapie haben wir ein ganz zentrales Problem. Dies will ich mit einem Zitat ansprechen, das Kulturstaatsminister Nida-Rümelin in diesem Zusammenhang vor einiger Zeit von sich gegeben hat. Ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten:
Die Achtung der Menschenwürde ist dort angebracht, wo die Voraussetzungen erfüllt sind, dass ein menschliches Wesen entwürdigt werde, ihm seine Selbstachtung genommen werden kann. Daher lässt sich das Kriterium Menschenwürde nicht auf Embryonen ausweiten. Die Selbstachtung eines menschlichen Embryos lässt sich nicht beschädigen.
Meine Damen und Herren, ich sehe in diesen Denkansätzen eine erhebliche Gefahr. Denn wenn ich den Begriff Menschenwürde nicht mehr auf Embryonen ausdehne, wenn ich Selbstachtung zu einem maßgeblichen Kriterium bei der Definition der Menschenwürde mache, schaffe ich die Grundlage für eine Forschung mit Embryonenverbrauch. Dann bin ich genau in jenem Bereich, in dem es immer schwieriger wird, schließlich überhaupt noch Grenzlinien zu ziehen. Deswegen hat sich Herr Nida-Rümelin ja auch erhebliche Kritik zugezogen, etwa durch Spaemann, der mit Recht darauf hingewiesen hat, dass diese Art der Definition nicht zulässig sei.
Nun stelle ich mir mit Blick auf die von Ihnen, Herr Noll, beantragte Aktuelle Debatte die Frage: Welche rechtlichen Konsequenzen ziehen wir?
Bei der Frage nach den rechtlichen Konsequenzen wollen wir zunächst einmal festhalten, dass wir mit dem Embryonenschutzgesetz und der Bioethikkonvention des Europarats eine klare Vorgabe insoweit haben, als Eingriffe in die Keimbahn verboten sind. Ich stelle mir allerdings die Frage, ob es bei uns nicht zunehmend Tendenzen gibt, wonach
eine Änderung dieser Situation gewünscht wird, weil man im Blick auf die Forschung und den Wissenschaftsstandort Deutschland glaubt, sich an eine Regelung annähern zu müssen, wie sie beispielsweise in den USA besteht. Dies wäre in der Tat ein Gesichtspunkt, den wir in der zweiten Runde noch vertiefen müssten.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, die Beiträge meiner Vorredner haben gezeigt, dass dieses Thema sehr wichtig und aktuell ist und dass wir es so schnell wie möglich behandeln müssen. Ich meine auch, Herr Kollege Müller, hier ist der richtige Ort. Wir können das Thema nicht wegdrängen. Wir sollten es hier auch erörtern, wir sollten uns eine politische Meinung zu diesem Thema bilden. Gerade ein ethisch so schwieriges, ein im Grenzbereich sehr diffiziles, sehr hoch stehendes Thema müssen wir als Politiker mitgestalten. Wir können das nicht anderen überlassen.
Ich meine, ein Grundtenor besteht zwischen uns: Wir sollten das Klonen eigentlich untersagen. Wir sehen keine Veranlassung und keine Notwendigkeit, dass ein Mensch geklont wird. Das ist, meine ich, eine Grenze, die wir nicht überschreiten sollten.
Das Zweite – da wird es schon schwieriger – betrifft die Embryonen. Sollen Embryonen gezüchtet werden, um Ersatzteillager für Menschen zu sein? Sollen Organe herangezüchtet werden? Soll ein lebendes Wesen geschaffen werden, das anschließend verwertet wird? Hier ist die Grenze zu ziehen. Dies sollte man in dieser Form ablehnen. Wir müssen genau finden, wo die Grenze des Lebens beginnt. Dieses zu definieren ist eine unserer Aufgaben, einer der Punkte, wo wir auch eine Entscheidung treffen müssen.
Wir sind der Überzeugung, dass das Ziel, Organe zu schaffen, auch anders erreicht werden kann. Man muss nicht unbedingt Embryonen züchten, Menschen werden lassen, die dann ausgeschlachtet werden. Deshalb halte ich hier die Grenze für gegeben.
Jetzt kommen weitere Punkte, die in das gesellschaftliche Leben eingreifen. Zuerst haben wir die Freiheit der Wissenschaft. Die müssen wir auch hochhalten. Die Wissenschaft muss in der Lage sein, Forschungen durchzuführen, die weiterbringen, die das Ziel haben, unsere Gesundheit zu verbessern, Krankheiten zu heilen und unser Leben zu verlängern. Das muss das Ziel sein. Die Freiheit der Forschung ist ein grundgesetzlich geschütztes Gut. Wir dürfen hier keine Tabus haben und eigentlich auch keine Grenzen, außer den beiden, die ich am Anfang genannt habe.
Dann haben wir natürlich neue Gesetze zu schaffen, neue Bereiche zu würdigen. Was passiert mit dem Datenschutz? Datenschutz heißt doch, dass jeder selbst über die Weitergabe seiner Kenntnisse über seine Gene bestimmen kann. Das muss gewährleistet sein. Hier dürfen nicht andere oder Dritte eindringen, außer jemand gibt sein Wissen frei und
ist damit einverstanden, dass es weitergegeben wird. Ich glaube, das ist für den Datenschutz sehr wichtig.
Das Recht auf Nichtwissen muss auch geschützt sein. Es darf nicht sein, dass jemand gezwungen werden kann, seine Gene zu offenbaren, medizinische Tests über sich ergehen zu lassen. Ich glaube, das gehört zur Menschenwürde, und diese Menschenwürde muss hochgehalten werden.
Auch beim Arbeitsrecht müssen wir neue Grenzen ziehen. Wie weit ist vielleicht eine Offenbarung notwendig? Jemand, der einen Beruf hat, bei dem er für Menschenleben Verantwortung trägt, zum Beispiel ein Pilot, der für Hunderte von Menschen Verantwortung hat, hat hier vielleicht mehr in irgendeiner Form mitzuwirken als einer, der keine solche Verantwortung hat. Hier sind auch im Arbeitsrecht neue Grenzlinien zu ziehen, die wir erarbeiten müssen, über die wir politisch entscheiden müssen und über die wir hier diskutieren müssen.
Beim Versicherungsrecht darf es keine Diskriminierung geben. Wir müssen Grenzen finden, inwieweit eine Versicherung mit einer Umlagefinanzierung, die jeder Versicherte mitträgt, gewisse Offenbarungsrechte hat. Die haben die Versicherungen ja schon jetzt. Schon jetzt muss man bekannt geben, welche Krankheiten man hat. Die Frage ist, ob man auch weiter gehende Offenbarungspflichten hat und Versicherungen ausgeschlossen werden können. Auch hier müssen wir rechtliche Grenzen ziehen. Das ist unsere Aufgabe.
Auch das Patentrecht muss überprüft werden. Es geht hier immer um wirtschaftliche Interessen. Natürlich gibt es wirtschaftliche Interessen. Aber letzten Endes ist ja die Gesundheit das Ziel. Auch die Wirtschaft dient letztlich der Gesundheit, der Förderung des Lebens in dem Sinne, irgendwelche Benachteiligungen im Körper und in der Gesundheit zu eliminieren. Hier muss die Wissenschaft zur Forschung angehalten werden. Das kann ich natürlich nur mit einem modernen Patentrecht. Einer, der auf diesem Gebiet forscht, muss geschützt sein. Es darf nicht sein, dass jemand Millionenbeträge investiert und dann keinen Schutz hat.